OGH vom 12.07.2007, 2Ob5/07k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Emanuel O*****, geboren am , vertreten durch den Magistrat der Stadt Salzburg, Stadtjugendamt, Saint-Julien-Straße 20, 5024 Salzburg, über den Revisionsrekurs des Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom , GZ 21 R 470/06y-U25, womit infolge Rekurses des Minderjährigen der Beschluss des Bezirksgerichtes Salzburg vom , GZ 3 P 49/03t-U17, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird in seinem bestätigenden Teil ersatzlos aufgehoben. Gleichzeitig wird der erstinstanzliche Beschluss in seinem noch aufrechten Umfang (Einstellung der Unterhaltsvorschüsse rückwirkend ab ) ersatzlos aufgehoben.
Text
Begründung:
Mit einem auf § 442 ZPO gegründeten Versäumungsurteil des Erstgerichtes vom wurde die Vaterschaft des Aristoteles S***** (ein griechischer Staatsangehöriger) festgestellt und dieser zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltes von EUR 320 ab für den mj Emanuel verpflichtet. Der Unterhaltsfestsetzung lag die Behauptung der Mutter zugrunde, dass der Vater als Techniker in Feldkirchen bei München beschäftigt sei und monatlich rund EUR 2.000 netto verdiene. Als Wohnort des Vaters war in der Urteilsausfertigung eine Adresse in Griechenland angeführt.
Am beantragte der hiebei durch seine Mutter vertretene Minderjährige die Gewährung monatlicher Unterhaltsvorschüsse in Titelhöhe, wobei er sich auf die Aussichtslosigkeit einer Exekutionsführung berief. Trotz größtmöglicher Bemühungen habe weder der Aufenthaltsort des Vaters in Griechenland noch ein eventuelles Dienstverhältnis ausgeforscht werden können. Zur Bescheinigung dieser Angaben legte er Urkunden vor.
Mit Beschluss vom bewilligte das Erstgericht Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von monatlich EUR 209, jedoch höchstens in der Höhe des jeweiligen Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs 1 Buchstabe c bb erster Fall, § 108f ASVG, für die Zeit vom bis .
Der zum Vertreter des Minderjährigen bestellte Jugendwohlfahrtsträger stellte am den Antrag, die Unterhaltsvorschüsse auf Titelhöhe anzuheben. Gleichzeitig legte er eine Mitteilung der österreichischen Botschaft in Athen vor, aus der sich ergebe, dass der Vater „nach wie vor" bei einem bestimmten Unternehmen in Athen arbeite und unter der im Unterhaltstitel angeführten Adresse erreichbar sei.
Das Erstgericht stellte daraufhin die mit Beschluss vom gewährten Unterhaltsvorschüsse rückwirkend ab ein. Die Unterhaltsvorschüsse seien auf Grund unrichtiger Angaben bewilligt worden. Die Voraussetzungen für die Gewährung seien nie vorgelegen.
Das Rekursgericht wies einen gegen diesen Beschluss von der Mutter namens des Minderjährigen erhobenen Rekurs zurück und gab dem vom Jugendwohlfahrtsträger namens des Minderjährigen erhobenen Rekurs teilweise Folge. Es bestätigte den erstinstanzlichen Beschluss im Umfang der Einstellung der Unterhaltsvorschüsse rückwirkend ab , hob ihn jedoch im Umfang der Einstellung der Unterhaltsvorschüsse auch für den Zeitraum vom bis ersatzlos auf. Es sprach ferner aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei und führte in rechtlicher Hinsicht aus:
Neumayr (in Schwimann, ABGB3 I § 20 UVG Rz 13) vertrete in Anschluss an die dort nachgewiesene Rechtsprechung eines Landesgerichtes die Auffassung, dass im Falle eines Vorschusses nach § 4 Z 1 UVG bei bloßem Bekanntwerden eines Dienstgebers des Unterhaltsschuldners kein Einstellungsgrund gegeben sei, zumal im Falle des Titelvorschusses nach § 3 UVG die Erfolglosigkeit der Exekution ausdrücklich nicht als „laufendes Erfordernis" der Vorschussgewährung verlangt werde und daher auch der Wegfall der Aussichtslosigkeit der Exekution nicht zu einer Einstellung von Vorschüssen nach § 4 Z 1 UVG führen könne. Diese Rechtsauffassung entferne sich jedoch vom Wortlaut des § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG, wonach die in dieser Gesetzesstelle nicht geforderte Wiederholung der Exekutionsführung nach § 3 Z 2 UVG nur für eine Bevorschussung nach § 3 UVG, nicht aber auch für eine solche nach § 4 Z 1 UVG gelte. Eine Gleichsetzung der im Gesetz deutlich unterschiedenen Titelvorschüsse nach erfolgloser Exekution (§ 3 UVG) mit solchen bei Aussichtslosigkeit der Exekution (§ 4 Z 1 UVG) in dem Sinne, dass bei beiden Titelvorschusstatbeständen bei (nachträglichem) Bekanntwerden eines Dienstgebers kein Einstellungsgrund gegeben sei, verkenne die Gesetzessystematik, wonach in § 3 UVG der Grundfall der Vorschussgewährung geregelt sei, während § 4 UVG verschiedene Vorschusstypen zusammenfasse, bei denen die Hereinbringung des Unterhaltes nicht im Exekutionsweg versucht werden müsse. Im Hinblick auf den Umstand, dass bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 Z 1 UVG dem vorschusswerbenden Kind der vorherige Versuch einer exekutiven Hereinbringung des Unterhaltes nicht abverlangt werde, sei ein unsachliches Ergebnis der im Gesetz vorgesehenen Differenzierung nicht zu besorgen, wenn das nachträgliche Bekanntwerden eines Dienstgebers (bei bekannter Anschrift des Unterhaltsschuldners) zur Einstellung der nach § 4 Z 1 UVG gewährten Unterhaltsvorschüsse führe. Im Übrigen setze die Einstellung ohnedies voraus, dass die Exekutionsführung gegen den Unterhaltsschuldner zielführend und zumutbar sei. Der Auffassung des Minderjährigen, ein Einstellungstatbestand iSd § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG liege schlechthin nicht vor, könne daher nicht gefolgt werden.
Eine Einstellung des Unterhaltsvorschusses komme aber erst per in Betracht, weil erst auf Grund der Mitteilung der österreichischen Botschaft in Athen vom davon ausgegangen habe werden können, dass der Vater „nach wie vor" in Athen arbeite und unter der im Titel angeführten Adresse erreichbar sei. Außerdem sei hervorgekommen, dass der Vater auch an einer deutschen Wohnadresse aufrecht gemeldet sei. Ab Bekanntwerden dieser Umstände hätte der Minderjährige gegen den jedenfalls im EU-Ausland aufhältigen Vater mit Aussicht auf Erfolg ein Exekutionsverfahren anstrengen können.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil zu der über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Rechtsfrage, ob bei nachträglichem Bekanntwerden eines Dienstgebers des Unterhaltsschuldners auch eine Einstellung der nach § 4 Z 1 UVG gewährten Unterhaltsvorschüsse ausgeschlossen sei, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bestehe.
Gegen diese Rekursentscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Minderjährigen mit dem Antrag, den angefochtenen Teil des Beschlusses (ersatzlos) aufzuheben.
Eine Rechtsmittelbeantwortung wurde nicht erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.
Vorschüsse auf den gesetzlichen Unterhalt mj Kinder sind nach § 3 UVG zu gewähren, wenn für den gesetzlichen Unterhalt ein im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel besteht (Z 1) und eine wegen der laufenden Unterhaltsbeiträge geführte Exekution nach § 291c Abs 1 EO oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderung oder eine andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderung hat, eine Exekution nach § 372 EO auch nur einen in den letzten sechs Monaten vor Stellung des Antrages auf Vorschussgewährung fällig gewordenen Unterhaltsbeitrag nicht voll gedeckt hat (Z 2).
Nach § 4 Z 1 UVG sind dem mj Kind Vorschüsse auch zu gewähren, wenn zwar ein im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel nach § 3 Z 1 UVG besteht, aber die Führung einer Exekution nach § 3 Z 2 UVG aussichtslos erscheint.
Während § 3 Z 1 UVG die allgemeine Voraussetzung für die Gewährung eines Titelvorschusses, nämlich das Bestehen eines im Inland vollstreckbaren Exekutionstitels normiert, zeigen § 3 Z 2 und § 4 Z 1 UVG je eine Möglichkeit der Bevorschussung eines notleidend gewordenen Unterhaltstitels auf (9 Ob 501/94 = EvBl 1995/10; 7 Ob 248/99t; 2 Ob 241/01g). Der Unterschied zwischen den Vorschussgründen nach § 3 Z 2 UVG und nach § 4 Z 1 UVG liegt nur darin, dass bei letzterem das Erfordernis des erfolglosen Versuches einer Exekution wegfällt. Dem Antragsteller soll nach der als Sonderfall zu § 3 UVG geregelten Bestimmung des § 4 Z 1 UVG die Exekutionsführung als Voraussetzung einer Vorschussgewährung dann erspart bleiben, wenn bereits auf Grund der objektiven Lage zur Zeit der Beschlussfassung erster Instanz eine Exekutionsführung für jedermann aussichtslos erscheinen muss (4 Ob 353/97h = EvBl 1998/78; 2 Ob 241/01g; 6 Ob 105/02p; RIS-Justiz RS0108900). Aussichtslosigkeit einer Exekution im Sinne des § 4 Z 1 UVG bedeutet somit Aussichtslosigkeit einer Exekutionsführung nach § 3 Z 2 UVG (9 Ob 501/94; 7 Ob 248/99t; 2 Ob 241/01g; RIS-Justiz RS0076048).
Die Gründe für die Einstellung der Unterhaltsvorschüsse sind in § 20 Abs 1 Z 1 bis 4 UVG taxativ aufgezählt (5 Ob 523/94). Die Vorschüsse sind auf Antrag oder von Amts wegen nach Z 4 lit a dieser Bestimmung einzustellen, wenn eine der Voraussetzungen der Gewährung der Vorschüsse, ausgenommen die des § 3 Z 2 UVG (= erfolglose Exekutionsführung), wegfällt.
Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage wird in der Lehre vertreten, das spätere Bekanntwerden eines Dienstgebers des Unterhaltsschuldners führe auch bei Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 1 UVG nicht dazu, dass nunmehr eine Exekution versucht werden müsste, zumal auch nach einer erfolglosen Exekutionsführung nach § 3 Z 2 UVG kein zweiter Exekutionsversuch notwendig sei (Neumayr aaO § 4 UVG Rz 1 aE). Folgt man dieser Ansicht, ergibt sich als weitere Konsequenz, dass das Bekanntwerden eines Dienstgebers angesichts des in § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG geregelten Ausnahmetatbestandes auch nicht zu einer Einstellung von nach § 4 Z 1 UVG gewährten Unterhaltsvorschüssen führen kann (vgl Neumayr aaO § 20 UVG Rz 13 bb; ebenso Knoll, Komm z UVG § 20 Rz 5 [1990]).
Der erkennende Senat schließt sich der zitierten Lehrmeinung Neumayrs an, die entgegen der Auffassung des Rekursgerichtes mit der dargestellten „Gesetzessystematik" im Einklang steht. Gerade die systematische Auslegung, die der Vermeidung von Widersprüchen innerhalb eines Gesetzes dienen soll (P. Bydlinski in KBB2 § 6 Rz 4), muss zu dem Ergebnis führen, dass der in § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG normierte Ausnahmetatbestand auch die Aussichtslosigkeit der Exekution nach § 4 Z 1 UVG erfasst (so offenbar auch Knoll aaO). Darf die erst nach der Gewährung von Unterhaltsvorschüssen eingetretene Möglichkeit der exekutiven Hereinbringung des laufenden Unterhaltes nach Erfolglosigkeit einer früheren Exekution (§ 3 Z 2 UVG) nicht zur Einstellung der Vorschüsse führen, hat dies - soll eine sachlich nicht vertretbare Ungleichbehandlung vermieden werden - ebenso zu gelten, wenn ein Exekutionsversuch nur wegen dessen offenkundiger Aussichtslosigkeit unterbleiben konnte (§ 4 Z 1 UVG). Das Argument des Rekursgerichts, das Kind, dem Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 1 UVG gewährt worden sind, habe sich ja den früheren Exekutionsversuch gleichsam „erspart", birgt keine ausreichende Rechtfertigung einer gegenteiligen Auslegung in sich.
Aus diesen Erwägungen war dem Revisionsrekurs des Minderjährigen Folge zu geben. Die Einstellungsbeschlüsse der Vorinstanzen sind in ihrem noch aufrechten Umfang ersatzlos aufzuheben.