OGH 04.07.2013, 6Ob38/13a
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** A*****, vertreten durch Dr. Renate Sandner, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. Arch. Ing. H***** L*****, 2. K***** L*****, beide *****, vertreten durch Dr. Johannes Hock sen. Dr. Johannes Hock jun. Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Richtigstellung einer Erklärung (Streitwert jeweils 3.000 EUR), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom , GZ 18 R 1/12v-48, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom , GZ 29 C 231/10p-36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin die mit 371,52 EUR (darin 61,92 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) - Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision nicht zulässig:
1. Das Berufungsgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob eine Überwachung (bloß) einer Dachfläche der Liegenschaft der Klägerin ausreicht, um einen Unterlassungsanspruch zu begründen.
Eine Videoüberwachung ist in datenschutzrechtlicher Sicht zwar grundsätzlich nur dann relevant, wenn sie für die Überwachung und somit zur Kontrolle von Menschen eingesetzt wird (Dohr/Pollirer/Weiss/Knyrim, DSG² § 50a Anm 1). Systematische, verdeckte, identifizierende Videoüberwachung stellt aber grundsätzlich einen Eingriff in das geschützte Recht auf Achtung der Geheimsphäre dar. Die Videoaufzeichnung ist dabei identifizierend, wenn sie aufgrund eines oder mehrerer Merkmale letztlich einer bestimmten Person zugeordnet werden kann. Muss sich jemand ständig kontrolliert fühlen, wenn er sein Haus betritt oder verlässt oder sich in seinem Garten aufhält, so bewirken getroffene Maßnahmen (selbst wenn das Gerät nur eine Attrappe einer Videokamera sein sollte) eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Geheimsphäre des Betreffenden (RIS-Justiz RS0120422 [T2]). Geheime Bildaufnahmen im Privatbereich, fortdauernde unerwünschte Überwachungen und Verfolgungen stellen eine Verletzung der Geheimsphäre dar (RIS-Justiz RS0107155). Nach der Entscheidung 6 Ob 256/12h kann bei Bildaufnahmen schon ausreichen, wenn sie vom Aufgenommenen als unangenehm empfunden werden und ihn an der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit hindern. Ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall vorliegen, ist nach den Gegebenheiten des Einzelfalls zu prüfen; eine Frage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO wird dabei - entgegen der vom Berufungsgericht in seiner Zulassungsbegründung offensichtlich vertretenen Auffassung - regelmäßig nicht berührt.
Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war die Klägerin von der Überwachung insoweit betroffen, als jeweils der Dachbereich ihres Hauses im Überwachungsbereich der Kamera war. Zwar ist das Dach nur über einen Dachausstieg begehbar; dieser wird von Personen benutzt, die auf dem Dach zu arbeiten haben. Es lässt sich auch weder den Feststellungen der Vorinstanzen noch dem Vorbringen der Klägerin entnehmen, dass sich die Klägerin jemals auf dem Dach aufgehalten hätte beziehungsweise dort aufhalten würde. Es steht jedoch fest, dass die Klägerin den Ausstieg auf das Dach benutzen „kann“. Die Auffassung der Vorinstanzen, dass bereits damit ein Eingriff in die Geheimsphäre der Klägerin erfolgte, ist dabei durchaus vertretbar; der von den Beklagten behauptete Überwachungszweck hätte ja auch erreicht werden können, ohne das Dach der Liegenschaft der Klägerin aufzunehmen. Die Klägerin musste hingegen für den Fall, dass sie doch das Dach besteigen hätte wollen, mit einer „Kontrolle“ im Sinn der dargestellten Rechtsprechung rechnen.
2. Auch die Beklagten zeigen in ihrer Revision keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
2.1. Ob der Eingriff in absolut geschützte Rechte rechtswidrig ist, kann nur aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung beurteilt werden (RIS-Justiz RS0008987). Steht ein Eingriff in die Privatsphäre fest (hier: durch systematische, identifizierende Videoüberwachung), trifft den Verletzer die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass er in Verfolgung eines berechtigten Interesses handelte und dass die gesetzte Maßnahme ihrer Art nach zur Zweckerreichung geeignet war. Entspricht er dieser Behauptungs- und Beweislast, kann der Beeinträchtigte behaupten, dass die Maßnahme nicht das schonendste Mittel zur Zweckerreichung darstellt. Stellt sich dabei heraus, dass die Maßnahme nicht das schonendste Mittel war, erübrigt sich die Vornahme einer Interessenabwägung (RIS-Justiz RS0120423). Da - wie bereits erwähnt - der von den Beklagten behauptete Überwachungszweck auch erreicht hätte werden können, ohne das Dach der Liegenschaft der Klägerin aufzunehmen, haben die Vorinstanzen ohne Überschreitung ihres Beurteilungsspielraums ein rechtswidriges Verhalten der Beklagten angenommen.
Videoüberwachungen unterliegen überdies nach § 50c Abs 1 iVm § 18 Abs 2 DSG 2000 regelmäßig der Vorabkontrolle; sie dürfen also erst nach ihrer Prüfung durch die Datenschutzkommission aufgenommen werden. Eine derartige Genehmigung wurde nach den Feststellungen der Vorinstanzen nicht rechtzeitig eingeholt.
2.2. Allgemein setzt der Unterlassungsanspruch die Feststellung schon erfolgter Störungen oder doch zumindest die Gefahr künftiger Störungen voraus, denen mit vorbeugender Unterlassungsklage begegnet werden kann (RIS-Justiz RS0012064 [T24], RS0009357). Auch Unterlassungsansprüche nach § 32 Abs 2 DSG 2000 setzen voraus, dass der Kläger Betroffener (§ 4 Z 3 DSG) ist und somit seine Daten entgegen den Bestimmungen des Datenschutzgesetzes 2000 verwendet worden sind. Auch hier ist somit die Gefahr bevorstehender widerrechtlicher Schädigung oder Wiederholungsgefahr Anspruchsvoraussetzung (Dohr/Pollirer/Weiss/Knyrim, DSG² § 32 Anm 7).
Entscheidend ist - entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht - nicht, ob bei Klagseinbringung ein widerrechtlicher Eingriff noch andauerte, sondern ob zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz die Gefahr bestand, dass sich ein bereits erfolgter Eingriff wiederholt (vgl RIS-Justiz RS0010497 [T4]). Es hängt also die Frage, ob ein Unterlassungsbegehren berechtigt ist, nicht davon ab, ob sich der Beklagte im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz rechtswidrig verhält; vielmehr kommt es allein darauf an, ob die Gefahr künftiger Rechtsverletzungen besteht (RIS-Justiz RS0114254 [T3]).
2.3. Im Unterlassungsprozess ist der Beklagte für den Wegfall der Wiederholungsgefahr behauptungs- und beweispflichtig (RIS-Justiz RS0005402), wobei bei Prüfung dieser Gefahr nicht engherzig vorgegangen werden darf. Eine solche liegt schon im Fortbestehen eines Zustands, der keine Sicherungen gegen weitere Rechtsverletzungen bietet (RIS-Justiz RS0010497). Wiederholungsgefahr ist anzunehmen, wenn die ernstliche Besorgnis besteht, der Beklagte werde weitere Verletzungshandlungen begehen. Dabei kommt es vor allem auf die Willensrichtung des Täters an, für welche insbesondere sein Verhalten während des Rechtsstreits wichtige Anhaltspunkte bieten kann. Wer - wie im vorliegenden Fall - seine Handlung im Prozess verteidigt und weiterhin ein Recht zu diesem Verhalten behauptet, gibt in der Regel schon dadurch zu erkennen, dass es ihm um die Vermeidung weiterer Eingriffe nicht ernstlich zu tun ist (RIS-Justiz RS0031772). Ob nach den besonderen Umständen des jeweiligen Falls Wiederholungsgefahr anzunehmen ist, hat grundsätzlich keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0031891, RS0042818).
3. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen. Da das Richtigstellungsbegehren nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, ist eine Bemessungsgrundlage von 3.000 EUR anzunehmen.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm und Dr. Gitschthaler, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Grohmann sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** A*****, vertreten durch Dr. Renate Sandner, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. Arch. Ing. H***** L*****, 2. K***** L*****, beide *****, vertreten durch Dr. Johannes Hock sen. Dr. Johannes Hock jun. Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Richtigstellung einer Erklärung (Streitwert jeweils 3.000 EUR), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom , GZ 18 R 1/12v-48, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom , GZ 29 C 231/10p-36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom , 6 Ob 38/13a, wird in seiner Kostenentscheidung dahin berichtigt, dass die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig sind, der Klägerin die mit 371,52 EUR (darin 61,92 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Bei der ursprünglichen Kostenentscheidung wurden irrtümlich (§ 419 ZPO) die Parteirollen vertauscht.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2013:0060OB00038.13A.0704.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
TAAAD-60468