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OGH vom 25.01.1996, 6Ob37/95

OGH vom 25.01.1996, 6Ob37/95

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Kellner, Dr.Schwarz und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Mag.R*****, vertreten durch Dr.Armin Bammer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei Dr.G*****, vertreten durch Dr.Erich Trachtenberg, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Widerruf (Streitwert im Provisorialverfahren 120.000,-- S), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom , GZ 12 R 132/95-11, womit der Beschluß (einstweilige Verfügung) des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 27 Cg 128/95g-4, dadurch abgeändert wurde, daß der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung abgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluß dahin abgeändert, daß die einstweilige Verfügung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die Revisionsrekursbeantwortung wird zurückgewiesen.

Die klagende und gefährdete Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung und die Kosten ihres Revisionsrekurses vorläufig selbst zu tragen.

Die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei hat die Kosten ihres Rekurses endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Der Kläger unterrichtete als Deutschprofessor die 5.Klasse einer allgemeinbildenden höheren Schule, die auch der Sohn des Beklagten besuchte. Im März 1995 beauftragte der Kläger die Schüler mit einer Hausarbeit, das Märchen "Frau Holle" unter dem Titel "Herr Holle" umzugestalten. Der Beklagte verfaßte einen vierseitigen Aufsatz. Am übergaben die Schüler dem Kläger ihre Hausarbeiten. Der Sohn des Beklagten übergab neben seiner eigenen Arbeit auch den Aufsatz seines Vaters. Der Kläger verlas diesen Aufsatz vor den Schülern. Der Text des Aufsatzes des Beklagten enthielt ua folgende Passagen:

"Es war einmal ein hübscher fleißiger und ein häßlicher fauler Junge. Ratet einmal, welchen der beiden ihr Internatsleiter, dieser nicht ganz koschere Mag.Amseles bevorzugte! Naja, natürlich den blonden Feschak, wir wissen ja, wie es in den Knabenkonvikten so zugeht, wir haben ja alle den Hermann Hesse gelesen und noch dazu gestern den Profil-Bericht über den Herrn Kardinal ...

Falsch, ganz falsch. Goldfinger hatte den glatzköpfigen Magister voll abblitzen lassen. So nahm sich der Magister halt den wimmerlübersäten Maxel Pech (genannt Pechvogel) und erkor ihn zu seinem Lieblingszögling. Dem Pechvogel gefiel das ganz gut. Stopfte die Zuckerl und Kekse in sich hinein, mit denen er vom anhänglichen Amseles freigiebig bedacht wurde, und sah Goldfinger aus der Ferne zu, wie der das WC putzen durfte.

Auch fand sich Pechvogel gern mit höhnischen Ratschlägen ein, wenn der arme Goldfinger über der Deutschaufgabe brütete (sie hatten den unsäglichen Mag.Amseles ja auch als Deutschlehrer). Ihr meint, Pechvogel hätte an der Aufgabe genauso zu kiefeln gehabt? Irrtum, Amseles kontrollierte jedesmal nur das Heft Goldfingers. Der kam sich schon wie der Schüler Gerber vor. Der bösartige Gott Kupfer schien ihm im Vergleich mit Amseles geradezu ein feindsinniger Philantrop zu sein. So kam es, wie es wohl kommen mußte, Goldfinger scheuerte gerade wieder emsig die Klomuschel - zum Verzweifeln, diese braune Kruste geht nicht und nicht weg - er dachte an den unbarmherzig jeden Klacks kontrollierenden Amseles, und seine Hände zitterten ...

In der Deutschstunde kam dann der Amseles ganz zuckersüß daher:

Goldfinger, du Stolz unserer Schule, was sage ich, du Stolz des Unterrichtsministers usw.

Pechvogel zersprang indessen. Der Amseles lobt Goldfinger! Und so kam es, daß Pechvogel mit ausgesuchter Freundlichkeit dem Goldfinger das nächste Häuselputzen abnahm ...

Das Deutschheft mußte er allerdings erst aus der braunen Brühe herausfischen. Nicht Genügend? Verbesserung! Verbesserung der Verbesserung! Interpretation fehlt! Themenverfehlung! usw. zweifelsfrei Mag.Amseles wohlbekannte Handschrift, aber offenbar in der Verwandlungsform als Mr.Hyde und als Herr Holle. Und wenn sie nicht gestorben sind, die drei, dann besuchen sie heute noch die T*****gasse."

Der Kläger begehrt mit seiner am beim Erstgericht eingelangten Klage, den Beklagten für schuldig zu erkennen, die Verbreitung von Äußerungen des Inhalts zu unterlassen,

a) der Kläger mißbrauche sein Autoritätsverhältnis gegenüber ihm anvertrauten Minderjährigen in strafrechtlich relevanter Weise, habe darüberhinaus der sexuellen Sphäre zugehörige Verhaltensweisen gesetzt, die die Würde der ihm untergebenen Schüler beeinträchtigten und für die Betroffenen unerwünscht, unangebracht und anstößig waren, der Kläger sei zudem parteiisch, heuchlerisch und opportunistisch, nicht ganz koscher, unsäglich und unbarmherzig, der "bösartige Gott Kupfer" sei im Vergleich zu ihm geradezu ein feinsinniger Philantrop und der Kläger sei mit "Mr.Hyde" zu vergleichen, und verletze schließlich der Kläger durch alle diese unterstellten Verhaltensweisen zudem seine Dienstpflichten schuldhaft;

b) insbesondere die Verbreitung nachstehender Äußerungen:

"Es war einmal ein hübscher fleißiger und ein häßlicher fauler Junge. Ratet einmal, welchen der beiden ihr Internatsleiter, dieser nicht ganz koschere Mag Amseles bevorzugte! Naja, natürlich den blonden Feschak, wir wissen ja, wie es in den Knabenkonvikten so zugeht, wir haben ja alle den Hermann Hesse gelesen und noch dazu gestern den profil-Bericht über den Herrn Kardinal ...

Falsch, ganz falsch. Goldfinger hatte den glatzköpfigen Magister voll

abblitzen lassen. So nahm sich der Magister halt den wimmerlübersäten

Maxel Pech (genannt Pechvogel) und erkor ihn zu seinem

Lieblingszögling ... Sie hatten den unsäglichen Mag Amseles ... auch

als Deutschlehrer. Ihr meint, Pechvogel hätte an der Aufgabe genauso

zu kiefeln gehabt? Irrtum, Amseles kontrollierte jedesmal nur das

Heft Goldfingers. Der kam sich schon wie der Schüler Gerber vor. Der

bösartige Gott Kupfer schien ihm im Vergleich mit Amseles geradezu

ein feinsinniger Philantrop zu sein ... Goldfinger scheuerte gerade

wieder emsig die Klomuschel ... er dachte an den unbarmherzig jeden

Klacks kontrollierenden Amseles, und seine Hände zitterten ... In der

Deutschstunde kam dann der Amseles ganz zuckersüß daher: Goldfinger,

du Stolz unserer Schule, was sage ich, du Stolz des

Unterrichtsministers usw. ... Das Deutschheft mußte Pechvogel

allerdings erst aus der braunen Brühe herausfischen. Nicht Genügend?

Verbesserung! Verbesserung der Verbesserung! Interpretation fehlt!

Themenverfehlung usw. ... Zweifelsfrei Mag Amseles wohlbekannte

Handschrift, aber offenbar in der Verwandlungsform als Mr.Hyde und als Herr Holle;"

oder c) die Verbreitung gleichsinniger Äußerungen. Der Kläger begehrt ferner den Widerruf der oben unter Anführungszeichen unter b) wiedergegebenen Äußerungen gegenüber den Schülern der 5-a Klasse am BG ***** und stellte hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs einen im Verhältnis zum Klagebegehren gleichlautenden Sicherungsantrag. Der Beklagte habe eine "Schlüsselerzählung" verfaßt. Für die mit den Umständen und Personen vertrauten Leser sei es ersichtlich gewesen, daß mit der "T*****gasse" die in der *****gasse befindliche Schule und mit "Mag.Amseles" der Kläger gemeint gewesen sei. Dies ergebe sich auch aus den Figuren, wonach beide Deutschlehrer in einer

5. Klasse seien. Der Kläger sei im Aufsatz des Beklagten erkennbar betroffen, damit auch von den im Aufsatz angeführten Vorwürfen des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses (§ 212 StGB) und der sexuellen Belästigung, der Parteilichkeit bei der Behandlung der Schüler, die schmutzigste Arbeit verrichten müßten und bösartig kontrolliert und schikanös behandelt werden würden, der Heuchelei und des Opportunismus sowie weiterer verächtlicher Eigenschaften oder Gesinnungen und unehrenhaften Verhaltens und schließlich schuldhafter Dienstpflichtverletzungen als Beamter. Bezeichnend sei ein antisemitischer Unterton der Vorwürfe. Die Verhaltens- und Gesinnungsvorwürfe erfüllten den Tatbestand der §§ 111 Abs 1 und 115 StGB und daher auch der Tatbestände nach § 1330 Abs 1 und Abs 2 ABGB. Da die vom Beklagten begangene Rufschädigung zugleich eine Ehrenbeleidigung sei, habe der Kläger lediglich die Tatsachenverbreitung zu beweisen. Der Beklagte habe ohne jeden Anlaß schuldhaft gehandelt. Die Tatsachenbehauptungen seien frei erfunden und entbehrten jedweder Grundlage. Der Kläger sei Beamter und pragmatisiert. Ihm stünden zahlreiche Möglichkeiten der Beförderung offen. Die erhobenen Vorwürfe seien geeignet, ihn in seinem Kredit, Erwerb und Fortkommen schwerstens zu beeinträchtigen. Die Vorwürfe seien geeignet, den Kläger der Gefahr eines Disziplinarverfahrens auszusetzen.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Sicherungsantrages. Der vorgelegte Brief ergebe keinen Anhaltspunkt für eine Ehrenbeleidigung. Eine Verbreitung sei ausschließlich dadurch möglich geworden, daß der Kläger selbst vor versammelter Klasse den Aufsatz verlesen habe. Es liege keine konkrete Gefährdung vor. Mit dem Aufsatz würden keinerlei persönlichen Vorwürfe erhoben werden. An den Fähigkeiten des Klägers sei nicht gezweifelt worden.

Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Es beurteilte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahin, daß der Kläger im Aufsatz deutlich erkennbar sei. Dieser enthalte ehrenrührige und kreditschädigende Vorwürfe. Es werde angedeutet, daß der Kläger ihm als Schüler anvertraute Buben unter Mißbrauch seines Autoritätsverhältnisses sexuell mißbrauche oder belästige, aus diesem Grund Schüler bevorzuge oder benachteilige. Dem Kläger würden verächtliche Eigenschaften oder Gesinnungen, ein unehrenhaftes oder ein gegen die guten Sitten verstoßendes Verhalten vorgeworfen werden, was geeignet sei, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen. Der wirtschaftliche Ruf des Klägers als Lehrer sei gefährdet. Damit sei der Tatbestand des § 1330 Abs 1 und 2 ABGB erfüllt. Die Wiederholungsgefahr ergebe sich aus der bereits erfolgten Rechtsverletzung und dem Leugnen des Beklagten, daß der Inhalt des Aufsatzes eine Ehrenbeleidigung sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Beklagten statt und wies den Sicherungsantrag ab. Auf die Frage der Eignung der Äußerungen als Ehrenbeleidigung oder Kreditschädigung sei nicht einzugehen, weil es an der Tatbestandsvoraussetzung der Verbreitung mangle. Dazu fehle jegliches Vorbringen des Klägers. Aus der Übergabe des Aufsatzes an den Sohn des Beklagten lasse sich höchstens schließen, daß der Beklagte seinem Sohn den Aufsatz mit dem Auftrag oder auch nur der Erlaubnis übergeben hätte, ihn anderen Personen bekanntzumachen. Die Übergabe des Aufsatzes an seinen Sohn sei der "beleidigungsfreien Privatsphäre" des Beklagten zuzurechnen. Abfällige Äußerungen über Dritte im engsten Familienkreis seien schon mangels Kundgabe weder als Ehrenbeleidigung noch als Ehrenkränkung aufzufassen. Diese im Strafrecht vertretene Auffassung gelte auch für den Bereich des Zivilrechtes. Selbst wenn der Sohn des Beklagten Kenntnis vom Inhalt der Äußerungen seines Vaters erlangt hätte, sei das Mindestpublizitätserfordernis für ein Ehrendelikt nach § 1330 Abs 1 ABGB nicht verwirklicht. § 1330 ABGB setze als materielle Schadenersatznorm geradezu voraus, daß die ehrenrührige Behauptung zumindest einer vom Beleidigten verschiedenen Person zur Kenntnis gelangt sei. Die tatsächlich erfolgte Verbreitung des Aufsatzes habe allein der Kläger veranlaßt.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000,-- S übersteige und daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Mit seinem Revisionsrekurs beantragt der Kläger die Abänderung dahin, daß die einstweilige Verfügung des Erstgerichtes wiederhergestellt werde.

Der Beklagte erstattete eine verspätete Revisionsrekursbeantwortung (§ 402 Abs 3 EO).

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Zu der vom Gericht zweiter Instanz als Anspruchsvoraussetzung für erforderlich gehaltenen Publizität der ehrenbeleidigenden Äußerungen vertritt der Revisionsrekurswerber die Auffassung, daß der Tatbestand nach § 1330 ABGB - wie die verwaltungsstrafrechtlich zu verfolgende Ehrenkränkung - auch bei Äußerungen "unter vier Augen", etwa bei einer Äußerung in einem persönlichen Brief, erfüllt sei. Jedenfalls treffe aber den Beklagten die Behauptungs- und Beweislast, daß er alles getan habe, damit die Äußerung Dritten nicht zur Kenntnis gelange. Die Publizität der Äußerung sei deswegen zu bejahen, weil der Aufsatz des Beklagten dessen Sohn zur Kenntnis gelangt sei. Die im Bereich des Strafrechtes vertretene Annahme einer "beleidigungsfreien Privatsphäre" innerhalb der Familie könne nicht auf das Zivilrecht übertragen werden. Es sei überdies nicht gewährleistet, daß die herabsetzenden Äußerungen des Beklagten tatsächlich in dessen engstem Familienkreis verblieben. Dem Beklagten sei es auch zuzurechnen, daß der Kläger selbst die Verbreitungshandlung durch Verlesen des Aufsatzes gesetzt habe.

Vor Eingehen auf diese Ausführungen ist zunächst klarzustellen, daß die bekämpften Äußerungen für den angesprochenen Kreis von 15jährigen Schülern einer allgemeinbildenden höheren Schule, also auch für den Sohn des Beklagten erkennbar den Kläger betrafen. Nach dem Gesamtzusammenhang des Textes war es offensichtlich, daß mit der Hauptfigur des Mag.Amseles der Kläger gemeint war, dem verschiedene unehrenhafte Verhaltensweisen (beispielsweise der Mißbrauch des Autoritätsverhältnisses eines Lehrers gegenüber seinen Schülern in sexueller Hinsicht und die schikanöse Behandlung von Schülern) vorgeworfen wurden. Der Aufsatz enthält hinreichende personalisierende Elemente, die eine Identifikation ermöglichen. Die namentliche Nennung des Klägers war zur Bejahung seiner Betroffenheit nicht erforderlich (Korn-Neumayer, Persönlichkeitsschutz 50 und die dort zitierte Judikatur).

Der Aufsatz des Beklagten enthält rufschädigende Tatsachenbehauptungen im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB, die gleichzeitig auch Ehrenbeleidigungen im engeren Sinn nach Abs 1 leg cit sind. Der Kläger stützt seinen Unterlassungsanspruch auf beide Gesetzesstellen, was nach ständiger jüngerer oberstgerichtlicher Judikatur zulässig ist (MR 1991, 18).

Das Gesetz regelt im § 1330 ABGB das im Strafrecht für Ehrenbeleidigungen besonders normierte Publizitätserfordernis nicht (die üble Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB setzt die Wahrnehmbarkeit der Äußerung für einen Dritten voraus; die Beleidigung nach § 115 StGB die Öffentlichkeit der Äußerung oder die Äußerung vor mehreren Leuten; die in den meisten Bundesländern in Landesgesetzen normierten, im Verwaltungsstrafverfahren zu verfolgenden Ehrenkränkungen erfordern keine über den Verletzten oder den Täter hinausgehende Kenntnisnahme der Äußerung durch einen Dritten). Nach § 1330 Abs 2 ABGB ist die Verbreitung rufschädigender, wahrheitswidriger Tatsachenbehauptungen verboten (die verwandte Gesetzesbestimmung des § 7 UWG - "Ehrenbeleidigung im Wettbewerbsrecht" - verpönt die Behauptung oder Verbreitung). Unter "Verbreiten" ist jede Mitteilung einer Tatsache an einen vom Verletzten verschiedenen Dritten zu verstehen (SZ 50/86; ÖBl 1983, 142). Nach der in SZ 25/169 veröffentlichten Entscheidung reicht es aus, daß die Äußerung für einen Dritten wahrnehmbar war, sie mußte dem Dritten also nicht tatsächlich zur Kenntnis gelangt sein. Auch in Deutschland wird zu der § 1330 Abs 2 ABGB verwandten Gesetzesbestimmung des § 824 dBGB in Lehre und Rechtsprechung verlangt, daß die unwahren Tatsachenbehauptungen gegenüber einem Dritten behauptet oder an einen Dritten weitergegeben wurden (Staudinger BGB12 Rz 27 und 28 zu § 824 mit Judikaturnachweisen; Mertens im Münchener Kommentar BGB Rz 30 zu § 824).

Fraglich ist, ob das für Tatsachenbehauptungen nach § 1330 Abs 2 ABGB von Lehre und Rechtsprechung bejahte Publizitätserfordernis von zumindest einem Dritten auch für Ehrenbeleidigungen im engeren Sinn nach Abs 1 leg cit gilt. Dies wird von Korn-Neumayer (aaO 45) bejaht. Eine "unter vier Augen", in einem Telefonat oder in einem an den Verletzten gerichteten persönlichen Brief geäußerte Beleidigung, erfülle den Tatbestand des § 1330 Abs 1 ABGB nicht. Diese materielle Schadenersatznorm setze geradezu voraus, daß die ehrenrührige Behauptung zumindest einer vom Verletzten verschiedenen Person zur Kenntnis gelange. Dieser Ansicht ist aus folgenden Erwägungen beizupflichten:

§ 1330 ABGB ist eine Schadenersatznorm. Der Verletzte kann den Ersatz des durch die Ehrenbeleidigung entstandenen wirklichen Schadens oder den Entgang des Gewinns fordern. Das Rechtsgut der Ehre ist nach hA ein absolutes Recht. Dem Verletzten steht ein (verschuldensunabhängiger) Unterlassungsanspruch zu. Auch dieser ist ein Schadenersatzanspruch, nämlich der Anspruch auf Vermeidung künftiger Schadensstiftung (durch Ehrenbeleidigungen). Der Unterlassunganspruch steht immer zu bei der Gefahr eines künftigen Schadenseintritts (Wiederholungsgefahr) oder auch schon vorbeugend, wenn Begehungsgefahr, also die Gefahr eines erstmaligen Schadenseintritts, besteht (vorbeugende Unterlassungsklage). Materiellrechtliche Anspruchsvoraussetzung ist auch beim Unterlassungsanspruch die Wiederholungsgefahr. Diese ist zu vermuten, was auch bei einem nur einmaligen Verstoß gilt. Den Wegfall der Wiederholungsgefahr hat der Beklagte zu beweisen (diesen Beweis hat der Beklagte hier nicht angetreten).

Unter Ehre ist der aus der Personenwürde entspringende, jedermann zukommende Anspruch auf achtungsvolle Behandlung durch andere zu verstehen (zB Korn in MR 1991, 138 [140] mwN). Aus dieser Begriffsbestimmung ergibt sich, daß eine Ehrverletzung nur vorliegen kann, wenn sich durch sie an der Einschätzung des Verletzten durch seine Umwelt etwas geändert hat oder ändern kann. Ein Schadenseintritt ist im Sinne der Meinung Korns nur denkbar, wenn die ehrenbeleidigende Äußerung der Umwelt (also nicht nur dem Verletzten selbst) zur Kenntnis gelangt und diese Umwelt dem Verletzten dann nicht mehr die gebotene achtungsvolle Behandlung entgegenbringt. Die Gefahr eines Schadens ist nicht denkbar, wenn die Umwelt von der Ehrenbeleidigung keine Kenntnis erlangt bzw. erlangen kann.

§ 1330 Abs 2 ABGB normiert für den Bereich unwahrer Tatsachenbehauptungen eine Ausnahme für nicht öffentlich vorgebrachte Meinungen, also für die vertrauliche Weitergabe der rufschädigenden Behauptungen an einen Dritten, bei dem keine Gefahr der Weiterverbreitung besteht. Der Oberste Gerichtshof hat im Fall eines Diktats eines rufschädigende Tatsachenbehauptungen enthaltenden Briefes an eine Sekretärin keine Verbreitung von Tatsachenbehauptungen erblickt, weil keine Gefahr des Eintritts der im § 1330 Abs 2 ABGB genannten Schäden gegeben sei, wenn die Mitteilung an eine Vertrauensperson des Beteiligten erfolge. Entscheidend sei, daß der Beklagte nicht mit der Gefahr von Schäden rechnen habe müssen (ÖBl 1964, 123). Es wäre nun ein nicht zu rechtfertigender Wertungswiderspruch, wenn man ohne jede Gefahr der Weiterverbreitung (weil davon auszugehen ist, daß der Verletzte selbst die Weiterverbreitung nicht besorgt bzw es ihm allein anzulasten ist, wenn er es tut) im Gegensatz zu den Fällen nach § 1330 Abs 2 ABGB bei Ehrenbeleidigungen im engeren Sinn nach Abs 1 leg cit einen Unterlassungsanspruch für gerechtfertigt hielte. Der Schadenersatzanspruch nach dieser Gesetzesstelle umfaßt nicht den Anspruch auf ideellen Schadenersatz wegen der erlittenen Kränkung (Korn-Neumayer, Persönlichkeitsschutz 74; Reischauer in Rummel ABGB II2 Rz 3 zu § 1330 mwN). Ein Vermögensschaden, der seinen Grund nur in der veränderten Einschätzung des Verletzten durch seine Umwelt haben könnte, ist daher bei einer Ehrenbeleidigung "unter vier Augen" grundsätzlich nicht denkbar.

Die Gleichbehandlung von Ehrenbeleidigungen im engeren Sinn und der Verbreitung rufschädigender Tatsachenbehauptungen in der Frage der Mindestpublizität ergibt sich zusammengefaßt aus dem Begriff der Ehre, für den die Meinung außenstehender, also vom Verletzten und vom Täter verschiedener Personen, maßgeblich ist, aus der Rechtsnatur des Anspruchs als Schadenersatzanspruch sowie aus dem Bedürfnis der Vermeidung von Wertungswidersprüchen bei der Behandlung von Ansprüchen nach § 1330 Abs 1 und 2 ABGB.

Die weitere entscheidungswesentliche Frage liegt darin, ob die Übergabe eines (unstrittigerweise nicht verschlossenen) Schriftstücks, das die ehrenbeleidigenden Äußerungen enthält, an ein Familienmitglied des Schreibers, ausreicht, daß das Publizitätserfordernis der Verbreitung gegenüber zumindest einer Person bejaht werden kann. Dazu liegt für den Bereich der Ehrenbeleidigung im engeren Sinn nach § 1330 Abs 1 ABGB eine oberstgerichtliche Judikatur nicht vor. Der Sachverhalt ist allerdings - weil dem Kläger bei beleidigenden rufschädigenden Tatsachenbehauptungen ein Wahlrecht zusteht (MR 1991, 18), auch nach § 1330 Abs 2 ABGB zu beurteilen.

Das Rekursgericht hat sich für seine Meinung über eine fehlende Publizität auf die im Strafrecht entwickelte These berufen, daß bei Äußerungen im engsten Familienkreis eine beleidigungsfreie Privatsphäre vorliege. Tatsächlich vertreten mehrere Lehrmeinungen zur Publizität der Delikte nach §§ 111 und 115 StGB im Wege einer sogenannten teleologischen Tatbestandsrestriktion die Auffassung, daß abfällige Äußerungen über Dritte im engsten Familienkreis des Beleidigers nicht zuletzt aus rechtspolitischen Erwägungen heraus straflos seien (Kienapfel, Grundriß des österreichischen Strafrechts I3 Rz 54 Vorbem §§ 111 ff; Leukauf-Steininger, KommStGB3 Rz 19 zu § 111). Auch Foregger (in Wiener Kommentar Rz 27 zu § 111 StGB) teilt diese Meinung, verweist aber in anderem Zusammenhang (zur Judikatur, wonach nächste Angehörige des Beleidigten keine Dritte im Sinne des Gesetzes seien) auf die Gefahr hin, daß etwa bei zerstrittenen Familien durchaus die Gefahr bestehe, daß die beleidigenden Äußerungen nach außen dringen (Foregger aaO Rz 26). Herrschende Meinung der Strafrechtslehre dürfte allerdings doch die These einer beleidigungsfreien Privatsphäre sein, obwohl eine solche aus dem reinen Gesetzeswortlaut der Strafrechtsbestimmungen nicht ableitbar ist. Anders als im Strafrecht bietet das Gesetz für die zivilrechtliche Rufschädigung ausreichende Anhaltspunkte für die Beurteilung der Frage der Publizität von im engsten Familienkreis gemachten Äußerungen über Dritte. Nach § 1330 Abs 2 dritter Satz ABGB besteht keine Haftung für nichtöffentlich vorgebrachte Mitteilungen, deren Unwahrheit der Mitteilende nicht kannte, wenn er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hatte. Eine öffentliche Verbreitung liegt auch dann vor, wenn die Mitteilung nur an eine Person erfolgte, aber keine Gewähr dafür besteht, daß der Empfänger die Mitteilung vertraulich behandeln werde (SZ 61/205). Zum Haftungsausschluß für vertrauliche Mitteilungen ist es herrschende Meinung, daß die Nichtöffentlichkeit der Mitteilung zu bejahen ist, wenn nach den konkreten Umständen auch bei Zugänglichkeit an mehrere Personen damit zu rechnen ist, daß keine Weitergabe an außenstehende Personen erfolgen werde, etwa weil dies aufgrund von Geheimhaltungspflichten (Bankgeheimnis: SZ 35/82) oder aus anderen Gründen (zB im Fall der schon zitierten Sekretärin, der ein beleidigender Brief diktiert wird) zu erwarten ist. Auch Äußerungen im engsten Familienkreis sind in der Regel als nicht öffentlich zu betrachten (MR 1989, 12; Reischauer aaO Rz 26 zu § 1330; Harrer in Schwimann ABGB Rz 33 zu § 1330; Mertens aaO Rz 30 zu § 824). Der Schutz des Familienlebens (Art 8 Abs 1 MRK) rechtfertigt unbeschwerte (vertrauliche) Äußerungen innerhalb der Familie auch dann, wenn kein berechtigtes Interesse im Sinne des § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB vorliegt, zumindest wenn keine Gefahr der Weiterverbreitung durch unreife Familienmitglieder besteht (Reischauer aaO Rz 26 zu § 1330). Beim angeführten Ausnahmetatbestand handelt es sich um einen Rechtfertigungsgrund (SZ 60/138), auf den sich der beweispflichtige Beklagte hier insofern berufen hat, als er eine ausschließliche Verbreitung der Äußerung durch die Verlesung des Aufsatzes in der Klasse behauptete (ON 3). Der Rechtfertigungsgrund ist zunächst wegen der bloß im Familienkreis des Beklagten wahrnehmbar gewesenen Äußerung zu bejahen. Die Entlastung des Täters fällt aber dann weg, wenn er die Unrichtigkeit seiner Tatsachenbehauptungen kannte, was hier feststeht, zumal der Beklagte sich nur auf eine von ihm erfundene Geschichte, die nicht auf den Kläger gemünzt sei, berief (wobei schon ausgeführt wurde, daß letzteres nicht zutrifft und die Identifizierung mit dem Kläger zu bejahen ist). In den Fällen des § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB steht zwar kein verschuldensunabhängiger Unterlassungsanspruch zu, der Verletzte kann die Unterlassung aber dann fordern, wenn der Täter um die Unrichtigkeit seiner Tatsachenbehauptungen wußte (SZ 56/124; Reischauer aaO Rz 24 und 27 zu § 1330; Korn-Neumayer aaO 68) und nicht nachweist, daß die zu vermutende Wiederholungsgefahr nicht besteht (SZ 56/124). Auf den Wegfall der Wiederholungsgefahr hat sich der Beklagte nicht berufen. Er steht offensichtlich auf dem Standpunkt, daß er von ihm erfundene (unwahre) Geschichten über Dritte im Familienkreis verbreiten darf.

Der Unterlassungsanspruch des Klägers ist aus den dargelegten Gründen zu bejahen, ohne daß noch auf die weitere Frage eingegangen werden müßte, ob der Beklagte den Umstand zu vertreten hätte, daß der Verletzte selbst die rufschädigenden Behauptungen weiterverbreitete.

Abschließend ist noch auf die vom Rekursgericht aufgrund seiner (nicht zu teilenden) Rechtsansicht nicht behandelten Einwendungen des Beklagten in seinem Rekurs (ON 6) einzugehen, wonach die Voraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung im Sinne des § 381 Z 1 und 2 EO nicht vorlägen.

Es entspricht ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung, daß bei einem Eingriff in die Ehre, aber auch bei einem Eingriff in den wirtschaftlichen Ruf einer Person ein unwiederbringlicher Schaden droht, zu dessen Abwendung eine einstweilige Verfügung notwendig erscheint, weil die Auswirkungen einer Ehrverletzung oder Rufschädigung kaum zu überblicken sind und sich durch Geldersatz nicht völlig ausgleichen lassen. Ein wegen einer Ehrverletzung oder wegen einer kreditschädigenden Äußerung zustehender Unterlassungsanspruch kann daher durch einstweilige Verfügung gesichert werden, ohne daß es einer gesonderten Gefahrenbescheinigung bedürfte (MR 1993, 221 mwN). Da somit schon die Voraussetzung des § 381 Z 2 ZPO vorliegt, braucht auf den Einwand zum Erfordernis nach § 381 Z 1 EO nicht weiter eingegangen werden.

Der Ausspruch über die Verfahrenskosten des Klägers im Provisorialverfahren zweiter und dritter Instanz beruht auf § 393 Abs 1 EO, die Entscheidung über die Verfahrenskosten des Beklagten auf §§ 41, 50 ZPO,§§ 78, 402 EO.