OGH vom 24.07.2019, 6Ob34/19x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. M*****, vertreten durch Gheneff – Rami – Sommer Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei R*****, vertreten durch Lansky, Ganzger + Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Widerruf, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 13 R 126/18x-18, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Die Urkundenvorlage der klagenden Partei vom wird zurückgewiesen.
II. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
I. Jeder Partei steht nur eine einzige Rechtsmittelschrift oder -gegenschrift zu. Weitere Rechtsmittelschriften und -gegenschriften, Nachträge oder Ergänzungen sind unzulässig (RS0041666).
II. 1. Gegenstand des Verfahrens sind vom Beklagten, der mittelbar Streubesitzaktionär der R***** AG (künftig: Aktiengesellschaft) ist, bei der Hauptversammlung am im Zuge von Fragen und Vorhalten an den Vorstand getätigte Äußerungen. Diese bezogen sich auf (versuchte) Einflussnahmen des Klägers, der Stifter und Begünstigter einer zu mehr als 25 % an der Aktiengesellschaft beteiligten Privatstiftung ist, auf den Vorstand der Aktiengesellschaft im Zusammenhang mit deren geplantem Zusammenschluss mit einer brasilianischen Gesellschaft.
2. Das Berufungsgericht wies das auf Unterlassung und Widerruf gerichtete Klagebegehren ab und ließ die Revision mangels Vorliegens einer Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu.
Es beurteilte die beanstandeten Äußerungen des Beklagten als geeignet, die Ehre und das Fortkommen des Klägers zu schädigen; sie seien aber durch die Ausübung von Aktionärsrechten in dem dafür vorgesehenen Rahmen und durch das überwiegende Informationsinteresse des Beklagten wie der übrigen Aktionäre gerechtfertigt.
3. Der Angriff auf die absoluten Rechte der Ehre und des Rufes einer Person ist für sich noch nicht rechtswidrig, doch bildet schon der Eingriff in absolute Rechte ein Indiz für die Rechtswidrigkeit (RS0031657). Die Rechtswidrigkeit kann im Einzelfall dann ausgeschlossen sein, wenn für das Handeln oder Unterlassen ein besonderer Rechtfertigungsgrund vorlag. Ein solcher Rechtfertigungsgrund muss sich im Weg einer Interessenabwägung aus weiteren Geboten oder Verboten der gesamten Rechtsordnung gewinnen lassen. Bei der gebotenen umfassenden Interessenabwägung kommt es auf die Art des Eingriffs, die Verhältnismäßigkeit am verfolgten Recht und den Grad der Schutzwürdigkeit dieses Interesses an (RS0031657 [T5]).
4. Die Frage, zu wessen Gunsten die nach § 1330 ABGB vorzunehmende Interessenabwägung ausschlägt, hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage (RS0008990 [T6]; RS0031657 [T12]).
5. Gemäß § 118 Abs 1 AktG ist jedem Aktionär auf Verlangen in der Hauptversammlung Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung eines Tagesordnungspunkts erforderlich ist.
Das Auskunftsrecht der Aktionäre gehört zu den in der Hauptversammlung wahrzunehmenden Mitgliedschaftsrechten; es steht nicht nur den Aktionären selbst, sondern auch ihren gesetzlichen oder bevollmächtigten Vertretern zu (Bydlinski/Potyka in Artmannn/Karollus, AktG6§ 118 Rz 4). Dabei dient das Fragerecht der Aktionäre auch der Information der anderen Aktionäre und der Hauptversammlung als ganzer (RS0121480 = 4 Ob 101/06s).
6. Der geplante Zusammenschluss der Aktiengesellschaft mit der brasilianischen Gesellschaft war nach dem Vorbringen des Klägers ein „Thema“ der Hauptversammlung. Dass der Beklagte mit der Ausübung des (ihm als Geschäftsführer einer Aktionärin) zustehenden Auskunftsrechts, das sich gerade auf diesen Gegenstand bezog, ein in der Rechtsordnung verankertes Recht in Anspruch nahm, ist nicht zweifelhaft.
7.1. Der Kläger übersieht in diesem Zusammenhang, dass die in der Rechtsprechung anerkannten und referierten Rechtfertigungsgründe – § 1330 Abs 2 dritter Satz ABGB, medienrechtliche Regelungen nach § 6 MedienG, das Interesse der Öffentlichkeit an einer ordnungsgemäßen Rechtspflege und damit im Zusammenhang die Ausübung eines Rechts (Prozesshandlungen, Anzeigen), die Ausübung eines öffentlichen Mandats, Art 17a StGG und Art 10 MRK (RS0031657 [T6]; RS0008987 [T10]) – nicht als abschließendes System aller gegenüber dem Recht der Ehre und des Rufes einer Person abzuwägenden Interessen aufzufassen sind (vgl RS0031745 zu § 1330 Abs 2 dritter Satz ABGB).
7.2. Aus der Entscheidung 6 Ob 105/17k, in der die Erwägungen zur Inanspruchnahme der Gerichte nicht auf die dort zu beurteilende außergerichtliche Auseinandersetzung übertragen wurde, kann nichts anderes abgeleitet werden.
8.1. Das Berufungsgericht berücksichtigte in seiner Interessenabwägung nicht nur, dass der Beklagte das für die Ausübung des Fragerechts des Aktionärs gesetzlich vorgesehene Forum in Anspruch nahm. Es erachtete darüber hinaus als wesentlich, dass ein Vorstandsmitglied der Aktiengesellschaft das vom Beklagten in seinen Äußerungen angesprochene Treffen zwischen dem Vorstand der Aktiengesellschaft und dem Kläger, das eine Verdachtslage im Hinblick auf potentiell schädigende Handlungen der Entscheidungsträger der Aktiengesellschaft geschaffen habe, am Ende der Hauptversammlung zugab; weiters, dass erst durch die kritischen Fragen des Beklagten ein Beratungsvertrag zwischen dem Kläger und der Aktiengesellschaft hervorkam.
8.2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass angesichts dieser Umstände das Informationsinteresse des Beklagten und der übrigen Aktionäre gegenüber dem Recht des Klägers an seiner Ehre und seinem Ruf als überwiegend anzusehen sei, ist vertretbar und bedarf keiner Korrektur im hier zu beurteilenden Einzelfall.
9.1. Der Beklagte stützte sich nicht auf das Recht zur Erstattung einer Anzeige oder von Parteienvorbringen in einem rechtsförmigen Verfahren. Die in der außerordentlichen Revision aufgeworfene Frage, ob nur ein wissentlich unrichtiges Vorbringen in einem Prozess (vgl RS0114015 [T10]; RS0022784) oder einer Anzeige (vgl RS0031957) der Annahme eines Rechtfertigungsgrundes entgegenstehe, ist daher für das hier zu beurteilende Klagebegehren nicht entscheidend; in diesem Zusammenhang wird daher keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.
9.2. Auch die weiteren in der außerordentlichen Revision angesprochenen Rechtfertigungsgründe der nicht öffentlich vorgebrachten Mitteilung (§ 1330 Abs 2 dritter Satz ABGB) oder der Ausübung eines (Gemeinderat)Mandats (vgl 6 Ob 654/88) sind nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
10. Zusammengefasst steht die angefochtene Entscheidung mit den dargestellten Grundsätzen der Rechtsprechung im Einklang. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO wird in der außerordentlichen Revision des Klägers nicht aufgezeigt.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00034.19X.0724.000 |
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