OGH vom 23.04.2008, 7Ob38/08a

OGH vom 23.04.2008, 7Ob38/08a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Daniela V*****, geboren am *****, vertreten durch die Mutter Gerda V*****, über den Revisionsrekurs der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, 1100 Wien, Van-der-Nüll-Gasse 20, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 452/07g-G-16, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom , GZ 28 P 34/07x-G-11, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Pflegschaftssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die Mutter und Vertreterin der Minderjährigen beantragte im Verlassenschaftsverfahren nach deren Vater, ihr die Verfügungsermächtigung über sämtliche Nachlasswerte einzuräumen und verpflichtete sich, sämtliche Verfahrenskosten, Passiva und Massekosten zu begleichen und die Minderjährige diesbezüglich als bedingt erbsantrittserklärte Erbin vollkommen schad- und klaglos zu halten. Weiters beantragte sie, ihr die Verfügung über den verbleibenden Betrag laut Endausweis in der Höhe von 5.482,47 EUR als gesetzliche Vertreterin zur rechnungsfreien Verwendung für die Minderjährige einzuräumen. Im Inventar wurde zu den Nachlassaktiva unter anderem der Finanzierungsbeitrag in der Höhe von 1.898,17 EUR gezählt, der von der Genossenschaft wegen des Eintritts der Lebensgefährtin des Erblassers in dessen Mietrechte nicht ausbezahlt wurde. Es bestehe ein bereicherungsrechtlicher Anspruch der Verlassenschaft gegen die Eingetretene, der als Forderung im Verlassenschaftsverfahren zu berücksichtigen sei. Der Gerichtskommissär teilte mit, dass die Lebensgefährtin eine Nachlassforderung in Höhe von 2.338,60 EUR an Begräbniskosten habe und dass diese Forderung mit dem Finanzierungsbeitrag aufzurechnen sei, sodass ihr nur 440,43 EUR zustünden.

Der Minderjährigen wurde der Nachlass aufgrund der bedingten Erbantrittserklärung mit Beschluss vom zur Gänze eingeantwortet. Die Entscheidung betreffend die rechnungsfreie Verwendung des Guthabens werde im Pflegschaftsverfahren erfolgen. Der Mutter wurde der reine Nachlass nach dem Endausweis im Wert von 5.482,47 EUR ausgefolgt.

Das Erstgericht lud im Pflegschaftsverfahren die Mutter mit dem Thema „mündelsichere Anlegung von Vermögen" zweimal. Sie erschien ohne Angabe von Gründen nicht.

Das Erstgericht fasste ohne weitere Erhebungen den Beschluss, die Obsorge im Teilbereich der Vermögensverwaltung der Mutter zu entziehen und dem Jugendwohlfahrtsträger zu übertragen. Da die Mutter der Ladung unentschuldigt nicht gefolgt sei, sei davon auszugehen, dass sie nicht geeignet sei, die Vermögensverwaltung für ihre Tochter zu deren Wohl wahrzunehmen und dem Pflegschaftsgericht über die mündelsichere Veranlagung der bestehenden Vermögenswerte rechtzeitig und ausführlich Auskunft zu erteilen.

Das Rekursgericht änderte über Rekurs des Jugendwohlfahrtsträgers den Beschluss des Erstgerichts dahingehend ab, dass „der Mutter Gerda V***** die Obsorge im Teilbereich der Vermögensverwaltung nur in Ansehung der Abwicklung der Umsetzung der Ergebnisse des Verlassenschaftsverfahrens ... übertragen wird und im Übrigen bei der Mutter verbleibt". Aus der Begründung geht unzweifelhaft und klar hervor, dass das Rekursgericht damit Folgendes meinte: Der Beschluss wurde dahingehend abgeändert, dass die Obsorge im Teilbereich der Vermögensverwaltung nur in Ansehung der Verwaltung des geerbten Vermögens auf den Jugendwohlfahrtsträger übertragen wurde. Im Übrigen jedoch verbleibt die Obsorge der Mutter. Auch das Rekursgericht habe erfolglos versucht, von der Mutter Näheres zu erfahren. Angesichts des Gegenstands des Verfahrens erscheine eine zwangsweise Vorführung nicht angemessen. Da das Erstgericht die Überlassung zur rechnungsfreien Verwendung nicht beabsichtigt habe, was zu billigen sei, sei ebenso grundsätzlich der Mutter zu Recht die Obsorge in diesem Bereich zu entziehen. Da nicht ersichtlich sei, dass die Minderjährige darüber hinaus noch über Vermögen verfüge, sei der zu entziehende Bereich darauf zu beschränken. Einen Aktivprozess habe die Minderjährige nicht zu führen, da die Information des Gerichtskommissärs, dass die Lebensgefährtin des Vaters der Verlassenschaft den Finanzierungsbeitrag schulde, nicht zutreffend sei. Sie sei erst dann bereichert, wenn sie die Mietrechte aufgebe, was nach der Aktenlage bisher nicht der Fall gewesen sei. Es habe ihr daher der Anspruch auf Bezahlung von Begräbniskosten ungeschmälert zugestanden. Es bedürfe daher nicht der Bestellung eines Rechtsanwalts und auch nicht der Suche nach einer geeigneten Person, zumal vom Jugendwohlfahrtsträger keine in Frage kommende Person genannt worden sei. Die Bestellung eines Rechtsanwalts würde unnötige Kosten verursachen. Die Minderjährige sei in rund zehn Monaten volljährig, eine Suche nach allfälligen Verwandten oder sonst der Familie nahestehenden Personen liege in keinem angemessenen Verhältnis zur zu bewältigenden Aufgabe des Jugendwohlfahrtsträgers.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil keine Rechtsfrage von grundlegender Bedeutung zu lösen gewesen sei.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Jugendwohlfahrtsträgers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass dem Jugendwohlfahrtsträger die Obsorge in keinem Bereich übertragen werde, sondern dafür ein besser geeigneter Rechtsanwalt bestellt werde, hilfsweise wird beantragt, die Beschlüsse aufzuheben und dem Erstgericht die Verfahrensergänzung aufzutragen.

Die Mutter beteiligte sich nach Freistellung der Revisionsrekursbeantwortung durch den Obersten Gerichtshof am Revisionsrekursverfahren nicht.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist - entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts - zulässig; er ist auch im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

Ist eine andere Person mit der Obsorge für einen Minderjährigen ganz oder teilweise zu betrauen und lassen sich dafür Verwandte oder andere nahestehende sonst besonders geeignete Personen nicht finden, so hat das Gericht die Obsorge dem Jugendwohlfahrtsträger zu übertragen (§ 213 ABGB). Der Jugendwohlfahrtsträger ist also nur subsidiär zu Verwandten, anderen nahestehenden Personen oder sonst besonders geeigneten Personen mit der (Teil-)Obsorge zu betrauen (Weitzenböck in Schwimann³, § 213 ABGB Rz 1, Hopf in KBB², § 213 ABGB Rz 1). Einer Zustimmung des Jugendwohlfahrtsträgers zu seiner Bestellung ist nicht erforderlich (Stabentheiner in Rummel³, § 213 ABGB Rz 3, Weitzenböck aaO Rz 4, Hopf aaO Rz 1). Der Jugendwohlfahrtsträger kann seine Bestellung allenfalls dadurch verhindern, dass es ihm gelingt, das Gericht davon zu überzeugen, dass eine andere Person für die konkreten Aufgaben des Vormunds besser geeignet sei (7 Ob 599/91, Weitzenböck aaO; Stabentheiner aaO; Hopf aaO).

Der Revisionsrekurswerber zeigt zutreffend auf, dass die Entscheidung zur Übertragung der Obsorge im oben dargelegten Teilbereich auf ihn noch nicht zur Entscheidung reif ist.

Das Erstgericht ließ es bei der zweimaligen vergeblichen Ladung der Mutter bewenden, bevor es den angefochtenen Beschluss fasste. Dies kann bei weitem noch nicht als Grundlage für die Übertragung von Obsorgeaufgaben an den Jugendwohlfahrtsträger dienen.

Schon aus dem Verlassenschaftsakt ergibt sich, dass der Vater eine (Halb-)Schwester hat. Es wurde nicht einmal versucht, diese zu befragen und abzuklären, ob sie als eine im Sinne von § 213 ABGB geeignete Person in Frage kommen könnte.

Die Vorinstanzen haben aber auch § 133 AußStrG gänzlich außer Acht gelassen. Sind Eltern mit der Verwaltung des Vermögens im Rahmen der Obsorge betraut, so hat das Gericht die Verwaltung des Vermögens nur zu überwachen, wenn eine unbewegliche Sache zum Vermögen gehört oder der Wert des Vermögens oder der Jahreseinkünfte 10.000 EUR wesentlich übersteigt (§ 133 Abs 2 AußStrG). In jedem Fall hat das Gericht die Verwaltung auch nicht nennenswerten Vermögens zu überwachen, wenn dies zur Abwehr einer unmittelbar drohenden Gefahr für das Wohl des Pflegebefohlenen erforderlich ist (§ 133 Abs 3 AußStrG). Zur Erforschung des Vermögens und zur Überwachung der Verwaltung, einschließlich zu seiner Sicherung, kann das Gericht insbesondere dem gesetzlichen Vertreter Aufträge erteilen sowie einstweilige Vorkehrungen treffen (§ 133 Abs 4 AußStrG).

Die Bestimmungen über die Pflegschaftsrechnung wurden bereits im Rahmen des KindRÄG 2001 geändert. Sie sind unter Berücksichtigung der bisherigen Erfahrungen im neuen Außerstreitgesetz neuerlich modifiziert worden, womit vor allem der Charakter einer maßvollen, nicht „überbehütenden" Gebarungskontrolle besser zur Geltung kommen soll (Fucik/Kloiber, § 133 AußStrG Rz 1). Das Pflegschaftsgericht soll nicht mehr den „Oberaufseher" im vermögensrechtlichen Bereich der Eltern-Kind-Beziehung darstellen, sondern seine Eingriffe vor allem auf die Abwendung akuter Gefährdungsfälle reduzieren (so schon die RV zum KindRÄG 2001, 99, vgl in Zankl/Mondel in Rechberger, § 133 AußStrG Rz 1). Die Vermögensverwaltung durch die Eltern war bereits nach § 193 AußStrG aF nur dann gerichtlich zu überwachen, wenn das Wohl des Kindes, etwa durch missbräuchliche Verwendung des Vermögens durch die Eltern, gefährdet war (RIS-Justiz RS0008461).

Nach dem geltenden § 133 AußStrG sind also die gesetzlichen Vertreter außer zur Abwehr einer unmittelbar drohenden Gefahr für das Wohl des Pflegebefohlenen nicht mehr zu überwachen, wenn das Vermögen im Sinne des Abs 3 nicht nennenswert ist (Fucik/Kloiber aaO Rz 5; Zankl/Mondel aaO Rz 1 und 3). Hat das Gericht aber den Verdacht des Bestehens einer unmittelbar drohenden Gefahr für das Wohl des Pflegebefohlenen, so hat es auch die Verwaltung durch die Eltern zu überwachen. Dabei hat es erforderlichenfalls auch einstweilige Vorkehrungen im Sinn des § 133 Abs 4 AußStrG zu treffen. Diese Maßnahmen sind sehr allgemein gefasst. Selbst nach dem § 193 Abs 1 AußStrG aF war die Erlassung von dem § 382 EO entsprechenden Maßnahmen vorgesehen. Damit sollten nach dem Willen des Gesetzgebers des KindRÄG 2001 dem Gericht ausreichende Interventionsmechanismen zur Verfügung gestellt werden, welche insbesondere die im Interesse des Wohles des Pflegebefohlenen und dem Schutz seines Vermögens unabdingbare kurzfristige Einbeziehung Dritter erlauben (RV KindRÄG 2001, 100, abgedruckt bei Zankl/Mondel aaO Rz 5). Der neu eingeführte Begriff der einstweiligen Vorkehrungen ist bewusst weiter gefasst. Er beinhaltet sowohl die Möglichkeiten des § 382 EO als auch andere geeignete Maßnahmen (Zankl/Mondel aaO Rz 5). Im Übrigen sieht auch das außerstreitige Verfahren Zwangsmittel vor, mit denen das Gericht notwendige Verfügungen gegenüber Personen, die sie unbefolgt lassen, von Amts wegen angemessen durchsetzen kann (§ 79 AußStrG). Die Zwangsmittel nach § 79 Abs 2 AußStrG entsprechen im Wesentlichen jenen nach dem Außerstreitgesetz 1854. Auf die bisherige Rechtsprechung kann daher zurückgegriffen werden (3 Ob 174/06v; Fucik/Kloiber, § 79 AußStrG Rz 2). Es ist dabei nicht nur an Vorführung, sondern auch an Verweise oder Geldstrafen zu denken (vgl RIS-Justiz RS0117691). Das Gericht ist in der Auswahl der notwendigen Zwangsmittel bei Missachtung seiner ausdrücklichen Aufträge und Verfügungen frei (RIS-Justiz RS0116042). Kennzeichen der Vollzugsmaßnahmen - wie in der Rechtsprechung formuliert wurde - ist, dass sie „ohne Bindung an ein geschlossenes System gesetzlich vorgenormter Exekutionsmittel unter der Beschränkung auf die nach der zu erhebenden tatsächlichen Sachlage gebotenen und erfolgversprechenden Maßnahmen ausschließlich zur Bewirkung einer mit den dem Leistungsbefehl zu Grunde liegenden rechtlichen Interessen übereinstimmenden Lebenswirklichkeit vom Titelgericht auch ohne formellen Antrag unter Wahrung der Interessen aller Beteiligten, aber unter Hintansetzung von schädigender Zweifelsucht und Ängstlichkeit anzuordnen sind" (RIS-Justiz RS0007203).

Aus dem Akt ist nicht ersichtlich, dass sich das Erstgericht Kenntnis über den Vermögensstand der Minderjährigen unabhängig vom Erbe verschafft hat, um abzuklären, ob das Vermögen der Minderjährigen nun zusammen mit dem Erbe 10.000 EUR im Sinn von § 133 Abs 2 AußStrG wesentlich übersteigt. Abgesehen davon könnte aufgrund der Tatsache, dass sich die Mutter hartnäckig gerichtlichen Ladungen unentschuldigt entzieht, der Verdacht der unmittelbar drohenden Gefährdung des Vermögens der Minderjährigen bestehen, sodass es auf die Größe des Vermögens nicht mehr ankommt. Das Gericht hat - wie oben dargelegt - von Amts wegen durch Vernehmungen und entsprechende Aufträge die Gefahr abzuklären und abzuwenden sowie das Vermögen und dessen Verwaltung zu sichern. Dies bedeutet, dass das Erstgericht bei einer allenfalls anzunehmenden Gefährdung jedenfalls zweckmäßige, das Vermögen und die Verwaltung desselben zum Wohl der Minderjährigen sichernde Aufträge an die Mutter erteilen muss, die mit einstweiligen Vorkehrungen nach § 133 Abs 4 AußStrG, auch iVm § 79 AußStrG, durchzusetzen sind. Das Gericht kann sich dieser Aufgabe nicht dadurch entziehen, dass es ohne weitere Erhebungen Aufträge oder Vorkehrungen einen Teil der Obsorge auf den Jugendwohlfahrtsträger überträgt.

Im Übrigen ist auch auf § 139 Abs 1 AußStrG zu verweisen, nach dem von Verfügungen des Gerichts der Pflegebefohlene, unabhängig von seiner Verfahrensfähigkeit, in Kenntnis zu setzen ist, soweit dies seinem Wohl dient. Dabei ist wohl zu berücksichtigen, dass die Minderjährige in ein paar Monaten volljährig sein wird.

Erst nach Verfahrensergänzung im dargelegten Sinn wird das Erstgericht feststellen können, ob die Notwendigkeit besteht, der Mutter die Obsorge im Teilbereich der Vermögensverwaltung zu entziehen und sie dem Jugendwohlfahrtsträger zu übertragen.