OGH vom 18.01.1995, 7Ob36/94
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz T*****, vertreten durch Dr.Franz Zimmermann, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei V*****, Versicherungsaktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr.Johann Quendler und Dr.Gerhard Kucher, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen Feststellung, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 289/94-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirchen/Kärnten vom , GZ 2 C 1628/93-5, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, daß das Urteil erster Instanz wieder hergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit insgesamt S 18.988,80 (darin enthalten S 2.164,80 Umsatzsteuer und S 6.000,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger hat bei der beklagten Partei eine Haftpflichtversicherung für den Bereich der Landwirtschaft abgeschlossen. Dem Versicherungsvertrag liegen die AHVB 1963 zugrunde. Art 1 Abs 1 dieser Bedingungen lautet: "Der Versicherer gewährt dem Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, falls dieser wegen eines Ereignisses, das seinen in der Polizze angegebenen Eigenschaften, Tätigkeiten oder Rechtsverhältnissen (versichertes Risiko) entspricht und einen Personenschaden oder eine Sachbeschädigung zur Folge hat (Schadenereignis), aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhaltes von einem Dritten als schadenersatzpflichtig in Anspruch genommen wird. Unter Personenschaden ist die Tötung, Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung von Menschen, unter Sachbeschädigung die Beschädigung oder Vernichtung körperlichen Sachen zu verstehen."
Gemäß Art 1 Abs 2 lit a AHVB sind reine Vermögensschäden nur unter bestimmten, hier nicht maßgebenden Umständen versichert. Reine Vermögensschäden sind solche, die, aus Verstößen (Handlungen oder Unterlassungen) herrührend, weder auf Personen- noch Sachbeschädigungen zurückzuführen sind noch aus solchen hergeleitet werden.
Im Sommer 1992 wurden fünf Kalbinnen des Werner R***** von einem dem Kläger gehörenden Charolais-Stier auf der F*****-Alm gedeckt. Beim Erstgericht ist ein Zivilverfahren anhängig, in dem Werner R***** von Franz und Anna T***** Ersatz für den ihm hiedurch entstandenen Schaden in der behaupteten Höhe von S 31.200 begehrt. Hinsichtlich der Schadensbemessung beruft sich Werner R***** auf ein Gutachten des Kärntner Rinderzuchtverbandes, wonach die Kalbinnen durch die zu frühe Belegung in der Entwicklung deutlich zurückgeblieben und deshalb zur Ergänzung der Zuchtherde uninteressant seien. Dies gelte auch für die drei geborenen weiblichen Kälber.
Der Kläger begehrte die Feststellung der Deckungspflicht der beklagten Partei aus diesem Vorfall.
Die beklagte Partei, die die Deckung bereits in der Vorkorrespondenz abgelehnt hatte, wendete ein, daß kein Sachschaden, sondern ein reiner Vermögensschaden vorliege, für den gemäß Art 1 AHVB kein Versicherungsschutz bestehe. Daß die geborenen Kälber für die Zucht nicht so gut verwertbar gewesen seien wie bei einem gesteuerten Decken, stelle die bloße Verschlechterung einer künftigen Gewinnerzielungschance dar.
Der Kläger brachte demgegenüber vor, daß der Schaden darin liege, daß die Kalbinnen durch die zu frühe Belegung vorzeitig ihre Wachstumsphase beendet hätten und bei den Schwergeburten wegen ihres zu geringen Alters verletzt worden seien, so daß sie für die Zucht wertlos geworden seien.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Hier sei schon deshalb ein Sachschaden entstanden, weil die Verfügungsmöglichkeit des Eigentümers der Kalbinnen zumindest während der Austragezeit der nicht zuchttauglichen Mischlingskälber eingeschränkt gewesen sei. Die beabsichtigte Verwendung zu Zuchtzwecken sei für gewisse Zeit unmöglich gewesen. Ein Beweisverfahren darüber, ob die Kalbinnen bei dem durch die vorzeitige Belegung hervorgerufenen Schwergeburten verletzt worden und ihre Entwicklung deutlich zurückgeblieben seien, könne daher unterbleiben.
Das Gericht zweiter Instanz hob das Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Das Gericht zweiter Instanz vertrat die Ansicht, daß zwar die Verminderung der Verfügungsmöglichkeit des Eigentümers über die Kalbinnen während der Tragezeit allenfalls eine begrenzte Verminderung einer Gewinnerzielungschance darstelle, die als reiner Vermögensschaden zu bewerten sei. Ein Sachschaden liege hingegen vor, wenn die Tiere durch die Deckung eine Beeinträchtigung ihrer körperlichen Eigenschaften erlitten hätten, die ihren Wert herabgesetzt hätte. Es sei daher im fortgesetzten Verfahren die in diese Richtung zielende Behauptung des Klägers zu prüfen, daß die Kalbinnen durch die zu frühe Belegung in ihrer Entwicklung zurückgeblieben und deshalb zur Ergänzung der Zuchtherde uninteressant seien. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil eine Rechtsprechung zur Frage fehle, ob eine Entwertung der Tiere eine Sachbeschädigung im Sinn des Art 1 Abs 1 AHVB darstelle.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs des Klägers ist zulässig und im Ergebnis berechtigt.
Ein Sachschaden ist die Wertminderung einer Sache als Folge einer Einwirkung, durch die die Brauchbarkeit der Sache zur Erfüllung des ihr eigentümlichen Zweckes, wirtschaftlich betrachtet, beeinträchtigt wird (VersR 1978, 477, 478 mwN). Davon, daß ungeachtet der Bestimmung des § 285a ABGB auch Tierschäden vom Begriff des Sachschadens des Art 1 Abs 1 AHVB 1963 umfaßt sind, ist schon deshalb auszugehen, weil sich durch die Bestimmung des § 285a ABGB nichts daran änderte, daß Tiere rechtlich weiterhin wie Sachen zu behandeln sind (vgl Spielbüchler in Rummel2 I, 285a Rz 1 und Reischauer in Rummel2 II Rz 1, 2 zu § 1332a ABGB).
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Nachteil am Vermögen (vgl zum Vermögensbegriff § 353 ABGB), den der Eigentümer eines Tieres durch dessen infolge eines bestimmten Ereignisses eintretenden Wertverlust erleidet, ein solcher ist, der unmittelbar aus dem Schaden am Tier resultiert und daher unter den Versicherungsschutz im Sinn des Art 1 Abs 1 AHVB 1963 fällt.
Der geschädigte Dritte nimmt den Kläger im vorliegenden Fall mit keiner anderen Behauptung als jener in Anspruch, daß er einerseits Tierarztkosten zahlen mußte und andererseits der Wert der Tiere vor der Deckung durch den mangelhaft beaufsichtigten Stier des Klägers und durch die damit ursächlich zusammenhängenden Geburtsvorgänge höher war als nachher. Nur den hiedurch entstandenen Schaden will er ersetzt haben. Diese Differenz steht ihm - vorausgesetzt, daß seine Behauptungen richtig sind - gemäß §§1323, 1332 ABGB auch zu. Da nach ständiger Rechtsprechung auch der durch das schädigende Ereignis verursachte Rettungsaufwand, das heißt unter anderem der Aufwand zur Vermeidung der Schadensvergrößerung zu ersetzen ist (vgl Reischauer in Rummel2 II Rz 10 zu § 1293 ABGB mwN), fallen auch die vom geschädigten Dritten begehrten Tierarztkosten, die durch die die Tiere schädigende Deckung entstanden sind, unter jene Vermögensschäden, die auf die Sachbeschädigung (ihr gleichzustellen: Beschädigung der Tiere) zurückzuführen sind und die gegen den Versicherungsnehmer aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhaltes geltend gemacht werden können.
Entgegen der Ansicht des Gerichtes zweiter Instanz ist im Deckungsprozeß grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die Inanspruchnahme des Versicherungsnehmers seitens des Dritten zu Recht erfolgte oder nicht. Die Haftpflichtversicherung gibt dem Versicherungsnehmer Anspruch auf Befreiung von berechtigten Schadenersatzansprüchen des Dritten (Befreiungsanspruch) und - wie sich aus § 150 VersVG und Art 5 Abs 4 AHVB 1963 ergibt - auf Gewährung von Rechtsschutz gegenüber den Ansprüchen des Dritten, mögen sie berechtigt oder unberechtigt sein (Rechtsschutzanspruch). Gegenüber dem Rechtsschutzanspruch kann also der Haftpflichtversicherer nicht mit Erfolg einwenden, daß der Haftpflichtanspruch des Dritten unbegründet sei. Befreiungs- und Rechtsschutzanspruch ergeben gemeinsam den Deckungsanspruch, der mittels (einheitlicher) Feststellungsklage dahin, daß der Versicherer Versicherungsschutz zu gewähren habe, geltend zu machen ist, solange die Haftpflicht nach Grund und Höhe nicht feststeht. Der Rechtsschutzanspruch entsteht mit der Erhebung von Ansprüchen Dritter, also jedenfalls (auch) durch Einbringen einer Klage, wobei es genügt, daß der Dritte seinen Anspruch (auch) mit einem in den Schutzbereich des Versicherungsvertrages fallenden Rechtsverhältnis begründet (VersR 1985, 197). Dabei kommt es grundsätzlich auf jenen Sachverhalt an, den der Dritte behauptet (Prölss-Martin, VVG25, 706 mwN).
Da hier der Dritte den Haftpflichtanspruch gegen den Versicherungsnehmer auf einen gemäß § 1 AHVB vom Versicherungsschutz umfaßten Sachverhalt gestützt hat, ist die beklagte Partei verpflichtet, dem Kläger ohne Rücksicht auf das Zurechtbestehen des Anspruches des Dritten Rechtsschutz und im Fall der Berechtigung des Anspruches Befreiung zu leisten. Die Deckungsklage des für die Schädigung verantwortlich gemachten Klägers ist daher jedenfalls berechtigt. Ob ein allenfalls durch die mangelnde Nutzungsmöglichkeit der Kalbinnen während ihrer Trächtigkeit entstandener Schaden unter dem Begriff des Sachschadens oder unter jenen des reinen Vermögensschadens im Sinn der hier maßgebenden Versicherungsbestimmungen fällt, kann auf sich beruhen, weil der Dritte einen solchen Schaden gar nicht geltend gemacht hat. Es war daher im Ergebnis das der Deckungsklage stattgebende Ersturteil wieder herzustellen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.