OGH vom 27.02.2019, 6Ob29/19m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI R***** K*****, vertreten durch Kunz Wallentin Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei S***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Knoetzl Haugeneder Netal Rechtsanwälte GmbH in Wien und Wiedenbauer Mutz Winkler & Partner Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt, wegen 552.528,66 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 23 R 111/18p-50, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1.1. Nach völlig einhelliger Auffassung kann ein Vorstandsmitglied selbst aus wichtigem Grund vorzeitig sein Amt niederlegen (Ch. Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, Aktiengesetz2§ 75 Rz 27; Reich-Rohrwig/Szilagyi in Artmann/Karollus, AktienG6 Anhang § 75 Rz 164). Die Rücktrittserklärung muss gegenüber dem Aufsichtsrat (vertreten durch den Vorsitzenden) abgegeben werden; eine Annahme ist nicht notwendig (Ch. Nowotny aaO).
1.2. Die vorzeitige Amtsniederlegung durch das Vorstandsmitglied führt nicht automatisch zur Beendigung des Vorstands-Anstellungsvertrags (Reich-Rohrwig/Szilagyi aaO Rz 164). Häufig wird jedoch in einer Rücktrittserklärung des Vorstandsmitglieds zugleich eine konkludente Kündigung seines Anstellungsvertrags oder ein vorzeitiger Austritt zu erblicken sein (Reich-Rohrwig/Szilagyi aaO). Jedenfalls bildet ein berechtigter Rücktritt aus wichtigem Grund immer auch einen Austrittsgrund (Reich-Rohrwig/Szilagyi aaO). Umgekehrt stellt ein wichtiger Grund für den vorzeitigen Austritt auch einen wichtigen Grund zum Rücktritt (vorzeitige Amtsniederlegung) dar (Reich-Rohrwig/Szilagyi aaO).
2.1. Im Arbeitsrecht ist anerkannt, dass nicht jede Vertragsverletzung zum sofortigen Austritt berechtigt. Wesentlich ist die Vertragsverletzung nur, wenn dem Angestellten unter solchen Umständen die weitere Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. In anderen Fällen kann er sich gegen die Vertragsverletzung wehren, etwa eine Feststellungsklage einbringen, er kann aber nicht das Dienstverhältnis vorzeitig lösen (RIS-Justiz RS0030641).
2.2. Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine gerechtfertigte vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses kann immer nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (8 ObA 2145/96s).
2.3. Diese Auffassung lässt sich auf den Rücktritt bzw Austritt eines Vorstandsmitglieds übertragen, zumal dafür ohnedies vielfach auf zum Arbeitsrecht (insb § 26 AngG) entwickelte Grundsätze zurückgegriffen werden kann (Reich-Rohrwig/Szilagyi aaO Rz 197 mwN; Schörghofer/Tinhofer in Kalss/Frotz/Schörghofer, Handbuch für den Vorstand Rz 7.82). Auch beim Vorstand ist entscheidend, ob die weitere Zusammenarbeit unzumutbar geworden ist (vgl Schörghofer/Tinhofer aaO Rz 7.88). Dies lässt sich jedoch regelmäßig nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilen.
3.1. Nach der Lehre kann ein Vorstandsmitglied, wenn ihm die Fortsetzung des Vorstands-Dienstverhältnisses aus wichtigem Grund unzumutbar ist, den vorzeitigen Austritt gegenüber der AG mit sofortiger Wirkung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist erklären (Reich-Rohrwig/Szilagyi aaO Rz 197). In analoger Anwendung des § 26 AngG werden hier Dienstunfähigkeit des Angestellten, ungebührliche Schmälerung oder Vorenthaltung des Entgelts oder Verletzung anderer wesentlicher Vertragsbestimmungen, Gefährdung des Lebens, der Gesundheit oder der Sittlichkeit des Angestellten durch den Dienstgeber, Tätlichkeiten, Verletzungen der Sittlichkeit oder erhebliche Ehrverletzungen gegen den Angestellten oder dessen Angehörige angeführt (Reich-Rohrwig/Szilagyi aaO Rz 197).
3.2. Nach Runggaldier/Schima (Die Rechtsstellung von Führungskräften [1991] 166) kann man bei den Gründen für eine vorzeitige Mandatsniederlegung zunächst Gründe unterscheiden, die ausschließlich oder primär das Anstellungsverhältnis betreffen, jedoch auf das Mandat durchschlagen. Dazu gehört etwa die Nichtzahlung der dem Vorstandsmitglied gebührenden Bezüge, die unbegründete Blockierung von Urlaubswünschen oder die rechtswidrige Entziehung des Dienstwagens (Runggaldier/Schima aaO 166;Schima in Kalss/Kunz, Handbuch Aufsichtsrat Rz 17.190).
3.3. Weiters sind Gründe denkbar, die sowohl die Sphäre des Anstellungsvertrags als auch unmittelbar die Mandatsausübung tangieren wie zB rechtswidrige Eingriffe in die Unternehmensleitung bzw den vertraglich zugesicherten Aufgabenbereich, ehrverletzende Äußerungen über das Vorstandsmitglied von Seiten des Aufsichtsrats, Mehrheitsaktionärs etc oder eine durch § 79 AktienG nicht gedeckte Untersagung einer „Konkurrenztätigkeit“ (Runggaldier/Schima aaO 167).
3.4. Schließlich kommen auch Gründe für die Mandatsniederlegung in Betracht, die sich aus der besonderen Rechtsposition des Vorstandsmitglieds ergeben und keine Entsprechung im AngG oder sonstigen verwandten Gesetzen haben (Runggaldier/Schima aaO 167). Als Beispiel führen Runggaldier/Schima an, dass ein Vorstandsmitglied wahrnimmt, dass ein anderes Vorstandsmitglied seine Pflichten (zB betreffend das Rechnungswesen) vernachlässigt und demgemäß die Gefahr besteht, dass sämtliche Vorstandsmitglieder zur Haftung herangezogen werden könnten. Diesfalls bestehe für das Vorstandsmitglied, wenn es ihm nicht gelinge, die Behebung des Zustands oder die Ablösung des sorgfaltswidrigen Kollegen zu erreichen, ein wichtiger Grund für die Niederlegung des eigenen Amts. Dasselbe gelte, wenn aus anderen Gründen, gegen die das Vorstandsmitglied sich nicht wehren kann, Haftungen drohen, etwa wenn die Hausbank in der Unternehmenskrise die Mitglieder des Vertretungsorgans an der Zahlung der laufenden Abgabenschulden der Gesellschaft hindere (Runggaldier/Schima aaO 167).
3.5. Die bloße Verweigerung der Entlastung bildet demgegenüber, sofern sie nicht aus offenbar unsachlichen Gründen oder unter besonders diskriminierenden Umständen erfolgt, keinen wichtigen Grund für die Mandatsniederlegung (Runggaldier/Schima aaO 167;Schima in Kalss/Kunz, Handbuch Aufsichtsrat Rz 17.190).
3.6. Ebensowenig liegt ein wichtiger Grund vor, wenn das Vorstandsmitglied sich in einer wichtigen unternehmensstrategischen Frage oder grundsätzlich in Bezug auf die von ihm für richtig gehaltene Geschäftspolitik bei dem Kollegen im Vorstand bzw beim Aufsichtsrat nicht durchsetzen kann (Runggaldier/Schima aaO 167).
3.7. Nach Schima (in Kalss/Kunz, Handbuch Aufsichtsrat Rz 17.191) können fundamentale nachträgliche Eingriffe in die Amtsausübung den betroffenen Vorstand zum Rücktritt aus wichtigem Grund berechtigen. Gleiches gilt bei Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen der Gesellschaft und dem Vorstand (Reich-Rohrwig/Szilagyi aaO Rz 259 mwN).
4.1. Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall jedoch nicht vor. Dass in die Vorstandsagenden des Klägers eingegriffen worden wäre, konnten die Vorinstanzen nicht feststellen.
4.2. In der deutschen Literatur wird auch eine Änderung eines vertraglich zugesicherten Ressorts als zum Rücktritt berechtigender wichtiger Grund angeführt (Kort in Großkommentar AktienG5§ 77 Rz 93 f; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats6§ 7 Rz 455, 457). Daraus ist für den Rechtsstandpunkt des Klägers jedoch nichts zu gewinnen, weil sein Geschäftsbereich (Technik) sich nicht verändert hat.
4.3. Wenn die Vorinstanzen davon ausgingen, dass aus der Formulierung im Anstellungsvertrag, Grundlagen für die Tätigkeit des Vorstandsmitglieds seien das AktienG, die dem Vorstandsmitglied bekannte Satzung der Gesellschaft, die verbindlichen Beschlüsse des Aufsichtsrats der Gesellschaft sowie die Geschäftsordnung für den Vorstand, nicht abgeleitet werden könne, dass damit die Fassung der Satzung zu einem bestimmten Zeitpunkt „versteinert“ werden sollte, ist dies nicht zu beanstanden. Nach den Feststellungen war das ursprüngliche Dirimierungsrecht des Klägers kein Thema bei den Verhandlungen über die Vertragsverlängerung im Jahr 2009. Ausdrücklich wurde dabei im Übrigen besprochen, dass es der Gesellschaft unbenommen bleibe, den Vorstand abzuberufen und die Satzung einvernehmlich zu ändern.
4.4. Im Übrigen wurde das Dirimierungsrecht des Klägers für den Fall, dass die Gesellschaft lediglich einen Vorstand mit zwei Mitgliedern aufweist, nicht geändert. Die Satzungsänderung beschränkte sich vielmehr darauf, neben der Bestellung von ein oder zwei Vorstandsmitgliedern wie bisher auch die Bestellung eines dritten Vorstandsmitglieds zu ermöglichen.
4.5. Die angebliche Vereinbarung aus dem Jahr 2012, wonach die damals geltende Satzung unveränderliche Vertragsgrundlage sein solle, konnten die Vorinstanzen nicht feststellen. Die gegenteiligen Revisionsausführungen zum „statischen“ Verweis auf die Satzung gehen nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Im Übrigen geht auch der Kläger selbst davon aus, dass die Änderung der Satzung für sich genommen nicht die Unzumutbarkeit der Fortsetzung seiner Tätigkeit zur Folge hatte. Der Kläger erblickt die Unzumutbarkeit vielmehr in der Bestellung eines dritten Vorstandsmitglieds.
5.1. Dazu kommt, dass in der Literatur zu Recht darauf hingewiesen wird, dass ein Dirimierungsrecht bei einem bloß aus zwei Mitgliedern bestehenden Vorstand problematisch ist. Dies laufe nämlich letztlich auf eine Über- und Unterordnung innerhalb des Vorstands und die Einrichtung einer vorstandsinternen Hierarchie mit dem Vorstandsvorsitzenden als allein die Geschäftsführung bestimmende Stelle hinaus (Schima, Der Vorstandsvorsitzende als Übervorstand, GES 2010, 260). Ein Vorstandsmitglied, das nicht Vorsitzender ist, wäre immer und ausnahmslos den Vorgaben des Vorstandsvorsitzenden ausgesetzt; das andere Vorstandsmitglied könnte automatisch zur Beschlussausführung gezwungen werden, was im Ergebnis berechtigte Zweifel an der Zulässigkeit eines Dirimierungsrechts im Zweiervorstand aufkommen lasse (Schima aaO).
5.2. Wenn die beklagte Partei die Satzung dahin änderte, dass ein dritter Vorstand bestellt werden konnte, wurde damit im Ergebnis letztlich den angeführten Bedenken der Literatur Rechnung getragen. Eine derartige Satzungsänderung hat für den Kläger nicht Unzumutbarkeit der Fortsetzung seiner Tätigkeit zur Folge.
5.3. Für den gewissermaßen umgekehrten Fall, dass in einem Zweiervorstand nachträglich ein Alleinentscheidungsrecht eines anderen Vorstandsmitglieds eingeführt würde, vertritt Schima, dass darin ein wichtiger Grund zum Rücktritt vom Mandat und Austritt aus dem Anstellungsvertrag vorläge, weil dadurch die Bedingungen für die weitere Ausübung des Amts unzumutbar würden (Schima, Der Vorstandsvorsitzende als Übervorstand, GES 2010, 260; ders in Kalss/Kunz, Handbuch Aufsichtsrat Rz 17.191). Diese Auffassung lässt sich aber auf die Ernennung eines weiteren zusätzlichen Vorstandsmitglieds nicht übertragen, zumal eine Feststellung, wonach vereinbart wurde, dass der Kläger Alleinvorstand oder Mitglied eines Zweiervorstands mit Dirimierungsrecht werden sollte, von den Vorinstanzen nicht getroffen wurde.
6. Auch die Vorgänge um die Erstellung des Jahresabschlusses 2015 berechtigten den Kläger nicht zum vorzeitigen Austritt. Die Schlussbesprechung zum Jahresabschluss fand überhaupt erst nach seinem Austritt statt. Im Übrigen hat der Kläger nie ausdrücklich bekanntgegeben, dass er der Bilanzierung des Verlusts in der zuletzt gefundenen Variante nicht zustimme. Er beschränkte sich vielmehr auf den Hinweis, dass die Hauptversammlung mit dem Bilanzierungsvorschlag befasst werden möge.
7. Der Prozessstandpunkt des Klägers, die für die beklagte Partei handelnden Organe, insbesondere der Aufsichtsrat und dessen Vorsitzender, trachteten danach, den Kläger „los zu werden“, fand im Beweisverfahren keine Bestätigung. Ganz im Gegenteil stellte das Erstgericht fest, dass man dem Kläger wiederholt bis zuletzt das Vertrauen bekundete, während er selbst mehrfach sein Weiterverbleiben in der beklagten Partei zumindest in Frage stellte.
8. Wenn die Vorinstanzen bei dieser Sachlage keinen berechtigten Grund für die sofortige Amtsniederlegung bzw den Austritt des Klägers erblickten, ist darin keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.
9. Nachdem die Vorinstanzen zutreffend davon ausgingen, dass kein Grund für einen Rücktritt bzw Austritt aus dem Anstellungsvertrag vorlag, bedurfte es keiner Auseinandersetzung mit der Frage einer allfälligen Verschweigung des Rücktrittsgrundes.
10. Zusammenfassend bringt die Revision daher keine Rechtsfragen der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass sie spruchgemäß zurückzuweisen war.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00029.19M.0227.000 |
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