OGH vom 29.06.1989, 6Ob605/89
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Redl und Dr. Kellner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Leo M*** sen., Pensionist, St. Michael, Altendorf 6, vertreten durch Dr. Jakob Oberhofer, Rechtsanwalt in Lienz, wider die beklagte Partei V*** DER R*** W***
reg. Genossenschaft mbH, Wolfsberg, Herrengasse 102, vertreten durch Dr. Wolfgang Gewolf, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Feststellung einer Mitgliedschaft (Streitwert S 90.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom , GZ 1 R 220/88-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom , GZ 24 Cg 122/88-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird stattgegeben und das angefochtene Berufungsurteil derart abgeändert, daß in Abänderung des erstinstanzlichen Urteiles der beklagten Partei gegenüber festgestellt wird, die Mitgliedschaft des Klägers zur beklagten Partei besteht über das Jahr 1987 hinaus aufrecht.
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 35.589,80 bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin enthalten an Barauslagen S 11.359,-- und an Umsatzsteuer S 2.550,80) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war im Dezember 1986 Mitglied der beklagten Genossenschaft. Der satzungsgemäße Unternehmensgegenstand dieser Genossenschaft war im wesentlichen der Betrieb von Bankgeschäften. Nach den damaligen Satzungsbestimmungen betrug ein Geschäftsanteil S 100,--, die Haftung der Mitglieder für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft war über den Geschäftsanteil hinaus mit einem weiteren Betrag in der Höhe des Zehnfachen des Geschäftsanteiles begrenzt. Als Gründe für das Ausscheiden eines Genossenschafters sah die Satzung neben dem Tod des Mitgliedes, dessen schriftlicher Erklärung des Austrittes oder der Kündigung sämtlicher Geschäftsanteile, dessen schriftlicher Übertragung aller Geschäftsanteile an ein anderes Mitglied oder Kündigung durch einen Privatgläubiger des Genossenschafters den inhaltlich und verfahrensmäßig näher geregelten Ausschluß vor.
In der am abgehaltenen ordentlichen Generalversammlung beschlossen die erschienenen Genossenschafter einstimmig Änderungen der Satzung über die Höhe des Geschäftsanteiles, den Umfang der Haftung des einzelnen Genossenschafters für Verbindlichkeiten der Genossenschaft sowie über das Stimmrecht: Der Geschäftsanteil wurde von S 100,-- auf S 1.000,-- erhöht, der über den Geschäftsanteil hinaus bestehende Haftungsbetrag vom Zehnfachen (von S 100,-- = S 1.000,--) auf das Dreifache (von S 1.000,-- = S 3.000,--) abgeändert. Nicht als Ergänzung der in den im § 6 der Satzung enthaltenen Fälle einer Beendigung der Mitgliedschaft, sondern als Ergänzung der im § 9 Abs 1 der Satzung enthaltenen Regelungen über den Geschäftsanteil wurde folgende neue Satzungsbestimmung aufgenommen:
"Sollte ein Mitglied aus irgenwelchen Umständen seinen Geschäftsanteil nicht in voller Höhe eingezahlt haben, oder sollte der eingezahlte Betrag aus irgendwelchen Gründen unter den Betrag eines Geschäftsanteils absinken, so hat das Mitglied die Möglichkeit, den Fehlbetrag auf den vollen Geschäftsanteil binnen vier Wochen ab dem Zeitpunkt des Absinkens durch Überweisung auf das Geschäftsanteilskonto nachzuzahlen. Läßt das Mitglied diese Frist ungenützt verstreichen, so gilt dies als Kündigung seiner Mitgliedschaft und ist in diesem Fall die Genossenschaft verpflichtet, den am Geschäftsanteilskonto befindlichen Betrag dem Mitglied gemäß der Satzung auszubezahlen."
Die in der Generalversammlung vom beschlossenen Satzungsänderungen wurden am in das Genossenschaftsregister eingetragen.
Eine gerichtliche Anfechtung des Satzungsänderungsbeschlusses wurde von keinem der beiden Streitteile behauptet.
Der Kläger hatte an der Generalversammlung vom nicht teilgenommen. Er überwies am zur "Auffüllung" seiner beiden Geschäftsanteile S 1.800,-- an die Genossenschaft. Diese nahm den Betrag wegen Ablaufes der "Nachzeichnungsfrist" nicht an. Gleiches erfolgte zu einer neuerlichen Überweisung vom .
Die Genossenschaft vertritt gegenüber dem Kläger den Standpunkt, daß er die "Nachzeichnungsfrist" versäumt habe und daher im Sinne der geänderten Satzungsbestimmungen mit Jahresende 1987 seiner Mitgliedschaft verlustig gegangen sei.
Der Kläger erachtet den Beschluß über die Satzungsänderung, was die Beendigung seiner Mitgliedschaft anlangt, als unwirksam. Er behauptet Satzungsverstöße bei der Einberufung der Generalversammlung und der nachträglichen Bekanntmachung der gefaßten Beschlüsse sowie einen groben inhaltlichen Verstoß der neuen Regelung über eine satzungsmäßige Wertung einer Säumnis des Genossenschafters mit der Einzahlung oder Auffüllung seines Geschäftsanteiles als Aufkündigung der Mitgliedschaft. Mit seiner am angebrachten Klage begehrte der Kläger die Feststellung, daß sein Mitgliedschaftsverhältnis zur beklagten Genossenschaft über das Jahr 1987 hinaus unverändert aufrecht bestehe.
Die beklagte Genossenschaft bestritt das Vorliegen der vom Kläger behaupteten Mängel der Vorbereitung der Satzungsänderung ebenso wie deren gerügte Inhaltsmängel. Sie vertrat die Auffassung, daß die vom Kläger gerügten Fehler höchstens Grundlage für ein in Analogie zum Aktiengesetz anzunehmendes befristetes Anfechtungsrecht, keinesfalls aber eine absolut wirksame Nichtigkeit begründet haben könnten, das Anfechtungsrecht aber durch Verstreichen der in Analogie zur Klagsfrist nach § 197 Abs 2 erster Satz AktG mit einem Monat anzusetzenden Präklusivfrist erloschen wäre. Der Kläger strebe mit seinem Feststellungsbegehren in Wahrheit eine Anfechtung der satzungsändernden Generalversammlungsbeschlüsse an. Seine Klagsführung sei bei seinem durch mehr als 20 Jahre an den Tag gelegten absoluten Desinteresse an der beklagten Genossenschaft als Rechtsmißbrauch zu werten.
Das Prozeßgericht erster Instanz wies das Feststellungsbegehren ab.
Das Berufungsgericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil. Dazu sprach es aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteigt. Es sprach weiters aus, daß die Revisionszulässigkeitsvoraussetzung nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO vorliege.
Beide Vorinstanzen legten ihrer rechtlichen Beurteilung im wesentlichen die auf Reischauer, JBl 1976, 7 ff gestützte Auffassung zugrunde, daß nicht jede Fehlerhaftigkeit eines Generalversammlungsbeschlusses einer Genossenschaft dessen Unwirksamkeit zur Folge habe, sondern in Analogie zu den §§ 195 ff AktG Anfechtbarkeit oder in Analogie zu den §§ 199 ff AktG Nichtigkeit begründe. Zur Entscheidung über das Feststellungsbegehren sei als Vorfrage die Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit der satzungsändernden Generalversammlungsbeschlüsse vom zu beurteilen. Soweit Einberufungs- oder Kundmachungsmängel unterlaufen sein sollten, hätten sie nur eine binnen Monatsfrist ab Registrierung der Satzungsänderung () klageweise geltend zu machende Anfechtbarkeit begründet. Nichtigkeitsbegründende Inhaltsmängel seien nicht anzunehmen.
Der Kläger ficht das bestätigende Berufungsurteil aus dem Revisionsgrund nach § 503 Abs 2 ZPO wegen qualifiziert unrichtiger Lösung genossenschaftsrechtlicher Grundfragen mit einer auf Stattgebung des Klagebegehrens zielenden Abänderungsantrag an. Die Beklagte strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist wegen der zu erörternden Rechtsfragen zulässig. Sie ist auch berechtigt.
Die vom Kläger mit seinem Feststellungsbegehren bekämpfte Rechtsansicht der beklagten Genossenschaft, seine Mitgliedschaft habe mit dem Ablauf des Jahres 1987 geendet, beruht auf unmittelbarer Anwendung des satzungsändernden Generalversammlungsbeschlusses vom auf die Untätigkeit des Klägers. Der Kläger erachtet die satzungsändernden Generalversammlungsbeschlüsse einerseits wegen unterlaufener Satzungsverstöße bei der Einberufung der Generalversammlung als auch bei der Bekanntmachung der gefaßten Beschlüsse und andererseits wegen grober inhaltlicher Mängel als fehlerhaft und deshalb als untaugliche Grundlage für die von der Beklagten aus der nicht fristgerechten Auffüllung des Geschäftsanteiles gezogenen Rechtsfolge des Mitgliedschaftsverlustes. Damit stellt die Frage nach der Verbindlichkeit des satzungsändernden Generalversammlungsbeschlusses eine Vorfrage für die Entscheidung über das Feststellungsbegehren dar.
Der erkennende Senat schließt sich zunächst der von Reischauer in JBl 1976, 7 ff vertretenen - und in der zu 2 Ob 599/88 ergangenen Entscheidung vom = NRspr 1989/104 nicht nur in den Voraussetzungen als zutreffend
unterstellten - grundsätzlichen Auffassung an, daß das Fehlen jeder positiv-rechtlichen Anordnung über die Wirkungen und die Voraussetzungen der Geltendmachung von Fehlern eines Generalversammlungsbeschlusses im Genossenschaftsgesetz eine Regelungslücke darstellt, die durch Rechtsanalogie aus dem Aktiengesetz als dem Gesetz, daß die Fehlerhaftigkeit von Beschlüssen des obersten Gesellschaftsorganes unter Bedachtnahme auf die Erfordernisse des innergesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens bei durchaus vergleichbaren Interessenslagen am modernsten regelt, zu füllen sei.
Soweit der Kläger daher Satzungs- und Gesetzesverletzungen eines Generalversammlungsbeschlusses geltend macht, die nicht einem im § 199 AktG aufgezählten Grund entsprächen, wäre deren Geltendmachung auf die befristete Anfechtungsklage beschränkt gewesen und keinesfalls einer Beurteilung im Rahmen einer Vorfragenlösung zugänglich. In diesem Ansatz ist der rechtlichen Beurteilung durch die Vorinstanzen zu folgen.
Entgegen der vorinstanzlichen Rechtsansicht steht aber die neu beschlossene Satzungsbestimmung, daß der ungenützte Ablauf einer vierwöchigen Frist zur Nachzahlung des Fehlbetrages auf den Betrag eines erhöhten Geschäftsanteiles als Kündigung der Mitgliedschaft durch den säumigen Genossenschafter gelte, im Verdacht, mit dem Wesen der Genossenschaft unvereinbar zu sein, allenfalls im Zusammenhalt mit den faktisch nur unzureichenden Informationswirkungen der satzungsgemäß vorgesehenen Ankündigung und Bekanntmachungen durch den Inhalt gegen die guten Sitten zu verstoßen und deshalb mit einem Nichtigkeitsgrund analog § 199 Abs 1 AktG behaftet zu sein.
Dem Kläger, der nur in unmittelbarer Anwendung des von ihm als nichtig angesehenen Generalversammlungsbeschlusses als ausgeschieden behandelt werden könnte, müßte als Genossenschafter die Befugnis zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage analog § 201 Abs 1 AktG mit den Urteilswirkungen im Sinne des § 198 AktG für und gegen alle Genossenschafter zugebilligt werden.
Es ist daher zu fragen, ob er als ein von den Rechtsfolgen des strittigen satzungsändernden Generalversammlungsbeschlusses unmittelbar betroffener Genossenschafter zur Geltendmachung der von ihm behaupteten Fehlerhaftigkeit des Generalversammlungsbeschlusses aus prozeßökonomischen Erwägungen auf den Rechtsbehelf der Nichtigkeitsklage zu beschränken ist oder ob er die Mängel des Generalversammlungsbeschlusses und dessen Unverbindlichkeit auch über das von ihm gewählte Feststellungsbegehren zum Gegenstand einer Vorfrage machen darf.
Nach § 201 Abs 1 zweiter Satz AktG kann die Nichtigkeit auch durch Einrede geltend gemacht werden. In einem solchen Fall wird die Frage nach dem Vorliegen eines Nichtigkeitsgrundes zur Vorfrage. Dem Urteil über das Klagebegehren kommt dann in Ansehung der Vorfragenlösung keine im Sinne des § 198 AktG erweiterte Rechtskraftwirkung zu.
Es obwalten daher keine Bedenken dagegen, daß ein zur Erhebung der Nichtigkeitsklage berechtigter Genossenschafter die von ihm behauptete Nichtigkeit eines Generalversammlungsbeschlusses nicht mittels Nichtigkeitsklage, sondern als Replik auf Einwendungen der mit einem Leistungs- und Feststellungsbegehren belangten Genossenschaft geltend macht.
Es ist daher in die sachliche Prüfung der zwischen den Streitteilen strittigen satzungsändernden Beschlüsse vom einzutreten. (Rechtsmißbrauch kann nach dem Vorbringen der beklagten Partei nicht angenommen werden.)
Für eine Genossenschaft als Vereinigung von nicht geschlossener Mitgliederzahl mit dem im § 1 GenG umschriebenen Förderungszweck ist es als wesentlich anzusehen, daß die einmal erworbene Mitgliedschaft nur durch den Tod des Genossenschafters, seinen individuellen Ausschluß oder durch den auf seiner freien Willenserklärung beruhenden Austritt wieder verlorengehen soll.
Damit ist eine Satzungsbestimmung unvereinbar, die schon an den objektiven Verzug mit einer Zahlungsverpflichtung automatisch die Rechtsfolge des Ausscheidens knüpft. Die Austrittserklärung muß von einem realen Willen des Mitgliedes im Erklärungszeitpunkt getragen sein. Dies ist bei einer satzungsmäßig formulierten Erklärungsfiktion nicht der Fall. § 9 Abs 1 Buchstabe b der Satzung verstößt in seiner durch den satzungsändernden Generalversammlungsbeschluß vom in dessen zweiten Satz, erster und zweiter Halbsatz vorgesehenen Regelung ("Läßt das Mitglied diese Frist ungenützt verstreichen, so gilt dies als Kündigung seiner Mitgliedschaft.....") gegen das Wesen der Genossenschaft und ist daher in Analogie zu § 199 Abs 1 Z 3 AktG nichtig. Eine Heilung dieser Nichtigkeit ist nicht eingetreten. Der Kläger konnte sich auf die Nichtigkeit dieses satzungsändernden Beschlusses wirksam berufen. Die nur auf die Verbindlichkeit der strittigen Satzungsänderung gestützte Auffassung der Genossenschaft, der Kläger sei seit nicht mehr ihr Mitglied, ist sachlich nicht begründet, das Feststellungsbegehren des Klägers - unter Ausschluß des zu Irrtümern Anlaß gebenden Wortes "unverändert" - berechtigt.
In Abänderung der vorinstanzlichen Urteile war dem Feststellungsbegehren des Klägers stattzugeben.
Die Entscheidung über die Prozeßkosten beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.