OGH vom 29.09.1981, 4Ob41/81
Norm
ArbVerfG § 3 Abs 2;
ArbVerfG § 97 Abs 1 Z 15;
Kopf
SZ 54/134
Spruch
Gegenstand einer Betriebsvereinbarung nach § 97 Abs. 1 Z. 15 ArbVG kann auch ein (Firmen- oder Arbeitnehmer-) Jubiläumsgeld sein
Bei der Prüfung, ob eine Betriebsvereinbarung für den Arbeitnehmer günstiger ist als der Kollektivvertrag (§ 3 Abs. 2 ArbVG), sind die jeweils zusammenhängenden Gruppen von Arbeitsbedingungen miteinander zu vergleichen
(ZAS 1982, 223 (Tomandl))(LGZ Graz 2 Cg 78/80; ArbG Graz 1 Cr 215/80)
Text
Der Kläger ist bei der beklagten V-AG in deren Betrieb in Graz seit dem 8. Feber 1960 als Hilfsarbeiter mit einem Stundenlohn von zuletzt 57.71 S brutto, einschließlich einer 10%igen Zulage für Eisenarbeiter, beschäftigt. Auf sein Dienstverhältnis zur Beklagten findet der Kollektivvertrag für die Handelsarbeiter Österreichs Anwendung.
Auf Grund der für die Arbeiter in diesem Betrieb geltenden Betriebsvereinbarung vom gebührt Arbeitern mit einer anrechenbaren Dienstzeit im Sinne der Dienstzeitanrechnungsbestimmungen der V-AG von 25 Jahren eineinhalb Monatsbezüge, von 35 Jahren zweieinhalb Monatsbezüge, von 40 Jahren dreieinhalb Monatsbezüge als Jubiläumszuwendung.
Diese Betriebsvereinbarung enthält noch folgende wesentliche Bestimmungen:
"§ 1. Arbeitsrechtliche Grundlage:
Für alle Arbeitsverhältnisse von Arbeitern in der V-AG sind grundsätzlich die Bestimmungen des Kollektivvertrages der Handelsarbeiter Österreichs in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden, soweit für sie nicht der Kollektivvertrag für Bauindustrie und Baugewerbe (Biegebetrieb) anzuwenden und in dieser Betriebsvereinbarung nichts anderes festgelegt ist.
§ 15. Günstigkeitsklausel:
(1) Sieht der grundsätzlich gemäß § 1 dieser Betriebsvereinbarung anzuwendende Kollektivvertrag der Handelsarbeiter Österreichs eine diese Betriebsvereinbarung betreffende günstigere Regelung vor, so ist so vorzugehen, daß nur diese Betriebsvereinbarung als Ganzes gemäß § 31 Abs. 3 ArbVG auf ihre Günstigkeit geprüft wird. Ein Herausgreifen einzelner Teile einer anders lautenden Kollektivvertragsregelung oder dieser Betriebsvereinbarung unter Berufung auf eine Günstigkeitsklausel ist jedoch nicht gestattet.
§ 10:
(3) Der Arbeitnehmer wird an seinem Ehrentag vom Dienst unter Fortzahlung seines Entgelts befreit."
Gemäß § 9 der Betriebsvereinbarung gebührt Arbeitern ein Treuegeld, und zwar ab vollendetem fünften Dienstjahr 600 S, zehnten Dienstjahr 900 S, fünfzehnten Dienstjahr 1800 S, zwanzigsten Dienstjahr 2700 S, fünfundzwanzigsten Dienstjahr 3600 S. Dieses Treuegeld steht den Arbeitern ab Vollendung der jeweiligen Dienstjahre pro Kalenderjahr zu.
Punkt XI des im Jahre 1977 in Geltung gestandenen Kollektivvertrags für die Handelsarbeiter Österreichs lautet u. a.:
"Für langjährige Dienste werden dem Arbeitnehmer nach einer Beschäftigung im gleichen Betrieb von fünfundzwanzig Jahren mindestens 4.33 Wochenlöhne oder 1 Monatslohn, fünfunddreißig Jahren
mindestens 8.66 Wochenlöhne oder 2 Monatslöhne, vierzig Jahren
mindestens 13 Wochenlöhne oder 3 Monatslöhne als einmalige Anerkennungszahlung gewährt.
Der Arbeitnehmer wird an seinem Ehrentag vom Dienste unter Fortzahlung seines Entgelts befreit."
Der Kollektivvertrag für die Handelsarbeiter Österreichs in der ab geltenden Fassung gewährt Arbeitnehmern nach einer Beschäftigung im gleichen Betrieb von zwanzig Jahren mindestens 4.33
Wochenlöhne bzw. 1 Monatslohn, fünfundzwanzig Jahren mindestens 6.5
Wochenlöhne bzw. 1 1/2 Monatslöhne, fünfunddreißig Jahr mindestens
10.83 Wochenlöhne bzw. 2 1/2 Monatslöhne, 40 Jahren mindestens 15.16 Wochenlöhne bzw. 3 1/2 Monatslöhne als einmalige Anerkennungszahlung.
Dieser Kollektivvertrag weist unter Punkt XI "Arbeitsjubiläum" noch folgende Bestimmung auf:
"Diese Anerkennungszahlungen stehen für alle Jubiläen zu, die nach Inkrafttreten dieses Kollektivvertrages eintreten.
Der Arbeitnehmer wird im Zusammenhang mit seinem Jubiläum an zwei Arbeitstagen unter Fortzahlung des Entgeltes vom Dienst befreit."
Nach dem Kollektivvertrag für Handelsarbeiter Österreichs besteht kein Anspruch auf Treuegeld.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger mit der Begründung, der Kollektivvertrag sei günstiger als die Betriebsvereinbarung, die Zahlung eines Jubiläumsgeldes von 9995.37 S brutto samt Nebengebühren sowie die Befreiung vom Dienst an zwei Arbeitstagen unter Fortzahlung des Entgelts.
Die Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen, und wendet ein, daß bei Beurteilung der Günstigkeit die Betriebsvereinbarung und der Kollektivvertrag als Ganzes und nicht nur einzelne Punkte derselben miteinander zu vergleichen seien. Im gesamten gesehen sei aber die Betriebsvereinbarung wesentlich günstiger als der Kollektivvertrag.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat die Rechtsansicht, im Kollektivvertrag und in der Betriebsvereinbarung stelle die jeweilige Bestimmung über die Arbeitsjubiläumsgelder einen eigenen Punkt dar, der keine objektive Konnexität mit anderen Bestimmungen aufweise. Bei der Prüfung, welche Regelung günstiger sei, sei daher lediglich auf Punkt XI des Kollektivvertrages und auf § 10 der Betriebsvereinbarung abzustellen. Danach ergebe sich, daß bei der derzeitigen Rechtslage die Höhe des Jubiläumsgeldes bei einer Dienstzeit von 25, 35 und 40 Jahren gleich sei, die Betriebsvereinbarung jedoch kein Jubiläumsgeld bei einer Dienstzeit von 20 Jahren vorsehe. Damit sei eindeutig erwiesen, daß der Kollektivvertrag in diesem Punkt für den Kläger günstiger sei als die Betriebsvereinbarung, weshalb dem Kläger ein Jubiläumsgeld zustehe. Auch die Regelung des Kollektivvertrages über die Freistellung an zwei Arbeitstagen sei für den Kläger günstiger als jene in der Betriebsvereinbarung vom , weshalb auch das diesbezügliche Klagebegehren gerechtfertigt sei.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Berufungsgericht der Berufung der Beklagten Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil im Sinne einer Klagsabweisung ab; gleichzeitig sprach es aus, daß der Wert des Streitgegenstandes in Ansehung des Begehrens auf Befreiung vom Dienst an zwei Werktagen den Betrag von 2000 S übersteige. Das Berufungsgericht verhandelte die Streitsache gemäß § 25 Abs. 1 Z. 3 ArbGG von neuem und vertrat die Auffassung, soweit in § 15 der Betriebsvereinbarung bei der Frage des Günstigkeitsvergleiches die Gegenüberstellung von Kollektivvertrag und Betriebsvereinbarung als Ganzes gefordert werde, verstoße dies gegen § 3 Abs. 2 ArbVG, weshalb insoweit Teilnichtigkeit vorliege. Im übrigen sei aber die Betriebsvereinbarung gültig. Bei der Prüfung der Günstigkeit seien nur jene Bestimmungen zusammenzufassen und gegenüberzustellen, die in einem rechtlichen und sachlichen Zusammenhang stehen. Der Meinung von Floretta - Straßer (Handkommentar z. ArbVG, 37), daß mehrere zusammengehörige Bestimmungen eines Vertrages nur dann den entsprechenden Bestimmungen des anderen Vertrages gemeinsam gegenübergestellt werden könnten, wenn Konnexität gegeben sei, könne nicht gefolgt werden. § 3 Abs. 2 ArbVG lasse diese Einschränkung nicht erkennen und spreche allgemein von der Zusammenfassung der in einem rechtlichen und sachlichen Zusammenhang stehenden Bestimmungen. Beim Jubiläumsgeld nach § 10 der Betriebsvereinbarung handle es sich um eine vom Dienstgeber gewährte Zuwendung aus einem besonderen Anlaß. Gleich zu qualifizieren sei aber das in § 9 der Betriebsvereinbarung vorgesehene Treuegeld, das ebenfalls bei einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit gewährt werde. Diese beiden Zuwendungen stunden in so engem sachlichen Zusammenhang, daß sie gemeinsam den Bestimmungen des Kollektivvertrages gegenübergestellt werden müßten. Vergleiche man aber das Treuegeld nach § 9 der Betriebsvereinbarung, das dem Arbeiter bereits nach 17 Jahren ein Mehreinkommen von 10 100 S bringe, während er nach dem Kollektivvertrag für Handelsarbeiter Österreichs erst nach 20 Dienstjahren erstmals ein Jubiläumsgeld erhalte, so sei die Betriebsvereinbarung für den Kläger wesentlich günstiger als der Kollektivvertrag. Auch der im Kollektivvertrag vorgesehene zweite arbeitsfreie Tag anläßlich des 20 jährigen Dienstjubiläums könne die Vorteile des Treuegeldes nach der Betriebsvereinbarung nicht aufwiegen. Dem Kläger stehe daher ein Anspruch auf Jubiläumsgeld (und damit auch auf Dienstfreistellung) erst nach einer Dienstzeit von 25 Jahren zu.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Soweit die Revision zunächst bezweifelt, ob im Sinne des § 97 Abs. 1 Z. 15 ArbVG ein Jubiläumsgeld auch für Dienstnehmerjubiläen Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein kann, bestehen dagegen keine Bedenken. Gegenstand der Rechtssetzungsbefugnisse nach dieser Gesetzesstelle ist die generelle Regelung von Zuwendungen an die Arbeitnehmer aus besonderen betrieblichen Anlässen. Was als besonderer betrieblicher Anlaß vorgesehen wird, liegt dabei im Ermessen der Betriebspartner. Dies kann ein Firmenjubiläum ebenso sein wie ein Arbeitnehmerjubiläum (Strasser in Floretta - Strasser, ArbVG-Handkommentar, 571).
Da ein späterer Kollektivvertrag gegenüber einer günstigeren Betriebsvereinbarung nicht durchdringt, andererseits aber eine ungünstigere Betriebsvereinbarung für die Dauer des Kollektivvertrages wirkungslos wird (Strasser a.a.O., 38), ist für den Rechtsstreit entscheidend, ob die Betriebsvereinbarung vom günstiger ist als der seit geltende Kollektivvertrag, auf den allein der Kläger sein Begehren stützen kann, da der im Jahr 1977 in Geltung gestandene Kollektivvertrag ein Jubiläumsgeld gleichfalls erst nach 25 Jahren und auch nur einen arbeitsfreien Tag vorgesehen hatte.
Im Gegensatz zum Kollektivvertragsgesetz enthält das Arbeitsverfassungsgesetz in § 3 Abs. 2 Vorschriften darüber, wie der Günstigkeitsvergleich vorzunehmen ist. Danach sind bei der Prüfung, ob eine Sondervereinbarung im Sinne des § 3 Abs. 1 ArbVG günstiger ist als der Kollektivvertrag, jene Bestimmungen zusammenzufassen und gegenüberzustellen, die in einem rechtlichen und sachlichen Zusammenhang stehen. Eine nähere Erläuterung, was der Gesetzgeber unter rechtlichem und sachlichem Zusammenhang verstanden hat, ist den Materialien zu dieser Gesetzesstelle nicht zu entnehmen (840 und 993 BlgNR, XIII. GP). Dem Berufungsgericht ist jedoch beizupflichten, daß damit ein Günstigkeitsvergleich mit einer Betriebsvereinbarung als Ganzes, wie ihn § 15 der vorliegenden Betriebsvereinbarung vorschreibt, unzulässig ist, da dies eindeutig gegen § 3 Abs. 2 ArbVG verstoßen würde. Diesbezüglich liegt daher eine Teilnichtigkeit der Betriebsvereinbarung vor.
In der Lehre vertritt Strasser (a.a.O., 37; ebenso in Floretta - Strasser, Kurzkommentar, 90 f und in Floretta - Spielbüchler - Strasser, Arbeitsrecht II, 62 f.) die Auffassung, bei der praktischen Anwendung des Günstigkeitsprinzips sei grundsätzlich auf den Einzelfall, also auf den einzelnen betroffenen Arbeitnehmer, abzustellen. Entscheidend sei, ob die einzelne Bestimmung des Arbeitsvertrages, auf die es ankomme, verglichen mit der einzelnen Bestimmung des Kollektivvertrages, günstiger sei. Nur in jenen Fällen, in denen mehrere Bestimmungen eines Einzelvertrages oder mehrere Bestimmungen eines Kollektivvertrages sachlich dargestellt zusammenhängen, daß die eine Bestimmung ohne die andere nicht denkbar sei (objektive Konnexität) oder die eine Bestimmung von einem der Vertragspartner nicht ohne die andere akzeptiert worden wäre (subjektive Konnexität), dürfe nicht die einzelne Bestimmung des Einzelvertrages mit der des Kollektivvertrages verglichen werden, sondern es müßten die zusammengehörigen Gruppen von Bestimmungen des Einzelvertrages mit der entsprechenden Gruppe von Bestimmungen des Kollektivvertrages verglichen werden (Gruppenvergleich).
Dem Berufungsgericht ist beizupflichten, daß eine so weitgehende Einschränkung dem Gesetz nicht zu entnehmen ist. Vielmehr spricht das Gesetz nur von einem "rechtlichen und sachlichen Zusammenhang". Wann ein solcher vorliegt, kann immer nur im Hinblick auf den Einzelfall beurteilt werden.
Die Anwendung des Begriffs der subjektiven Konnexität stößt beim Günstigkeitsvergleich zwischen einem Kollektivvertrag und einer Betriebsvereinbarung schon deshalb auf Schwierigkeiten, weil bei beiden der normative Teil nach Lehre und Rechtsprechung nach den Regeln auszulegen ist, die für die Auslegung von Gesetzen gelten (Strasser a.a.O., 33 und 172; Arb. 8553, 7419 u. a.). Ebensowenig kann aber gesagt werden, daß ein rechtlicher und sachlicher Zusammenhang nur dann vorliege, wenn eine Bestimmung ohne die andere nicht denkbar wäre. Vielmehr sind nach dem Willen des Gesetzgebers weder Einzelpositionen noch die Gesamtheit der Arbeitsbedingungen miteinander zu vergleichen. Ein Zusammenhang besteht daher etwa dann, wenn es sich um mehrere Bestimmungen handelt, die sich auf ein tatsächliches Ereignis beziehen, etwa alle die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses betreffenden Bestimmungen (vgl. Kinzel in Adametz - Basalka - Heinrich - Kinzel - Mayr - Meches, Komm. z. ArbVG, 90).
Ein solcher Zusammenhang besteht aber auch im vorliegenden Fall. Sowohl das Jubiläumsgeld und die damit im Zusammenhang stehende Dienstfreistellung als auch das Treuegeld haben ihre Grundlage in der langandauernden Betriebszugehörigkeit des Dienstnehmers als einzige Voraussetzung des Anspruches. Sie unterscheiden sich nur dadurch, daß das Treuegeld dem Dienstnehmer ab einer gewissen Dienstzeit (hier ab dem vollendeten fünften Dienstjahr) jährlich zusteht, während ein Anspruch auf Jubiläumsgeld und die damit verbundene Dienstfreistellung nur in Zeitabschnitten von jeweils 5 Jahren, beginnend nach 20 bzw. 25 Dienstjahren, besteht. Beiden Leistungen liegt aber der Gedanke einer Anerkennung und Belohnung für langjährige Betriebszugehörigkeit zugrunde. Damit sind aber auch beide Leistungen in die Erwägungen beim Günstigkeitsvergleich einzubeziehen.
Daß aber bei einer Einbeziehung auch des Treuegeldes in den Gruppenvergleich die Betriebsvereinbarung für den Kläger günstiger ist als der Kollektivvertrag, wird in der Revision gar nicht bestritten; es kann daher auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen werden, wonach der Dienstnehmer bereits nach 17 Dienstjahren ein Treuegeld von insgesamt 10 000 S erhalten haben kann, während er nach dem Kollektivvertrag erstmals nach 20 Dienstjahren ein Jubiläumsgeld von einem Monatslohn erhält. Berücksichtigt man das weiterlaufende Treuegeld aber bis zum 25. Dienstjahr (dem Zeitpunkt der Auszahlung des zweiten Jubiläumsgeldes nach dem Kollektivvertrag und des ersten Jubiläumsgeldes nach der Betriebsvereinbarung), so ergibt sich eine weitere Verschiebung zugunsten der Ansprüche aus der Betriebsvereinbarung.
Damit erweist sich jedoch die Betriebsvereinbarung beim vorgenommenen Gruppenvergleich als günstiger als der Kollektivvertrag. Das Berufungsgericht hat daher mit Recht das nur auf den Kollektivvertrag stützbare Klagebegehren abgewiesen.