OGH vom 22.03.2011, 3Ob27/11h
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann H*****, vertreten durch Dr. Cornelia Sprung, Rechtsanwältin in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Suzanne H*****, vertreten durch Dr. Hansjörg Mader, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Ehescheidung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 212/10p-14, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom , GZ 33 C 15/09y 10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 650,16 EUR (darin 108,36 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 1.062,82 EUR (darin 74,30 EUR Umsatzsteuer und 617 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger brachte am gegen die Beklagte (neuerlich) eine auf § 49 EheG, subsidiär auf § 55 EheG gestützte Klage auf Scheidung der am geschlossenen Ehe ein. Der Kläger sieht die Ehe seit Einbringung seiner ersten Scheidungsklage im Jahr 2004 als zerrüttet und seit der nunmehrigen Scheidungsklage als unheilbar zerrüttet an. Die Beklagte sieht die Ehe nicht als zerrüttet an und möchte mit dem Kläger weiterleben. In ihren Augen ist die Ehe gut, eine „ganz normale Beziehung mit Höhen und Tiefen“.
Mit seinem Urteil vom hat das Erstgericht die Ehe aus dem Verschulden beider Ehegatten geschieden. Es traf im Wesentlichen folgende Feststellungen:
Der Kläger und die Beklagte, beide begeisterte Hundesportler, haben einander um den Jahreswechsel 2001/2002 über die Hundesportszene kennengelernt. Der Kläger war damals nach dem Tod seiner Frau fünf Jahre zuvor mit seinen beiden Kindern Benjamin (geboren 1989) und Kristin (geboren 1991) allein; um den Haushalt und die Kinder kümmerte sich eine Haushälterin. Um die Mitte des Jahres 2002 ist die Beklagte mit ihrem Sohn Tobias (geboren 1991) auf Ersuchen des Klägers in dessen Haus eingezogen. Der Kläger erhoffte sich, dass sein Leben dadurch wieder in geordnete Bahnen kommt. Nach ca einem halben Jahr haben sich die Streitteile (über Betreiben der Beklagten) einvernehmlich von der Haushälterin getrennt.
Nach der Eheschließung im Mai 2003 verlief die Ehe eine Zeit lang gut. Relativ schnell stellte sich allerdings für den Kläger heraus, dass seine Wunschvorstellungen und die Befindlichkeiten der Beklagten weit auseinander gingen. Der Kläger hatte erwartet, dass der Beklagten bewusst ist, dass sie in einen Familienverband hineinkommt und sich um seine beiden Kinder, die durch den frühen Tod der Mutter damals waren sie 8 bzw 6 Jahre alt schon viel mitgemacht hatten, bemüht oder sie zumindest akzeptiert.
Allerdings war eine Kommunikation zwischen den Streitteilen nur schwer möglich. Die Beklagte reagierte auf jegliche Art von Kritik mit Wut und Aggression sowie hysterischen Ausbrüchen und sprach oft tagelang nicht mit dem Kläger. Häufig waren Wutausbrüche und Schreianfälle. Als ihre Hündin verstarb, brach sie zusammen und gebärdete sich derart, dass sie vom Notarzt in die „Psychiatrie“ gebracht wurde, von wo sie am nächsten Tag wieder entlassen wurde. Die Kinder des Klägers waren der Beklagten gleichgültig. Auch die Ansichten der Streitteile in Erziehungsfragen gingen weit auseinander. Vor allem das Verhältnis der Beklagten zu Benjamin war sehr schlecht, sodass sich dieser viel in sein Zimmer zurückzog. Im Zuge einer Auseinandersetzung ohrfeigte die Beklagte Benjamin.
Trotz der tiefen Zuneigung, die der Kläger anfangs für die Beklagte hegte, war für ihn ihr unberechenbares Verhalten unheimlich, weshalb er am beim Amtstag eine Ehescheidungsklage zu Protokoll gab. Für ihn war damals die Ehe bereits zerrüttet; er sah es als aussichtslos an, „den Kurs noch zu halten“. Die Ehescheidungsklage stützte der Kläger vor allem darauf, dass sich die Beklagte als perfekten Menschen sehe, dass sie eigene Fehler gänzlich ignoriere und verdränge und auf Kritik mit nicht nachvollziehbaren Wutausbrüchen und Schreianfällen, auch gegenüber den Kindern des Klägers, reagiere. Im Zuge der wegen des Todes ihrer Hündin erfolgten psychiatrischen Behandlung hätten sowohl der Notarzt als auch der behandelnde Psychiater dringend eine dauerhafte Therapie für die Beklagte für notwendig erachtet. Die Beklagte habe dies jedoch abgelehnt. Die Situation habe sich täglich verschlechtert, die Wutausbrüche seien immer häufiger geworden und die Strafmaßnahmen gegenüber den Kindern immer weniger nachvollziehbar. Der Kläger gab damals auch zu Protokoll, dass er die Beklagte für suizidgefährdet halte, weil sie mehrmals mitgeteilt habe, dass er wieder Witwer werde, wenn er sich scheiden lassen wolle. Auch diese Äußerung habe den Kläger immer wieder bewogen, noch einmal die Rettung der Ehe zu versuchen; nun sei er dazu aber nicht mehr imstande und die eheliche Gemeinschaft sei gänzlich zerrüttet. Darüber hinaus gebe es große Probleme zwischen seinen Kindern und der Beklagten. So würden die Kinder das Haus des Klägers nicht mehr bewohnen wollen; sie würden von der Beklagten auf nicht nachvollziehbare Weise gemaßregelt und mit sinnlosen Strafen belegt. Die Beklagte bezeichne den Sohn des Klägers als falsch und hinterhältig und den Kläger als naiv und vertrauensselig und die Raffinesse der Kinder nicht durchschauend. Von den Kindern habe sie verlangt, jegliche Erinnerungsstücke an ihre an Krebs verstorbene Mutter zu entfernen und ihr Grab nicht zu besuchen. Dem Kläger habe die Beklagte ein Verhältnis zu seiner Tochter unterstellt. Insgesamt sehe der Kläger auch die Entwicklung seiner Kinder als gefährdet an.
Da der Kläger in seiner Klage auch äußerte, dass die Bestellung eines Sachwalters für die Beklagte zu erwägen sei, wurde das Protokoll der zuständigen Pflegschaftsrichterin zur Überprüfung der Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung übermittelt. Nachdem die Beklagte mit ihrer Schwester am bei der zuständigen Richterin zur Erstanhörung erschienen war und dort einen allseits bestens orientierten Eindruck vermittelt hatte, wurde das Sachwalterbestellungsverfahren eingestellt.
In der Folge hat die Beklagte „sehr viel an sich gemacht“, und zwar wie vom Kläger verlangt einige Familienaufstellungen. Zu einer Familienaufstellung (Partneraufstellung) ist die Beklagte gemeinsam mit dem Kläger gefahren. Seit diesen Familienaufstellungen schreit die Beklagte weniger.
Da der Kläger, der auf einen Fortbestand der Ehe hoffte und dem die Beklagte, für die er sich auch verantwortlich fühlte, nicht gleichgültig war, versöhnte er sich mit der Beklagten und zog am seine Ehescheidungsklage zurück. Der Kläger ist ein Typ, der einem anderen Zeit gibt, wenn dieser Probleme hat. Wenn er aber sieht, dass ein anderer immer wieder gleich reagiert, resigniert er irgendwann. Auch nach der Versöhnung musste der Kläger feststellen, dass es in der ehelichen Beziehung keinen Fortschritt gab und das Verhältnis der Beklagten zu seinen Kindern immer schlimmer wurde.
So waren im Haushalt „Haushaltsregeln“ eingeführt worden, hinter denen allerdings nicht nur die Beklagte, sondern auch der Kläger stand. Nach diesen Regeln, die insbesondere die Küche betrafen, mussten die Kinder abwechselnd die Küche sauber machen und den Müll entsorgen sowie Gartenarbeiten verrichten. Auch die Wäsche musste jeder für sich selbst waschen, aufhängen und bügeln. Wurden diese Regeln von den drei Kindern nicht eingehalten, gab es Probleme, insbesondere mit der Beklagten, die viel mehr als der Kläger darauf schaute, dass die aufgestellten Regeln eingehalten wurden. Im Übrigen hat die Beklagte den Haushalt besorgt. Insbesondere hat sie die Putzarbeiten erledigt, Staub gesaugt und auch sonst recht viel gemacht, wie Maler- und Gartenarbeiten. Der Einkauf und das Kochen waren immer schon Angelegenheit des Klägers, auch deshalb, weil die teilweise vorgekochten Mahlzeiten der Beklagten den Kindern des Klägers nicht schmeckten. Abends aßen die Eheleute und die drei Kinder zumeist gemeinsam; üblicherweise hat der Kläger gekocht.
Hielten die Kinder die Haushaltsregeln nicht ein, wurden sie von der Beklagten immer wieder als faul bezeichnet und auch als „Petzen“, wenn sie dem Kläger Vorfälle mit ihr hinterbrachten. Die Kinder des Klägers fühlten sich von der Beklagten nicht ernst genommen und lächerlich gemacht, wenn sie am Tisch saßen und etwas bereden wollten.
Seit mehr als drei Jahren lassen sich die Kinder des Klägers von der Beklagten nicht mehr erziehen; die Haushaltsregeln sind abgeschafft. Im Haus des Klägers hat sich eine „Parallelgesellschaft“ entwickelt: Die Kinder des Klägers wohnen im ersten Stock, der Kläger und die Beklagte im Erdgeschoss. Die Kinder des Klägers und die Beklagte sprechen seit mehr als drei Jahren nicht mehr miteinander. Die Kinder des Klägers sind über diese Situation unglücklich, weil sie sich beispielsweise nicht in die Küche trauen, wenn die Beklagte anwesend ist. Seit mehr als einem Jahr essen Benjamin und Kristin im oberen Stock und nehmen sich das vom Kläger gekochte Essen mit hinauf. Die Streitteile essen gemeinsam im Erdgeschoss. Der Sohn der Beklagten, Tobias, ist vor mehreren Monaten aus dem Haushalt der Streitteile ausgezogen und wohnt wieder bei seinem Vater, bei dem er schon früher jedes Wochenende verbracht hat.
Obwohl das Zimmer von Tobias, der ebenfalls im Erdgeschoss gewohnt hat, frei geworden ist, schlafen die Eheleute nach wie vor im gemeinsamen Schlafzimmer. Nicht festgestellt werden kann, ob die Eheleute regelmäßig Geschlechtsverkehr haben; zumindest gab es nach der Klagseinbringung () im Jahr 2009 einmal Geschlechtsverkehr zwischen ihnen. Der Kläger macht der Beklagten auch nach wie vor Geschenke, so zu ihrem Geburtstag im November 2009; er sieht dies als selbstverständlich auch in Zeiten der Krise an. Die Streitteile unternehmen nach wie vor auch gemeinsame Reisen und zwar die Hunde betreffenden Trainingsreisen bzw Lehrgänge. Die letzte solche gemeinsame Reise fand in der ersten Jännerwoche 2010 statt. Die Streitteile waren auf einer Hütte in der Steiermark und haben auch im gleichen Bett geschlafen; zu einem Geschlechtsverkehr ist es nicht gekommen. Den Jahreswechsel 2009/2010 haben die Streitteile ebenfalls gemeinsam verbracht und alleine zu Hause gefeiert.
Die Beklagte absolviert eine Hundetherapieausbildung in Wien, weshalb sie öfter ein paar Tage von zu Hause weg ist. Es kann nicht festgestellt werden, ob der Kläger immer über den Zeitpunkt und die Dauer dieser Reisen informiert ist.
Die Beklagte überweist dem Kläger monatlich ca 72 EUR, nachdem sie der Kläger auf eine Kostenbeteiligung angesprochen hatte.
Die Kommunikation zwischen den Eheleuten ist sehr schlecht; oft wird tagelang nicht miteinander gesprochen. Immer wieder kommt es zu lautstarken Streitigkeiten, bei denen der Kläger von der Beklagten auch beschimpft wurde.
Für den Kläger ist die Ehe seit seiner ersten Klagseinbringung im Jahr 2004 zerrüttet und seit der Klage im April 2009 unheilbar zerrüttet. Die Beklagte sieht die Ehe nicht als zerrüttet an und möchte mit dem Kläger weiterleben. Die Beklagte glaubt nicht daran, dass der Kläger die Ehe unerträglich findet. Für sie selbst ist die Ehe gut, eine ganz normale Beziehung mit Höhen und Tiefen.
Seiner rechtlichen Beurteilung legte das Erstgericht zugrunde, dass das Gesamtbild der ehelichen Beziehung für eine objektiv unheilbare Zerrüttung der Ehe spreche (ein Zeitpunkt, wann dieser Zustand eingetreten ist, ist dem Ersturteil nicht explizit zu entnehmen; erkennbar folgt das Erstgericht dem Standpunkt des Klägers). Da der Beklagten an dieser objektiven Zerrüttung nicht die überwiegende Schuld angelastet werden könne, sei die Ehe aus dem Verschulden beider Eheleute zu scheiden.
Das Berufungsgericht gab der aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobenen Berufung der Beklagten Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass das Scheidungsbegehren (aus Verschulden) abgewiesen wurde; über das auf § 55 EheG gestützte Scheidungsbegehren wurde nicht abgesprochen.
Streitereien, Reibereien, gegenseitige Kränkungen und Pflichtversäumnisse geringen Grades, wie sie in vielen Ehen vorkommen, könnten keine als schwer zu qualifizierende Eheverfehlung begründen. Da kein Scheidungsgrund vorliege, der kausal für eine unheilbare Zerrüttung der Ehe gewesen sei, sei das Klagebegehren abzuweisen. Die Revision sei nicht zulässig, weil Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu beantworten seien.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils, hilfsweise auf Abänderung im Sinne einer Scheidung nach § 55 EheG.
Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die außerordentliche Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr nicht Folge zu geben.
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht im Einzelfall von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer objektiven Zerrüttung abgewichen ist; sie ist auch im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils berechtigt.
In der außerordentlichen Revision macht der Kläger geltend, es sei unerfindlich, wie das (auf die Beklagte zurückzuführende) dauernde unerträgliche familiäre Klima sinngemäß als Kleinigkeit abgetan werden könne. Gerade bei einzelnen Handlungen und Unterlassungen, die für sich allein nicht das Gewicht schwerer Eheverfehlungen hätten, sei immer zu bedenken, ob nicht Dauer, Wiederholung und die dadurch gegebene Belastung das Gesamtverhalten zu einer schweren Eheverfehlung machen. Nach ständiger Rechtsprechung sei die Bereitwilligkeit des schuldigen Ehegatten zur Fortsetzung der Ehe unerheblich, denn es reiche für die Scheidung aus, dass der klagende Ehegatte die eheliche Gesinnung verloren habe. Entscheidend sei nur, ob das Verhalten des schuldigen Ehegatten geeignet gewesen sei, dem anderen die Fortsetzung der Ehe unerträglich zu machen, und ob es diese Wirkung gehabt habe, wobei in der Regel schon die Erhebung der Scheidungsklage dafür spreche, dass die als Scheidungsgrund geltend gemachten Eheverfehlungen auch tatsächlich als ehezerstörend empfunden worden seien.
Im Übrigen habe das Berufungsgericht den Umstand außer Betracht gelassen, dass der Kläger sein Scheidungsbegehren auch auf § 55 EheG gestützt habe. Eine Scheidung nach § 55 EheG sei auch bei einem Verbleib beider Ehegatten in derselben Wohnung möglich; fallweiser Geschlechtsverkehr würde über das Fortbestehen der Gemeinschaft nicht viel aussagen.
Rechtliche Beurteilung
Dazu wurde erwogen:
1. Nach § 49 EheG kann die Ehe aufgrund einer Klage eines Ehepartners wegen eines schweren schuldhaften Fehlverhaltens des anderen Ehepartners geschieden werden, wenn diese Eheverfehlung zu einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe geführt hat. Die Eheverfehlung muss objektiv schwer sein und subjektiv als ehezerstörend empfunden werden ( Aichhorn in Gitschthaler/Höllwerth [Hrsg], EheG [2008] § 49 Rz 3). Eheverfehlungen, die nicht zur Zerrüttung geführt haben, bilden keinen Scheidungsgrund (1 Ob 518/90). Auch dann, wenn die Ehe bereits unheilbar zerrüttet war, als eine Eheverfehlung gesetzt wurde, fehlt es am notwendigen Kausalzusammenhang zwischen Fehlverhalten und Zerrüttung, weshalb eine Scheidung aus einem nach der Zerrüttung eingetretenen Grund nicht mehr möglich ist (vgl RIS-Justiz RS0057338). Solange die Ehe noch nicht unheilbar, sondern „nur“ weitgehend zerrüttet ist, ist aber auf Eheverfehlungen Bedacht zu nehmen, die zu einer Vertiefung der Zerrüttung führen und diese zu einer unheilbaren machen (RIS-Justiz RS0057338 [T2]).
2. Nach der Rechtsprechung ist eine unheilbare Ehezerrüttung dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört haben, wobei es genügt, dass der Kläger die eheliche Gesinnung verloren hat (RIS-Justiz RS0056832). Während es sich bei der Wertung, ob die wesentlichen Grundlagen für die Fortführung der Ehe bei einem Teil subjektiv zu bestehen aufgehört haben, um Tatsachenfeststellungen aufgrund irrevisibler Beweiswürdigung handelt (RIS-Justiz RS0043423 [T4]), stellt die Frage, ob eine Ehe objektiv unheilbar zerrüttet ist, eine aufgrund der Feststellungen zu entscheidende Rechtsfrage dar (RIS-Justiz RS0043423 [T6]).
3. Entscheidend für die Beurteilung des vom Kläger in erster Linie gestellten Begehrens auf Scheidung der Ehe auf der Grundlage des § 49 EheG ist, ob ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten zu einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe geführt hat.
4. Auszugehen ist davon, dass es zwischen den Streitparteien mit der Zurücknahme der am eingebrachten Scheidungsklage durch den Kläger am zu einer Versöhnung gekommen ist; diese ist als Verzeihung iSd § 56 EheG zu werten. Zuvor gelegene Eheverfehlungen der Beklagten können nach der herrschenden Rechtsprechung nur mehr zur Unterstützung eines auf nicht verziehene Verfehlungen gestützten Scheidungsbegehrens herangezogen werden (7 Ob 720/83; RIS Justiz RS0057143 [T2]).
5. Nach der Zurücknahme der ersten Ehescheidungsklage stellt sich das „zerrüttungsbezogene“ Bild der Ehe in den Feststellungen folgendermaßen dar:
Die Beklagte hat viel an sich gearbeitet; seit den Familienaufstellungen schreit sie weniger.
Fortschritte im Sinne einer Verbesserung der ehelichen Beziehung gab es nicht; das Verhältnis der Beklagten zu den Kindern des Klägers wurde immer schlechter, dies offenbar auch im Zusammenhang mit Haushaltsregeln, hinter denen sowohl die Beklagte als auch der Kläger standen; diese Regeln sind aber seit mehr als drei Jahren de facto abgeschafft.
Die Kommunikation zwischen den Eheleuten ist sehr schlecht; oft wird tagelang nicht miteinander gesprochen. Immer wieder kommt es zu lautstarken Streitigkeiten, bei denen der Kläger von der Beklagten auch beschimpft wurde.
Obwohl das Zimmer von Tobias frei geworden ist, schlafen die Eheleute nach wie vor im gemeinsamen Schlafzimmer (nach Einbringung der Klage am gab es zumindest einmal einen Geschlechtsverkehr); der Kläger macht der Beklagten nach wie vor (Geburtstags-)Geschenke; es werden gemeinsame Reisen zu Hundetrainings bzw -lehrgängen unternommen.
6. Allerdings können diese auf die Zeit nach der Versöhnung bezogenen Feststellungen nicht isoliert betrachtet werden, sondern müssen in einem Zusammenhang mit den die Zeit davor betreffenden Feststellungen gesehen werden.
6.1. Das „Schreien“ und das „Nichtsprechen“ durch längere Zeiten sind demnach übertriebene Reaktionen der Beklagten auf jegliche Art von Kritik. Das Verhältnis zu den Kindern des Klägers war vor der Versöhnung gleichgültig bis aggressionsbeladen; nach den Feststellungen wurde dieses Verhältnis nach der Versöhnung „immer schlimmer“.
6.2. Im Licht der gesamten Feststellungen kann die Annahme des Berufungsgerichts, es lägen auf Seiten der Beklagten nur „Streitereien, Reibereien, gegenseitige Kränkungen und Pflichtversäumnisse geringen Grades, wie sie in vielen Ehen vorkommen,“ vor, nicht geteilt werden. Auch unter Einbeziehung des ambivalenten Verhaltens des Klägers muss der Beklagten auch für die Zeit nach der Versöhnung ein ausreichendes Bemühen um die erforderliche Sensibilität für die familiäre Situation des Klägers abgesprochen werden. Auch die von ihr ausgeübten Sanktionierungsmechanismen (Schreien, länger dauerndes Nichtsprechen) sind in einer intakten Ehe unüblich und nicht zu rechtfertigen. Anders als das Berufungsgericht meint, sind diese Verhaltensweisen mögen sie jeweils für sich allein nicht als schwere Eheverfehlung anzusehen sein in der Gesamtsicht als schwerwiegende Ursache für eine Zerrüttung der Ehe zu bewerten (RIS-Justiz RS0056009). In der Entscheidung 7 Ob 718/88 wurde ausgesprochen, dass beharrliches Schweigen durch mehrere Tage schon für sich allein eine schwere Eheverfehlung sein kann, ebenso anderes kränkendes Verhalten, das vom fehlenden Bemühen geprägt ist, das Zusammenleben für den Partner erträglich zu machen.
6.3. Ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen Eheverfehlung und Ehezerrüttung ist nicht zwingend. Es ist durchaus möglich, trotz einer Eheverfehlung des Partners die Ehe aufrecht zu erhalten und erst später eine Scheidungsklage einzureichen ( Aichhorn in Gitschthaler/Höllwerth , § 49 EheG Rz 11; vgl auch Aichhorn , § 56 EheG Rz 4).
7. Aus den Feststellungen ist auch abzuleiten, dass das beschriebene schuldhafte Verhalten der Beklagten objektiv zu einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe beigetragen hat. Nach der Versöhnung im Jahr 2005 hat sich das Verhalten der Beklagten zwar partiell verbessert, indem sie sich beim Schreien zurückgenommen hat; insgesamt hat sich das Gesamtverhalten, vor allem in Bezug auf ihre auf Kritik folgenden „Sanktionsmechanismen“ nicht wesentlich verändert. Dieses Verhalten ist geeignet, für den anderen Ehepartner die Fortsetzung der Ehe unerträglich zu machen. Diese Wirkung ist auch tatsächlich eingetreten und kann zeitlich jedenfalls für den Zeitpunkt der Klagseinbringung angenommen werden. Wie schon unter 6.3. dargestellt, schadet es innerhalb der Grenzen der Verzeihung (§ 56 EheG) und der Verfristung (§ 57 EheG) nicht, wenn eine Eheverfehlung des Ehepartners nicht sofort zum Anlass für eine Ehescheidungsklage genommen wird, sondern länger etwa in der Hoffnung auf eine Besserung toleriert wird.
8. Da fortgesetztes ehewidriges Verhalten als Einheit gilt, ist eine Verfristung nicht eingetreten (4 Ob 133/05w). Gerade in den Fällen, in denen der Scheidungsgrund nicht in einem punktuellen Verhalten besteht, sondern sich eine Reihe von an sich nicht so schwerwiegenden Verhaltensweisen in ihrer Gesamtheit zu einem Scheidungsgrund verdichten, läuft die Frist erst von der Kenntnisnahme der letzten in diesem Zusammenhang konkretisierbaren ehewidrigen Handlung des Partners (RIS Justiz RS0057240 [T3]).
9. Der Kläger hat sich nicht mit einem Rechtsmittel gegen die Beurteilung des Erstgerichts gewendet, dass ihn ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft. Im Vergleich zu seinem Verhalten ist das Gewicht des schuldhaften Verhaltens der Beklagten nicht zu vernachlässigen. Insgesamt ist daher die Ehe aus beiderseitigem Verschulden zu scheiden, ohne dass das Verschulden eines Ehepartners überwiegt.
Somit ist das Ersturteil wiederherzustellen.
10. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50, 41 ZPO. Der Kläger ist als im Rechtsmittelverfahren zur Gänze obsiegend anzusehen und hat daher Anspruch auf Ersatz der Kosten der Berufungsbeantwortung und der außerordentlichen Revision.