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OGH vom 25.08.2011, 5Nc14/11w

OGH vom 25.08.2011, 5Nc14/11w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Hurch und den Hofrat Dr. Höllwerth als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Monika M*****, vertreten durch Mag. Britta Schönhart, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Alfred M*****, vertreten durch Cabjolsky Otto Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Aufhebung eines Scheidungsvergleichs, infolge Antrags auf Bestimmung der Zuständigkeit nach § 28 JN den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Zur Verhandlung und Entscheidung über die Klage der Monika M***** gegen Alfred M***** wegen Aufhebung eines im Ehescheidungsverfahren vor dem Bezirksgericht Donaustadt abgeschlossenen Scheidungsfolgenvergleichs wird das Bezirksgericht Wien Donaustadt als örtlich zuständiges Gericht bestimmt.

Text

Begründung:

Sowohl die Klägerin als auch der Beklagte sind österreichische Staatsbürger. Die Ehe der Parteien wurde mit rechtskräftigem Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom zu AZ 1 FAM 37/11s im Einvernehmen nach § 55a EheG geschieden. Der letzte gemeinsame Aufenthalt der beiden Ehegatten vor der Scheidung befand sich laut Angaben der Klägerin in der vorliegenden Klage in ***** Wien, *****.

Anlässlich der Scheidung der Ehe kam es zum Abschluss eines Scheidungsfolgenvergleichs, der in seinen vom Aufhebungsbegehren umfassten Teilen im Wesentlichen wie folgt lautet:

„Die Obsorge für den mj. Karl Phillip, geb. und den mj. Christoph Michael, geb. kommt auch nach der Ehescheidung beiden Elternteilen gemeinsam zu, wobei die Minderjährigen ihren hauptsächlichen Aufenthalt beim Kindesvater, das ist derzeit in ... Thailand haben werden.

Die Kindesmutter verpflichtet sich, für ihren Sohn Karl Philip ... ab einen monatlichen Unterhaltsbetrag in Höhe von 340 EUR jeweils am 1. eines Monats zu Handen des Kindesvaters zu bezahlen.

Die bis zum Eintritt der Wirksamkeit dieser Vereinbarung fällig gewordenen Beträge sind binnen 14 Tagen, die weiteren Beträge am 1. eines Monats im Vorhinein zu bezahlen.

Die Kindesmutter verpflichtet sich, für ihren Sohn Christoph Michael ... ab einen monatlichen Unterhaltsbetrag in Höhe von 296 EUR jeweils am 1. eines Monats zu Handen der Kindesmutter (richtig wohl: des Kindesvaters) zu bezahlen.

Die bis zum Eintritt der Wirksamkeit dieser Vereinbarung fällig gewordenen Beträge sind binnen 14 Tagen, die weiteren Beträge am 1. eines jeden Monats im Vorhinein zu bezahlen.

...

Die Ehefrau verzichtet auf jeglichen Unterhaltsanspruch nach Scheidung der Ehe; dies auch für den Fall geänderter Verhältnisse, unverschuldeter Notlage oder jeder Änderung der Rechtslage.

Allfällig bewusst nicht geprüftes Verschulden an der Zerrüttung der Ehe hat keinerlei Rechtsfolgen.“

Mit der Behauptung, der Beklagte habe die Klägerin bewusst unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zur Unterfertigung dieses Vergleichs veranlasst, überdies sei der Vergleich auch seinem Inhalt nach sittenwidrig, begehrt die Klägerin mit der am beim Bezirksgericht Donaustadt zu 1 C 35/11a eingebrachten Klage die Aufhebung der zitierten Bestimmungen des Scheidungsfolgenvergleichs. In der Klage wird der Wohnsitz des Beklagten mit einer Adresse in Pattaya, Thailand, angegeben.

Sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zur Führung des gegenständlichen Verfahrens sei gegeben. Es handle sich bei der Anfechtung eines Scheidungsvergleichs jedenfalls um eine Streitigkeit aus dem Eheverhältnis iSd § 49 Abs 2 JN. Weil im Vergleich auch andere als Vermögensrechte behandelt würden, sei die örtliche und internationale Zuständigkeit des angerufenen österreichischen Gerichts zufolge § 100 JN iVm § 76 JN jedenfalls gegeben.

Österreich sei auch schlüssig als Erfüllungsort vereinbart worden. Beide Parteien hätten zu Österreich ein Naheverhältnis, auch sei der Vergleich selbst in Österreich abgeschlossen worden.

Für den Fall, dass die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts verneint werde, werde eventualiter beantragt, die Ordination eines Gerichts gemäß § 28 Abs 1 Z 2 JN vorzunehmen. Die Rechtsverfolgung in Thailand sei der Klägerin unzumutbar, weil mit Thailand keinerlei Abkommen hinsichtlich Vollstreckbarkeit bzw Anerkennung von Scheidungsvergleichen bestünden und eine Rechtsverfolgung in Thailand der Klägerin weder möglich noch zumutbar sei. Hingegen habe der Beklagte nach wie vor eine Nahebeziehung zu Österreich (Eltern bzw Geschäftsverbindungen).

Das Erstgericht wies die Klage a limine zurück. Der Beklagte wohne in Thailand und habe nach den Klagsangaben kein Vermögen im Inland. Mangels Anwendbarkeit des § 76 JN richte sich die örtliche Zuständigkeit nach der Bestimmung der §§ 65 ff JN, wonach das angerufene Bezirksgericht Donaustadt nicht zuständig sei. Mit der Frage der inländischen Gerichtsbarkeit befasste sich das Erstgericht in der Begründung der Klagezurückweisung nicht.

Dieser Beschluss erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Danach legte das Bezirksgericht Donaustadt den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den gestellten Ordinationsantrag vor.

Der Ordinationsantrag ist im Ergebnis berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 28 JN hat der Oberste Gerichtshof ein örtlich zuständiges Gericht zu bestimmen, wenn für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts im Sinne dieses Gesetzes oder anderer Rechtsvorschriften nicht gegeben oder nicht zu ermitteln sind und wenn Österreich aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrags zur Ausübung von Gerichtsbarkeit verpflichtet ist (Abs 1 Z 1), oder wenn der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre (Abs 1 Z 2), oder wenn die inländische Gerichtsbarkeit, nicht aber ein örtlich zuständiges Gericht vereinbart wurde (Abs 1 Z 3).

Die Antragstellerin leitet die vom Obersten Gerichtshof als Vorfrage für die Zulässigkeit einer Ordination zu prüfende inländische Gerichtsbarkeit (vgl Matscher in Fasching ² Rz 20 f zu § 28 JN mwN; RIS Justiz RS0046568 [T1]; RS0046454) daraus ab, dass die Vergleichsanfechtung unter § 49 Abs 2 Z 2 JN zu subsumieren sei, es sich also um eine Streitigkeit aus dem Eheverhältnis handle, und, weil auch andere als Vermögensrechte Gegenstand des Vergleichs seien, die Zuständigkeit durch § 100 JN begründet werde.

Dieser Ansicht ist im Ergebnis zuzustimmen. Zunächst ist klarzustellen, dass mit § 27a JN ein Abgehen von der davor vertretenen Indikationentheorie (vgl RIS Justiz RS0112696; RS0117035 ua) erfolgte, sodass dann, wenn die Voraussetzungen für eine örtliche Zuständigkeit vorliegen, für eine bürgerliche Rechtssache inländische Gerichtsbarkeit besteht, ohne dass weitere Voraussetzungen zu prüfen wären ( Klauser/Kodek JN-ZPO MGA 16 E 1 ff zu § 27a JN; Matscher aaO Rz 5 zu § 27a JN) .

Es ist also primär zu untersuchen, ob ein sachlicher und örtlicher Zuständigkeitstatbestand iSd § 27a JN gegeben ist: Während nach älterer Rechtsprechung eine Klage auf Feststellung, ein Unterhaltsvergleich sei nicht rechtsgültig zustande gekommen, keine Streitigkeit über den aus dem Gesetz gebührenden Unterhalt war, umfasst nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs § 49 Abs 2 Z 2 JN alle Rechtsfragen des gesetzlichen Unterhalts (RIS Justiz RS0046467). Deshalb wird entgegen Simotta (in Fasching ² Rz 25 zu § 49 JN) in höchstgerichtlicher Rechtsprechung die Ansicht vertreten, dass auch die Anfechtung eines Unterhaltsvergleichs wegen Irrtums eine Streitigkeit über den gesetzlichen Unterhalt ist (vgl 6 Ob 115/04m; 1 Ob 160/01p jeweils mwN).

Aus dem Wortlaut der Bestimmung des § 49 Abs 2 Z 2 lit b JN ergibt sich, dass unter anderem jene Streitigkeiten vor die familienrechtlichen Abteilungen der Bezirksgerichte gehören, die im Familienrecht wurzeln, also familienrechtlichen Charakter haben (RIS Justiz RS0046387), wobei das Eheverhältnis für den Anspruch selbst bestimmend sein muss (RIS Justiz RS0044093; RS0046499; zum Kindesunterhalt: 6 Ob 165/08w).

Weil Gegenstand des nach dem Begehren der Klägerin aufzuhebenden Scheidungsfolgenvergleichs (auch) nicht rein vermögensrechtliche Streitigkeiten aus dem Eheverhältnis sind, nämlich die Obsorgeregelung, kommt § 100 JN zur Anwendung. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts handelt es sich hiebei um eine Zuständigkeitsnorm, deren Anwendbarkeit nicht zur Voraussetzung hat, dass Streitigkeiten iSd § 76 Abs 1 JN anhängig sein müssten, sondern lediglich auf die dort normierte Zuständigkeit für den vorliegenden Fall kommt der letzte gemeinsame Aufenthalt der Eheleute in Betracht verweist. Damit ist die örtliche Zuständigkeit des Bezirksgerichts des letzten gemeinsamen Aufenthalts der Eheleute und damit auch die inländische Gerichtsbarkeit nach § 27a JN zu bejahen.

Dass das angerufene Gericht seine örtliche Zuständigkeit bereits rechtskräftig verneinte, führt dazu, dass der Oberste Gerichtshof insofern daran gebunden ist, als nunmehr die Notwendigkeit einer Ordination zu prüfen ist (RIS-Justiz RS0046568; 5 Nd 509/87 = EvBl 1988/118 = JBl 1988, 459 [ Böhm ]). Hiefür wird das Bezirksgericht des letzten gemeinsamen Aufenthalts, vor dem überdies der in Frage stehende Scheidungsfolgenvergleich abgeschlossen wurde, vom Obersten Gerichtshof ordiniert. Zwar wurde, wie im gegenständlichen Fall, die Klage zurückgewiesen, sodass für diese rechtskräftig erledigte Sache grundsätzlich ein örtlich zuständiges Gericht nicht mehr bestimmt werden könnte, sondern in einem solchen Fall die klagende Partei nach der über ihren Antrag erfolgten Ordination die Klage neu beim ordinierten Gericht einbringen müsste (RIS-Justiz RS0046568 [T2]). Da hier jedoch anders als in dem eben zitierten Fall (10 Nd 502/98) nicht in Erledigung einer Unzuständigkeitseinrede der beklagten Partei nach Stattgebung derselben, sondern bereits in der Klage (eventualiter) der Ordinationsantrag gestellt worden war, wäre es nach Auffassung des Senats ein unnötiger Formalismus, (auch) in einem solchen Fall vom Kläger die Einbringung einer neuen (sonst aber identen) Klage zu fordern.

Der erkennende Senat ist, was diesen Eventualantrag betrifft, überdies der Ansicht, dass im vorliegenden Fall auch die Voraussetzungen des § 28 Abs 1 Z 2 JN gegeben sind. Die Klägerin ist österreichische Staatsbürgerin und wie von ihr ins Treffen geführt, ist ihr eine Rechtsverfolgung im konkreten Einzelfall in Thailand unzumutbar. Abgesehen davon, dass mit Thailand tatsächlich keine Abkommen über die Vollstreckbarkeit bzw Anerkennung von Scheidungsvergleichen bestehen (vgl Übersichtstabelle anwendbarer Vollstreckungsverträge nach Ländern in alphabetischer Reihenfolge, herausgegeben vom Bundesministerium für Justiz, „Gelbes Buch Online“, abrufbar im Justiz Intranet), ist im konkreten Einzelfall einer Anfechtung eines vor einem österreichischen Gericht abgeschlossenen Scheidungsfolgenvergleichs wegen Willensmängeln ein besonderes Bedürfnis der Klägerin nach Gewährung inländischen Rechtsschutzes zu bejahen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.