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OGH vom 23.02.1999, 1Ob319/98p

OGH vom 23.02.1999, 1Ob319/98p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Vincent O*****, geboren am ***** , und der mj. Esther O*****, geboren am *****, vertreten durch deren Mutter Barbara Schröder-O*****, diese vertreten durch Winkler-Heinzle, Rechtsanwaltspartnerschaft in Bregenz, wegen Gewährung von Unterhaltsvorschüssen infolge ordentlichen Revisionsrekurses der Minderjährigen gegen den Beschluß des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgerichts vom , GZ 1 R 455/98i-14, womit der Beschluß des Bezirksgerichts Bregenz vom , GZ 7 P 637/98z-11, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

I. Sind Unterhaltsvorschüsse an minderjährige Kinder von Selbständigen nach dem österreichischen Bundesgesetz über die Gewährung von Vorschüssen auf den Unterhalt von Kindern (Unterhaltsvorschußgesetz 1985 - UVG BGBl 451 in der geltenden Fassung) Familienleistungen nach Art 4 Abs 1 lit h der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörigen, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom geänderten und aktualisierten und durch die Verordnung (EWG) Nr. 3427/89 des Rates vom geänderten Fassung und gilt daher in einem solchen Fall auch Art 3 der Verordnung über die Gleichbehandlung?

II. Im Falle der Verneinung der zu I. formulierten Frage:

Werden minderjährige Kinder, die wie ihre in der Republik Österreich selbstständig erwerbstätigen Eltern deutsche Staatsangehörige sind, jedoch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Republik Österreich haben und die Gewährung eines Unterhaltsvorschusses nach dem österreichischen Bundesgesetz über die Gewährung von Vorschüssen auf den Unterhalt von Kindern (Unterhaltsvorschußgesetz 1985 - UVG BGBl 451 in der geltenden Fassung) beantragen, entgegen Art 52 EGV bzw Art 6 Abs 1 EGV als Familienangehörige dadurch diskriminiert, daß ihnen die Zuerkennung eines solchen Vorschusses unter Berufung auf deren deutsche Staatsangehörigkeit gemäß § 2 Abs 1 UVG verwehrt wird?

Text

Begründung:

1. Die minderjährigen Antragsteller (Vincent, geboren am , und Esther, geboren am ), entsprossen der mit Beschluß des Bezirksgerichts Bregenz am geschiedenen Ehe deutscher Staatsangehöriger. Sie sind selbst gleichfalls deutsche Staatsangehörige. Deren Eltern haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt seit 1987 in Vorarlberg. Die Mutter betreibt als Selbständige eine Buchhandlung für Kinderbücher. Der Vater ist als selbständiger Handelsvertreter (auch) in Österreich mit dem Vertrieb von „Bauartikeln“ befaßt. Die Kinder lebten immer im Haushalt ihrer Eltern. Nach deren Scheidung übt die Mutter die Kindesobsorge aus. Am verpflichtete sich der Vater in einem gerichtlichen Vergleich, für jedes der beiden Kinder einen Unterhaltsbeitrag von ATS 3.500 monatlich zu bezahlen. Die Kinder haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt - wie ihre Eltern - nach wie vor in Österreich.

2. Am (Einlangen des Schriftsatzes bei Gericht) beantragten die Kinder die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in der Höhe von je ATS 3.500 monatlich „seit dem frühestmöglichen Zeitraum“. Sie brachten vor, sie hätten die zwangsweise Hereinbringung des vollstreckbaren Unterhaltsanspruchs gegen ihren Vater versucht, die Exekution sei jedoch ins Leere gegangen, weil der Unterhaltsschuldner, der seit Februar 1998 nichts mehr zahle, keine Gehaltsforderung habe. Die Regelung des § 2 Abs 1 UVG, die den Unterhaltsvorschußanspruch an die österreichische Staatsbürgerschaft bzw an die Staatenlosigkeit der Antragsteller knüpfe, verletze das Diskriminierungsverbot des Art 6 EGV, gehöre doch zum Anwendungsbereich dieses Vertrags auch die Sozialpolitik. Das österreichische Unterhaltsvorschußgesetz sei eine Maßnahme der Sozialpolitik und müsse daher im bezeichneten Punkt wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts zurücktreten. Minderjährigen, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats seien und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hätten, seien daher Unterhaltsvorschüsse nach dem österreichischen Unterhaltsvorschußgesetz zu gewähren.

3. 1. Das Erstgericht wies die Anträge auf Vorschußgewährung unter Berufung auf § 2 Abs 1 UVG und die deutsche Staatsangehörigkeit der Minderjährigen ab.

3. 2. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu. Es erwog in rechtlicher Hinsicht, die Regelung des § 2 Abs 1 UVG sei ungeachtet des Beitritts Österreichs zur Europäischen Union bisher nicht geändert worden. Für das Unterhaltsvorschußrecht fehle es an Verträgen gemäß Art 220 EGV. Insoweit gebe es aber auch kein sekundäres Gemeinschaftsrecht. Unterhaltsvorschüsse seien keine Familienleistungen im Sinne der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 und auch keine soziale Vergünstigung entsprechend Art 7 Abs 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 je zu Art 51 EGV. Insofern eine Diskriminierung bei Fahrpreisermäßigungen für kinderreiche Familien, bei Darlehen wegen Familiengründung und Geburt, beim Gebrauch einer nationalen Minderheitensprache vor Gericht, bei der Zuweisung von Sozialwohnungen und bei der Gewährung von Mutterschafts- und Geburtenbeihilfen unzulässig sei, handle es sich um andere Sachgebiete. Das Diskriminierungsverbot gemäß Art 6 EGV, das auch in den Art 48, 51 und 52 EGV „eine besondere Ausprägung“ erfahren habe, erstrecke sich nur auf den Anwendungsbereich des Vertrags. Mangle es in einem Sachgebiet - wie hier - an Gemeinschaftsrecht und sei das inländische Sachrecht auch nicht Gegenstand einer gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung, so sei das vertragliche Diskriminierungsverbot unanwendbar. Deshalb sei die Beschränkung von Unterhaltsvorschüssen auf österreichische Staatsbürger und Staatenlose auch keine Verletzung des erörterten Diskriminierungsverbots. Mangels anwendbaren Gemeinschaftsrechts zur Lösung der entscheidungswesentlichen Rechtsfrage bedürfe es auch nicht der Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art 177 EGV.

Rechtliche Beurteilung

4. Der erkennende Senat des Obersten Gerichtshofs hält eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften dagegen aus folgenden Erwägungen für erforderlich:

4. 1. Entsprechend den Motiven des historischen österreichischen Gesetzgebers nimmt sich der Staat mit dem Unterhaltsvorschußgesetz „seiner Jugend“ an; der Gesetzesentwurf sei ein „entscheidender Schritt zur Sicherung des Unterhalts minderjähriger Kinder“. In den Gesetzesmaterialien wird das Los von Müttern beklagt, „die, weil sie von ihren Männern geschieden sind, diese sie verlassen haben oder es sich um Mütter von unehelichen Kindern handelt, von denen die Väter nicht viel wissen wollen, allein mit ihren minderjährigen Kindern dastehen“ und denen „neben der schweren Bürde, ihre Kinder aufzuziehen“, auch noch „die Schwierigkeit aufgelastet ist, den Unterhalt für ihre Kinder vom Vater hereinzubringen“. Gleiches gilt heute allerdings mit umgekehrten Vorzeichen auch - und gar nicht so selten - für Väter, die von ihren Ehefrauen infolge Aufnahme von neuen Beziehungen mit den Kindern „sitzengelassen“ werden. Solche Mütter wollen von Unterhaltszahlungen an die Kinder aus gescheiterten Beziehungen gewöhnlich genausowenig - wie Väter im umgekehrten Fall - wissen. Deshalb soll der Staat anstelle säumiger Unterhaltspflichtiger einspringen, Unterhaltsbeträge vorschußweise auszahlen und die Unterhaltspflichtigen zum Rückersatz verhalten.

Als verfassungsrechtliche Grundlage für die Erlassung des Unterhaltsvorschußgesetzes nahm der Bund den Kompetenztatbestand „Zivilrechtswesen“ nach Art 10 Abs 1 Z 6 des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) in Anspruch. Ausschlaggebend dafür war die „allgemeine Fürsorgepflicht“ der Gerichte für die - wie im Falle von Minderjährigen - „unter dem besonderen Schutz der Gesetze stehenden Personen“, sodaß sich die Gewährung von Vorschüssen auf den gesetzlichen Unterhalt systemgerecht „zwischen die Unterhaltsbestimmung und die Unterhaltshereintreibung“ einschalten lasse. Die Mittel für die Vorschußleistung werden dem Familienlastenausgleichsfonds entnommen, „weil die Maßnahmen des Familienlastenausgleichs in der Regel allgemeine, das heißt grundsätzlich jedem Kind zustehende Beihilfen“ darstellten, „deren Ausmaß nicht auf die Bedürfnisse im Einzelfall abgestellt“ sei; diese Leistungen würden allerdings - so die Gesetzesmaterialien weiter - im Gegensatz zu den Vorschüssen endgültig gewährt. Bei der Gewährung von Unterhaltsvorschüssen handle es sich auch nicht um Fürsorgemaßnahmen: Denn es sei ein Unterhaltspflichtiger vorhanden, gegen den ein Unterhaltstitel bestehe oder zumindest geschaffen werden solle; „soziale Hilfsbedürftigkeit“ sei keine Voraussetzung der Vorschußgewährung. In Fällen von Fürsorgemaßnahmen bestehe dagegen „ganz allgemein eine Notlage“, „in der die Gesellschaft helfend eingreifen“ müsse, möge auch „nachträglich versucht werden“, „die Sozialhilfeleistungen“ von den Unterhaltspflichtigen hereinzubringen. Vorschüsse bezweckten die vollständige und rechtzeitige Befriedigung des Unterhaltsanspruchs (Regierungsvorlage 5 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, XIV. Gesetzesperiode, Seite 5 ff; siehe ferner Justizausschußbericht, 199 BlgNR 14. GP 1 ff; zur Kompetenzfrage etwa auch Hopf, Unterhaltsvorschüsse - ein neuer Weg der Unterhaltssicherung, NZ 1976, 22 [24 f] und Neumayr in Schwimann, ABGB2 I Rz 7 zu § 1 UVG).

Die Beschränkung von Unterhaltsvorschüssen auf österreichische Staatsbürger bzw auf Staatenlose mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland hielt der Gesetzgeber seinerzeit deshalb für erforderlich, weil dem Unterhaltsberechtigten “vielfach nicht unbeträchtliche Beträge über einen längeren Zeitraum“ zuflössen und der Gesamtaufwand „nicht uferlos“ sein dürfe (RV 5 BlgNR 14. GP 10). Es sei auch, wie im Schrifttum ausgeführt wurde, „ganz allgemein Verständnis dafür zu fordern, daß bei einem so neuartigen Weg, wie ihn das UVG“ beschreite, „zunächst eine Hilfe nur innerhalb einer kleinen Bandbreite gewährt“ werde (Ent, Das Unterhaltsvorschußgesetz, ÖJZ 1977, 505 [507]).

Nach dem gesetzlichen Regelungskonzept fußt also die Vorschußgewährung als Sozialleistung auf einem materiellrechtlichen Unterhaltsanspruch nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts gegen den jeweils Unterhaltspflichtigen, gleichviel, ob schon ein Exekutionstitel vorliegt oder ein solcher aus bestimmten Gründen (noch) nicht besteht. Die Anspruchsberechtigten haben bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen - unabhängig von einer allfälligen tatsächlichen Notlage - einen Rechtsanspruch auf Vorschußgewährung in bestimmter Höhe. Vorschüsse, die dem Elternteil ausbezahlt werden, in dessen Haushalt das anspruchsberechtigte Kind betreut wird, haben aber, wie aus den eingangs dargestellten Motiven des Gesetzgebers folgt, auch den Zweck, Familienlasten auszugleichen, die - mangels Gewährung von Vorschüssen - allein dem betreuenden Elternteil aufgebürdet wären. Durch Vorschüsse gelinderte Existenzsorgen sollen jedoch offenkundig auch sicherstellen, daß sich der betreuende Elternteil wegen des verringerten Drucks der Beschaffung der zur Finanzierung des Unterhalts erforderlichen Geldmittel auch mehr der Erziehung seines minderjährigen Kindes widmen kann.

Die §§ 26 ff UVG enthalten die näheren Regelungen über die Rückzahlung von Vorschüssen. Eine solche Rückzahlungspflicht kann gemäß § 26 UVG auch vorschußberechtigte Kinder treffen. Der Übergang bevorschußter Unterhaltsforderungen auf den Bund ist in § 30 UVG näher geregelt. Der Bund besorgt gemäß § 31 UVG ferner die zwangsweise Hereinbringung bevorschußter Unterhaltsforderung gegen den Unterhaltsschuldner.

4. 2. § 2 Abs 1 UVG lautet in seinem hier bedeutsamen Abschnitt:

„Anspruch auf Vorschüsse haben minderjährige Kinder, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und entweder österreichische Staatsbürger oder staatenlos sind. ... .“

Danach hätten minderjährige Kinder als Staatsangehörige eines anderen EU-Mitgliedstaates trotz gewöhnlichen Aufenthalts in Österreich keinen Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse. Das wird im österreichischen Schrifttum ohne nähere Analyse gebilligt (Neumayr in Schwimann, ABGB2 I Rz 11 zu § 1 und Rz 8 zu § 2 UVG;Haselberger, Unterhaltsvorschußgesetz [1996] Anm 1 zu § 12). Dieses Ergebnis vermag jedoch, wie den nachstehenden Erörterungen zu entnehmen sein wird, Zweifel an seiner Richtigkeit nicht auszuräumen.

4. 3. Gemeinschaftsrecht hat Vorrang vor entgegenstehenden Gesetzen der Mitgliedstaaten (Oberster Gerichtshof [OGH] 1 Ob 560/95 = WBl 1996, 284 = GesRZ 1996, 184 = ZfRV 1996, 202 = ecolex 1996, 669 [Zeiler]; Hintersteininger, Zur Interpretation des Gemeinschaftsrechts, ZÖR 1998, 239 [245 f] mwN).

Gemäß Art 4 Abs 1 lit h der Verordnung (EWG) 1408/71 in der geltenden Fassung erstreckt sich deren sachlicher Geltungsbereich auch auf alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die Familienleistungen betreffen. Solche sind nach Art 1 lit u) i) dieser Verordnung alle Sach- und Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten bestimmt sind, ausgenommen die in Anhang II besonders angeführten Geburts- oder Adoptionsbeihilfen. Der persönliche Geltungsbereich der Verordnung schließt auch Selbständige und deren Familienangehörige ein. Zufolge deren Art 4 Abs 4 fällt jedoch unter anderem „die Sozialhilfe“ nicht in ihren sachlichen Geltungsbereich.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) hängt die Unterscheidung zwischen Leistungen, die vom Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 umfaßt, und solchen, die von ihm ausgeklammert werden, von den grundlegenden Merkmalen der jeweiligen Leistung ab, insbesondere von deren Zweck und den Voraussetzungen ihrer Gewährung. Nicht maßgeblich ist dagegen, ob eine bestimmte Leistung von den nationalen Rechtsvorschriften als solche der sozialen Sicherheit eingestuft wird. Der Gerichtshof qualifiziert als Leistungen der sozialen Sicherheit diejenigen, die dem Empfänger unabhängig von jeder auf Ermessensübung beruhenden Einzelfallbeurteilung persönlicher Bedürftigkeit allein aufgrund einer gesetzlich umschriebenen Stellung zu gewähren sind und sich auf eines der in Art 4 Abs 1 der Verordnung ausdrücklich genannten Risiken beziehen. In diesem Rahmen definiert der Gerichtshof Familienleistungen im Sinne des Art 4 Abs 1 lit h der Verordnung weiters als solche, die Familienlasten ausgleichen sollen, wodurch es etwa - wie im Falle des Erziehungsgelds nach deutschen Rechtsvorschriften - einem Elternteil ermöglicht werden soll, sich in der ersten Lebensphase eines Kindes dessen Erziehung zu widmen (, C-312/94 - Hoever und Zachow/Land Nordrhein-Westfalen - Slg 1996 I-4895 = EuZW 1996, 730). An diesen Grundsätzen hielt der Gerichtshof (gleichfalls) am Beispiel des Erziehungsgelds nach deutschen Rechtsvorschriften später ausdrücklich fest ( - Mar a Mart nez Sala/Freistaat Bayern - Slg 1998 I-2691).

Daß diese Rechtssätze zur Abgrenzung von Leistungen der sozialen Sicherheit von jenen der Sozialhilfe, auf die die Verordnung Nr. 1408/71 nicht anwendbar ist, in Grenzfällen nicht befriedigen, immer wieder Zweifelsfragen aufwerfen und die Zuordnung einer bestimmten Leistung jeweils nur im Einzelfall gelingen kann, belegt die Analyse von Borchardt (in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts D. II Rz 74 ff). Unterhaltsvorschüsse generell als solche Leistungen zu beurteilen, die zwar nicht in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fallen, aber immerhin soziale Vergünstigungen nach Art 7 Abs 2 der Verordnung (EWG) 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft darstellen könnten (so Willms in von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EU-/EG-Vertrag5 RZ 63 zu Art 51), muß daher fraglich bleiben. Das gilt umsomehr deshalb, weil der Europäische Gerichtshof anerkennt, daß Leistungen der sozialen Sicherheit nach der Verordnung Nr. 1408/71 gleichzeitig auch soziale Vergünstigungen im Sinne der Verordnung 1612/68 sein können ( - Mar a Mart nez Sala/gegen Freistaat Bayern - Slg 1998 I-2691). Die Mitgliedstaaten sollen zwar in Erklärungen, die notifiziert und veröffentlicht werden, diejenigen Rechtsvorschriften und Systeme anführen, die in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fallen; aus der Nichtaufnahme einer Rechtsvorschrift oder eines Systems in eine solche Erklärung ist aber nicht auf deren bzw dessen Ausschluß aus dem sachlichen Geltungsbereich dieser Verordnung zu schließen (Borchardt aaO D. II Rz 74 [mN aus der Rsp des EuGH]).

Unter Berücksichtigung der Voraussetzungen und des Zwecks von Unterhaltsvorschüssen, wie sie in 4. 1. dargestellt sind, könnte der Europäische Gerichtshof zum Ergebnis gelangen, solche Vorschüsse seien als Leistungen der sozialen Sicherheit zu qualifizieren, die in ihrer Ausprägung als Familienleistungen in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fallen. Einer solchen Schlußfolgerung ließe sich allerdings die Rechtsprechung des Gerichtshofs entgegengehalten, daß eine soziale Leistung, die den Lebensunterhalt sicherstellen soll, wohl eine soziale Vergünstigung nach Art 7 Abs 2 der Verordnung 1612/68 ist, aber nicht unter einen der in Art 4 Abs 1 der Verordnung Nr. 1408/71 aufgezählten Zweige der sozialen Sicherheit einzuordnen und demgemäß auch keine Leistung der sozialen Sicherheit im Sinne der letzteren Verordnung ist ( - Hoeckx/Openbaar Centrum voor Maatschappelijk Welzijn Kalmthout - Slg 1985, 973).

Der Zweck der Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach der österreichischen Rechtsordnung erschöpft sich jedoch nicht in der Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts minderjähriger Kinder, weil solche Leistungen (jedenfalls mittelbar) auch dem Ausgleich von Familienlasten dienen, die sonst (zumindest vorläufig) allein der betreuende Elternteil zu tragen hätte. Nicht zuletzt deshalb werden die Unterhaltsvorschüsse aus Mitteln des Familienlastenausgleichsfonds finanziert. Auch das öffentliche Interesse daran, daß sich der betreuende Elternteil bei Gewährung von Unterhaltsvorschüssen mehr um die Erziehung minderjähriger Kinder kümmern kann, könnte als wesentliches Merkmal für deren Einordnung als Familienleistungen angesehen werden. Es kann daher auch eine gemeinschaftsrechtliche Lösung dahin, daß Unterhaltsvorschüsse nach österreichischem Recht sowohl als Familienleistungen im Sinne des Art 4 Abs 1 lit h der Verordnung Nr. 1408/71 als auch als soziale Vergünstigungen nach Art 7 Abs 2 der Verordnung 1612/68 einzustufen seien, nicht ausgeschlossen werden. Das gilt umso mehr, als die Unterhaltsvorschüsse aus den schon dargestellten Erwägungen in den Gesetzesmaterialien (RV aaO 8), wäre doch sonst die gesetzliche Regelung der Vorschüsse und deren Vollziehung im Bereich des Bundes verfassungsrechtlich bedenklich, gerade nicht der „Sozialhilfe“ zuzurechnen sind, zumal die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen weder an das sonst für soziale Leistungen maßgebliche Kriterium der persönlichen Bedürftigkeit anknüpft, noch von der Ermessensübung bei der Beurteilung des einzelnen Falles abhängig ist. Diese Erwägungen lassen darauf schließen, daß die Frage, ob die Verordnung Nr. 1408/71 auf Unterhaltsvorschüsse nach österreichischem Recht anzuwenden ist, jedenfalls mit Zweifeln belastet ist, die im Vorabentscheidungsverfahren zu klären sind (Näheres bei 5. ): Keinesfalls liegt es danach auf der Hand, daß solche Sozialleistungen nicht in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung fallen. Wäre die Verordnung aber auf österreichische Unterhaltsvorschüsse anwendbar, wäre auch deren Art 3 Abs 1 über die Gleichbehandlung der Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten zu beachten.

Die Klärung der rechtlichen Einordnung der Unterhaltsvorschüsse nach österreichischem Recht im Gemeinschaftsrecht ist im Ausgangsverfahren besonders deshalb von Bedeutung, weil sich die Verordnung (EWG) 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft gemäß deren Art 1 Abs 1 nur auf Tätigkeiten „im Lohn- oder Gehaltsverhältnis im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften“ bezieht. Der Arbeitnehmerbegriff ist zwar weit auszulegen, dennoch ist aber nur derjenige Arbeitnehmer, der „während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält“ (jüngst wiederholt in - Mar a Mart nez Sala/Freistaat Bayern - Slg 1998 I-2691; siehe ferner Hailbronner in Hailbronner/Klein/ Magiera/Müller-Graff, Handkommentar zum Vertrag über die Europäische Union Rz 1 zu Art 48; ders, Die soziale Dimension der EG-Freizügigkeit - Gleichbehandlung und Territorialitätsprinzip, EuZW 1991, 171 [ausführlich zur Entwicklung des Arbeitnehmerbegriffs in der Rechtsprechung des EuGH]). Demzufolge sind für die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmern und Selbständigen „Kriterien der Fremdbestimmtheit der Arbeit und des unternehmerischen Risikos“ maßgeblich (Hailbronner aaO Rz 2 zu Art 48). Die Arbeitnehmereigenschaft ist für die Inanspruchnahme sozialer und steuerlicher Vergünstigungen im Sinne des Art 7 Abs 2 der Verordnung 1612/68 unverzichtbar (R. Erhard in Lenz, EG-Vertrag - Kommentar zu dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften Rz 21 zu Art 48); auch die den Familienangehörigen von Arbeitnehmern im Geltungsbereich der Verordnung gewährten sozialen Vergünstigungen setzen einen sachlichen Zusammenhang mit der Arbeitnehmereigenschaft voraus (R. Erhard aaO Rz 26 zu Art 48; Hailbronner aaO Rz 43 zu Art 48; ders, EuZW 1991, 172 f).

Die Antragsteller berufen sich zur Anwendbarkeit der Verordnung 1612/68 auf ihren Anlaßfall auf die bei Krück (Die Entwicklung der Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts in der Rechtsprechung des Gerichtshofes: Vorstufe einer Unionsbürgerschaft, in Europa der Bürger [1994] 133 [144]) wiedergegebene Definition sozialer Vergünstigungen in der Rechtsprechung des EuGH (31. Mai 19979 Rs 207/78 - Ministre public/Even und ONPTS - Slg 1979, 2019 [2034]; jüngst wiederholt etwa in der Entscheidung vom C-85/96 – Mar a Mart nez Sala/Freistaat Bayern - Slg 1998 I-2691): Soweit der Gerichtshof alle Vergünstigungen einbezieht, „die - ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht - den inländischen Arbeitnehmern im allgemeinen hauptsächlich wegen deren objektiven Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnsitzes im Inland gewährt werden und deren Ausdehnung auf die Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines anderer Mitgliedstaats sind, deshalb als geeignet erscheint, deren Mobilität innerhalb der Gemeinschaft zu fördern“, wird dieser Rechtssatz von den Antragstellern offenkundig mißverstanden. Nach Ansicht des erkennenden Senats soll er nicht etwa die Loslösung sozialer Vergünstigungen im Sinne der Verordnung von der Arbeitnehmereigenschaft zum Ausdruck bringen, sondern er stellt vielmehr klar, daß die Gewährung solcher Vergünstigungen die Anknüpfung an einen (bestimmten) Arbeitsvertrag nicht voraussetzt. Die Eltern der Antragsteller sind aber nicht Arbeitnehmer, sondern Selbständige. Demnach kommt eine Erstreckung sozialer Vergünstigungen, die die Verordnung 1612/68 bloß Arbeitnehmern und deren Familienangehörigen gewährt, auf die Antragsteller als Kinder von Selbständigen nicht in Betracht.

4. 4. Die Republik Österreich und die Bundesrepublik Deutschland sind Mitglieder der Europäischen Union. Belanglos ist daher, daß Art 4 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), dessen Mitglied Österreich seit dem ist, ein dem Art 6 Abs 1 EGV gleichlautendes Diskriminierungsverbot anordnete, weil diese Regelung jedenfalls im Verhältnis zwischen Österreich und den Mitgliedstaaten der Europäischen Union seit dem überholt ist (OGH 1 Ob 560/95; OGH 4 Ob 140/94 = WBl 1995, 191 = EvBl 1995/94).

Auf den Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor entgegenstehenden Gesetzen der Mitgliedstaaten wurde bereits in 4. 3. hingewiesen. Art 52 EGV ist eine besondere Ausprägung des Art 6 EGV (R. Erhard aaO Rz 5; Troberg in von der Groeben/Thiesing/Ehlermann aaO Rz 36 zu Art 52 [je mN aus der Rsp des EuGH]), er geht dem allgemeinen Diskriminierungsverbot als lex specialis vor und gehört zu den grundlegenden Rechtsvorschriften der Gemeinschaft (Hailbronner in Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff aaO Rz 2 und 5 zu Art 52). Niederlassung im Sinne des Art 52 EGV bedeutet die Eingliederung in das Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union durch Aufnahme und Ausübung einer dauerhaften selbständigen Erwerbstätigkeit im Gastland (Hailbronner aaO Rz 3 und 4 zu Art 52).

Mit Art 52 EGV unvereinbar sind nicht nur an die Staatsangehörigkeit anknüpfende gesetzliche Diskriminierungen, die sich direkt auf die Ausübung einer Tätigkeit als Selbständiger auswirken, sondern auch solche Regelungen, die von der Niederlassung im betreffenden Mitgliedstaat abschrecken könnten, wie etwa Ungleichbehandlungen im Regelungsbereich von Sozialleistungen (R. Erhard aaO Rz 5; Hailbronner aaO Rz 7 zu Art 52; Troberg aaO Rz 38 zu Art 52 [je mN aus der Rsp des EuGH]). Gegenseitigkeitserfordernisse sind dabei nicht beachtlich (R. Erhard aaO Rz 4; Troberg aaO Rz 38 zu Art 52 [je mN aus der Rsp des EuGH]). Insofern wäre also im Ausgangsfall für den Anspruch des mj. Vincent, geboren am *****, nicht von Bedeutung, daß Vorschüsse gemäß § 1 Abs 1 Z 1 des deutschen Unterhaltsvorschußgesetzes - anders als nach dem österreichischen Parallelgesetz - nur Personen gewährt werden können, die das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Gemäß § 1 Abs 2a des deutschen Gesetzes haben allerdings, was hier angemerkt sei, auch Ausländer Leistungsansprüche, wobei es jedoch unter Bezugnahme auf das allgemeine Diskriminierungsverbot gemäß Art 6 Abs 1 EGV als essentiell angesehen wird, daß solche Ansprüche Angehörigen eines Mitgliedstaats der Europäischen Union rückwirkend ab dem Beginn ihres Aufenthaltsrechts zustehen (Knittel, Das neue Kindesunterhaltsrecht, in Der Amtsvormund 1998, 178 [192]).

Der Ausschluß minderjähriger Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, von Unterhaltsvorschüssen kann den betreuenden Elternteil als Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union davon abzuhalten, sich in Österreich niederzulassen, um nicht jenes Ausgleichs familiärer Lasten verlustig zu gehen, der sich aus Unterhaltsvorschüssen nach der Rechtsordnung seines Heimatstaats finanzieren läßt. Das spielt im Ausgangsfall besonders deshalb eine Rolle, weil ein Minderjähriger nach dem deutschen Unterhaltsvorschußgesetz einen Leistungsanspruch zwar nur bis zum vollendeten zwölften Lebensjahr hat (§ 1 Abs 1 Z 1), aber nur dann, wenn er „im Geltungsgebiet dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten dauernd getrennt lebt“ (§ 1 Abs 1 Z 2). Die minderjährige Esther, geboren am *****, könnte daher in ihrem Heimatstaat keinen Unterhaltsvorschuß erlangen, weil sie nicht im Geltungsbereich des deutschen Gesetzes lebt, dagegen hat sie im Aufenthaltsstaat Österreich keinen Anspruch, weil sie nicht dessen Staatsbürgerin ist.

4. 5. Gemäß Art 6 Abs 1 EGV ist unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrags in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Diese Bestimmung trat ohne inhaltliche Änderungen an die Stelle des Art 7 des EWG-Vertrags (EWGV). Die Mitgliedstaaten dürfen selbst in den ausschließlich ihrer Kompetenz zuzurechnenden Sachgebieten keine Maßnahmen erlassen (bzw aufrechterhalten), die geeignet wären, die vom EGV vorgesehenen Freiheiten in irgendeiner Weise zu beschränken. Maßgeblich für den „Anwendungsbereich des EGV“ sind die Rechtswirkungen der einzelnen Bestimmungen des Vertrags und der darauf gegründeten Rechtsakte der Unionsorgane (siehe dazu OGH 1 Ob 560/95 mN).

Wie der erkennende Senat in der Entscheidung OGH 1 Ob 560/95 darlegte, sprach der (Rs 251/83 - Haug-Adrion/Frankfurter Versicherungs-AG - Slg 1984, 4277) aus, das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art 7 EWGV und die das Verbot konkretisierenden Art 48, 59 und 65 des Vertrags hätten die Beseitigung aller Maßnahmen zum Ziel, die auf dem Gebiet der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der Dienstleistungsfreiheit Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaates strenger behandeln oder sie gegenüber eigenen Staatsangehörigen, die sich in derselben Lage befinden, rechtlich oder tatsächlich benachteiligen. Demgemäß sei Art 7 EWGV erst in anderen Rechtsvorschriften zu konkretisieren. Seine Anwendung hänge davon ab, daß Freiheiten betroffen sind. Dieser notwendige Kennex zwischen Art 7 EWGV und einer Freiheit - dem Grundrecht auf freie Berufsausübung - wurde etwa auch im - Procurator Fiscal/Marshall - Slg 1990 I-4071) hergestellt. Im (Rs 186/87 - Cowan/Tresor public - NJW 1989, 2183 [Hackspiel, Opferentschädigung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, NJW 1989, 2166], wurde die Verweigerung der Zahlung einer Opferentschädigung an einen in Frankreich von einer Gewalttat betroffenen britischen Touristen als Diskriminierung im Sinne des Art 7 EWGV beurteilt, obgleich es sich beim Opferentschädigungsrecht an sich um keine in den Anwendungsbereich des EWGV fallende Materie handelte. Der EuGH erblickte jedoch im erforderlichen Schutz der Integrität der Person, die für eigene Staatsangehörige und Angehörige anderer Mitgliedstaaten gleichermaßen sichergestellt werden müsse, eine besonders enge Verknüpfung des Opferentschädigungsrechts mit der vertraglich gewährleisteten Freizügigkeit.

Das Diskriminierungsverbot ist also „Leitmotiv“ des Vertrags, das sich in verschiedenen Konkretisierungen durch den Gesamtvertrag zieht und Interpretationsmaxime aller weiteren Bestimmungen ist, bilden doch nationale Präferenzen für die eigenen Staatsangehörigen das als erstes zu überwindende Hindernis bei der Verwirklichung der Ziele des Vertrags. Ihre Überwindung ist nicht nur Voraussetzung für einen funktionierenden Binnenmarkt, sondern weitgehend die Grundlage für die Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker. Nur bei einer weitreichenden Überwindung des Fremdenstatus wird diese Union möglich, sodaß alle weiteren Integrationsschritte auf der Überwindung der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit aufbauen (OGH 1 Ob 560/95 mN; von Bogdandy in Grabitz/Hilf, Kommentar zur Europäischen Union Art 6 EGV Rz 1 mwN).

Wie schon den bisherigen Erörterungen zu entnehmen ist, geht der Anwendungsbereich des Art 6 EGV über die speziellen Diskriminierungsverbote hinaus, die Bestimmung qualifiziert sich als Grundsatznorm, der der Charakter eines Grundrechts zukommt (OGH 1 Ob 560/95; von Bogdandy aaO Art 6 EGV Rz 2 mwN). Den Zweck des Diskriminierungsverbots erblickt der EuGH ua darin, aus Rechtsvorschriften eines einzelnen Mitgliedstaats herrührende Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu beseitigen. Deshalb liegt eine Diskriminierung stets auch dann vor, wenn der Betroffene von bestimmten Leistungen ganz ausgeschlossen wird (OGH 1 Ob 560/95; von Bogdandy aaO Art 6 EGV Rz 10 mwN).

Demzufolge könnte das Recht auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach der östereichischen Rechtsordnung, auch wenn es nicht dem Anwendungsbereich der im EWRA und nunmehr im EGV verankerten Freiheiten - also hier besonders der Niederlassungsfreiheit (Art 52 EGV) - zu unterstellen wäre, dennoch in den weiten Schutzbereich des Art 6 Abs 1 EGV fallen, der auch auf Materien anzuwenden ist, die bloß „Berührungspunkte mit irgendwelchen Sachverhalten aufweisen, auf die das Gemeinschaftsrecht abstellt“. Dabei kann eine Norm des Gemeinschaftsrechts in ein Sachgebiet auch nur punktuell eindringen und insofern dennoch das Diskriminierungsverbot auslösen (OGH 1 Ob 560/95 mN).

4. 6. Aus allen diesen Erwägungen sah sich der erkennende Senat daher zur Formulierung der Hauptfrage zu I. und der Eventualfrage zu II. veranlaßt.

5. Nach Art 177 Abs 1 lit a EGV entscheidet der EuGH im Wege der Vorabentscheidung unter anderem über die Auslegung dieses Vertrags. Nur dann, wenn eine solche Frage bereits Gegenstand einer (Vorab-)Entscheidung des EuGH war oder die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, daß die Beantwortung der Frage gar nicht zweifelhaft sein kann, wäre das nationale Gericht einer Vorlagepflicht enthoben (OGH 1 Ob 560/95 mwN; OGH 1 Ob 39/95 = JBl 1996, 35 = AnwBl 1995, 778 [Graff]= EuGRZ 1995, 570 = ecolex 1995, 886 [Graff]). Davon kann aber nach der Überzeugung des erkennenden Senats bei den hier vorgelegten Fragen keine Rede sein.

5.1. Gemäß Art 177 Abs 3 EG-Vertrag ist das Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, zur Anrufung des EuGH verpflichtet, wenn sich - wie hier - eine Frage nach Abs 1 in einem schwebenden Verfahren als Vorfrage seiner Entscheidung stellt. Da der Oberste Gerichtshof gemäß Art 92 Abs 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Republik Österreich die höchste Instanz in Zivil- und Strafrechtssachen ist, seine Entscheidungen somit keiner wie immer gearteten innerstaatlichen Überprüfung unterliegen, ist er bei Zutreffen der übrigen Voraussetzungen jedenfalls zur Vorlage verpflichtet, gleichviel, ob er nun der abstrakten oder der herrschenden konkreten Betrachtungsweise den Vorzug geben wollte, nach der die Vorlagepflicht nicht nur die obersten Gerichte, deren Zuständigkeit sich über das gesamte Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats erstreckt, trifft, sondern schon immer dann besteht, wenn im konkreten Ausgangsstreit kein ordentliches Rechtsmittel mehr eingelegt werden kann (OGH 1 Ob 560/95; JBl 1996, 35 mwN).