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OGH vom 02.02.2022, 6Ob2/22w

OGH vom 02.02.2022, 6Ob2/22w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen S*, geboren am *, über den Revisionsrekurs des Vaters N*, vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 42 R 451/21s114, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 9 Ps 286/13d110, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird .

Text

Begründung:

[1] Die Minderjährige entstammt der Ehe ihrer Eltern T* und N*, beide indischer Herkunft. Die Mutter ist österreichische Staatsbürgerin, der Vater australischer Staatsbürger. Die in Australien geborene Minderjährige ist australisch-österreichische Doppelstaatsbürgerin. Den Eltern kommt die gemeinsame Obsorge für die Minderjährige zu.

[2] Mit Beschluss vom ordnete das Erstgericht die Rückführung der Minderjährigen nach Australien an. Diese Entscheidung erwuchs nach Zurückweisung eines außerordentlichen Revisionsrekurses der Mutter (6 Ob 66/14w) in Rechtskraft.

[3] Mit Beschluss vom trug das Erstgericht der Mutter auf, dem Vater die Minderjährige mit allen sie betreffenden Dokumenten und Urkunden am derzeitigen Wohnort der Mutter zu übergeben. Der Vater machte davon jedoch nicht Gebrauch, weil er zuvor aus Vorsicht die bereits gebuchten Flugtickets storniert hatte. Ein folgender, inhaltsgleicher Antrag wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom abgewiesen, nachdem die Mutter bescheinigt hatte, für sich und die Minderjährige Anfang Juni 2014 Flüge nach Melbourne (Australien) gebucht zu haben. Am gab die Mutter jedoch bekannt, nunmehr mit der Minderjährigen in Indien zu wohnen.

[4] Mit Antrag vom begehrte der Vater, die Minderjährige aus der Obhut der Mutter abzunehmen und ihm von der erfolgten Abnahme zu verständigen, damit er entsprechende Schritte zur Übernahme der Minderjährigen in die Wege leiten könne. Die Mutter der Minderjährigen halte sich derzeit bis an einer – näher angeführten – Anschrift in Wien auf.

[5] Das Erstgericht wies den Antrag ab. Eine Durchsetzung der sieben Jahre alten Rückführungsentscheidung komme mit Rücksicht auf das Wohl der Minderjährigen nicht in Betracht. Diese sei inzwischen neun Jahre alt und habe den weitaus überwiegenden Teil ihres Lebens weder eine Beziehung zu ihrem Vater noch einen Bezug zu Australien gehabt, wohin sie gemäß der Entscheidung zurückgebracht werden müsste. Diese Veränderungen stünden der Rückführung entgegen.

[6] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung.

[7] Wenngleich sich aus § 111c Abs 5 AußStrG ergebe, dass es grundsätzlich im Hinblick auf die amtswegig zu vollziehende bereits vollstreckbare Rückführungsanordnung eines Vollstreckungsantrags des Antragstellers nicht bedürfe, sei ein solcher Antrag im Hinblick auf den zwischenzeitig verstrichenen Zeitraum von mehr als sieben Jahren und die Tatsache, dass sich die Mutter scheinbar immer nur für kurze Zeit in Österreich aufhalte, erforderlich. Das Kindeswohl müsse an erster Stelle stehen; eine automatische oder schematische Anordnung der Rückführung komme nicht in Betracht. Unter den hier gegebenen besonderen Umständen, insbesondere in Anbetracht des Umstands, dass die Minderjährige keinerlei Beziehung zum Vater aufbauen konnte, sei auf das Kindeswohl von Amts wegen Bedacht zu nehmen. Die vom Vater angestrebte sofortige Durchsetzung der Rückführung würde zu einer untragbaren Situation für das Kind führen. Sollte der Vater jedoch entgegen dem bisherigen Akteninhalt tatsächlich in irgendeiner Form eine Beziehung zu seiner Tochter pflegen, stehe es ihm natürlich frei, dies im Rahmen einer neuerlichen, zeitgerechten Eingabe näher und konkret darzulegen. Dabei wäre auch konkret vorzubringen, weshalb die Rückführung der Minderjährigen nach Australien, wo sie lediglich die ersten sieben Monate ihres Lebens verbrachte, dem Interesse der nunmehr neun Jahre alten Tochter eher entsprechen sollte als ein Verbleib bei der Mutter.

[8] Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage der Durchsetzung einer bereits vor vielen Jahren rechtskräftig angeordneten Rückführung eines zum damaligen Zeitpunkt noch im Kleinkindalter befindlichen Kindes noch nicht auseinandergesetzt habe und die vorliegende Entscheidung auch mit der Rechtsprechung im Widerspruch stehen könnte, wonach das Wohl des Kindes grundsätzlich nur über Einwand des entführenden Elternteils zu prüfen sei.

Rechtliche Beurteilung

[9] Der Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

[10] Nach § 111c Abs 5 AußStrG hat das Gericht die Anordnung der Rückführung mit der Anordnung ihrer zwangsweisen Durchsetzung grundsätzlich zu verbinden. Dies schließt jedoch die spätere Stellung entsprechender konkreter Anträge durch die Parteien nicht aus. Derartige Anträge werden insbesondere dann erforderlich sein, wenn – wie im vorliegenden Fall – seit der Rückführungsanordnung längere Zeit verstrichen ist oder die Vollziehung der Rückführung von tatsächlichen Umständen abhängt, die dem Gericht nicht bekannt sind, etwa weil es sich nur um einen kurzfristigen Aufenthaltsort im Inland handelt.

[11] Nach dem eigenen Vorbringen des Vaters hat die Minderjährige mit ihrer Mutter jedoch bereits am Österreich wieder verlassen. Damit fehlt dem Vater aber ein Rechtsschutzinteresse an der inhaltlichen Erledigung seines Rechtsmittels. Nach ständiger Rechtsprechung muss die Beschwer zur Zeit der Einlegung des Rechtsmittels gegeben sein und zur Zeit der Entscheidung über das Rechtsmittel noch fortbestehen; andernfalls ist das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen (RS0041770).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00002.22W.0202.000

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