OGH vom 27.01.2010, 3Ob235/09v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon. Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei Claudius L*****, vertreten durch Dr. Heinz Peter Wachter, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Gegnerin der gefährdeten Partei Elisabeth N*****, vertreten durch Dr. Silvia Vinkovits, Rechtsanwältin in Wien, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 496/09p 33, womit über Rekurs der gefährdeten Partei der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 79 C 17/09y 10, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass nachstehende einstweilige Verfügung erlassen wird:
„Der Gegnerin der gefährdeten Partei wird aufgetragen, die in W***** gelegene Wohnung top Nr 3 sofort zu verlassen und in Zukunft nicht mehr zu betreten sowie jeden Aufenthalt im Stiegenhaus des Hauses sowie in unmittelbarer Nähe des Hauseingangs zu unterlassen.
Diese einstweilige Verfügung gilt bis zur rechtskräftigen Beendigung des zwischen den Parteien anhängigen Scheidungsverfahrens.
Die Gegnerin der gefährdeten Partei ist schuldig, der gefährdeten Partei die mit 74,35 EUR bestimmten Kosten (darin enthalten 12,39 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen."
Die Gegnerin der gefährdeten Partei ist schuldig, der gefährdeten Partei die mit 717,76 EUR bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren (darin enthalten 68,13 EUR USt, 309 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die gefährdete Partei (in der Folge immer: Kläger) und die Gegnerin der gefährdeten Partei (in der Folge immer: Beklagte) sind seit verheiratet. Der Kläger ist österreichischer Staatsbürger, die Beklagte amerikanische Staatsangehörige. Die Parteien haben ein am geborenes Mädchen adoptiert. Leibliche Kinder sind aus der Ehe nicht hervorgegangen.
Die Ehe ist schon zumindest seit dem Jahr 2005 von heftigen Auseinandersetzungen gekennzeichnet. Im Rahmen dieser Streitigkeiten kommt es regelmäßig zu laut vorgetragenen Beschimpfungen. Die Auseinandersetzungen beginnen oft aus nichtigem Anlass. Der Kläger agiert mit Provokationen. Die Beklagte kann ihre eigenen Emotionen nur sehr schwer kontrollieren. Sie neigt dann, insbesondere wenn sie im Zusammenhang mit den ehelichen Auseinandersetzungen Alkohol zu sich genommen hat, zu in schreiendem Ton vorgetragenen Beschimpfungen des Klägers, wie mehrfachem Brüllen von „Fuck you". Im Zuge dieser emotionalen Ausbrüche kommt es auch immer wieder vor, dass die Beklagte Wohnungseinrichtungsgegenstände oder Bürogegenstände zu Boden wirft und dabei zerstört. Der Kläger hat seine Emotionen deutlich besser im Griff. Er versteht es aber seinerseits, die Beklagte immer weiter zu provozieren. So kam es etwa vor, dass der Kläger, als sich die Beklagte in das Schlafzimmer des Hauses der Streitteile in Kalifornien einsperrte, von außen die Fensterläden schloss und den Strom abschaltete. Die heftigen Streitigkeiten wechseln sich mit ruhigeren Beziehungsphasen ab. Insbesondere in der Zeit nach der Adoption verlief die Beziehung harmonisch. In einer ruhigeren Phase im November 2008 entschlossen sich die Parteien, für 6 Monate nach Kalifornien zu gehen, um dort eine weitere Adoption durchzuführen.
Während des Aufenthalts der Streitteile in Kalifornien zogen die Mutter der Beklagten und ihr Ehemann, der Stiefvater der Beklagten, im März 2009 in die Wohnung der Streitteile in Wien. Der Stiefvater der Beklagten litt an einer fortgeschrittenen Krebserkrankung. Die Streitteile wollten ihm eine bessere Behandlung in Österreich ermöglichen. Er starb jedoch einige Wochen später in Wien. Die Beklagte fuhr daher zu ihrer Mutter nach Wien. Nach ihrer Rückkehr nach Kalifornien wollte der Kläger eine Aussprache wegen einer Streitigkeit vor der Reise der Beklagten nach Wien herbeiführen. Die Beklagte war in einem emotional derart angeschlagenen Zustand, dass das Drängen des Klägers zur Aussprache wieder in einer äußerst heftig geführten Streitigkeit mündete. Die Beklage beschimpfte dabei den Kläger und schlug ihm mit der flachen Hand auf die rechte Gesichtshälfte. Sie traf dabei das rechte Ohr des Klägers so heftig, dass dieser einen Trommelfellriss erlitt. Bei dieser Auseinandersetzung hielt der Kläger die Tochter der Streitteile im Arm. Das Kind, durch den Vorfall erschreckt, begann heftig zu weinen.
Bereits vor dieser Auseinandersetzung war zwischen den Streitteilen vereinbart worden, dass der Kläger nach Wien fahren werde, um geschäftliche Termine wahrzunehmen. Nun wollte er diesen Aufenthalt auch zur von der Krankenversicherung abgedeckten Behandlung der Trommelfellverletzung nützen. Die Streitteile besprachen vor der Abreise des Klägers nach Wien, dass die Beklagte eine Antiaggressionstherapie beginnen solle.
Der Kläger kehrte mit seiner Tochter etwa am 16. oder nach Österreich zurück. Als die Beklagte eine Woche später ankündigte, ebenfalls nach Österreich zu kommen, wollte der Kläger ein Zusammenleben in der Wohnung in Wien verhindern. Er tauschte das Schloss der Wohnung aus und fuhr mit dem Kind zu Freunden nach Bad Ischl. Das ließ sich die Beklagte nicht gefallen. Sie wechselte neuerlich die Schlösser aus und zog in die Wohnung ein.
Die Beklagte verfügt in Wien über keine andere Wohnmöglichkeit. Sie bezieht kein Einkommen.
Der Kläger kehrte nicht mehr in die Ehewohnung zurück, sondern zog in eine Wohnung seiner Mutter in Mödling. Bei dieser Wohnung handelt es sich um eine Zweitwohnung. Der Hauptwohnsitz der Mutter des Klägers liegt in Wien.
Der Kläger verfügt überdies über eine Wohnmöglichkeit in St. Aegyd. Dabei handelt es sich um ein Zweifamilienhaus, welche je im Hälfteeigentum von ihm und seinem Vater steht. Das Haus war bis vor kurzem vermietet und befindet sich in einem bewohnbaren Zustand. Das Haus ist derzeit unbewohnt. Der Kläger möchte es renovieren, um es in der Folge besser und teurer vermieten zu können. Die Renovierung des Hauses ist zweckmäßig, es ist jedoch auch im vorliegenden Zustand bewohnbar und verfügt über die für einen sofortigen Bezug notwendige Ausstattung.
Es entspricht der derzeit geübten und funktionierenden Praxis der Streitteile, dass deren Tochter 3 bis 4 Tage bei dem einen, danach 3 bis 4 Tage beim anderen Elternteil verbringt.
Gleichzeitig mit der am eingebrachten Scheidungsklage stellte der Kläger den Sicherungsantrag, der Beklagten möge aufgetragen werden, die Ehewohnung sofort zu verlassen und ab sofort nicht mehr zu betreten, sowie jeden Aufenthalt im Stiegenhaus des Hauses sowie in unmittelbarer Nähe des Eingangs des Hauses zu unterlassen. Die einstweilige Verfügung wurde bis zur rechtskräftigen Beendigung des gleichzeitig eingeleiteten Scheidungsverfahrens beantragt.
Der Kläger bezieht sich zusammengefasst darauf, dass die Beklagte ihn ohne Anlass immer wieder gröblich, oft den ganzen Tag, beschimpft habe. Sie sei bei diversen Auseinandersetzungen handgreiflich geworden, habe mit den Fäusten auf ihn eingeschlagen, ihn mit Einrichtungsgegenständen beworfen und Inventar zerstört. Einmal habe sie auch eine brennende Zigarette auf seinem Arm ausgedrückt, einmal habe sie ihn mit einer geworfenen Tasse verletzt. Versuche, die Beklagte zu beruhigen, seien regelmäßig gescheitert. Im Zusammenhang mit ihren Schreianfällen habe sie übermäßig Alkohol konsumiert und ihm vorgeworfen, die gemeinsame Adoptivtochter zu sehr zu lieben. Bei einem Vorfall im November (gemeint: 2008) sei die Beklagte auf den Kläger und einen zufällig anwesenden Freund derart losgegangen, dass der Kläger mitten in der Nacht mit dem Kind das Appartement verlassen und in einer nahe gelegenen Herberge Unterkunft habe nehmen müssen. Im Zuge eines Streits am , der aus nichtigem Anlass ausgebrochen sei, habe die Beklagte ihn erneut massiv beschimpft und in der Folge mit der flachen Hand auf sein rechtes Ohr geschlagen, wodurch er einen Trommelfellriss erlitten habe. Die Ankündigung der Beklagten, sich einer Therapie zu unterziehen, sei nicht verwirklicht worden. Er befürchte erneute Gewaltmaßnahmen der Beklagten gegen ihn. Er sei auf die Wohnung angewiesen, weil sich dort auch der Mittelpunkt aller seiner geschäftlichen Aktivitäten befinde. Auch wenn die Beklagte an einer schweren Persönlichkeitsstörung leide, exkulpiere sie das nicht.
Die Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsantrags. Der Kläger habe kein dringendes Wohnbedürfnis an der Ehewohnung. Sie hingegen sei auf die Wohnung zur Ausübung des Besuchskontakts mit der minderjährigen Tochter angewiesen. Nicht sie habe den Kläger beschimpft; vielmehr habe sie unter den ständigen Wutausbrüchen des Klägers leiden müssen. Zu Gewalttätigkeiten sei es nicht gekommen.
Das Erstgericht nahm den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt als bescheinigt an und erachtete rechtlich, dass die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO am Mangel des dringenden Wohnbedürfnisses des Klägers scheitere. Der Kläger verfüge über eine als gleichwertig einzustufende Unterkunft in St. Aegyd. Das Haus sei unbewohnt, es handle sich um ein Zweifamilienhaus, dessen Hälfteeigentümer der Kläger sei. Eine geringfügige Verschlechterung des bisherigen Wohnkomforts müsse der Kläger hinnehmen. Überdies könne der Kläger auch in der derzeit von ihm bewohnten Wohnung seiner Mutter in Mödling weiter wohnen. Seine Mutter verfüge ihrerseits über eine weitere Wohnung in Wien. Es sei auch das Wohnbedürfnis der Tochter der Streitteile zu berücksichtigen, das nur dann gewährleistet sei, wenn die Beklagte in der Ehewohnung bleiben könne, zumal sie keine andere Wohnmöglichkeit in Österreich habe und infolge ihrer Einkommens- und Vermögenslosigkeit auch nicht in der Lage sei, sich eine solche zu verschaffen.
Das Rekursgericht gab dem dagegen vom Kläger erhobenen Rekurs nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Das Rekursgericht erachtete, dass bereits aus der Lage des Hauses, das im Hälfteeigentum des Klägers stehe, abzuleiten sei, dass von einer Gleichwertigkeit dieser Wohnmöglichkeit mit der Ehewohnung nicht ausgegangen werden könne. Der Lebensmittelpunkt des Klägers befinde sich in Wien. Selbst wenn seine berufliche Tätigkeit eine Anwesenheit in Wien nicht erforderlich mache, könne ihm eine Wohnmöglichkeit in einer derart großen Entfernung zum ursprünglichen Lebensmittelpunkt nicht zugemutet werden. Auch die Wohnung in Mödling, die im Eigentum der Mutter des Klägers stehe, stelle keine gleichwertige Wohnmöglichkeit dar, zumal ein Rechtsanspruch des Klägers auf diese Wohnmöglichkeit nicht bestehe. Eine Prüfung des Wohnbedürfnisses sei lediglich beim Kläger vorzunehmen, eine Interessenabwägung habe nicht stattzufinden. Zusammenfassend liege daher keine gleichwertige alternative Wohnmöglichkeit des Klägers vor, sodass grundsätzlich sein dringendes Wohnbedürfnis an der Ehewohnung zu bejahen sei.
Allerdings lägen die materiellrechtlichen Voraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO nicht vor, weil nach den Feststellungen des Erstgerichts zwar heftige und schwer kontrollierbare Emotionen der Beklagten bestünden, es aber der Kläger sei, der es immer wieder verstehe, die Beklagte zu provozieren. Auch die zuletzt in eine Handgreiflichkeit mündenden Auseinandersetzungen seien durch das wiederholte Drängen des Klägers auf eine Aussprache eindeutig provoziert worden. Selbst wenn die dem Kläger zugefügte Verletzung ein Ausmaß erreicht habe, das nicht tolerierbar sei, ergebe sich aus der Gesamtschau des Verhaltens der Streitteile, dass die Ehegatten offensichtlich bereits seit längerer Zeit heftige Auseinandersetzungen miteinander gehabt hätten, die auch vom Kläger in entsprechender Intensität mitgetragen worden seien. Er habe es auch immer wieder verstanden, das ihm bekannte heftige Reaktionspotential der Beklagten zu provozieren und zu schüren. Beide Ehegatten seien daher an der heftigen Streitsituation maßgeblich beteiligt. Eine Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens für den Kläger liege daher nicht vor. Im Ergebnis zu Recht habe das Erstgericht den Antrag auf einstweilige Verfügung deshalb abgewiesen, weil auch der Kläger sich vehement an den Streitigkeiten der Ehegatten beteiligt habe.
Der dagegen vom Kläger erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig: Zwar stellt die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten einer Person den an sie gerichteten Auftrag zum Verlassen der Wohnung gemäß § 382b EO rechtfertigt, grundsätzlich keine Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO dar (RIS Justiz RS0123926). Allerdings erweist sich die Beurteilung des Rekursgerichts infolge Abweichens von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung als korrekturbedürftig.
Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen; hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist berechtigt.
Zutreffend und in der Revisionsrekursbeantwortung auch gar nicht mehr bezweifelt ist das Rekursgericht davon ausgegangen, dass bei der Prüfung des Wohnbedürfnisses des Antragstellers nach § 382b EO keine Interessenabwägung mit einem allfälligen Wohnbedürfnis des Antragsgegners stattzufinden hat ( Kodek in Angst , EO² § 382b Rz 12 mH auf die Materialien) und dass der Kläger ein dringendes Wohnbedürfnis an der Ehewohnung hat: Ein solches wäre nur dann zu verneinen, wenn eine ausreichende und gleichwertige Unterkunft zur Verfügung steht (RIS Justiz RS0006012; 2 Ob 72/05k; Zechner , Sicherungsexekution und Einstweilige Verfügung, § 382b Rz 4 mwN). Der Verweis auf eine Wohnmöglichkeit bei Eltern reicht demnach ebenso wenig aus wie der Verweis auf eine vom Erstgericht als gegeben erachtete Wohnmöglichkeit in jenem Haus, an dem dem Kläger Hälfteeigentum zusteht. Der Kläger hat seinen Lebensmittelpunkt unstrittig in Wien. Zutreffend ist das Rekursgericht davon ausgegangen, dass ihm unter diesen Umständen selbst unter Zugrundelegung der - nicht näher geprüften - Annahme, dass er seine berufliche Tätigkeit auch von diesem Haus aus ausüben könnte, eine Übersiedlung wegen der Entfernung zu Wien nicht zugemutet werden kann. Es handelt sich somit jedenfalls um keine tatsächlich gleichwertige Wohnmöglichkeit, weshalb es unerheblich ist, wie die Benützungsverhältnisse an diesem Haus beschaffen sind, ob also der Kläger das Haus infolge Zustimmung des zweiten Hälfteeigentümers bewohnen dürfte bzw ob eine solche Zustimmung überhaupt erforderlich wäre.
Unzutreffend ist allerdings die Auffassung des Rekursgerichts, dass die Gewaltausbrüche der Beklagten, die sich nach den Feststellungen des Erstgerichts nicht nur in einer festgestellten Handgreiflichkeit gegenüber dem Kläger äußerten, sondern auch darin, dass die Beklagte „immer wieder" Wohnungseinrichtungsgegenstände oder Bürogegenstände zu Boden warf und dabei zerstörte, dem Kläger ein weiteres Zusammenleben in der Ehewohnung nicht unzumutbar machen würden.
Gemäß § 382b Abs 1 EO hat das Gericht einer Person, die einem nahen Angehörigen durch einen körperlichen Angriff, eine Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammenleben unzumutbar macht, auf dessen Antrag
1. das Verlassen der Wohnung und deren unmittelbarer Umgebung aufzutragen und
2. die Rückkehr in die Wohnung und deren unmittelbare Umgebung zu verbieten,
wenn die Wohnung der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Antragstellers dient.
Beurteilungsmaßstab bei Regelungsverfügungen gegen Gewalt in der Familie ist nicht der strenge Maßstab der Unerträglichkeit, sondern jener der Unzumutbarkeit eines weiteren Zusammenlebens (Abs 1) und eines weiteren Zusammentreffens (Abs 2) mit dem Antragsgegner. Die materiellrechtlichen Grundlagen bilden unter Ehegatten die Pflicht zur anständigen Begegnung (§ 90 ABGB) und die absolut wirkenden Rechte des Einzelnen auf Wahrung der körperlichen Unversehrtheit und Integrität (§ 16 ABGB). Seit der Entscheidung 1 Ob 90/98m (SZ 71/118) sind nach ständiger Rechtsprechung (3 Ob 21/99f = JBl 2000, 45; 1 Ob 244/01s; 1 Ob 65/04x; RIS Justiz RS0110446) für die Beurteilung der - verschuldensunabhängigen - Unzumutbarkeit eines weiteren Zusammenlebens nach § 382b EO Ausmaß, Häufigkeit und Intensität der bereits (auch schon länger zurückliegenden) angedrohten oder gar verwirklichten Angriffe sowie bei - ernst gemeinten und als solche verstandenen - Drohungen die Wahrscheinlichkeit deren Ausführung maßgebend. Je massiver das dem Antragsgegner zur Last fallende Verhalten auf die körperliche und seelische Integrität des Opfers eingewirkt hat, je schwerer die unmittelbaren Auswirkungen und die weiteren Beeinträchtigungen des Antragsgegners sind und je häufiger es zu solchen Vorfällen gekommen ist, desto eher wird nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls von einer Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens auszugehen sein. Je leichtere Folgen das Verhalten des Antragsgegners gezeitigt hat, je länger es ohne weitere „einschlägige" Vorkommnisse zurückliegt und je mehr sich der Antragsgegner in der Folge bewährt hat, desto eher wird man dem betroffenen Ehegatten das weitere Zusammenleben zumuten können. Richtig ist nun, dass auch das Milieu, wenngleich nicht im Sinn der gesellschaftlichen Stellung der Eheleute, kommt doch Gewalt in der Familie in allen gesellschaftlichen Schichten vor, sondern in dem Sinn maßgeblich ist, unter welchen konkreten Lebensumständen die Eheleute miteinander leben. Dazu gehört auch die Persönlichkeit beider Ehegatten. In diesem Zusammenhang kann bei bloß singulären Vorfällen in einem gewissen Umfang der Provokation durch den Angegriffenen oder Bedrohten Bedeutung zukommen (1 Ob 90/98m).
Überträgt man diese Grundsätze auf den hier zu beurteilenden Fall, ist dem Revisionsrekurs darin beizupflichten, dass das Rekursgericht zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass dem Vorfall, bei welchem der Kläger einen Trommelfellriss erlitt, eine „Provokation" des Klägers vorangegangen ist: Das Erstgericht stellte lediglich fest, dass sich der Kläger um eine Aussprache bemühte. Dass er dabei die Beklagte so provoziert hätte, dass die festgestellte Handgreiflichkeit in einem milderen Licht zu betrachten wäre, steht nicht fest.
Jegliche Gewalt in Ehe und Familie ist prinzipiell verpönt. Grundsätzlich kann daher gewalttätiges Verhalten eines Ehegatten nicht als „Entgleisung" entschuldigt (RIS Justiz RS0118055) oder mit einer „Provokation" des anderen Ehegatten gerechtfertigt werden. Davon könnte nur dann eine Ausnahme gemacht werden, wenn es sich - etwa im Zusammenhang mit der Verletzung, die die Beklagte dem Kläger zufügte - um einen bloß singulären Vorfall handelte, der durch erhebliche Provokationen des Klägers mitverursacht wurde. Gerade das steht aber hier nicht fest.
Vielmehr lassen die weiteren Feststellungen, dass es „immer wieder" vorkommt, dass die Beklagte Gegenstände zu Boden wirft und zerstört, die Gewaltbereitschaft der Beklagten erkennen, die auch nicht mit den festgestellten, im Übrigen nicht näher präzisierten „Provokationen" des Klägers gerechtfertigt werden können. Erschwerend kommt hinzu, dass auch die Anwesenheit des gemeinsamen, 2005 geborenen Kindes die Beklagte nicht davon abhalten konnte, gegen den Kläger - während er das Kind im Arm hielt - massiv tätlich zu werden. Aus dem Gesamtbild der Feststellungen ist daher der Schluss zu ziehen, dass die Beklagte zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen neigt, die die Unzumutbarkeit eines weiteren Zusammenlebens bewirken. Da hier, anders als im Anlassfall der Entscheidung 1 Ob 90/98m, die Tätlichkeiten der Beklagten auch nicht länger zurückliegen und der Kläger nicht an der Ehe festhalten will, kann die Wegweisung nicht als unangemessene Reaktion auf das Verhalten der Beklagten beurteilt werden.
In Stattgebung des Revisionsrekurses ist daher die beantragte einstweilige Verfügung bis zur rechtskräftigen Beendigung des Scheidungsverfahrens ( Kodek aaO § 382b Rz 17a mwN) zu bewilligen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 2 EO iVm §§ 41, 50 ZPO. Die Bemessungsgrundlage richtet sich nach § 14 lit c RATG ( Kodek in Burgstaller/Deixler Hübner , EO,§ 393 Rz 37 mwN). Eine gesonderte Bewertung des zu sichernden Anspruchs nahm der Kläger nicht vor. In diesem Fall gilt nicht der Zweifelsstreitwert des § 56 Abs 2 JN. Es sind vielmehr sowohl für die Rechtsanwaltskosten (RIS Justiz RS0109658) als auch für die Gerichtsgebühren die jeweiligen Zweifelsstreitwerte des RATG bzw des GGG heranzuziehen ( Gitschthaler in Fasching 2 I § 56 JN Rz 30 mH auf ggt Ansichten; Mayr in Rechberger 3 § 56 JN Rz 6). Die Pauschalgebühr richtet sich daher nach der Bemessungsgrundlage des § 17 lit a GGG (1.232 EUR).