OGH vom 17.08.2001, 1Ob300/00z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alfred S*****, vertreten durch Dr. Norbert Gugerbauer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei H***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Karl Schleinzer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 2,538.870,60 sA infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 3 R 111/00s-13, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom , GZ 11 Cg 66/99i-6, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der erstinstanzliche Beschluss ersatzlos aufgehoben wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 21.252,37 (darin S 3.542,06 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens sowie die mit S 24.594,96 (darin S 4.099,16 USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der Kläger war für die Beklagte als Vertragshändler für Kraftfahrzeuge tätig. Punkt 4.5. des Händlervertrags lautet:
"In den Fällen einer vorzeitigen Auflösung des Vertrages ... werden die Vertragsparteien bei fehlendem Einvernehmen einem zügigen Verfahren zur Beilegung der streitigen Angelegenheit durch Inanspruchnahme eines gerichtlich beeideten Sachverständigen, welcher durch die Vertragsparteien einvernehmlich, bei mangelnder Einigung durch das Landesgremium zu bestellen ist, zustimmen. Das Recht beider Vertragsparteien auf ein Verfahren vor den ordentlichen Gerichten in Österreich bleibt unberührt".
Mit seiner am beim Erstgericht eingelangten Klage macht der Kläger Ausgleichs- und Schadenersatzansprüche infolge unberechtigter Auflösung des Händlervertrags durch die Beklagte geltend. Gegenstand dieses Vertrags sei der Vertrieb fabriksneuer Fahrzeuge und Fahrzeugteile der Fahrzeugmarke der Beklagten zum Zwecke des Weiterverkaufs gewesen.
Die Beklagte erhob die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit, in eventu auch der Unzulässigkeit des Rechtswegs. Entgegen der Bestimmung des Punktes 4.5. des Händlervertrags sei ein Schiedsverfahren noch nicht abgeführt worden, weshalb die ordentlichen Gerichte zur Entscheidung nicht zuständig seien. Die Vertragsbestimmung entspreche Art 5 Abs 3 der Gruppenfreistellungsverordnung der Europäischen Kommission Nr 1475/95. Da Gemeinschaftsrecht dem nationalen Recht vorgehe, könne das durch § 124 KartG eingeräumte Wahlrecht zwischen Schiedsgericht und ordentlichen Gerichten nicht in Anspruch genommen werden.
Der Kläger replizierte, auch im Anwendungsbereich der GVO seien nationale Gesetzesschranken, insbesondere Regelungen des zwingenden Rechts wie die §§ 577 bis 599 ZPO sowie § 124 KartG zu beachten. Aus dem 19. Erwägungsgrund des GVO-Entwurfs ergebe sich, dass den Parteien ein Wahlrecht zuzugestehen sei. Die in den Bestimmungen der GVO vorgesehene Befassung eines sachverständigen Dritten oder Schiedsrichters sei im Fall einer außerordentlichen Kündigung nicht zielführend, weil in einem derartigen Fall Einvernehmen nicht erzielt werden müsse.
Das Ersgericht sprach seine Unzuständigkeit aus und wies die Klage zurück. Der Vertragstext entspreche der Bestimmung der GVO. Erfasse man den Wortsinn dieser Anordnung, so sei unzweifelhaft davon auszugehen, dass einem Streitbeilegungsverfahren durch die Inanspruchnahme eines sachverständigen Dritten oder eines Schiedsrichters Vorrang vor einem Verfahren vor den ordentlichen Gerichten zu geben sei. Die Formulierung, dass das Recht zur Anrufung des Gerichts "unberührt" bleibe, könne nur so verstanden werden, dass nach durchgeführtem Schlichtungsverfahren der ordentliche Rechtsweg beschritten werden könne. Das Gemeinschaftsrecht überlagere hier in seinem sachlichen Geltungsbereich die nationale Regel des § 124 KartG. Auf Grund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts sei diese Gesetzesstelle dahin auszulegen, dass die Bestimmung dann nicht anwendbar sei, wenn - wie hier - in einer Schiedsvereinbarung in Übereinstimmung mit der Bestimmung des Art 5 Abs 3 GVO die nachfolgende Anrufung der ordentlichen Gerichte ausdrücklich vorbehalten worden sei.
Das Gericht zweiter Instanz gab dem dagegen erhobenen Rekurs nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Aus dem Inhalt des Art 5 Abs 3 GVO und der diesem entsprechenden Vertragsbestimmung des zwischen den Parteien geschlossenen Händlervertrags ergebe sich, dass dem Gerichtsverfahren vereinbarungsgemäß nur ein Schlichtungsverfahren (Gutachterverfahren), das eine von den Parteien möglicherweise akzeptierte Lösung erarbeiten soll, vorgelagert sein muss. Die Vereinbarung sei kein Schiedsvertrag im Sinne der §§ 577 ff ZPO, weil der Sachverständige nur versuchen solle, die streitige Angelegenheit durch einen Vergleich zwischen den Parteien zu bereinigen, andernfalls seine Entscheidung ohne rechtliche Wirkung bleibe, weil die Parteien das Verfahren vor dem ordentlichen Gericht unberührt von der Entscheidung des Sachverständigen einleiten könnten. Dem Sachverständigen solle gerade nicht die endgültige Entscheidung über den Rechtsstreit übertragen werden. Zwischen den Parteien sei daher keine schiedsvertragliche Vereinbarung im Sinn des § 124 KartG geschlossen worden, sodass sie auch nicht nach Abs 3 dieser Gesetzesstelle wirkungslos sein könne.
Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Klägers ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Art 5 Abs 3 der Verordnung (EG) Nr 1475/95 der Kommission vom über die Anwendung von Art 85 Abs 3 (nun: Art 81 EG) des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge (GVO-Kfz 1995) verpflichtet unter anderem im Falle der außerordentlichen Kündigung die Vertragspartner bei fehlendem Einvernehmen einem zügigen Verfahren zur Beilegung der streitigen Angelegenheit durch Inanspruchnahme eines sachverständigen Dritten oder eines Schiedsrichters zuzustimmen; das Recht der Vertragspartner, das nach nationalem Recht zuständige Gericht anzurufen, bleibt unberührt. Die zeitlichen und sachlichen Voraussetzungen für die Befassung der ordentlichen Gerichte werden vom Gemeinschaftsrecht nicht geregelt, sondern ergeben sich aus den jeweiligen nationalen Gesetzen (Schröter in Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm EU-/EG-Vertrag5 2/590). Diese Schlussfolgerung ist klar aus dem letzten Halbsatz der zitierten Verordnungsstelle abzuleiten, wonach das Recht der Vertragspartner, das nach nationalem Recht zuständige Gericht anzurufen, unberührt bleibt. Insoweit bedarf es daher keines Ersuchens an den EuGH um Vorabentscheidung ("acte clair").
Ob mit der Bezeichnung "Schiedsrichter" in der Verordnung tatsächlich die Pflicht zur Einleitung eines förmlichen Schiedsverfahrens gemeint ist, wobei der dort ergangenen Entscheidung gemäß § 594 Abs 1 ZPO die Wirkung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils zukäme (befürwortend: Ceipek, Kfz-Vertrieb in der EU, 258; ablehnend Ebenroth/Lange/Mersch, Die EG-Gruppenfreistellungsverordnung für Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge, 78), muss hier nicht abschließend geklärt werden, weil sich die Parteien im Vertrag ohnedies auf die erste Alternative geeinigt haben, indem sie die Inanspruchnahme eines gerichtlich beeideten Sachverständigen vereinbarten. Insoweit kann aber jedenfalls vom Vorliegen eines nicht unter die Bestimmung der §§ 577 ff ZPO fallenden Schlichtungsverfahrens ausgegangen werden (Ebenroth/Lange/Mersch aaO).
Gemäß § 124 Abs 1 KartG kann in Streitigkeiten aus einem Kartellvertrag die Entscheidung durch das ordentliche Gericht in jedem einzelnen Fall auch dann begehrt werden, wenn vereinbart wurde, dass diese Streitigkeiten durch ein Schiedsgericht entschieden werden sollen. Gemäß Abs 3 dieser Gesetzesstelle sind entgegenstehende Vereinbarungen wirkungslos. Diese Anordnung wird in den ErlBem zur RV (vgl Gugerbauer, Komm KartG2 § 124 Rz 1) damit begründet, dass aus Gründen der Publizität und der Entscheidungskontinuität der Zugang zu den staatlichen Gerichten offen stehen soll. Damit ist klargestellt, dass die Gesetzesstelle jedenfalls die Vereinbarung von den Gerichtsverfahren bloß vorgelagerten Schlichtungsverfahren oder Schiedsgutachterverfahren nicht erfassen sollte, wie bereits das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat.
Allgemein wird der sachliche Unterschied zwischen Schiedsverträgen und Schiedsgutachterverträgen darin erblickt, dass der Schiedsvertrag die Entscheidung eines Rechtsstreits zum Ziel hat, während die Schiedsgutachterabrede auf die Feststellung von Tatsachen, Tatbestandselementen oder auf die Ergänzung des Parteiwillens gerichtet ist. Einen Sonderfall vertragsergänzender Schiedsgutachten stellen rechtsabändernde Schiedsgutachterverträge dar, durch die einem Dritten die Aufgabe übertragen wird, ein bestehendes Schuldverhältnis veränderten Umständen anzupassen. Die in solchen Fällen erforderliche rechtliche Schlusstätigkeit des Schiedsgutachters führt aber für sich allein noch nicht zum Ergebnis, dass ein echter Schiedsvertrag vorliegt. Maßgeblich ist vielmehr, ob die zu treffende Entscheidung nur aus den im § 595 ZPO angeführten Gründen durch ein ordentliches Gericht aufgehoben werden kann oder ob diesem eine darüber hinausgehende materielle Überprüfungsmöglichkeit der Tätigkeit des Schiedsgutachters zustehen soll (EvBl 1985/119; 1 Ob 211/99g ua).
Auch die Schlichtungsklausel unterscheidet sich von einer Schiedsklausel dadurch, dass die Schlichtungsstelle nicht dazu berufen ist, anstelle des staatlichen Gerichts zu entscheiden, sondern lediglich zur Aufgabe hat, vor Anrufung des staatlichen Gerichts einen Rechtsstreit durch Herbeiführung einer Einigung zwischen den Streitteilen zu vermeiden. Bei Scheitern einer Einigung ist die Anrufung der ordentlichen Gerichte nicht ausgeschlossen (8 ObA 2128/96s ua).
Die von den Parteien in Einklang mit Art 5 Abs 3 GVO-Kfz 1995 vereinbarte Beiziehung eines gerichtlich beeideten Sachverständigen ist als Schiedsgutachterabrede zu qualifizieren, die auch alle wesentlichen Elemente einer Schlichtungsklausel aufweist, weil nach den bereits oben dargestellten Erwägungen eine rasche vergleichsweise Regelung des Streits angestrebt wird. Der Hinweis, es bleibe das Recht beider Vertragsparteien auf ein Verfahren vor den ordentlichen Gerichten in Österreich unberührt, schließt einen auf die Vereinbarung eines Schiedsgerichts, dessen Spruch nur im stark eingeschränkten Umfang des § 595 ZPO überprüfbar wäre, gerichteten Parteiwillen geradezu aus.
Nach ständiger Rechtsprechung wird mit der Einrede einer Schiedsvereinbarung die sachliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts geltend gemacht (RIS-Justiz RS0039817) und begründet das Vorliegen eines Schiedsspruchs das Prozesshindernis der res iudicata (SZ 67/228; 8 Ob 93/00k ua). Demgegenüber eröffnen sowohl die Vereinbarung eines Schlichtungsverfahrens als auch jene eines Schiedsgutachterverfahrens den materiellrechtlichen Einwand der mangelnden Fälligkeit. Solange das Sachverständigenverfahren noch nicht endgültig gescheitert ist und noch nicht alle vorgesehenen Stufen ausgeschöpft wurden, ist der Klagsanspruch nach ständiger Rechtsprechung nicht fällig (EvBl 1985/119; SZ 62/167; 3 Ob 507/91; 8 ObA 2128/96s; 1 Ob 211/99g; RIS-Justiz RS0082250; RS0033687; RS0039909). Die Klage ist daher nicht zurückzuweisen, sondern das Begehren meritorisch zu erledigen.
Dem Revisionsrekurs ist Folge zu geben. Das Erstgericht wird das Verfahren unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund fortzusetzen haben.
Die Entscheidung über die Kosten des Zwischenstreits gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Die vom Kläger für seinen Rekurs verzeichnete Pauschalgebühr ist der Beklagten nicht zum Ersatz aufzuerlegen, weil sie gemäß Anm 1 zu TP 2 GGG nur in Verfahren über Rekurse gegen Endbeschlüsse im Besitzstörungsverfahren und gegen Beschlüsse, mit denen über Nichtigkeitsbeschwerden gegen Erkenntnisse des Börsenschiedsgerichts entschieden wird, zu entrichten wäre.