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OGH vom 17.11.1987, 4Ob580/87

OGH vom 17.11.1987, 4Ob580/87

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna Maria Z***, Pensionistin, Innsbruck, Leopoldstraße 16, vertreten durch den Sachwalter Dr. Heinz K***, Rechtsanwalt, Innsbruck, Schmerlingstraße 2, dieser vertreten durch Dr. Walter Gattinger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach der am verstorbenen Edith H***, zuletzt wohnhaft gewesen in Innsbruck, Leopoldstraße 16, vertreten durch Dr. Klaus Mair, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Aufkündigung (Streitwert gemäß § 10 Z 2 lit a RATG S 24.000,--, gemäß § 16 lit b GGG S 6.000,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom , GZ 2 a R 231/87-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom , GZ 17 C 93/86-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 2.719,20 (darin enthalten S 247,20 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Miteigentümerin des Hauses Innsbruck, Leopoldstraße 16, und Wohnungseigentümerin der im 2. Obergeschoß dieses Hauses liegenden Wohnung, die aus 4 Zimmern, Küche, Bad, WC, Vorraum und Kellerabteil besteht. Diese Wohnung war seit 1947/48 an Edith H*** vermietet, die am im Landeskrankenhaus Innsbruck verstorben ist. Edith H*** wohnte vom Abschluß des Mietvertrages bis zum ständig in dieser Wohnung. Vom bis war sie wegen eines Schlaganfalles im Landeskrankenhaus Innsbruck; danach befand sie sich zur Pflege bei ihrer Tochter, weil sie nicht in der Lage war, den Haushalt allein zu führen. Im Herbst 1982 wohnte sie wegen einer zeitweiligen Besserung ihres Gesundheitszustandes wieder zwei Monate in ihrer Wohnung. Zwischen dem und dem war sie insgesamt acht Mal für jeweils mehrere Tage bis ca. 5 Wochen im Krankenhaus. Zwischen diesen Krankenhausaufenthalten befand sie sich jeweils wieder bei ihrer Tochter in Pflege. Nur Ende 1984 war sie wegen einer Besserung ihres Gesundheitszustandes ca. einen Monat lang in der Lage, in ihrer Wohnung zu leben.

Edith H*** wollte trotz ihrer häufigen Krankenhausaufenthalte und ihrer Pflegebedürftigkeit stets in ihre Wohnung zurückkehren; sie ließ auch ihre persönlichen Gegenstände nicht von dort wegbringen. Wegen ihres guten Verhältnisses zu ihrem Enkel Martin W*** war es ihr Wunsch, gemeinsam mit diesem in ihrer Wohnung zu leben. Martin W*** hatte schon während seiner Schulzeit häufig in der Wohnung seiner Großmutter genächtigt. Nach der Ablegung der Reifeprüfung im Herbst 1983 übersiedelte er mit seiner gesamten Habe in diese Wohnung. Bereits vor dieser Übersiedlung hatte ihm Edith H*** ein Zimmer in ihrer Wohnung zur alleinigen Benützung zur Verfügung gestellt. Auch Martin W*** beabsichtigte, diese Wohnung gemeinsam mit seiner Großmutter zu bewohnen. Soweit Edith H*** in ihrer Wohnung lebte, wurde sie von ihrer Tochter versorgt; hin und wieder hat auch Martin W*** das Essen zubereitet. Die Eltern Martin W*** zogen etwa 1984 in ein Einfamilienhaus mit ca. 200 m2 Wohnfläche, das von ihnen, den beiden 16 bzw. 17 Jahre alten Töchtern und einem Dienstmädchen ständig bewohnt wird. Für Martin W*** ist in diesem Haus kein Zimmer vorgesehen.

Die Klägerin kündigte der beklagten Verlassenschaft die Wohnung zum auf und berief sich dabei auf den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG. Die Wohnung diene nach dem Tod des bisherigen Mieters nicht mehr dem dringenden Wohnbedürfnis einer eintrittsberechtigten Person. Martin W*** sei nicht eintrittsberechtigt, weil Edith H*** in den letzten zehn Jahren - somit auch zum Zeitpunkt des Einziehens ihres Enkels - nicht mehr in der gemieteten Wohnung gewohnt habe; es fehle daher am Erfordernis einer gemeinsamen Haushaltsführung. Martin W*** habe an dem aufgekündigten Bestandobjekt auch kein dringendes Wohnbedürfnis, weil er im Einfamilienhaus seiner Eltern wohnen könne. Die Beklagte beantragte die Aufhebung der Aufkündigung. Martin W*** habe schon seit seiner frühesten Kindheit bei seiner Großmutter, die ihn aufgezogen habe, gewohnt. Edith H*** habe sich immer nur dann nicht in ihrer Wohnung aufgehalten, wenn sie auf Grund ihres schlechten Gesundheitszustandes im Spital oder zur Pflege bei ihrer Tochter war; soweit es ihr jedoch möglich gewesen sei, habe sie mit Martin W*** im gemeinsamen Haushalt gelebt. Martin W*** verfüge über keine andere Wohnmöglichkeit; auch im Haus seiner Eltern stehe ihm keine entsprechende Wohnmöglichkeit zur Verfügung. Er sei daher zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses auf das Bestandobjekt angewiesen.

Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Auf Grund des eingangs wiedergegebenen Sachverhalts bejahte es das Eintrittsrecht des Martin W***: Das Erfordernis des gemeinsamen Haushaltes sei erfüllt, wenn der eintrittsberechtigte nahe Angehörige in der Absicht, mit dem Mieter den gemeinsamen Haushalt zu führen, in das Bestandobjekt eingezogen, die Verwirklichung dieser Absicht aber nur wegen der durch Krankheit erzwungenen Abwesenheit des Mieters vom Bestandobjekt gescheitert sei. Martin W*** habe auch ein dringendes Wohnbedürfnis an der aufgekündigten Wohnung, weil er weder über eine eigene Wohnung verfüge noch einen Anspruch auf eine ausreichende und gleichwertige Unterkunft auf familienrechtlicher Basis habe.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000,-- übersteige. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und trat auch dessen rechtlicher Beurteilung bei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 503 Abs 1 Z 4 ZPO gestützte Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinne der Aufrechterhaltung der Aufkündigung und der Stattgebung des Räumungsbegehrens abzuändern; hilfsweise stellt die Klägerin auch einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Klägerin bekämpft die Annahme der Vorinstanzen, Martin W*** habe mit seiner Großmutter Edith H*** einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des § 14 MRG geführt. Eine solche gemeinsame Haushaltsführung setze voraus, daß der eintrittsberechtigte nahe Angehörige mit dem Mieter eine gewisse Zeit gemeinsam gewohnt und gewirtschaftet habe. Dies sei hier aber nicht der Fall gewesen; Edith H*** habe gar nicht mehr in der Wohnung gewohnt, als Martin W*** eingezogen sei. Die bloße Absicht des Eintrittsberechtigten, mit dem Mieter einen gemeinsamen Haushalt aufzunehmen, genüge nicht. Aus den Feststellungen könne aber auch nicht auf eine solche Absicht geschlossen werden. Edith H*** sei immer nur kurzfristig in ihre Wohnung zurückgekehrt. Wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes sei eine endgültige Rückkehr in die Wohnung nicht zu erwarten gewesen; zumindest aber sei eine allfällige frühere Haushaltsgemeinschaft durch die lange Abwesenheit Edith H*** unterbrochen worden. Die Vorinstanzen hätten aber auch das dringende Wohnbedürfnis Martin W*** zu Unrecht bejaht:

Als 21jähriger Student, der Martin W*** zum Zeitpunkt des Todes seiner Großmutter gewesen sei, sei er nicht selbsterhaltungsfähig gewesen und habe familienrechtliche Ansprüche auf den Verbleib in der elterlichen Wohnung gehabt. Martin W*** habe keine triftigen Gründe geltend gemacht, warum er von diesem Wohnrecht keinen Gebrauch mache. Das aufgekündigte Bestandobjekt sei jenen Räumlichkeiten gleichwertig, die Martin W*** auf Grund seines familienrechtlichen Anspruches gegen seine Eltern zustehen würden.

Diesen Ausführungen kann nicht zugestimmt werden: Gemäß § 14 Abs 2 MRG treten nach dem Tod des Hauptmieters die in Abs 3 dieser Gesetzesstelle genannten Personen in den Mietvertrag ein. Nach § 14 Abs 3 MRG sind der Ehegatte, der Lebensgefährte, Verwandte in gerader Linie einschließlich der Wahlkinder und die Geschwister des bisherigen Mieters eintrittsberechtigt, sofern diese Personen ein dringendes Wohnbedürfnis haben und schon bisher im gemeinsamen Haushalt mit dem Mieter in der Wohnung gewohnt haben. Bei Wohnungsmieten liegt im Fall des Todes des Mieters, soweit nicht die Sonderrechtsnachfolge nach § 14 Abs 2 und 3 MRG eintritt, der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG vor.

"Gemeinsamer Haushalt" ist gemeinsames, auf Dauer berechnetes Wohnen und Wirtschaften. Im Gegensatz zur Abtretung des Mietrechtes nach § 12 MRG durch den scheidenden Mieter ist für das Eintrittsrecht nach § 14 Abs 2 und 3 MRG eine bestimmte Dauer der gemeinsamen Haushaltsführung nicht erforderlich; sie wird aber gelegentlich als Indiz für einen gemeinsamen Haushalt angesehen. Der nahe Angehörige muß jedenfalls den Schwerpunkt seiner Lebensführung in der betreffenden Wohnung haben. Gemeinsames Wirtschaften setzt zwar voraus, daß die Bedürfnisse des täglichen Lebens auf gemeinsame Rechnung befriedigt werden; bei großen Einkommens- oder Altersunterschieden schließt aber der Umstand, daß ein Teil die gesamten Kosten trägt und der andere nichts dazu beiträgt, die Annahme gemeinsamer Wirtschaftsführung nicht aus. Übernachtet der Eintrittswerber bloß gelegentlich in der Wohnung des Mieters oder hält er sich dort nur zur Pflege des kranken Mieters auf, dann liegt kein gemeinsamer Haushalt vor. Wegen der Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten hängt die Beurteilung, ob ein gemeinsamer Haushalt vorliegt, immer von den Umständen des Einzelfalles ab (Würth in Rummel, ABGB, Rz 8 zu § 14 MRG und die dort angeführte Judikatur).

Auch mit einem Mieter, der sich - insbesondere aus gesundheitlichen Gründen - vorübergehend nicht in der Wohnung aufhält, kann nach nunmehr einhelliger Rechtsprechung der gemeinsame Haushalt begründet werden, wenn die ernste und endgültige Absicht besteht, dort zu leben und mit dem Mieter nach dessen Rückkehr in häuslicher Gemeinschaft zu leben. Ein gemeinsamer Haushalt wird durch gewisse durch Lebensumstände bedingte, auf nicht allzu lange Zeit berechnete Unterbrechungen des Zusammenlebens nicht beendet, wohl aber bei dauernder Trennung.

Als Fälle nicht dauernder Trennung werden ua. auswärtige Studien, Krankheits- und Erholungsaufenthalte und auch befristete Aufenthalte im Altersheim angesehen (Würth aaO Rz 9 zu § 14 MRG und die dort angeführte Judikatur). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorliegens eines gemeinsamen Haushaltes ist der Tod des Mieters (Würth aaO Rz 4 zu § 14 MRG).

Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, daß Edith H*** und Martin W*** die beim Einziehen des Martin W*** in die aufgekündigte Wohnung verfolgte Absicht, künftig einen gemeinsamen Haushalt zu führen, bis zum Tod Edith H*** niemals aufgegeben haben. Ende 1984 konnten sie diese Absicht - wenngleich nur für den relativen kurzen Zeitraum von einem Monat - auch tatsächlich realisieren. Auch der Umstand, daß Edith H*** ihre persönliche Gegenstände in der Wohnung belassen hatte, zeigt, daß sie die Wohnung nicht endgültig verlassen wollte. Unter diesen Umständen kann aber aus dem Umstand, daß sie nach der tatsächlichen Aufnahme des gemeinsamen Haushalts mit Martin W*** bis zu ihrem Tod etwas länger als ein Jahr wieder von ihrer Wohnung abwesend war, nicht auf die Beendigung des gemeinsamen Haushalts geschlossen werden. Ob die Abwesenheit vorübergehend oder auf Dauer ist, bestimmt sich nicht bloß nach ihrer Dauer; ausschlaggebend ist vielmehr die Willensrichtung der Betroffenen. Ist die Abwesenheit bloß krankheitsbedingt, dann steht auch ihre längere Dauer der Annahme des Fortbestehens des gemeinsamen Haushaltes nicht entgegen, sofern die Absicht, in die Wohnung zurückzukehren, fortbesteht und ihre Verwirklichung nicht schlechthin ausgeschlossen ist. Der in der Revision vertretenen Auffassung, der gemeinsame Haushalt Edith H*** mit dem Eintrittswerber habe nicht lange genug gedauert, ist entgegenzuhalten, daß § 14 Abs 2 und 3 MRG keine zeitlichen Voraussetzungen festlegt; die gewisse Dauer gemeinsamen Wohnens und Wirtschaftens wird daher in der Rechtsprechung nur als Indiz für das Vorhandensein des Willens gewertet, dies auf Dauer zu tun (MietSlg 31.401). Diese Absicht kann aber auch durch andere Umstände dokumentiert werden. Im vorliegenden Fall hatte der Eintrittsberechtigte Martin W*** nicht bloß die Absicht, mit Edith H*** den gemeinsamen Haushalt aufzunehmen; der gemeinsame Haushalt wurde tatsächlich, wenn auch nur für kurze Zeit, geführt. Auch aus der kurzen Dauer dieser tatsächlichen gemeinsamen Haushaltsführung kann entgegen der Auffassung der Revision nicht darauf geschlossen werden, daß damals kein gemeinsamer Haushalt hätte begründet werden können: Abgesehen davon, daß keine Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, die Beteiligten hätten mit dieser kurzen Dauer von vornherein rechnen müssen, ist im vorliegenden Fall die erforderliche Willensrichtung auch durch das Belassen der gesamten persönlichen Habe der Mieterin in der aufgekündigten Wohnung dokumentiert. Daher kann auch keine Rede davon sein, daß der Beklagten der ihr obliegende Beweis jener Tatsachen, aus denen das Eintrittsrecht abgeleitet werden könnte, nicht gelungen wäre.

Die Dringlichkeit des Wohnbedürfnisses des nahen Angehörigen an der aufgekündigten Wohnung hängt davon ab, ob der Eintrittswerber über eine eigene Wohnung verfügt, die er früher bewohnt hat, ober ob er auf eine andere Wohnung verwiesen werden soll. Nur im ersten Fall ist auf die unbedingte Notwendigkeit abzustellen, den beim Tod des Mieters gegebenen Zustand zu belassen; andernfalls muß es sich um eine ausreichende und gleichartige (rechtlich abgesicherte) Wohnmöglichkeit handeln (Würth aaO Rz 10 zu § 14 MRG). Auf eine eigene Wohnung kann der Eintrittswerber im vorliegenden Fall nicht verwiesen werden. Die Begründung eines familienrechtlichen Wohnverhältnisses im Hause seiner Eltern wäre aber im Hinblick auf sein Alter nicht mehr (für längere Zeit) ausreichend; sie wäre überdies im Hinblick auf die Widerruflichkeit eines solchen Benützungsrechtes nach Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit auch nicht als einem Mietrecht gleichwertig anzusehen.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.