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OGH 25.07.2019, 2Ob2/19m

OGH 25.07.2019, 2Ob2/19m

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. M* M*, vertreten durch die Sluka Hammerer Tevini Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. U* AG, *, und 2. T* K*, beide vertreten durch Univ.-Prof. Dr. Friedrich Harrer, Dr. Iris Harrer-Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 1.052.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 6 R 93/18s-94, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom , GZ 1 Cg 122/15f-84, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der beklagten Parteien an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Der Kläger wurde am bei einem von der Zweitbeklagten allein verschuldeten Unfall verletzt. Das unfallbeteiligte Kraftfahrzeug der Zweitbeklagten war bei der Erstbeklagten haftpflichtversichert. Als Folge der unfallbedingten Nervenschädigung ist eine Funktionseinschränkung am linken Bein des Klägers verblieben.

Der Kläger hatte ein nicht protokolliertes Einzelunternehmen im Sport- und Fitnessbereich betrieben, das er im Jahr 2006 in eine neu gegründete GmbH einbrachte. Das Unternehmen beschäftigte sich im Wesentlichen mit Laufveranstaltungen, Sport- und Fitnessaktivitäten für Tourismusregionen, Fitnessveranstaltungen für Firmen und „Personal Training“. Die Leistungserbringung hing nahezu ausschließlich von der Tätigkeit des Klägers ab. Er war bis Alleingesellschafter und Alleingeschäftsführer und bezog ein Geschäftsführergehalt. Die GmbH erzielte in den Jahren vor dem Unfall (2006 bis 2008) Gewinne, wobei im Jahr 2006 ein Gewinn von 154.100 EUR brutto an den Kläger ausgeschüttet wurde. Die Gewinne der Jahre 2007 und 2008 wurden thesauriert. In den Geschäftsjahren nach dem Unfall trat ein deutlicher Umsatz- und Ergebnisrückgang ein, die Fremdleistungen stiegen infolge der eingeschränkten Erwerbsfähigkeit des Klägers massiv an. Trotz danach langsam wieder steigender Umsätze konnten die Ergebnisse der Jahre 2006 bis 2008 nicht mehr erreicht werden. Der Kläger sah sich im Jahr 2014 gezwungen, seinen Geschäftsanteil um 50.000 EUR abzutreten. Ohne den Unfall hätte er seinen Geschäftsanteil keinesfalls verkauft und seinen Beruf im Rahmen der GmbH jedenfalls bis zum Erreichen des voraussichtlichen Pensionsantrittsalters im Jahre 2028 ausgeübt.

In einem anderen Verfahren vor dem Erstgericht begehrte der Kläger ua Verdienstentgang (vgl 2 Ob 27/16h). Es wurden ihm rechtskräftig Kapitalbeträge und eine monatliche Rente zugesprochen.

Im vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger den Ersatz des durch den Unfall eingetretenen Wertverlusts seines Geschäftsanteils an der GmbH. Der Unternehmenswert habe vor dem Unfall ohne Nettoliquidität 1.102.000 EUR betragen; abzüglich des beim Verkauf erzielten Betrags von 50.000 EUR resultiere ein Schaden von 1.052.000 EUR. Bei einer unfallbedingten Betriebsaufgabe habe er Anspruch auf Entschädigung für die Entwertung des Unternehmens als Vermögensobjekt. Ihm stehe daher neben dem Verdienstentgang auch der Ersatz des Firmenwerts zu. Bei Fortführung des Unternehmens hätte er sowohl Einnahmen erzielt als auch den Vermögenswert des Unternehmens behalten; er hätte also über Vermögen und Ertrag verfügt.

Die Beklagten bestritten, beantragten Klagsabweisung und wandten ein, der Kläger wäre bei Zuspruch des fiktiven Veräußerungserlöses zusätzlich zum Verdienstentgang bereichert. Die Verdienstentgangsansprüche seien unter der Prämisse zugesprochen worden, dass der Kläger, hätte sich der Unfall nicht ereignet, seinen Geschäftsanteil behalten, seine Tätigkeit in der GmbH fortgesetzt und dadurch entsprechende Einkünfte erzielt hätte. Um diese Beträge zu erzielen, hätte der Kläger das Unternehmen nicht verkaufen dürfen und daher auch keinen Erlös aus einer Unternehmensveräußerung erzielt. Bei einem Unternehmen, dessen Ertragswert ausschließlich von der Person des Unternehmensinhabers abhänge, sei der Verkehrswert, also der bei der Veräußerung zu erzielende Erlös, mit Null anzusetzen. Zu keinem Zeitpunkt hätte der Kläger bei Veräußerung seiner Anteile den eingeklagten Betrag erzielt.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagten Parteien solidarisch zur Zahlung von 1.052.000 EUR samt Zinsen. Es traf über den eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt hinaus noch (großteils bekämpfte) Feststellungen zum Unternehmenswert und erörterte rechtlich, der Anspruch auf Verdienstentgang und der Anspruch auf Entschädigung für die Aufgabe des Betriebs seien ihrer Natur nach verschiedene Ansprüche und unabhängig voneinander bestehende Unfallfolgen. Durch das Verschulden der Zweitbeklagten sei sowohl dem Kläger die Möglichkeit genommen worden, laufenden Verdienst aus einem Ein-Mann-Betrieb zu ziehen als auch der Wert dieses Betriebs vernichtet worden. Daher bestehe das Klagebegehren zu Recht.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im klagsabweisenden Sinn ab.

Es verneinte die geltend gemachte Nichtigkeit und behandelte die Mängel- und Beweisrüge mangels Erheblichkeit nicht. Rechtlich vertrat es die Ansicht, dass der rechtskräftig zugesprochene Verdienstentgang im Parallelverfahren den Behalt des Geschäftsanteils an der GmbH voraussetze, weshalb der Kläger nicht zusätzlich den durch den Unfall verringerten Wert seines Geschäftsanteils verlangen könne. Ein Zuspruch an Schadenersatz für die Verringerung des Werts des Geschäftsanteils würde zu einer Bereicherung des Klägers führen.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zu von einem Alleingesellschafter einer GmbH parallel erhobenen Ansprüchen sowohl auf Verdienstentgang als auch auf Ersatz des verringerten Vermögenswerts seines Unternehmens nicht vorliege. Die Entscheidung (gemeint) 2 Ob 84/77, auf die sich das Erstgericht gestützt habe, habe sich mit den Aspekten des mittelbaren Schadens und der Bereicherung nicht auseinandergesetzt.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, die eine Klagestattgebung, in eventu die Aufhebung des Berufungsurteils anstrebt.

Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision der Beklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist; sie ist im Sinne des Eventualantrags auch berechtigt.

Der Kläger verweist in seinem Rechtsmittel auf einschlägige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, von der das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen habe, dass sie auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden sei. Er habe einen unmittelbar bei ihm eingetretenen Schaden erlitten, der von den Zusprüchen im Parallelverfahren nicht erfasst sei.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

1. Verdienstentgang im Sinne des § 1325 ABGB ist der Entgang dessen, was dem Geschädigten durch Verletzung seiner Person und dadurch bedingter Minderung seiner Erwerbsfähigkeit entgeht. Darunter fällt nicht nur die Tätigkeit im Rahmen eines Dienstverhältnisses oder die Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit, sondern jede Tätigkeit, durch die der Verletzte für sich selbst Vermögen schafft (RS0030675).

2. Der verletzte Alleingesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung hat insoweit Anspruch auf Ersatz entgangenen Gesellschaftsgewinns (2 Ob 27/16h; RS0022657), wobei die Verminderung seines Gewinnanteils an der Gesellschaft maßgebend ist (2 Ob 27/16h; 1 Ob 190/17y; 2 Ob 14/18z; RS0022525 [T2]). Die Gesellschaft ist dagegen bezüglich des Schadens, den ein Gesellschafter an absoluten Rechten erleidet, lediglich mittelbar geschädigter Dritter, sodass der unfallbedingte Erwerbsausfall eines mitarbeitenden Gesellschafters nur diesem als unmittelbar Geschädigten und nur soweit zu ersetzen ist, als er sich in einer Verringerung seines Anteils am Gesellschaftsgewinn niederschlägt (2 Ob 27/16h mwN).

3. Die Bestimmung des § 1325 ABGB ist nach herrschender Auffassung im Zusammenhang mit den allgemeinen Regeln der §§ 1323 f ABGB zu sehen (Koziol, Haftpflichtrecht II3 A5 Rz 46; Reischauer in Rummel3 II/2b § 1325 Rz 10). Daher sind auch alle sonstigen Aufwendungen und nachteiligen Auswirkungen im Vermögen des Verletzten zu ersetzen, sofern sie durch die Verletzung verursacht worden sind (Koziol, Haftpflichtrecht II3 A5 Rz 46). Demnach sind alle aus der Körperverletzung resultierenden, im Rechtswidrigkeitszusammenhang und Adäquanz stehenden Schäden zu ersetzen (Reischauer in Rummel3 II/2b § 1325 Rz 10).

Im nunmehrigen Rechtsstreit begehrt der Kläger den Ersatz jenes Schadens, der durch die behauptete, unfallskausale Verringerung des Werts seines Geschäftsanteils an der GmbH entstanden ist, also einen „sonstigen“ Vermögensnachteil, aber keinen Verdienstentgang. Er macht damit einen anderen Anspruch geltend, als jenen im Parallelverfahren.

Der Oberste Gerichtshof hat die Ersatzfähigkeit eines vergleichbaren Vermögensnachteils zusätzlich zum Verdienstentgang in der Entscheidung 2 Ob 84/77 SZ 50/67 = RS0030277 ausdrücklich bejaht (zust Koziol, Haftpflichtrecht II3 A5 Rz 46 FN 118). Dem auch damals erhobenen Einwand, dass der Kläger nicht gleichzeitig Verdienstentgang und Schadenersatz für den Untergang des Betriebs verlangen könne, hielt der Oberste Gerichtshof entgegen, dass es sich um zwei ihrer Natur nach verschiedene Ansprüche handle und beide Schäden Unfallsfolgen seien. Durch Verschulden des Beklagten sei sowohl dem Kläger die Möglichkeit genommen worden, laufend Verdienst aus seinem Ein-Mann-Betrieb zu ziehen, als auch der Wert des Betriebs vernichtet. Der diesbezügliche Schadenersatzanspruch sei daher ebenso wie jener des Verdienstentgangs gerechtfertigt.

Auch in einer Folgeentscheidung, in der (ebenfalls) sowohl Verdienstentgang als auch Ersatz für die Schmälerung des Erlöses für eine durch die Unfallsfolgen erzwungene Veräußerung eines Unternehmens zuerkannt wurde, hielt der Oberste Gerichtshof fest, dass der Kläger bei Fortführung des Unternehmens sowohl Einnahmen erzielt als auch den Vermögenswert desselben erhalten hätte (2 Ob 29/85; für die Ersatzfähigkeit des Mindererlöses auch Pardey in Geigel, Haftpflichtprozess27 Kap 4 Rn 127).

Mit diesen Ausführungen hat der Oberste Gerichtshof im Gegensatz zur Meinung des Berufungsgerichts auch den jeweils implizit erhobenen Einwand der Bereicherung des Klägers verneint. Dass dieser im vorliegenden Fall als Alleingesellschafter einer Ein-Mann-GmbH auch hinsichtlich des Wertverlusts seines Geschäftsanteils unmittelbarer Geschädigter ist, kann im Lichte der oben wiedergegebenen Rechtsprechung zum Verdienstentgang nicht zweifelhaft sein.

Der erkennende Senat hält an der erörterten Rechtsprechung fest, die auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist.

4. Der Geschädigte ist daher hinsichtlich des geltend gemachten Vermögensnachteils so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis stünde (RS0030153; RS0030228 [T7]). Der Schaden ist durch eine Differenzrechnung zu ermitteln: Es ist zunächst der hypothetische Vermögensstand ohne das schädigende Ereignis zu ermitteln und von diesem Betrag der tatsächliche Vermögenswert abzuziehen. Da sämtliche Auswirkungen auf das Vermögen des Geschädigten berücksichtigt werden müssen, ist die Schadensfeststellung nicht im Zeitpunkt der Schädigung abzuschließen, vielmehr müssen spätere Auswirkungen in die Betrachtung einbezogen werden (RS0030153 [T1, T8, T11, T14]).

5. Damit sind die bekämpften Feststellungen zum „Wert des Unternehmens“ (Wert der Geschäftsanteile des Klägers am Unternehmen) entscheidungsrelevant. Da das Berufungsgericht die Tatsachen- und die Mängelrüge der Berufung nicht behandelt hat, ist spruchgemäß zu entscheiden.

6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2021:E125858
Datenquelle

Fundstelle(n):
WAAAD-55322