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OGH vom 02.03.2005, 7Ob272/04g

OGH vom 02.03.2005, 7Ob272/04g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Waltraud S*****, vertreten durch Dr. Peter Steinbauer, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei B***** Versicherungs AG, *****, vertreten durch Dr. Stefan Herdey und Dr. Roland Gsellmann, Rechtsanwälte in Graz, wegen Feststellung (Streitwert: EUR 7.000) über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom , GZ 17 R 87/04w-18, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Feldbach vom , GZ 2 C 2492/03i-12, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur allfälligen ergänzenden Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin schloss mit der Beklagten einen Betriebsunterbrechungsversicherungsvertrag für Ärzte, dem die ABU 1996 zugrunde lagen. Art 14 ABU 1996 lautet:

„Wann, wie und von wem kann der Versicherungsvertrag vorzeitig gekündigt werden?

1. Nach Eintritt eines Versicherungsfalles kann der Versicherungsvertrag von beiden Vertragsteilen nach folgenden Bestimmungen gekündigt werden.

...

3. Der Versicherer kann kündigen, wenn er eine Entschädigung geleistet hat oder die Verpflichtung zur Leistung dem Grunde nach anerkannt oder der Versicherungsnehmer einen Entschädigungsanspruch arglistig erhoben hat.

Die Kündigung muss innerhalb eines Monats nach Leistung der Entschädigungoder Anerkennung der Verpflichtung zur Leistung dem Grunde nach oder Ablehnung des arglistig erhobenen Entschädigungsanspruches erfolgen. Außer im Fall arglistig erhobener Entschädigungsansprüche muss der Versicherer eine Kündigungsfrist von mindestens einem Monat einhalten."

Bei der Klägerin musste im Mai 2003 ein Tumor entfernt werden. Als die Klägerin der Beklagten den Versicherungsfall meldete, teilte diese ihr unter Hinweis auf den bisherigen Gesamtschadensatz von 150 % mit, dass die Vertragsfortführung im Hinblick auf den aktuellen Schaden vorerst gefährdet sei. Die Beklagte unterbreitete der Klägerin den Vorschlag, ihren Vertrag auf einen Selbstbehalt von 3 auf 21 Tagen ohne Prämienabsenkung zu ändern. Sollte dieser Vorschlag nicht angenommen werden, werde die Beklagte die Kündigung aussprechen.

Mit Schreiben vom bot die Beklagte eine Leistung für 42 Tage Betriebsunterbrechung in der Höhe von EUR 8.741,37 an und ersuchte um Unterfertigung eines Schreibens, wonach die Klägerin nach Bezahlung dieses Betrages erkläre, dass ihre Ansprüche aus dem gegenständlichen Vorfall zur Gänze befriedigt seien. Gleichzeitig kündigte die Beklagte unter Hinweis darauf, dass sie die Klägerin über die Notwendigkeit der Neugestaltung des Vertrages wegen hoher Schadensbelastung informiert habe, aber auf ihren Vorschlag keine Rückmeldung erhalten habe, den Betriebsunterbrechungsversicherungsvertrag unter Wahrung der einmonatigen Kündigungsfrist per , 12 Uhr, auf. Die Klägerin unterfertigte das Abfindungsschreiben, gab ihre Kontonummer bekannt, strich jedoch den Passus, wonach sie erkläre, dass mit der Bezahlung des genannten Betrages alle ihre Ansprüche zur Gänze befriedigt seien. Die Beklagte überwies am die Entschädigungsleistung auf das Konto der Klägerin.

Die Klägerin beauftragte dann ein Versicherungsbüro damit, einen Betriebsunterbrechungsversicherungsvertrag bei einem anderen Versicherer abzuschließen. Aufgrund ihres Alters, ihres Krankheitsbildes und der Kündigung durch die Beklagte konnte sie aber keine adäquaten Anbote finden. Die meisten Versicherungsanstalten haben einen Annahmestopp ab einem Lebensalter von 55 Jahren.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass der Versicherungsvertrag über´den hinaus in ungekündigtem Zustand weiter aufrecht bestehe, in eventu, dass die von der Beklagten mit Schreiben vom ausgesprochene Kündigung des Vertrages als rechtsunwirksam aufgehoben worden sei. Die Kündigung der Beklagten sei nicht wirksam, da kein Kündigungsgrund genannt worden und außerdem zum Zeitpunkt der Kündigung keine Anerkennung der Ansprüche der Klägerin dem Grunde nach vorgelegen sei. Innerhalb eines Monats ab Anerkenntnis oder Zahlung sei eine Kündigung der Beklagten nicht erfolgt. Die Kündigung sei überdies unwirksam, da sie als die Klägerin gröblich benachteiligend sittenwidrig iSd § 879 Abs 3 ABGB sei, zumal dem beklagten Versicherer in jedem Fall (undifferenziert) eine Aufkündigungsmöglichkeit zugestanden worden sei, ohne zu berücksichtigen, dass ein Krankheitsfall der Klägerin zugrunde liege und für sie nun keine Möglichkeit bestehe, anderweitig Versicherungsschutz zu erlangen.

Die Beklagte beantragt die Klagsabweisung im Wesentlichen mit der Begründung, dass einerseits ein Kündigungsgrund, nämlich der massive Schadensfall, in der Kündigung genannt worden sei und andererseits ein Kündigungsgrund bei einer Schadensfallkündigung nicht angegeben werden müsse. Die Beklagte habe ihre Verpflichtung zur Leistung dem Grunde nach anerkannt und Entschädigung geleistet. Sittenwidrigkeit liege nicht vor, da Art 14 ABU 1996 die Bestimmung des § 96 VersVG wörtlich wiedergebe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. In rechtlicher Hinsicht vertrat es die Ansicht, dass die Betriebsunterbrechungsversicherung eine Sachversicherung und keine Personenversicherung sei. § 96 VersVG sei auf diese Sachversicherung anzuwenden und gewähre dem Versicherer die Möglichkeit, sich von schadensträchtigen Verträgen zu lösen. Wenn § 96 VersVG nicht als sittenwidrig erachtet werde, müsse dies auch für den inhaltsgleichen Art 14 ABU 1996 gelten. Die Beklagte sei nach der Vertragsbestimmung nicht gehalten, einen Kündigungsgrund, der sich im Übrigen aus dem Schreiben ergebe, ausdrücklich zu nennen. Die Beklagte habe ihre Leistungsverpflichtung dem Grunde nach anerkannt. Die Deckungszusage müsse als konstitutives Anerkenntnis dem Grunde nach gewertet werden, weshalb die Kündigung des Versicherungsvertrag durch die Beklagte zum 15. 10. fristgerecht erfolgt sei.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Der Gesetzgeber räume bei Sachversicherungen, eine solche sie die Betriebsunterbrechungsversicherung, den Versicherungsvertragspartnern die Möglichkeit ein, den Versicherungsvertrag aus Anlass eines Schadensfalls zu kündigen. Verschulden eines Vertragsteiles sei nicht erforderlich. Da Art 14 ABU 1996 dem § 96 VersVG entspreche, komme dem Einwand der Sittenwidrigkeit keine Berechtigung zu. Die grobe Benachteiligung müsse bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geschaffen sein, die Klägerin behaupte aber, dass sie jetzt nicht mehr anderweitig versicherbar sei. Ein Kündigungsgrund müsse nicht ausdrücklich genannt werden, er ergebe sich überdies aus dem Kündigungsschreiben. Die Kündigung könne nach Eintritt des Schadensfalles, also vor Zahlung/Anerkennung ausgesprochen werden, da der Zweck der Bestimmung auf die Herstellung der Rechtssicherheit abziele. Die Erklärung des Haftpflichtversicherers, dem Geschädigten den bekannt gegebenen Schaden zu ersetzen, wenn dieser eine Entschädigungserklärung unterfertige, sei als Anerkenntnis unter einer aufschiebenden Bedingung zu werten. Mit diesem (bedingten) Anerkenntnis habe der Versicherer den Anspruch der Klägerin zumindest dem Grunde nach anerkannt. Auch aus der Überweisung des Betrages am sei ein konstitutives Anerkenntnis abzuleiten. Die Kündigung sei als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung nur dann nicht bedingungsfeindlich, wenn die Erfüllung der Bedingung - wie hier - in den Händen des Empfängers liege. Der Versicherungsvertrag sei daher von der Beklagten wirksam aufgekündigt worden.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 4.000, nicht jedoch EUR 20.000 übersteige. Die ordentliche Revision sei zulässig, da keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Rechtswirksamkeit einer Kündigung nach Eintritt des Schadensfalles aber noch vor Leistung bzw Anerkenntnis der Entschädigungspflicht vorliege.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

Die Betriebsunterbrechungsversicherung ist - worauf die Vorinstanzen schon zutreffend hingewiesen haben - eine Sachversicherung, bei der der Betrieb, nicht die Person des Betriebinhabers versichert ist (RIS-Justiz RS0080975). Für die Feuerversicherung ist geregelt, dass nach dem Eintritt eines Versicherungsfalles jeder Teil berechtigt ist, das Versicherungsverhältnis zu kündigen (§ 96 Abs 1 VersVG). Die Kündigung ist nur bis zum Ablauf eines Monats seit dem Abschluss der Verhandlungen über die Entschädigung zulässig. Der Versicherer hat eine Kündigungsfrist von einem Monat einzuhalten (§ 96 Abs 2 VersVG). Diese Bestimmung ist im Wege der Analogie auf die Kündigung in allen Sparten der Sachversicherung zu erstrecken (Schauer, Das österreichische Versicherungsvertragsrecht³, S 304, Martin, SVR³, L II 4, Römer/Langheid, VVG², § 96 Rn 4 mwN), sohin auch auf den Betriebsunterbrechungsversicherungsvertrag. Art 14 ABU 1996 entspricht § 96 VersVG. Soweit sich nun die Revisionswerberin darauf stützt, dass diese Bestimmung sittenwidrig iSd § 879 Abs 3 ABGB sei, weil die Klägerin nunmehr keine anderweitige Versicherungsdeckung erlangen könne und dadurch gröblich benachteiligt sei, ist ihr nicht zu folgen.

§ 96 VersVG beruht darauf, dass das Versicherungsverhältnis im besonderen Maß auf gegenseitigem Vertrauen basiert. Dem Kündigungsrecht nach Versicherungsfall liegt der Erfahrungssatz zugrunde, dass die Wahrnehmungen anlässlich des Schadensfalles häufig bei dem einen oder dem anderen Teil den begründeten Wunsch hervorruft, an den Vertrag nicht weiter gebunden zu sein. Für den Versicherungsnehmer ist das Kündigungsrecht gewissermaßen ein Korrelat dafür, dass er das Ergebnis einer Schadensbearbeitung durch den Versicherer grundsätzlich hinzunehmen hat. Für den Versicherer begründet es die Möglichkeit, sich von schadensträchtigen Verträgen lösen zu können. Der Grund für das außerordentliche Kündigungsrecht kann auch darin gesehen werden, dass sich der Wert einer Versicherung erst im Ernstfall erweist. § 96 VersVG ist grundsätzlich dispositiv (7 Ob 179/03d mwN). Durch Art 14 ABU 1996 wurde aber keine vom dispositiven Recht abweichende Vereinbarung zu Lasten der Klägerin getroffen. Eine Angemessenheitskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB ergibt daher bei Prüfung der Klausel schon mangels Abweichens von der dispositiven Rechtsvorschrift keine gröbliche Benachteiligung der Klägerin (vgl 7 Ob 179/03d, 7 Ob 267/02v, RIS-Justiz RS0016914). Abgesehen davon muss die gröbliche Benachteiligung im Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages vor liegen (7 Ob 267/02v, RIS-Justiz RS0016914). Ein Vorbringen dahingehend, dass bereits bei Vertragsabschluss absehbar gewesen sei, dass die Klägerin im Fall eines Schadens und Kündigung durch die Beklagte anderweitig nicht mehr versicherbar sein würde, wurde nicht erstattet. Dass es grundsätzlich sittenwidrig sei, einen Krankheitsfall - noch dazu im Rahmen einer Sachversicherung - als Kündigungsgrund nach Versicherungsfall in Anspruch zu nehmen, ist aus dem Gesetz nicht ableitbar. Vergleichbare Beschränkungen des Kündigungsrechtes wie sie etwa bei der Krankenversicherung, als Personenversicherung (vgl § 178i VersVG) geschaffen wurden, fehlen für die Betriebsunterbrechungsversicherung als Sachversicherung.

Aus dem Kündigungsschreiben vom geht eindeutig hervor, dass Grund der Kündigung der Schadensfall war. Ein darüber hinaus gehender Kündigungsgrund ist bei einer Kündigung anlässlich eines Schadensfalles weder nach § 96 VersVG (Martin, SVR, M II 50, Dörner/Staudinger in BK, § 96 VVG, Rn 8, Römer/Langheid, VVG², § 96, Rn 2, Prölls/Martin, VVG27, § 8 Rn 5) noch nach Art 14 ABU 1996 anzugeben. Die Kündigung erfolgte aber verfrüht, das heißt vor Anerkenntnis der Leistung dem Grunde nach bzw Zahlung, da die Klägerin ja das Anbot der Beklagten auf Zahlung unter Einschluss einer Verzichtserklärung nicht annahm. Das durch die Annahme der Klägerin aufschiebend bedingte Anerkenntnis (RIS-Justiz RS0015806) wurde mangels Eintritts der Bedingung nicht wirksam. Die Beklagte leistete in der Folge aber Zahlung. Zu prüfen ist, ob die verfrühte Kündigung nun dennoch Wirksamkeit entfaltet.

Eine zeitwidrige Kündigung ist grundsätzlich in eine ordnungsgemäße Kündigung umzudeuten, also rechtlich so zu behandeln, als ob sie unter Einhaltung der vorgeschriebenen Frist zum nächsten zulässigen Termin ausgesprochen worden wäre, wenn dies dem mutmaßlichen, dem Erklärungsempfänger erkennbaren Willen des Kündigenden zum Zeitpunkt der Kündigung entspricht (7 Ob 210/03p; Schauer aaO, 300; Prölls/Martin, aaO § 8, Rn 8). Aus dem Schreiben Beilage ./5 geht der Kündigungswille des Versicherers nach Schadensfall eindeutig hervor. Die verfrühte Kündigung ist also als Kündigung nach Zahlung umzudeuten. Zu prüfen ist also, ob die Kündigungsfrist von einem Monat im Sinne des Art 14 ABU 1996 ab Zahlung zum Termin eingehalten wurde. Fest steht zwar das Datum des Zahlungsauftrags, nicht jedoch der Tag der Gutschrift auf dem Konto der Klägerin (vgl Martin aaO, L II, Rn 31). Dieser Tag ist aber dafür entscheidend, ob die einmonatige Kündigungsfrist eingehalten wurde, da vor Gutschrift auf dem Konto des Versicherungsnehmers für ihn nicht erkennbar ist, ob die Voraussetzungen für eine wirksame Kündigung erfüllt sind oder nicht. Da der Tag der Gutschrift nicht eindeutig feststeht, kann noch nicht mit der nötigen Sicherheit beurteilt werden, ob die vereinbarte Kündigungsfrist von der Beklagten zum Termin gewahrt wurde, also die Kündigung zu diesem Termin rechtswirksam war. Falls dies nicht der Fall sein sollte, ist sie als Kündigung zum nächst möglichen Termin aufzufassen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52.