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OGH vom 20.10.2011, 2Ob184/11i

OGH vom 20.10.2011, 2Ob184/11i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der Betroffenen R***** D*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Betroffenen, vertreten durch Dr. Richard Kempf, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom , GZ 2 R 176/11i 16, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 dritter Satz AußStrG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann auch im Außerstreitverfahren ein Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens, welcher im Rekurs nicht beanstandet wurde, im Revisionsrekurs nicht mehr nachgetragen werden (RIS-Justiz RS0043111 [T18 und T 22]). Die Anwendung dieses Grundsatzes wird auch im Sachwalterschaftsverfahren bejaht (9 Ob 18/11d). Inwieweit allerdings ein im Rekurs nicht geltend gemachter und vom Rekursgericht nicht behandelter Verfahrensmangel erster Instanz einen Verfahrensmangel des Rekursverfahrens darstellen kann, hängt davon ab, ob das Rekursgericht diesen Verfahrensmangel von Amts wegen hätte aufgreifen müssen (§ 55 Abs 3 AußStrG; vgl 10 Ob 49/10v; 1 Ob 148/11p; RIS Justiz RS0043111 [T23]).

2. Die Betroffene rügt als Mangel des Rekursverfahrens, dass das Rekursgericht die von dem vom Erstgericht bestellten Sachverständigen in einem anderen Verfahren angezeigte Befangenheit „wegen persönlicher Bekanntschaft“ (ua) zu der Betroffenen nicht von Amts wegen aufgegriffen habe.

Die Bestimmungen der ZPO über die Ablehnung von Sachverständigen finden kraft des Verweises in § 35 AußStrG auch im Außerstreitverfahren Anwendung (7 Ob 81/10b; RIS-Justiz RS0040722). Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass der Fall einer „Selbstablehnung“ durch den Sachverständigen jenem seiner Ablehnung durch eine Partei gleichzuhalten ist (10 ObS 316/02x). Die Heranziehung von Befund und Gutachten eines befangenen Sachverständigen kann zu einem wesentlichen Verfahrensmangel führen (vgl 10 ObS 316/02x; 9 Ob 47/05k; 3 Ob 80/10a; RIS-Justiz RS0040667 [T5]).

Das Erstgericht hat vor der Bestellung des (von der Betroffenen gewünschten) Sachverständigen die Frage einer allfälligen Befangenheit sowohl mit der Betroffenen (AS 7) als auch mit dem Sachverständigen (AS 8) erörtert. Laut dem vom Erstrichter angefertigten Amtsvermerk erklärte der Sachverständige, nicht befangen zu sein. Eine Befangenheitsanzeige des Sachverständigen lag in erster Instanz daher ebensowenig vor, wie ein Ablehnungsantrag der Betroffenen. Unter diesen Umständen begründet die Bestellung des Sachverständigen aber keinen erstinstanzlichen Verfahrensmangel, den das Rekursgericht von Amts wegen hätte wahrnehmen müssen.

3. Sollten die im Revisionsrekurs enthaltenen Ausführungen der Betroffenen inhaltlich als (erstmalige) Ablehnung des vom Erstgericht bestellten Sachverständigen zu verstehen sein, ist ihnen zu erwidern:

Gemäß § 355 Abs 2 ZPO (iVm § 35 AußStrG) wäre die Ablehnungserklärung noch vor dem Beginn der Befundaufnahme durch den Sachverständigen anzubringen gewesen. Später kann eine Ablehnung nur dann erfolgen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie den Ablehnungsgrund vorher nicht erfahren oder wegen eines unübersteiglichen Hindernisses nicht rechtzeitig geltend machen konnte. Unter diesen Voraussetzungen kann ein Sachverständiger auch noch im Verfahren zweiter Instanz abgelehnt werden (7 Ob 81/10b; RIS-Justiz RS0040667). Selbst eine Ablehnung in dritter Instanz wurde als möglich angesehen (vgl 2 Ob 334/98s).

Im vorliegenden Fall fehlt es schon an einer Behauptung, dass der Betroffenen die Geltendmachung des Ablehnungsgrundes vor dem Beginn der Befundaufnahme nicht möglich gewesen wäre. Ein solches Vorbringen wäre mit der Aktenlage auch nicht in Einklang zu bringen. Die (allfällige) Ablehnung erfolgt somit verspätet und kann nicht zur Einleitung eines Ablehnungsverfahrens vor dem Erstgericht (§ 356 Abs 1 ZPO) führen (vgl 2 Ob 334/98s).

4. Die im Revisionsrekurs der Betroffenen enthaltenen Argumente sind daher insgesamt nicht geeignet, eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Rekursgerichts iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufzuzeigen. Das Rechtsmittel ist deshalb zurückzuweisen.