OGH vom 08.08.2002, 2Ob184/02a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter, in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Heinrich P*****, vertreten durch DDr. Hans Esterbauer, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Alfons F*****, vertreten durch Schuppich, Sporn & Winischhofer, Rechtsanwälte in Wien, sowie die der beklagten Partei beigetretene Nebenintervenientin B***** AG in Österreich, ***** vertreten durch Dr. Heinz Stöger, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 268.889,49 sA, über den "Revisionsrekurs" (richtig: Rekurs) der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 235/01a-37, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom , GZ 2 Cg 97/99k-28, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Rekurs der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen ihres Vertreters binnen vierzehn Tagen die mit EUR 2.382,70 (hierin enthalten EUR 397,12 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der 1923 geborene Beklagte betrieb seit Anfang der Fünfzigerjahre zunächst ein Betonwerk sowie einen Geräte- und Baumaschinenverleih, der Großmaschinen inklusive Fahrer an Straßenbaugesellschaften, Landesregierung, Österreichische Bundesbahnen (ÖBB) und ähnliche Institutionen verlieh. 1958 gründete er die Alfons F***** GesmbH (im Folgenden kurz: GmbH), bei der er alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer war. Die vom Beklagten in den beiden Rechtsformen einer Einzelfirma und der GmbH betriebenen Unternehmen bildeten stets eine wirtschaftliche Einheit und waren vielfach miteinander verflochten. Der Beklagte beschäftigte über dreißig Jahre lang zwischen 180 und 225 Mitarbeiter.
In all diesen Jahren war er bei der B***** versichert, wobei zuletzt der Kläger als bei dieser Versicherung Angestellter sein Betreuer bereits seit den Achtzigerjahren war. Als solcher kam er etwa zweimal wöchentlich in den Betrieb des Beklagten und besprach mit diesem alle versicherungsrechtlichen Firmenbelange.
Altersbedingt war der Beklagte in den Neunzigerjahren auf der Suche nach einem Abnehmer für das (gesamte) Unternehmen, worauf die Streitteile im August 1995 näher in Kontakt kamen. Am schlossen sie in Notariatsaktform einen Abtretungsvertrag, mit welchem der Beklagte (bezeichnet als Bauunternehmer und abtretender Gesellschafter) seinen Geschäftsanteil an der GmbH (entsprach der voll eingezahlten Stammeinlage im Nominale von S 500.000) um den Preis von 3,7 Mio S (den nunmehrigen Klagebetrag) an den Kläger (bezeichnet als Versicherungsmakler und übernehmender Gesellschafter) abtrat. Nach Punkt 4. lit b des Vertrages übernahm der Beklagte "keinerlei Gewähr für eine bestimmte Beschaffenheit oder ein bestimmtes Erträgnis des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens. Der Erwerber erklärt, den Betrieb im Einzelnen durch eigene Mitarbeit und durch Prüfung der Bücher und Geschäftsunterlagen zu kennen. Beide Vertragsteile erklären, auf eine Anfechtung dieses Vertrages wegen Verletzung über die Hälfte des wahren Wertes ausdrücklich zu verzichten." Nach Punkt 8. des Vertrages erklärten beide Vertragsteile weiters, "dass die vereinbarte Gegenleistung die von ihnen akzeptierte Geschäftsgrundlage für dieses Rechtsgeschäft darstellt und nicht wegen Irrtums oder aus einem sonstigen Grunde angefochten wird." Am gleichen Tag wurde der Beklagte als Geschäftsführer abberufen und der Kläger als solcher bestellt. Zwischen den Streitteilen war klar, dass der Kläger die wirtschaftliche Einheit aus beiden Unternehmen erwerben sollte. Bereits ab Jänner 1996 hatte der Kläger aktiv im Unternehmen des Beklagten mitgearbeitet und nahm ihn der Beklagte "überall hin mit".
Mit der am eingebrachten Klage begehrt der Kläger die Rückzahlung des von ihm bezahlten Abtretungspreises von S 3,7 Mio samt 10 % Zinsen seit unter Berufung auf Irrtumsanfechtung, Gewährleistung, arglistige Täuschung, Schadenersatz und (im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof allein noch strittig) laesio enormis; darüber hinaus wurde das Klagebegehren auch auf jeden erdenklichen sonstigen Rechtsgrund gestützt.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Nach Streitverkündung trat die B***** Versicherungs-AG als Haftpflichtversicherer des vom Kläger den Vertragsverhandlungen beigezogenen Steuerberaters der beklagten Partei als Nebenintervenientin bei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es beurteilte die eingangs nur soweit in dritter Instanz von Wesentlichkeit wiedergegebenen (§ 510 Abs 3 erster Satz ZPO) und darüber hinaus in den Seiten 6 bis 14 (= AS 255 ff) seiner Entscheidung enthaltenen Feststellungen rechtlich (zusammengefasst) dahin, dass dem Beklagten keine eine Vertragsanfechtung oder -aufhebung rechtfertigende Verhaltensweisen vorgeworfen werden könnten, zumal der Kläger bei allen maßgeblichen Vorgängen von seinem eigenen Wirtschaftsprüfer beraten worden sei, sodass allfällige Irrtümer oder Fehleinschätzungen in seine eigene Sphäre fielen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das Ersturteil auf und trug diesem eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf; es erklärte weiters den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig.
Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und auch weitestgehend dessen rechtliche Beurteilung, soweit dies die Ablehnung von Arglist, Irrtumsanfechtung, Gewährleistung und Verjährung betrifft. Berechtigung komme jedoch unter Umständen dem Anfechtungspunkt der laesio enormis nach § 934 ABGB zu. Da das Erstgericht keine Feststellungen zum Wert des übernommenen Unternehmens getroffen habe, sei eine Ergänzung des Verfahrens insoweit unumgänglich. Insoweit sei auch der Ausschluss im Abtretungsvertrag unbeachtlich, weil der Kläger bei Vertragsabschluss nicht Kaufmann gewesen sei. Das KSchG sei auf diesen Abtretungsvertrag mangels klaren Nachweises der Anwendungsvoraussetzungen durch den Kläger nicht anzuwenden. Der Erwerb von Geschäftsanteilen stelle noch nicht schlechthin ein Handelsgeschäft dar. Im vorliegenden Fall möge der Kläger (als Versicherungsmakler) Kaufmann im Sinne der § 1 Abs 2 Z 7, § 93 HGB gewesen sein; der Erwerb von Geschäftsanteilen an einer GmbH gehöre aber unzweifelhaft nicht zu der in § 93 HGB umschriebenen Tätigkeit eines solchen Kaufmanns und die vom Kläger erworbene GmbH habe als Bauunternehmerin auch kein Grundhandelsgewerbe ausgeübt. Der Erwerb der Gesellschaftsanteile sei sohin für den Kläger kein Handelsgeschäft gewesen.
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde vom Berufungsgericht für zulässig erklärt, weil dem Beklagten einzuräumen sei, "dass auch für das betreffende Unternehmen untypische Geschäfte von Kaufleuten in der Rechtsprechung sehr weitgehend als Handelsgeschäfte qualifiziert werden. Es ist nicht auszuschließen, dass sich das Berufungsgericht mit der hier vorgenommenen Einschätzung, wonach der Erwerb der Gesellschaftsanteile an der GmbH für den Kläger kein Handelsgeschäft darstellte, mit dieser Judikatur in Widerspruch setzte; dies soll gegebenenfalls bereits in diesem Verfahrensstadium releviert werden können."
Gegen diese Entscheidung richtet sich der (erkennbar) auf den Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte "Revisionsrekurs" der beklagten Partei mit dem Antrag, den bekämpften Beschluss aufzuheben und der Berufung des Klägers keine Folge zu geben, in eventu die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die klagende Partei beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, das gegnerische Rechtsmittel als unzulässig (wegen Falschbezeichnung bzw Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage) zurückzuweisen oder diesem keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der (richtig als Rekurs - § 519 Abs 1 Z 2 iVm Abs 2 ZPO - zu behandelnde) "Revisionsrekurs" ist mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die von der klagenden Partei beantragte Zurückweisung des Rechtsmittels bloß wegen dessen Falschbezeichnung ist allerdings wegen § 84 Abs 2 letzter Satz ZPO, wonach die unrichtige Benennung unerheblich ist, wenn das Begehren deutlich erkennbar ist, nicht möglich.
Darüber hinaus ist dem Rechtsmittelwerber Folgendes zu entgegnen:
Vorauszuschicken ist, dass die von den Vorinstanzen bereits verworfenen Tatbestände der Irrtumsanfechtung (einschließlich Arglist), Gewährleistung und Schadenersatz einerseits sowie Verjährung andererseits nicht mehr Gegenstand der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof sind, weil sie in den an diesen erstatteten Schriftsätzen der Parteien nicht mehr aufrechterhalten werden (Kodek in Rechberger, ZPO2 Rz 5 zu § 503; RIS-Justiz RS0041570). Nur wenn der vertragliche Anfechtungsausschluss wegen Verkürzung über die Hälfte rechtswirksam wäre, wäre (in Stattgebung des Rechtsmittels) das klageabweisliche Ersturteil wiederherzustellen. Davon ist jedoch - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - nicht auszugehen. Dies aus folgenden weiteren Erwägungen:
Nur derjenige, für den der hievon betroffene Vertrag ein Handelsgeschäft ist, kann ihn gemäß § 351a HGB nicht nach § 934 ABGB anfechten. Seit der Aufhebung des Art 8 Nr 6 der 4. Verordnung zur Einführung handelsrechtlicher Vorschriften im Lande Österreich durch § 41 KSchG (Stammfassung BGBl 1979/140) ist klargestellt, dass bei bloß einseitigen Handelsgeschäften die Anfechtung eines Vertrages wegen Verkürzung über die Hälfte (laesio enormis) nur von demjenigen nicht (mehr) geltend gemacht werden kann, für den der Vertrag Handelsgeschäft ist (Kramer in Straube, HGB2 Rz 1 zu § 351a). Nach geltender Rechtslage kann also nur der nicht kaufmännische Vertragspartner eines Kaufmannes die Aufhebung des Vertrages gerichtlich fordern, sofern die Voraussetzungen des § 934 ABGB gegeben sind (Kramer, aaO Rz 2; Kosesnik-Wehrle/Lehofer/Mayer, KSchG Rz 3 zu § 935 ABGB, Krejci, Grundriss des Handelsrechts 238; ders, Handelsrecht2 195; RIS-Justiz RS0065166). Insoweit kann die Anwendung des § 934 ABGB gemäß dessen § 935 erster Halbsatz leg cit (idF § 33 Z 6 KSchG) vertraglich ebenfalls nicht (mehr) ausgeschlossen werden. Auch Minderkaufleute können die von ihnen abgeschlossenen Handelsgeschäfte nicht wegen Verkürzung über die Hälfte anfechten (4 Ob 255/97x = RdW 1998, 199). § 351a HGB stellt insoweit einen Ausschlussgrund dar, für dessen Voraussetzungen stets der "Verkürzende" die Beweislast trägt (1 Ob 161/01k = EvBl 2002/1; RIS-Justiz RS0065176).
Wie der Oberste Gerichtshof bereits in der mehrfach veröffentlichten Entscheidung 3 Ob 559/95 (SZ 68/152 = EvBl 1996/8 = ecolex 1996, 15 [Puck] = RdW 1996, 59) ausgeführt hat, stellt der Erwerb von Geschäftsanteilen an einer GmbH für den Erwerber, der zum Zeitpunkt des Erwerbes nicht Kaufmann (gewesen) ist, an sich noch kein Handelsgeschäft im Sinne des § 343 HGB dar, sodass auf die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte gemäß § 935 ABGB nicht verzichtet werden kann und diese Anfechtung auch nicht gemäß § 351a HGB ausgeschlossen ist. In dieser Entscheidung sowie in zahlreichen weiteren, in RIS-Justiz RS0065176 zusammengefassten Judikaten hat der Oberste Gerichtshof weiters ausgeführt, dass gemäß § 1 Abs 3 KSchG Geschäfte, die eine natürliche Person vor Aufnahme des Betriebes ihres Unternehmens zur Schaffung der Voraussetzungen dafür tätigt, in bewusster Abweichung vom Handelsrecht noch nicht im Sinne des § 1 Abs 1 Z 1 KSchG zu diesem Betrieb gehören; solche Gründungsgeschäfte eines Verbrauchers sind auch dann kein Handelsgeschäft, wenn der Verbraucher mit der Aufnahme des Betriebes des Unternehmens (Minder-)Kaufmann wird; ein solcher Verbraucher kann daher Gründungsgeschäfte wegen laesio enormis anfechten (RIS-Justiz RS0065179).
Wie das Berufungsgericht ebenfalls bereits zutreffend ausführte, ist Handelsgeschäft nur der Erwerb eines Geschäftsanteils durch einen Kaufmann im Rahmen des Betriebes seines (bereits bestehenden) Handelsgewerbes (Kramer, aaO Rz 15 zu §§ 343, 344 mwN und Abgrenzungsfällen). Der Kläger war aber beim Erwerb der Geschäftsanteile angestellter Versicherungsmakler und damit nicht Kaufmann. Auch mit dem Erwerb von Geschäftsanteilen an einer bestehenden Kapitalgesellschaft war nicht der Erwerb der Kaufmannseigenschaft verbunden.
Die Entscheidung des Berufungsgerichtes steht mit dieser Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes im Einklang, ohne sich mit dieser - wie im Zulassungsausspruch formuliert - in Widerspruch zu setzen. Damit mangelt es aber an den Voraussetzungen für eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO. An den gegenteiligen Ausspruch des Berufungsgerichtes ist der Oberste Gerichtshof nicht gebunden (§ 500 Abs 3 ZPO).
Die klagende Partei hat auf den maßgeblichen Zurückweisungsgrund des Rechtsmittels in ihrer Rekursbeantwortung hingewiesen, sodass ihr auch die Kosten hiefür zustehen (RIS-Justiz RS0035979, RS0035962).