OGH vom 25.03.2014, 4Ob29/14i

OGH vom 25.03.2014, 4Ob29/14i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers C***** S*****, vertreten durch den Sachwalter VertretungsNetz Sachwalterschaft, *****, dieser vertreten durch Mag. Josef Koller, Rechtsanwalt in Perg, gegen die Antragsgegner 1. E***** S*****, und 2. F***** S*****, beide vertreten durch Dr. Ingrid Posch und Dr. Peter Posch, Rechtsanwälte in Wels, wegen Unterhalt, über die Revisionsrekurse der Antragsgegner gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom , GZ 21 R 243/13d, 244/13a 31, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Wels vom , GZ 4 Fam 47/13p 18, und 4 Fam 48/13k 6, aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Den Revisionsrekursen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der 22 jährige Antragsteller machte nach dem Besuch der Volks und Hauptschule zehn Monate lang eine Lehre als Elektroinstallationstechniker im Betrieb der Antragsgegner, seiner Eltern. Diese Lehre brach er ab. Danach war er etwa acht Monate bei der Tagesstruktur der Caritas und absolvierte anschließend eine Teillehre als Maler und Anstreicher, die er positiv abschloss. Lediglich vom 2. bis war er als Arbeiter bei einem Personalleasingunternehmen beschäftigt. Derzeit besucht er einen Berufsförderungskurs. Er erhält Arbeitslosengeld von 8,30 EUR täglich, eine Beihilfe zu den Kursnebenkosten von 1,86 EUR täglich und eine Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts von 11,70 EUR täglich, insgesamt 665 EUR monatlich, vom AMS. Darüber hinaus bezieht er seit (mit Ausnahme vom Mai 2013) Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs gemäß § 13 Oö Mindestsicherungsgesetz in Höhe von 353,70 EUR monatlich.

Der durch seinen Sachwalter vertretene Antragsteller begehrte am die Verpflichtung der Antragsgegner zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts in Höhe von 22 % ihres Nettoeinkommens. Er sei aufgrund seiner Krankheit nicht selbsterhaltungsfähig. Die Sozialhilfebehörde habe ihn aufgefordert, Unterhaltsansprüche gegen die Eltern geltend zu machen.

Die Antragsgegner wendeten ein, der Antragsteller habe eine Ausbildung zum angelernten Maler absolviert und übe diesen Beruf auch aus. Er verdiene etwa 1.000 EUR netto und sei selbsterhaltungsfähig.

Das Erstgericht wies die Unterhaltsbegehren ab, weil mit erfolgreichem Abschluss einer Lehre die Selbsterhaltungsfähigkeit eines Kindes eintrete. Bei einem Einkommen von 1.018,70 EUR (Leistungen des AMS und bedarfsorientierte Mindestsicherung) sei der Antragsteller jedenfalls selbsterhaltungsfähig. Er könne überdies aufgrund seiner Ausbildung eine qualifizierte Hilfsarbeitertätigkeit ausüben, wodurch er ebenfalls ein Einkommen von mindestens 1.000 EUR monatlich erzielen könnte.

Das Rekursgericht hob die erstgerichtlichen Beschlüsse auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Bestimmungen des Oö Mindestsicherungsgesetzes fehle. Die Erwerbsfähigkeit des Antragstellers sei schon nach dem bislang erhobenen Sachverhalt ernstlich zu bezweifeln, er dürfe daher nicht ohne weitere Erhebungen, etwa Einholung eines medizinischen, allenfalls auch berufskundlichen Sachverständigengutachtens auf ein Einkommen aus einer Hilfsarbeitertätigkeit angespannt werden. Die derzeit gewährte bedarfsorientierte Mindestsicherung dürfe nur dann als Eigeneinkommen auf den Unterhaltsanspruch angerechnet werden, wenn das jeweilige Landesgesetz weder eine Rückzahlungsverpflichtung des Mindestsicherungsempfängers noch eine (aufgeschobene) Legalzession des Unterhaltsanspruchs vorsehe. Zwar sei beides im Oö Mindestsicherungsgesetz nicht vorgesehen, aus mehreren Gesetzesbestimmungen lasse sich aber ableiten, dass der Landesgesetzgeber das Weiterbestehen von Ansprüchen Unterhaltsberechtigter vorausgesetzt habe, die ihm auf Verlangen zur Rechtsverfolgung abzutreten seien. Diese Verpflichtung sei mit einer aufgeschobenen Legalzession vergleichbar, weshalb die Mindestsicherung nicht als Eigeneinkommen des Antragstellers angerechnet werden dürfe. Das Erstgericht habe vor seiner neuerlichen Entscheidung die notwendigen Erhebungen zur Prüfung der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers durchzuführen und seine Lebensverhältnisse und die der Antragsgegner sowie die Einkünfte der Parteien zu ermitteln.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionsrekurse der Antragsgegner, mit denen sie die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Antragsabweisung anstreben, sind aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist die Frage, ob die vom Antragsteller bezogene bedarfsorientierte Mindestsicherung als Eigeneinkommen anzurechnen ist, welches der (fortgesetzten) Unterhaltsverpflichtung der Eltern entgegensteht, wenn nicht ohnehin von der Selbsterhaltungsfähigkeit des Antragstellers infolge erzielbaren ausreichenden Erwerbseinkommens auszugehen ist (die diesbezüglichen Voraussetzungen sind mangels ausreichender Sachverhaltsgrundlage im fortgesetzten Verfahren zu prüfen).

Der Grundsatz, dass eine Person, deren Unterhaltsbedürfnisse aufgrund einer öffentlichen Verpflichtung zur Gänze von einem Dritten gedeckt werden, schon deswegen keine Unterhaltsansprüche gegen einen zivilrechtlich Unterhaltspflichtigen stellen kann, weil ihr kein Anspruch auf Doppelversorgung zusteht, kann dort nicht angewendet werden, wo der Gesetzgeber durch Anordnung (aufgeschobener) Legalzession ausdrücklich das Weiterbestehen des Anspruchs des Unterhaltsberechtigten vorausgesetzt hat (RIS Justiz RS0063121). Nur wenn das jeweilige Sozialhilfegesetz keine den Sozialhilfeempfänger betreffende Rückzahlungsverpflichtung oder keine (aufgeschobene) Legalzession des Unterhaltsanspruchs vorsieht, also die einmal gewährte Sozialhilfe nicht (mehr) zurückgefordert werden kann, ist sie als anrechenbares Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten anzusehen (1 Ob 200/05a ua; RIS Justiz RS0118565 [T2]).

Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Oö Mindestsicherungsgesetzes (LGBl Nr 74/2011 idF LGBl Nr 90/2013) lauten:

§ 2

Grundsätze für die Leistung bedarfsorientierter Mindestsicherung

...

(5) Die Leistungen bedarfsorientierter Mindestsicherung sind subsidiär (Subsidiaritätsprinzip)

§ 5

Sachliche Voraussetzungen für die Leistung bedarfsorientierter Mindestsicherung

Voraussetzung für die Leistung bedarfsorientierter Mindestsicherung ist, dass eine Person im Sinn des § 4

1. von einer sozialen Notlage (§ 6) betroffen ist und

2. bereit ist, sich um die Abwendung, Milderung bzw Überwindung der sozialen Notlage zu bemühen (§ 7).

§ 7

Bemühungspflicht

(1) Die Leistung bedarfsorientierter Mindestsicherung setzt die Bereitschaft der hilfebedürftigen Person voraus, in angemessener, ihr möglicher und zumutbarer Weise zur Abwendung, Milderung bzw Überwindung der Notlage beizutragen. Eine Bemühung ist jedenfalls dann nicht angemessen, wenn sie offenbar aussichtslos wäre.

(2) Als Beitrag der hilfebedürftigen Person im Sinn des Abs 1 gelten insbesondere:

1. der Einsatz der eigenen Mittel nach Maßgabe der §§ 8 bis 10;

2. der Einsatz der Arbeitskraft nach Maßgabe des § 11;

3. die Verfolgung von Ansprüchen gegen Dritte, bei deren Erfüllung die Leistung bedarfsorientierter Mindestsicherung nicht oder nicht in diesem Ausmaß erforderlich wäre sowie

4. die Umsetzung ihr von einem Träger bedarfsorientierter Mindestsicherung oder einer Behörde nach diesem Landesgesetz aufgetragener Maßnahmen zur Abwendung, Milderung bzw Überwindung der sozialen Notlage.

(3) Sofern Ansprüche gemäß Abs 2 Z 3 nicht ausreichend verfolgt werden, ist unbeschadet des § 8 Abs 4 die unmittelbar erforderliche Bedarfsdeckung sicherzustellen.

§ 8

Einsatz der eigenen Mittel

(1) Die Leistung bedarfsorientierter Mindestsicherung hat unter Berücksichtigung

1. des Einkommens und des verwertbaren Vermögens der hilfebedürftigen Person sowie

2. tatsächlich zur Verfügung stehender Leistungen Dritter zu erfolgen.

...

(4) Ansprüche hilfebedürftiger Personen, die zur zumindest teilweisen Bedarfsdeckung nach diesem Landesgesetz geeignet sind, sind auf Verlangen des zuständigen Trägers der bedarfsorientierten Mindestsicherung diesem zur Rechtsverfolgung zu übertragen.

§ 37

Ersatz durch Empfängerinnen und Empfänger bedarfsorientierter Mindestsicherung, den Nachlass und die Erben

(1) Empfängerinnen und Empfänger bedarfsorientierter Mindestsicherung sind zum Ersatz der für sie aufgewendeten Kosten verpflichtet, wenn sie zu einem nicht aus eigener Erwerbstätigkeit erwirtschafteten, verwertbaren Vermögen gelangen oder sichergestelltes Vermögen verwertbar wird.

(2) Ein Ersatz darf gegenüber Empfängerinnen und Empfängern bedarfsorientierter Mindestsicherung nicht geltend gemacht werden, wenn es sich um

1. Kosten für die Hilfe durch Einbeziehung in die Krankenversicherung,

2. Kosten für die Hilfe durch Erziehung und Erwerbsbefähigung,

3. Kosten für bedarfsorientierte Mindestsicherung, die für die Zeit vor Erreichung der Volljährigkeit geleistet wurde,

4. Kosten für bedarfsorientierte Mindestsicherung, deren Wert im Kalenderjahr in Summe das Fünffache des Netto Ausgleichszulagen Richtsatzes für Alleinstehende nicht übersteigt,

5. Kosten für Leistungen, die während einer Tätigkeit im Rahmen der Hilfe zur Arbeit geleistet wurden, handelt.

§ 38

Ersatz durch unterhaltspflichtige Angehörige

(1) Zum Unterhalt verpflichtete Angehörige der Empfängerin oder des Empfängers bedarfsorientierter Mindestsicherung haben im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht Kostenersatz zu leisten. Eine Ersatzpflicht besteht nicht, wenn der Kostenersatz wegen des Verhaltens der Hilfeempfängerin oder des Hilfeempfängers gegenüber der unterhaltspflichtigen Person sittlich nicht gerechtfertigt wäre oder wenn durch den Kostenersatz der Erfolg der Hilfe, insbesondere im Hinblick auf die nach dem ersten Hauptstück zu beachtenden Aufgaben, Ziele und Grundsätze, gefährdet würde.

(2) Nicht zum Ersatz nach Abs 1 herangezogen werden dürfen:

1. Großeltern, Kinder und Enkelkinder der Hilfeempfängerin oder des Hilfeempfängers;

2. Eltern von Personen, welche nach Erreichen der Volljährigkeit Leistungen bezogen haben.

Im vorliegenden Fall kommt eine Kostenersatzpflicht der Eltern gemäß § 38 Abs 2 Oö BMSG nicht in Frage, weil der Antragsteller bei Bezug der Mindestsicherung bereits volljährig war. Eine Rückzahlungsverpflichtung des Antragstellers gemäß § 37 Oö BMSG scheidet für das Jahr 2013 aus, weil die vom 21. Februar bis bezogene Mindestsicherung das Fünffache des Netto Ausgleichszulagen Richtsatzes für Alleinstehende (derzeit 3.974,66 EUR) nicht überstiegen hat.

Den Materialien zu den §§ 7 ff und 38 Oö BMSG (Blg oöLT 434/2001 XXVII. GP 36 f und 59) ist zu entnehmen, dass der Landesgesetzgeber grundsätzlich das Weiterbestehen des Anspruchs des Unterhaltsberechtigten vorausgesetzt hat („klargestellt wird allerdings, dass ... nicht dazu führen kann, dass sich die Eltern aus der zivilrechtlich sehr wohl gegebenen Unterhaltspflicht nehmen in diesem Fall wird entweder nach § 7 Abs 2 Z 3 oder nach § 8 Abs 4 diese Unterhaltsverpflichtung einzufordern sein“). § 7 Abs 1 Oö BMSG normiert eine Bemühungspflicht der hilfsbedürftigen Person, die verpflichtet ist, Ansprüche gegen Dritte zu verfolgen, bei deren Erfüllung die Leistung bedarfsorientierter Mindestsicherung nicht oder nicht in diesem Ausmaß erforderlich wäre.

Die besondere Betonung von tatsächlich zur Verfügung stehenden Leistungen Dritter in § 7 Abs 1 Z 2 Oö BMSG macht deutlich, dass bestehende Ansprüche alleine seien sie auch leicht realisierbar noch keine Anrechnung rechtfertigen. Derartige Ansprüche sind entweder im Rahmen der Bemühungspflicht zu verfolgen (§ 7 Abs 2 Z 3) oder gemäß § 8 Abs 4 dem zuständigen Träger zur Rechtsverfolgung zu übertragen (Blg oöLT 434/2011 XXVII. GP 37 f). Kommt die hilfebedürftige anspruchsberechtigte Person dem Verlangen des zuständigen Trägers der bedarfsorientierten Mindestsicherung nicht nach, so kann dies dazu führen, dass die Leistung bedarfsorientierter Mindestsicherung von vornherein nicht erbracht oder eingestellt wird. Dies setzt allerdings voraus, dass die grundsätzlichen Voraussetzungen des § 7 Abs 1 vorliegen (Blg oöLT 434/2011 XXVII. GP 38).

Das Oö Mindestsicherungsrecht sieht also anders als etwa § 23 WMG keine aufgeschobene Legalzession vor, die hilfsbedürftige Person ist (lediglich) verpflichtet, Unterhaltsansprüche entweder selbst geltend zu machen (§ 7 Abs 2 Z 3 Oö BMSG) oder diese dem zuständigen Rechtsträger auf Verlangen zur Rechtsverfolgung zu übertragen (§ 8 Abs 4 Oö BMSG). Hiebei ist keine Beschränkung auf Ansprüche ab Zessionserklärung oder ab deren Verlangen vorgesehen. Die tatsächlich geleisteten Unterhaltszahlungen sind in der Folge auf die Mindestsicherung anzurechnen (§ 8 Abs 1 Z 2 Oö BMSG). Das Oö Mindestsicherungsrecht sieht somit weder eine Rückzahlungsverpflichtung noch eine (aufgeschobene) Legalzession des Unterhaltsanspruchs vor, doch ist die hilfsbedürftige Person bei sonstiger Einstellung der Mindestsicherung verpflichtet, ihre Unterhaltsansprüche dem zuständigen Träger zur Rechtsverfolgung zu übertragen (Blg oöLT 434/2011 XXVII. GP 38). Die unbeschränkte und sanktionsbewährte Verpflichtung zur rechtsgeschäftlichen Zession ist der Legalzession gleichzuhalten, beide Lösungen beruhen auf der Wertung, dass die Mindestsicherung den Unterhaltsverpflichteten nicht entlasten soll. Die Mindestsicherung hat nach oberösterreichischem Landesrecht gemäß ausdrücklicher Anordnung (§ 2 Abs 5 Oö BMSG) nur subsidiären Charakter und tatsächlich zur Verfügung stehende Leistungen Dritter sind gemäß § 7 Abs 1 Z 2 Oö BMSG auf die Mindestsicherung anzurechnen.

Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass die Mindestsicherung bei Bemessung des Unterhalts im Sinn der zutreffenden Ausführungen des Rekursgerichts nicht als Eigeneinkommen berücksichtigt werden darf.

Der nach Verfahrensergänzung zu treffenden Entscheidung wird daher sofern Selbsterhaltungsfähigkeit infolge Erzielbarkeit eines ausreichenden Arbeitseinkommens nicht anzunehmen ist zu Grunde zu legen sein, dass zur Vermeidung nicht zustehender Doppelversorgung Mindestsicherungsbeträge bei Bemessung des Unterhalts nicht zu berücksichtigen sind.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 78 Abs 1 iVm § 101 Abs 2 AußStrG.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:0040OB00029.14I.0325.000