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OGH vom 25.11.2009, 3Ob226/09w

OGH vom 25.11.2009, 3Ob226/09w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Klaus P*****, vertreten durch Mayer & Herrmann, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei David P*****, vertreten durch Dr. Peter Reitschmied, Rechtsanwalt in Neulengbach, wegen Einwendungen gegen einen Unterhaltsanspruch, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom , GZ 7 R 37/09k, 7 R 38/09g-106, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Neulengbach vom , GZ 2 C 4/04i-96 bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 699,30 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 116,55 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger verpflichtete sich mit gerichtlichem Vergleich vom zu monatlichen Unterhaltsleistungen von 347 EUR an seinen Sohn, den 1986 geborenen Beklagten. Mit Dezember 2003 stellte der Kläger seine Unterhaltszahlungen ein. Wegen der Unterhaltsrückstände für Dezember 2003 bis Februar 2004 führte der Beklagte Exekution.

Mit der am eingelangten Klage stellte der Kläger das Begehren, der Unterhaltsanspruch des Beklagten sei (ab Dezember 2003) erloschen. Der Beklagte habe sämtliche weiterführenden Schulausbildungen abgebrochen. Er sei nicht arbeitsunfähig. Er lege vielmehr im Hinblick auf die Bestreitung seines Lebensunterhalts eine auffallende Sorglosigkeit an den Tag.

Der Beklagte wendet ein, er sei aufgrund einer psychischen Störung nicht selbsterhaltungsfähig.

Das Erstgericht gab der Oppositionsklage im zweiten Rechtsgang statt.

Es traf nach Einholung mehrerer Gutachten umfangreiche Feststellungen zur physischen und psychischen Situation des Beklagten, zu seinen Schulbesuchen, zu seiner Arbeitsfähigkeit und zu seiner Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt. Daraus ist hervorzuheben, dass der Beklagte nach mehreren Schulwechseln 2000 einen Hauptschulabschluss absolvierte. Zwei Versuche, eine externe Matura abzulegen, scheiterten. Der Beklagte geht seit Dezember 2003 weder konsequent einer Berufsausbildung noch regelmäßig einer bezahlten Arbeit nach. Er leidet an einer Persönlichkeitsstörung; er ist aber dennoch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelbar. Dieses Leistungskalkül gilt für den gesamten klagegegenständlichen Zeitraum. An der notwendigen Eigeninitiative für die Erlangung eines Arbeitsplatzes fehlt es aber beim Beklagten. Das Erstgericht erachtete, keine Feststellung treffen zu können, auf welchen konkreten Arbeitsplatz der Beklagte vermittelbar war. Es stellte jedoch fest, dass während des Verfahrenszeitraums mehrere freie Stellen bestanden, auf die der Beklagte vermittelbar gewesen wäre.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass der Gesundheitszustand und die Leistungsfähigkeit des Beklagten nach den Feststellungen eine zumutbare regelmäßige Erwerbstätigkeit zuließen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beklagten krankheits- oder entwicklungsbedingt die Fähigkeit fehle, für sich selbst zu sorgen.

Das Berufungsgericht gab der dagegen vom Beklagten erhobenen Berufung nicht Folge und sprach über Antrag des Beklagten gemäß § 508 ZPO nachträglich aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Die Abänderung des ursprünglichen Zulässigkeitsausspruchs begründete das Berufungsgericht damit, dass es eine erhebliche Rechtsfrage darstelle, inwieweit Feststellungen erforderlich seien, ob ein Unterhaltsberechtigter konkret einen bestimmten Arbeitsplatz hätte finden können.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Beklagten erhobene Revision ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO unzulässig:

1. Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor: Das Erstgericht hat den Ablehnungsantrag gegenüber einem im Verfahren bestellten Gutachter als verspätet zurückgewiesen. Das Gericht zweiter Instanz hat dem dagegen vom Beklagten erhobenen Rekurs nicht Folge gegeben. Damit ist der Ablehnungsantrag des Beklagten unbekämpfbar zurückgewiesen worden. Eine auf die behauptete Befangenheit des Sachverständigen gegründete Rüge der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens muss daher scheitern.

2. Selbsterhaltungsfähig ist ein Kind dann, wenn es die zur Deckung seines Unterhalts erforderlichen Mittel selbst erwirbt oder aufgrund zumutbarer Beschäftigung zu erwerben imstande ist (stRsp; RIS-Justiz RS0047567; 3 Ob 7/97v = SZ 70/36).

3. Dass dem Beklagten die Annahme jener - detailliert vom Erstgericht festgestellten - Beschäftigungen, die er nach den ebenfalls umfangreich getroffenen Feststellungen des Erstgerichts auszuüben imstande ist, nicht zumutbar wäre, behauptet er gar nicht.

4. Er vertritt in seiner Revision vielmehr die Auffassung, dass die Urteile der Vorinstanzen an einem Feststellungsmangel litten, weil keine Feststellungen dazu getroffen worden seien, ob ihn ein Verschulden an der Unterlassung der Aufnahme einer ihm zumutbaren Erwerbstätigkeit getroffen habe. Es fehle an einer Feststellung, wonach dem Beklagten ein konkret für ihn in Frage kommender Arbeitsplatz bekannt gewesen sei.

5. Richtig ist, dass bei Prüfung der Frage, ob im Hinblick auf das Unterbleiben einer Erwerbstätigkeit Selbsterhaltungsfähigkeit anzunehmen ist, nicht von einem objektiven Sachverhalt ausgegangen werden kann; vielmehr sind die Gründe zu erheben, die dazu führten, dass eine Berufstätigkeit unterblieb. Es muss also geprüft werden, ob dem Kind ein Verschulden zur Last fällt (9 Ob 509/95; 1 Ob 88/08k ua). Es verlangt aber auch die vom Revisionswerber zitierte Entscheidung 4 Ob 13/01t ein zielstrebiges Bemühen des Kindes um einen Arbeitsplatz.

Zutreffend ist allerdings das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Feststellungen des Erstgerichts ohnedies dahin zu verstehen sind, dass dem Beklagten während der gesamten Verfahrensdauer die Aufnahme einer Beschäftigung nicht nur physisch und psychisch möglich war, sondern dass er auch konkret einen Arbeitsplatz gefunden hätte, hätte er entsprechende Eigeninitiative gezeigt. Dass das Erstgericht erachtete, keinen konkreten Arbeitsplatz feststellen zu können, den der Beklagte bei entsprechender Eigeninitiative gefunden hätte, ändert an dieser Beurteilung nichts: Diese Negativfeststellung beruht darauf, dass in einem Verfahren ex post kaum denkbar ist, dass festgestellt werden kann, welche konkrete Arbeitsstelle der Beklagte zu welchem Zeitpunkt gefunden hätte. Es steht jedoch ausdrücklich fest, dass der Beklagte bei entsprechenden Bemühungen konkret einen Arbeitsplatz hätte finden können und dass die Ursache dafür, dass der Beklagte bisher keinen Arbeitsplatz fand, in seiner fehlenden Eigeninitiative lag. Dafür, dass die mangelnde Eigeninitiative des Beklagten, die nach den Feststellungen ursächlich dafür war, dass der Beklagte bisher keinen Arbeitsplatz fand, als unverschuldet beurteilt werden könnte, besteht kein Anhaltspunkt. Vielmehr ergibt sich aus den umfangreich getroffenen Feststellungen des Erstgerichts nicht, dass der Beklagte physisch oder psychisch nicht in der Lage gewesen wäre, sich um einen Arbeitsplatz zu bemühen.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält sich somit im Rahmen der Rechtsprechung, wonach ein Unterhaltsberechtigter den Unterhaltsanspruch verliert, wenn er die Aufnahme einer zumutbaren Erwerbstätigkeit aus Verschulden unterlässt (3 Ob 7/97v mwN).

Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision des Beklagten hingewiesen. Ihm sind daher die Kosten der Revisionsbeantwortung zuzusprechen.