OGH vom 20.05.2008, 4Ob29/08f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Angela H*****, vertreten durch Mag. Christian Schweinzer, Rechtsanwalt in St. Pölten als Verfahrenshelfer, gegen die beklagte Partei Leopold H*****, vertreten durch Dr. Robert Müller, Mag. Gregor Riess, Rechtsanwälte in Hainfeld, wegen Unterhalt (Streitwert 18.234 EUR) über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 17.958,24 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom , GZ 23 R 315/07g-11, womit das Urteil des Bezirksgerichts Neulengbach vom , GZ 1 C 25/07z-5, in berichtigter Fassung bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung:
1993 nahm die Klägerin den Beklagten, von dem sie ungeachtet aufrechter Ehe getrennt lebte, vor dem Bezirksgericht St. Pölten auf Unterhalt in Anspruch. In diesem Verfahren vereinbarten die Streitteile Ruhen des Verfahrens und schlossen, jeweils anwaltlich vertreten, eine außergerichtliche Unterhaltsvereinbarung. Der Beklagte verpflichtete sich, der Klägerin einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 2.000 S zu leisten, die erstmalige Zahlung erfolgte am .
Der gemeinsame eheliche Haushalt der Streitteile wurde 1991 oder 1992 durch die Klägerin aufgehoben. Sie verbrachte die meiste Zeit bei Bekannten - sowohl Männern, als auch Frauen - und wohnte bei diesen auch. Seither kümmerte sie sich nicht mehr um den Haushalt des Beklagten. Die Klägerin war ausgezogen, weil sie das unleidliche Verhalten des Beklagten nicht mehr ertrug. Dieser gab ihr kein Geld für Obst, Milch oder Kleidung, weil sie den Haushalt vernachlässigte. Wessen Verhalten die Ursache und wessen Verhalten die Wirkung war, konnte nicht mehr festgestellt werden.
1993 betrug das monatliche Nettoeinkommen des Beklagten 1.487,15 EUR. Derzeit bezieht der Beklagte ein monatliches Nettoeinkommen von 1.649,56 EUR (umgerechnet auf 12 mal jährlich).
2004 klagte die Klägerin abermals auf Zahlung von Unterhalt. Aufgrund des in diesem Verfahren ergangenen Urteils erhält die Klägerin vom Beklagten 153,50 EUR an monatlichem Unterhalt.
Mit der am eingebrachten Klage begehrt die Klägerin zusätzlich zu dem im Vorverfahren zuerkannten Unterhalt von 153,50 EUR einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 506,50 EUR. Der Beklagte berufe sich zu Unrecht auf die Unterhaltsvereinbarung aus dem Jahr 1993. Die danach eingegangene Verpflichtung betreffe nur 9,77 % seines damaligen Einkommens. Diese Vereinbarung sei ebenso wie die Berufung darauf sittenwidrig. Mit einem Betrag entsprechend der Vereinbarung lasse sich nicht einmal der notdürftige Unterhalt decken. Ausgehend von den Wertungen des EheG „über den Unterhalt nach Aufhebung einer Ehe" könne die Klägerin auf ihren notdürftigen Unterhalt gar nicht verzichten. Dieser betrage monatlich 660 EUR.
Der Beklagte wendete ein, er habe mit der Klägerin eine Unterhaltsvereinbarung geschlossen, auf deren Grundlage er zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 153,50 EUR verpflichtet sei. Diese Vereinbarung sei nicht sittenwidrig. Die Klägerin habe seit 1991 in Lebensgemeinschaften mit wechselnden Partnern gelebt. Ihr wäre daher ohnehin kein Unterhalt zugestanden, weil das Unterhaltsverfahren im Jahr 1993 möglicherweise ergeben hätte, dass die Klägerin den Unterhaltsanspruch verwirkt habe.
Das Erstgericht erkannte den Beklagten schuldig, der Klägerin ab einen zusätzlichen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 7,66 EUR zu zahlen, das Mehrbegehren wies es ab. Der außergerichtliche Unterhaltsvergleich sei bindend, unterliege aber der Umstandsklausel. Der vereinbarte Unterhalt betrage 9,77 % des (seinerzeitigen) Einkommens des Beklagten, weshalb nunmehr der Klägerin monatlich 7,66 EUR zusätzlich zustünden.
Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung des zusätzlich 7,66 EUR monatlich übersteigenden Unterhaltsbegehrens und ließ die ordentliche Revision zu, weil die Frage, wie sich § 68a EheG auf vor dessen Inkrafttreten abgeschlossene Vergleiche über die Unterhaltshöhe bei aufrechter Ehe auswirke, vom Obersten Gerichtshof noch nicht beantwortet worden sei. In dem 2004 geführten Unterhaltsprozess sei über die Frage nach einer allfälligen Sittenwidrigkeit der seinerzeitigen Unterhaltsvereinbarung oder eines darin enthaltenen, allenfalls unzulässigen Unterhaltsverzichts noch nicht rechtskräftig abgesprochen worden, weil die Klägerin dort solche Behauptungen nicht aufgestellt habe. Eine Unterhaltsvereinbarung sei sittenwidrig, wenn Leistung und Gegenleistung zueinander oder die Höhe der Zuwendung in einem groben Missverhältnis zu den Einkommensverhältnissen des Verpflichteten stünden. Bei faktischer Auflösung der ehelichen Gemeinschaft seien die wechselseitigen Eheverfehlungen in die Beurteilung miteinzubeziehen. Ein Unterhaltsverzicht könne nur sittenwidrig sein, wenn ein Anspruch des (vermeintlich) Unterhaltsberechtigten bestanden habe. Wäre der Unterhaltsanspruch bereits verwirkt gewesen, könne eine Vereinbarung, die weit weniger als den gesetzlichen Unterhaltsanspruch betreffe, nicht sittenwidrig sein. Die Unterhaltsvereinbarung sei im Licht des 1993 abgeführten Unterhaltsverfahrens zu beurteilen. Wenn die Klägerin nunmehr die Sittenwidrigkeit der Vereinbarung behaupte, so habe sie alle dafür erforderlichen Umstände zu beweisen, insbesondere, dass ihr Unterhaltsanspruch entgegen der Behauptung des Beklagten in jenem Vorverfahren nicht bereits verwirkt gewesen sei. Es müsste demnach ein hypothetisches Scheidungsverschulden geprüft werden, wobei die Klägerin beweisen hätte müssen, dass nicht sie, sondern den Beklagten ein überwiegendes Scheidungsverschulden träfe. Aus den Negativfeststellungen des Erstgerichts sei für die Klägerin aufgrund der Beweislastregeln nichts zu gewinnen. Nach dem 1993 abgeführten Unterhaltsverfahren - dessen Beweisverfahren nicht abgeschlossen worden sei - sei eine Verwirkung des Anspruchs durch ein Verhalten der Klägerin weiterhin denkmöglich. Die angesichts eines insofern ungewissen Verfahrensausgangs „als Anerkennungsbetrag zu verstehende Unterhaltsvereinbarung" könne somit nicht sittenwidrig sein. Im Ergebnis Gleiches gelte für die Ausführungen der Klägerin zur Unzulässigkeit eines Verzichts auf den notwendigen Unterhalt. Ein solcher wäre nur unter der Prämisse unzulässig, dass der Anspruch der Klägerin auch tatsächlich bestanden habe und nicht bereits verwirkt gewesen sei; auch dafür wäre die Klägerin beweispflichtig gewesen. Ein Verzicht auf einen nicht bestehenden Anspruch könne nicht unzulässig sein.
Soweit die Ausführungen der Berufungswerberin zur Einführung des § 68a EheG durch das Eherechtsänderungsgesetz 1999 als Behauptung einer Umstandsänderung zu verstehen seien, sei ihr zu entgegnen, dass sie ein derartiges Vorbringen in erster Instanz nicht erstattet habe und das erstmalige Vorbringen in der Berufung eine unzulässige Neuerung bilde. Die Nichterörterung dieses Umstands im Verfahren erster Instanz könnte jedoch eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens gemäß § 182a ZPO bedeuten. Es sei allerdings festzuhalten, dass der Verwirkungstatbestand nach § 68a EheG jenem gemäß § 94 Abs 2 ABGB nachempfunden sei. Eine Verwirkung des ehelichen Unterhaltsanspruchs würde daher auch eine Verwirkung des Scheidungsunterhalts nach § 68a EheG bedeuten. Ein denkmöglicher Ehebruch der Klägerin und deren Verlassen des ehelichen Haushalts bedeuteten derart krasse Eheverfehlungen, dass auch ein Unterhaltsanspruch nach § 68a EheG verwirkt wäre.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.
1. Das Berufungsgericht wies zutreffend darauf hin, dass die Klägerin in erster Instanz kein Vorbringen zum Eherechtsänderungsgesetz 1999 und der Einführung des § 68a EheG erstattete, weshalb die Revisionsausführungen - ebenso wie bereits die Berufungsausführungen - in dieser Richtung gegen das Neuerungsverbot verstoßen. Einen allenfalls in der mangelnden Erörterung dieser Frage liegenden Verfahrensmangel im Sinn des § 182a ZPO (vgl Fucik in Rechberger³ § 182a Rz 2 und 4 mwN) rügte die Berufungswerberin nicht. Die Prozessleitungspflicht geht überdies nicht so weit, einen Kläger etwa auf Rechtsgründe, die sich nicht einmal andeutungsweise aus den vorgetragenen (und allenfalls zu ergänzenden oder zu präzisierenden) Tatsachen ergeben, sondern ein anderes Tatsachenvorbringen erfordern, hinweisen zu müssen (RIS-Justiz RS0120057). Allfällige rechtliche Rückwirkungen aufgrund des § 68a EheG werfen daher hier keine erhebliche Rechtsfrage auf.
2. Bei der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen ist wegen der Anwendbarkeit der clausula rebus sic stantibus überall dort, wo nicht deren Ausschluss erwiesen wurde, jede nachträgliche Sachverhaltsänderung, die eine Neubemessung des Unterhalts rechtfertigt, zulässiger Anlass für eine neue Klage (RIS-Justiz RS0047202). Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse erlaubt auch bei in einer rechtskräftigen Entscheidung festgelegten bzw in einem gerichtlichen Vergleich vereinbarten Unterhaltsansprüchen deren Neufestsetzung oder allenfalls eine Unterhaltsherabsetzung aufgrund einer Oppositionsklage. Neben Sachverhaltsänderungen kommen auch Änderungen der gesetzlichen Regelungen oder tiefgreifende Änderungen der Rechtsprechung in Betracht (1 Ob 38/07f; vgl RIS-Justiz RS0047398).
Die einer Sachverhaltsänderung, einer Änderung der Gesetzeslage oder Rechtsprechung zugrundeliegenden Tatumstände, welche die Anwendung der Umstandsklausel auslösen, sind von der klagenden Partei zu behaupten. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin trifft daher sie die Behauptungs- und Beweislast für solche Umstände. Deshalb gehen Unklarheiten des Sachverhalts aufgrund von Negativfeststellungen zu ihren Lasten.
3. Die Klägerin stützte ihre Klage ausschließlich darauf, dass der seinerzeitige Unterhaltsvergleich und das Beharren auf diesem sittenwidrig seien, eine Änderung der Rechtslage mit bestimmten Implikationen auch für ihre Rechtsstellung machte sie dagegen nicht zum Verfahrensgegenstand. Die nach den Umständen des konkreten Falls zu lösende Frage nach der Sittenwidrigkeit der Unterhaltsvereinbarung unterliegt wegen der über den Anlassfall nicht hinausgehenden Bedeutung keiner Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof (3 Ob 133/00f = JBl 2001, 513), weil eine aufzugreifende gravierende Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht jedenfalls nicht vorliegt. Die betroffene Unterhaltsvereinbarung ist im Hinblick auf das vorangegangene Unterhaltsverfahren zu beurteilen. Ein Unterhaltsverzicht oder eine Unterhaltsvereinbarung kann tatsächlich nur dann sittenwidrig sein, wenn ein Unterhaltsanspruch im Vereinbarungszeitpunkt (noch) bestand. Insofern ist im Anlassfall nur maßgebend, ob die Unterhaltsverwirkung ein denkmöglicher Ausgang des Verfahrens war und die Klägerin den Vergleich abschloss, weil sie letztlich vielleicht überhaupt keinen Unterhalt bekommen hätte. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die angesichts eines in diesem Punkt ungewissen Verfahrensausgangs als Anerkennungsbetrag zu verstehende Unterhaltsvereinbarung nicht sittenwidrig sein könne, wirft daher - wie bereits erwähnt - keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.
4. Da der Beklagte nicht ausdrücklich auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision hinwies und deren Zurückweisung beantragte, muss er die Kosten seiner nicht einer zwecksentsprechenden Rechtsverteidigung dienenden Revisionsbeantwortung selbst tragen.