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OGH vom 15.10.2012, 6Ob158/12x

OGH vom 15.10.2012, 6Ob158/12x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** AG, *****, vertreten durch Dr. Hannes Paulweber, Rechtsanwalt in Innsbruck, und des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei Verlassenschaft nach K***** H*****, zuletzt wohnhaft in *****, vertreten durch Altenweisl, Wallnöfer, Watschinger, Zimmermann Rechtsanwälte GmbH in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. mj. A***** S*****, geboren am ***** 2. mj. N***** S*****, geboren am *****, vertreten durch Dr. Andreas König, Rechtsanwalt in Innsbruck, als Kollisionskurator, wegen 159.362 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 101/12p 42, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom , GZ 14 Cg 197/09d 34, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts wird dahingehend abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 3.503,80 EUR (darin 583,97 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 9.923,40 EUR (darin 6.419,60 EUR Barauslagen und 583,97 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Die beklagten Parteien sind weiters zur ungeteilten Hand schuldig, der Nebenintervenientin binnen 14 Tagen die mit 3.185,46 EUR (darin 530,91 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Jahr 1999 ging die W***** GmbH (in der Folge: W*****) aus einem Vorunternehmen hervor, das Lizenzrechte an Patenten zur Wasseraufbereitung erworben hatte. Im Jahr 2000 übernahm Ing. A***** S*****, der Vater der Beklagten (in der Folge: Erblasser) 25 % der Anteile, erhöhte diese laufend und wurde 2005 Geschäftsführer. Er schoss der Gesellschaft ab 2000 jährlich rund 1 Mio EUR zu; ohne diese schon vorab einkalkulierten Leistungen wäre die W***** nicht überlebensfähig gewesen. Nur im Jahr 2005 wurden aufgrund eines Vergleichsabschlusses mit einem früheren Geschäftspartner schwarze Zahlen geschrieben. Im Herbst 2006 fand die Finanzplanung für das Jahr 2007 statt, bei der der Erblasser wieder seinen jährlichen Kapitalbeitrag zusicherte; weiters entwickelte er ein neues Vertriebskonzept.

Hauptfinanzierende Bank war zunächst die ***** W*****, Ende 2005/Anfang 2006 kam es zu einer Umschuldung auf die Klägerin, die einen mit einem Wertpapierdepot besicherten Lombardkredit über 1 Mio EUR, eine Barvorlage von 1 Mio EUR und einen längerfristigen Kredit über 1,45 Mio EUR vergab. Der Erblasser übernahm für alle Kredite am die persönliche Haftung in Form einer Wechselbürgschaft und verpfändete darüber hinaus ein Wertpapierdepot. Er wusste, was Bürgschaften und Verpfändungen bedeuten, und wurde „umfangreich über seine im Zusammenhang mit der Bürgschaft zu erwartenden Zahlungsverpflichtungen“ aufgeklärt. Ohne seine persönliche Haftung hätte die Klägerin die Kredite nicht gewährt.

Der Erblasser starb am . Zu diesem Zeitpunkt waren alle Kreditrahmen der W***** bei der Klägerin mit Ausnahme vom 550.000 EUR aus dem Lombardkredit ausgeschöpft. Der von der Verlassenschaftskuratorin bestellte neue Geschäftsführer ließ sich von den Banken das „Halten der Kreditlinien“ bestätigen und wies die Klägerin an, den noch offenen Darlehensbetrag auf das Konto der ***** W***** zu überweisen, über das die laufenden Geschäfte, Gehaltszahlungen etc abgewickelt wurden. Die Verlassenschaftskuratorin stimmte dieser Vorgangsweise zu. Wäre die Überweisung nicht erfolgt, wären diese dringend erforderlichen Zahlungen direkt vom Konto der Klägerin getätigt worden. Zum damaligen Zeitpunkt war die W***** aus Sicht der Klägerin noch kein gefährdeter Kunde, es wurde daher nicht mit Ausfällen gerechnet. Nicht festgestellt werden kann, ob der Klägerin damals bekannt war, dass die potentiellen Erben minderjährig waren.

Nach dem Tod des Erblassers gab es zunächst Bestrebungen zur Unternehmensfortführung; mit mehreren Unternehmen wurden bis Ende 2008 intensive Kooperations und später Übernahmsgespräche geführt. Mit Beschluss vom wurde das Nachlassvermögen beiden Beklagten eingeantwortet. Ihr Antrag auf gerichtliche Genehmigung des Verkaufs ihrer Anteile an der W***** wurde mit Beschluss vom vom Pflegschaftsgericht abgewiesen. Unmittelbar darauf ging die W***** in Konkurs.

Nach einer schrittweisen Verwertung der verpfändeten Wertpapiere ergab sich auf dem Kreditkonto ein Saldo zugunsten der Klägerin in Höhe des Klagsbetrags, hinsichtlich dessen sie den Wechsel zog.

Die Klägerin begehrt von den Beklagten als Erbinnen nach dem Bürgen die Zahlung des noch offenen Kreditsaldos aufgrund der persönlichen Haftungsübernahme.

Das Erstgericht gab der Klage statt.

Der Erblasser habe auch zu der hier eingeklagten Verbindlichkeit die persönliche Haftung übernommen. Die Unternehmenssituation bei Überweisung der 550.000 EUR sei keine andere als jene in den Jahren zuvor gewesen, die Klägerin habe dabei keine Sorgfaltspflichten verletzt. Vielmehr habe es bei der W***** aussichtsreiche Bestrebungen zur Unternehmensfortführung und später zur Veräußerung gegeben; die Gelder seien zur Abwicklung des laufenden Betriebs dringend erforderlich gewesen. Einer Auskunft bzw Zustimmung des Verlassenschafts oder Pflegschaftsgerichts habe es nicht bedurft.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies die Klage ab.

In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, dass aus § 1364 zweiter Satz ABGB eine Sorgfaltspflicht der Bank zugunsten von Bürgen abgeleitet werde. Aufklärungspflichten seien hier zwar nicht verletzt worden. Allerdings sei der Klägerin bewusst gewesen, dass die W***** ohne die Finanzierung durch den Erblasser nicht habe überleben können. Damit hätte sie nach dessen Tod aufgrund der Sorgfaltspflicht den Erben nach dem Bürgen gegenüber von einer Auszahlung des restlichen Darlehensbetrags Abstand nehmen und eine Genehmigung des Verlassenschaftsgerichts einholen müssen. Die Verlassenschaftskuratorin habe sich aufgrund ihrer gleichzeitigen Anteilsverwaltung in einer offenkundigen Interessenkollision befunden. Damit habe die Klägerin ihre Ansprüche aus der Bürgschaft „verloren“.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, welche Maßnahmen ein Kreditgeber zum Schutz des Bürgen zu ergreifen habe, wenn sich während eines aufrechten Bürgschaftsverhältnisses die wirtschaftliche Situation des Hauptschuldners in einem Maße verschlechtere, das die Inanspruchnahme des Bürgen als wahrscheinlich erscheinen lasse, und erst nach dieser Verschlechterung eine Auszahlung aus dem besicherten Kreditverhältnis zu erfolgen habe, keine oberstgerichtliche Judikatur vorhanden sei. Darüber hinaus sei auch nicht durch oberstgerichtliche Rechtsprechung gesichert, inwieweit die Beklagten, die die Bürgschaftsverpflichtung ausschließlich im Wege der Universalsukzession übernommen hätten, sich die Kenntnisse über das Bürgschaftsrisiko des Erblassers bei Eingehung der Bürgschaftsverpflichtung anrechnen lassen müssten.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Die Revision ist im Interesse der Rechtssicherheit zulässig; sie ist auch berechtigt.

1.1. Vorweg ist festzuhalten, dass die grundsätzliche Wirksamkeit des Kreditvertrags sowie der Haftungsübernahme nicht bezweifelt werden kann. Damit besteht aber eine (bereits fällige) Verbindlichkeit des Erblassers gegenüber der Klägerin in Höhe des unbestrittenen Klagsbetrags, die im Wege der Universalsukzession auf die Beklagten übergegangen ist.

1.2. Der Oberste Gerichtshof hat zwar mit der Entscheidung 7 Ob 35/10p eine Klage der ***** W***** gegen die A***** S***** GmbH wegen einer Sittenwidrigkeit der Bürgschaftsverpflichtung abgewiesen. Grund dafür war aber, dass die Übernahme der Bürgschaft als verbotene Einlagenrückgewähr zu qualifizieren war. Damit ist aber der dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt mit der hier zu beurteilenden Konstellation nicht vergleichbar.

2.1. Der Erbe erhält durch die Universalsukzession die volle Herrschaft über den Nachlass und wird Schuldner der Erbschaftsgläubiger, „setzt“ im Wesentlichen also die Person des Erblassers „fort“ (RIS Justiz RS0038441 [T1]).

2.2. Durch den Erbanfall als solchen konnten daher keine „neuen“ Aufklärungspflichten gegenüber den Erben hinsichtlich der bereits wirksam zustandegekommenen Bürgschaft begründet werden.

3.1. Der Auffassung des Berufungsgerichts, die Klägerin sei ihres Anspruchs „verlustig gegangen“, kann nicht gefolgt werden.

3.2. Die schädigende Handlung liegt im vorliegenden Fall nicht in der Überweisung an die ***** W*****, weil die Beträge nach den Feststellungen sonst direkt vom Kreditkonto abgebucht worden wären, sondern in der Zurverfügungstellung der bis dahin noch nicht ausgeschöpften Darlehenssumme. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die beklagten Parteien als Gesellschafterinnen der W***** bei einer Nichtauszahlung ebenso einen finanziellen Schaden erlitten hätten.

3.3. Entgegen der Rechtsansicht der beklagten Parteien wurde nach den Feststellungen der Vorinstanzen hier gerade keine neue Verbindlichkeit eingegangen, in deren Rahmen zweifellos Schutz und Sorgfaltspflichten gegenüber den beklagten Parteien bestanden hätten, sondern bloß eine bereits bestehende Verbindlichkeit erfüllt.

3.4. Durch die faktische Auszahlung hat sich das Schadenspotenzial beim Bürgen nicht vergrößert, weil er schon zuvor eine Haftungsübernahme hinsichtlich der gesamten Summe abgegeben hat und sich über die Konsequenzen dieser Haftungsübernahme im Klaren war.

3.5. Der Bürge hat in der Regel seine Interessen selbst zu wahren. Eine Warnpflicht besteht nach der Rechtsprechung aber ausnahmsweise dann, wenn der Gläubiger schon Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder dem unmittelbar bevorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch des Hauptschuldners hat und diesem gerade wegen der von einem Dritten geleisteten Sicherheit trotzdem noch Kredit gewährt oder wenn der Gläubiger weiß, dass der Hauptschuldner mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Kredit nicht zurückzahlen kann oder sonst eine für den Bürgen besonders gefährliche Situation erkennen musste (RIS Justiz RS0042562). Diese Warnpflicht besteht aber nicht vor Auszahlung des Kreditbetrags, sondern vor Eingehen der Bürgschaftsverpflichtung. Dieser Verpflichtung ist die klagende Partei im vorliegenden Fall schon bei der ursprünglichen Kreditgewährung nachgekommen.

4.1. Die klagende Partei hätte im vorliegenden Fall auch keineswegs ohne Weiteres die Auszahlung verweigern können. Ebenso wenig bestand Raum für die Befassung des Verlassenschafts und Pflegschaftsgerichts. Dieses ist ausschließlich mit der Wahrung der Interessen der Erben des Bürgen betraut, konnte aber nicht in das Rechtsverhältnis zwischen der klagenden Partei und der W***** eingreifen.

4.2. Ein Leistungsverweigerungsrecht der klagenden Partei ist im Kreditvertrag nicht vorgesehen; die beklagten Parteien haben auch keine Umstände vorgebracht, aus denen ein derartiges Leistungsverweigerungsrecht abzuleiten wäre. Auch das allgemeine außerordentliche Kündigungsrecht aus wichtigem Grund (vgl Z 23 ABB) greift nicht, solange wie im vorliegenden Fall ausreichend Sicherheiten vorhanden sind (vgl 5 Ob 266/02g).

4.3. Auch nach der am in Kraft getretenen Bestimmung des § 991 ABGB idF DaKRÄG kann der Kreditgeber die Auszahlung des Kreditbetrags (nur) verweigern, wenn sich nach Vertragsabschluss Umstände ergeben, die eine Verschlechterung der Vermögenslage des Kreditnehmers oder eine Entwertung bedungener Sicherheiten in einem solchen Ausmaß erweisen, dass die Rückzahlung des Kredits oder die Entrichtung der Zinsen selbst bei Verwertung der Sicherheiten gefährdet ist.

4.4. Zuvor wurde in der Lehre die Unsicherheiteneinrede analog zu § 1052 ABGB zugelassen ( Bollenberger in Apathy/Iro/Koziol , Österreichisches Bankvertragsrecht IV 2 Rz 1/43 ff mwN). Diese Auffassung wurde vom Obersten Gerichtshof in einem Fall, in dem deutsches Sachrecht (§ 490 BGB) anwendbar war, geteilt (3 Ob 32/08i).

4.5. Die Aufkündigung des Kreditvertrags bei Nichteinhaltung der vereinbarten Rückzahlungsraten ist primär ein Recht, nicht aber eine Pflicht der Bank. Nur wenn diese zum Nachteil des Bürgen unterblieben wäre, kann die Unterlassung der Aufkündigung eine Obliegenheitsverletzung gegenüber dem Bürgen darstellen. Solange der Kreditgeber noch damit rechnen konnte, der Kreditnehmer werde seinen Verpflichtungen (wenn auch verspätet) nachkommen, ist ein Zuwarten mit der Aufkündigung sogar im Interesse des Bürgen (6 Ob 587/86).

5.1. Der Bürgschaftsgläubiger verwirkt seinen Anspruch gegen den Bürgen, wenn er den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Hauptschuldners schuldhaft verursacht und jeden Rückgriff des Bürgen vereitelt (3 Ob 32/08i).

5.2. Auch wenn es grundsätzlich dem Gläubiger freisteht, ob er sich zuerst an den Hauptschuldner oder an den Bürgen und Zahler wendet, kann die Inanspruchnahme des Bürgen und Zahlers unter gleichzeitiger Nichtinanspruchnahme des zahlungsfähigen Hauptschuldners unter besonderen Voraussetzungen (im konkreten Fall: Unterlassung der durch längere Zeit hindurch möglichen Aufrechnung gegen eine Forderung des Hauptschuldners) rechtsmissbräuchlich sein. Eine solche rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme des Wechselbürgen führt zur Verneinung des wechselmäßigen Anspruchs im Umfang der leicht möglichen Befriedigung durch Schuldtilgung durch den Hauptschuldner (8 Ob 3/91).

5.3. Im vorliegenden Fall haben die beklagten Parteien aber weder vorgebracht, warum die klagende Partei zur Leistungsverweigerung gegenüber der W***** berechtigt gewesen wäre, noch konnte eine Bösgläubigkeit bzw Schädigungsabsicht auf Seiten der klagenden Partei festgestellt werden. Der bloße Wechsel in der Person des Bürgen aufgrund der eingetretenen Universalsukzession kann keine Änderung dieser rechtlichen Beurteilung bewirken.

6. Damit erweist sich aber die Rechtsansicht des Erstgerichts als zutreffend, sodass dessen Entscheidung wiederherzustellen war.

7. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Infolge Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts hatte der Oberste Gerichtshof dabei auch auf die vom Berufungsgericht nicht erledigte Kostenrüge der beklagten Parteien einzugehen. Entgegen der Rechtsansicht der beklagten Parteien ist jedoch nicht zu beanstanden, dass das Erstgericht der klagenden Partei, die für ihre gesamten Kosten stets Umsatzsteuer ansprach, die ersichtlich irrtümlich im Kostenverzeichnis nicht berücksichtigte Umsatzsteuer in Höhe von 204,27 EUR auch für die Kommission beim Landesgericht Innsbruck zuerkannte. Für eine Abänderung der Kostenentscheidung des Erstgerichts bestand daher kein Anlass.