OGH vom 19.03.2014, 3Ob15/14y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ. Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerinnen Christina Maria B***** und Daniela B*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Helmut Graupner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Protokollierung einer Zustimmung (§ 8 FMedG), über den Revisionsrekurs der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels vom , GZ 21 R 114/10d 5, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Wels vom , GZ 1 Fam 20/10s 2, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Text
Begründung:
Die Erstantragstellerin ist österreichische Staatsbürgerin und mit der Zweitantragstellerin, einer deutschen Staatsangehörigen, am vor dem Standesamt Krefeld/Deutschland eine Lebenspartnerschaft nach dem (d)LPartG eingegangen. Beide haben ihren Wohnsitz in Wels.
Mit Schriftsatz vom erklärten die Antragstellerinnen , die Erstantragstellerin wolle durch medizinisch unterstützte Fortpflanzung unter Verwendung des Samens eines Dritten ein Kind empfangen; dem stimme die Zweitantragstellerin ausdrücklich zu. Sie beantragten dem entsprechend beim Erstgericht
1. die Zustimmung der Zweitantragstellerin zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung der Erstantragstellerin unter Verwendung des Samens eines Dritten gerichtlich zu Protokoll zu nehmen (§ 8 Abs 1 Fortpflanzungsmedizingesetz, FMedG) und
2. sie zu Handen ihres Vertreters zu einem diesbezüglichen zeitnahen Termin zu laden.
Das Verbot der medizinisch unterstützten Fortpflanzung außerhalb einer Ehe oder verschieden geschlechtlichen Lebensgemeinschaft verstoße gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung.
Das Erstgericht wies das Begehren der Antragstellerinnen zurück, weil nach § 2 Abs 1 FMedG eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung nur in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft von Personen verschiedenen Geschlechts zulässig sei.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage, ob § 2 Abs 1 FMedG gegen Verfassungs- oder Unionsrecht verstoße, nicht vorliege.
Mit ihrem Revisionsrekurs beantragen die Antragstellerinnen, die Vorentscheidungen dahin abzuändern, dass ihrem Begehren stattgegeben werde.
Unter anderem über Antrag des erkennenden Senats gemäß Art 89 B VG (Art 140 B VG) vom , 3 Ob 224/12f, hob der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , GZ G 16/2013-16, G 44/2013-14, f olgende Bestimmungen des Bundesgesetzes, mit dem Regelungen über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung getroffen werden (Fortpflanzungsmedizingesetz FMedG), BGBl Nr 275/1992, als verfassungswidrig auf: 1. in § 2 Abs. 1 in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009 die Wortfolge „von Personen verschiedenen Geschlechts“, 2. § 2 Abs. 2 in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009, und 3. § 3 Abs. 1 und 2 in der Stammfassung BGBl. Nr. 275/1992. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Aufhebung mit Ablauf des in Kraft tritt und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten.
Rechtliche Beurteilung
Daraus folgt, dass der Revisionsrekurs zulässig und berechtigt ist, weil § 2 Abs 1 FMedG dem Begehren der Antragstellerinnen, die nach § 8 Abs 1 FMedG geforderte Zustimmung gerichtlich zu Protokoll zu nehmen, nicht mehr entgegensteht.
1. Der Oberste Gerichtshof hat schon im Aufhebungsantrag dargelegt, dass auf den Antrag noch § 8 Abs 1 FMedG in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl I 2010/111, anzuwenden ist, sodass für den konkreten Fall die gerichtliche Zuständigkeit für die Protokollierung der Zustimmung gegeben ist. Daran ist festzuhalten.
2. Auch wenn der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen hat, dass die Aufhebung erst mit Ablauf des in Kraft tritt, ist die aufgehobene Norm doch auf den „Anlassfall“, hier also auf den vorliegenden Antrag nicht anzuwenden (Art 140 Abs 7 B-VG; RIS-Justiz RS0054005; Mayer B-VG 8 487).
3. Das bedeutet, dass der von den Vorinstanzen herangezogene Zurückweisungsgrund nicht aufrechterhalten werden kann, weshalb deren Beschlüsse aufzuheben waren. Gleichzeitig ist dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen; daher wird es die Antragstellerinnen zwecks Protokollierung ihrer Zustimmungen zu laden haben.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2014:0030OB00015.14Y.0319.000