OGH vom 14.02.2012, 2Ob174/11v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Sole, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, und 2. Pensionsversicherungsanstalt, 1020 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, beide vertreten durch Dr. Christian Slana, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei DI H***** K*****, vertreten durch Deixler Mühlschuster Rechtsanwälte OG in Wels, wegen (erstklagende Partei:) 182.948,95 EUR sA und Feststellung, sowie (zweitklagende Partei:) 25.226,88 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 26/11y-20, womit das Urteil des Landesgerichts Steyr vom , GZ 4 Cg 256/09v-16, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die erstklagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.340,24 EUR (darin enthalten 390,04 EUR USt) bestimmten anteiligen Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die zweitklagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 351,55 EUR (darin enthalten 58,59 EUR USt) bestimmten anteiligen Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am wurde A***** P***** (im Folgenden: „[später] Verletzter“) bei einem Arbeitsunfall im Betrieb der C***** KG (im Folgenden: „Unternehmen“) schwer verletzt. Die erstklagende Allgemeine Unfallversicherungsanstalt leistete ihm bisher zumindest 182.948,95 EUR, die zweitklagende Pensionsversicherungs anstalt zumindest 25.226,88 EUR. Der Verletzte hat infolge des Arbeitsunfalls Anspruch auf eine Dauerrente, sodass die Erstklägerin weiterhin Rentenansprüche erbringen wird müssen und auch weitere Heilbehandlungskosten anfallen können. Auch die Zweitklägerin wird über den hinaus Pensionsleistungen erbringen müssen.
Der später Verletzte war beim Unternehmen als Hilfsarbeiter beschäftigt. Sein Aufgabengebiet war zu Beginn, produzierte Betonplatten zu verladen. Die erzeugten Platten wurden mittels Kran vom Produktionsbereich weggehoben und abgestellt. Anschließend wurden diese Platten mit Schraubzwingen gesichert, mit Gurten versehen und verladen.
Für die Unterweisung des später Verletzten war vorerst der Werkmeister F***** S***** zuständig. Der später Verletzte wurde unterwiesen, wie man Platten mit Schraubzwingen sichert, die Schraubzwingen richtig anlegt und gut anzieht, dass auf dem Boden etwas untergelegt werden muss und die Platten auf dem Boden nicht schief stehen dürfen, damit sie nicht kippen können. Jahrelang wurden die erzeugten Betonplatten in dieser Weise gesichert. Vom Arbeitsinspektorat gab es bezüglich dieser Vorgehensweise keinerlei Beanstandungen.
Im März 2005 wurde eine Umlauffertigungsanlage zur Produktion von größeren und mehr Betonplatten in Betrieb genommen. Zu diesem Zeitpunkt wurde C***** R***** als Assistent für die Sparte Tiefbau im Unternehmen aufgenommen. Er war nicht unmittelbarer Vorgesetzter des später Verletzten, sondern für die Produktionsdaten und zur Dokumentierung des gesamten Werks zuständig. Seine Aufgabe war es auch, den Ablauf an der neuen größeren Maschine zu optimieren. Weiters wäre grundsätzlich auch seine Aufgabe die Unterweisung der Mitarbeiter und so auch des später Verletzten gewesen. Aufgrund der Tatsache, dass er neu ins Unternehmen gekommen war, delegierte er dieses Aufgabengebiet allerdings wieder an den Werkmeister. Dieser führte weitere Unterweisungen betreffend Gehörschutz, Umgang mit Eisenteilen und Kreissäge, Abstellen auf dem Kran et cetera durch. Eine eigene Unterweisung wegen der geänderten Verhältnisse aufgrund mehr und größerer Platten führte der Werkmeister nicht durch.
Der später Verletzte war bei der neuen Maschine an der Entladestation tätig. Die neuen größeren Platten kamen liegend auf einem Förderband zu dieser Entladestation und mussten von dort mittels Kran verladen werden.
Bis zum Jahr 2001 war beim Unternehmen eine eigene Person beschäftigt, die mit sämtlichen sicherheitstechnischen Fragen betraut war. Diese Person verließ im Jahr 2001 das Unternehmen, sodass das Unternehmen eine externe Sicherheitsfachkraft engagieren wollte, durch die sämtliche Bereiche der sicherheitstechnischen Fachkraft abgedeckt werden sollten. Das Unternehmen schloss daher mit dem Beklagten am einen Vertrag über die sicherheitstechnische Betreuung mit Wirksamkeit ab ab. Der Leistungsumfang dieses Vertrags war wie folgt geregelt: „ Gegenstand dieses Vertrages ist die Durchführung von Beratungs- und Betreuungstätigkeiten als externe Sicherheitsfachkraft gemäß ASchG §§ 73-77 nach dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz in der jeweils geltenden Fassung. “ Der Vertragstext stammte vom Beklagten.
Als die Platten noch in kleinerer Stückzahl und kleinem Ausmaß produziert wurden, sah der Beklagte keine Notwendigkeit, diese anders als mit Schraubzwingen zu sichern. Als die Neuanlage dann größere und mehr Platten produzierte, stellte er Überlegungen über die Lagerung der Betonplatten ab der Übernahme an der Entladestation an. Einerseits bestand die Möglichkeit, die Platten auf sogenannten „A-Blöcken“ zu lagern, die Platten also rechts und links schräg anzulehnen. Beim Versetzen auf einer Baustelle hätten die Platten der Reihe nach verwendet werden müssen, so wie sie hier angelehnt gewesen wären. Wäre man dem nicht nachgekommen, hätte sich wieder die Thematik der ungesicherten Platten gestellt. Der Beklagte entwickelte daher gemeinsam mit dem Unternehmen eigene Gitterboxen, in denen die erzeugten Platten mittels Kran von der Endstelle der Produktionsstraße einzeln hineingeschoben werden, wo sie von der Produktion bis zum Versetzen einzeln gesichert sind und kein weiterer Transfer der Platten mehr notwendig ist. Mit den Gitterboxen sollten die Platten dann auf die Baustelle transportiert werden und von dort direkt verwendet werden. Eine Sicherung mittels Schraubzwingen und ein Abstellen dazwischen erschien somit nicht mehr erforderlich.
Das Unternehmen entwickelte auch tatsächlich derartige Boxen. Der Beklagte kam im Schnitt ein- bis zweimal im Monat im Unternehmen vorbei und sah, dass die Platten - in seinem Sinn - in Gitterboxen abgestellt waren. Ihm war nicht bekannt, dass gelegentlich zu wenig Gitterboxen im Betrieb vorhanden waren, weil sie sich noch beim Entladen auf der Baustelle befanden. Da er von einer ausreichenden Anzahl von Gitterboxen ausging, sah er auch keine Notwendigkeit einer zusätzlichen Unterweisung der Mitarbeiter für den Fall, dass nicht genug Gitterboxen vorhanden wären und auch die großen Platten mit Schraubzwingen zu sichern wären. Eine Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumentation für die Umlaufanlage hatte er nicht erstellt.
Der später Verletzte war von Beginn an an der neuen Maschine beschäftigt. Der Arbeitsablauf war für ihn nun im Vergleich zu vorher etwas leichter, weil an der Entladestelle der Tisch etwas gekippt werden konnte, die erzeugte Platte etwas aufgekippt werden und an den Kran zum Hochheben angehängt werden konnte. Die an den Kran befestigte Platte wurde dann in die Gitterboxen verladen. Da die neue Maschine mehr Platten produzierte und nicht immer genügend Gitterboxen vor Ort waren, kam es vor, dass die Platten nunmehr nicht - wie geplant - gleich in die Gitterboxen verladen werden konnten, sondern zwischengelagert werden mussten. Dies war dem genannten Assistenten bekannt. Wenn nicht genug Gitterboxen vorhanden waren, stellte der später Verletzte, der zumeist mit einem Kollegen arbeitete, die Platten mittels Kran auf dem Boden ab, wobei er eine Gummimatte unterlegte. Er sicherte die Platten wie früher die kleineren Platten beidseits mit Schraubzwingen. Waren dann wieder Gitterboxen vorhanden, wurden die zu verladenden Platten an den Kran eingehängt, dann die Schraubzwingen geöffnet und bei den verbleibenden Platten wieder geschlossen und so Platte für Platte in die Gitterboxen hineingehoben.
Es steht nicht fest, dass die Schraubzwingen alt und nicht mehr voll funktionsfähig waren. Ebenso steht nicht fest, dass der später Verletzte oder einer seiner Kollegen die Vorgesetzten auf diese Tatsache angesprochen hätte. Weiters steht nicht fest, dass es mangels genügend vorhandener Gitterboxen zum Umfallen von Betonplatten gekommen ist, als die neue Maschine ab 2005 in Betrieb genommen wurde.
Am arbeitete der später Verletzte wieder an seinem üblichen Arbeitsplatz an der Entladestation vorerst bis ca 9:00 Uhr alleine. Bis zu diesem Zeitpunkt waren keine Gitterboxen zum Verladen der Betonplatten vorhanden. Nach der Jausenzeit kam der genannte Assistent zum später Verletzten und teilte ihm mit, es seien jetzt zwei Boxen da und er könne die Platten, die auf dem Boden aufgestellt waren, in die Boxen schlichten. Der später Verletzte begann anschließend gemeinsam mit einem Kollegen die Platten in die Gitterboxen zu verladen. Er hatte bereits vier Betonplatten in die Gitterboxen verladen, weitere vier Platten wären noch in die Gitterboxen zu verladen gewesen. Der später Verletzte wollte die Kette, die vom Kran herunter kam, an einer zu verladenden Platte festmachen und die Platten einhängen. Ebenso sollte sein Kollege vorgehen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Platten noch durch Schraubzwingen gesichert. Erst nach dem Anhängen an den Kran sollten die Schraubzwingen geöffnet werden. Zu diesem Zeitpunkt begann sich plötzlich eine Platte zu bewegen, worauf mehrere Platten umfielen. Der später Verletzte wurde von den umfallenden Platten getroffen und schwer verletzt. Es kann nicht festgestellt werden, ob die Platten umfielen, weil der Verletzte oder sein Kollege die zu verladenden Platten nicht ordnungsgemäß am Kran befestigt und verfrüht die Schraubzwingen geöffnet hatten oder ob die Schraubzwingen nachgaben. Die Erstklägerin gewährte ihm aus Anlass dieses Arbeitsunfalls eine Dauerrente von 60 % der Vollrente im gesetzlichen Ausmaß.
Beim Anheben der Betonplatten mit dem Kran vom Produktionsband und beim senkrechten Abstellen direkt in die Transportgestelle ist ein Schadenseintritt unwahrscheinlich. Die dabei bestehende Gefahr einer Verletzung von Personen durch das Umkippen des gesamten Transportgestells ist sehr gering. Werden die Betonplatten mit dem Kran vom Produktionsband abgehoben, auf den mit Gummimatten ausgelegten Boden abgesenkt, die ordnungsgemäßen Schraubzwingen der bereits auf dem Boden stehenden Platten gelöst und mit der neu dazu gestellten Betonplatte fixiert, so liegt eine mittlere Gefährdung vor. Bei unsachgemäßer Arbeitsweise können die Betonplatten umkippen. Durch Manipulationsfehler ist ein Schadenseintritt wahrscheinlich. Vor dem gegenständlichen Unfall können Manipulationsfehler allerdings nicht festgestellt werden.
Mit der vorliegenden Klage begehren die Erstklägerin die Zahlung von 182.948,95 EUR, die Zweitklägerin von 25.226,88 EUR als gemäß § 332 ASVG auf sie übergegangene Schadenersatzansprüche des Geschädigten und beide Klägerinnen begehren die Feststellung der Haftung des Beklagten für die Folgen des Arbeitsunfalls. Sie brachten vor, der Beklagte sei seit externe Sicherheitsfachkraft des Unternehmens iSd § 4 Abs 6 ASchG und damit für die Arbeitssicherheit Verantwortlicher. Der Arbeitsunfall sei durch mehrfache Verstöße gegen die Arbeitnehmerschutzbestimmungen verursacht worden. Gemäß § 4 Abs 1 ASchG sei der Arbeitgeber bzw für diesen die gemäß § 4 Abs 6 ASchG bestellte externe Sicherheitsfachkraft verpflichtet, die für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer bestehenden Gefahren zu ermitteln und zu beurteilen. Aufgrund dieser Ermittlungen seien die durchzuführenden Maßnahmen zur Gefahrenverhütung festzulegen. Darüber seien Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumente schriftlich zu erstellen und die Arbeitnehmer aufgrund der so erhobenen Gefahren zur Vermeidung von Unfällen gemäß § 14 Abs 1 ASchG zu unterweisen. Im konkreten Fall seien die Betonplatten de facto ohne jede Sicherung gegen Umfallen gelagert worden, was der Beklagte zu verantworten habe, da keine Arbeitsplatzevaluierung iSd § 4 ASchG erfolgt sei. Auch sei kein Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokument erstellt worden. Eine Unterweisung der Arbeitnehmer habe nicht stattgefunden. Die Bestellung des Beklagten als externe Sicherheitsfachkraft sei ein Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter, nämlich der Arbeitnehmer des Auftraggebers, sodass der Beklagte dem geschädigten Arbeitnehmer gegenüber hafte. Der Beklagte habe die gefährliche, nämlich nicht standsichere Lagerung der Platten außerhalb der Transportgestelle vor und selbst unmittelbar nach dem Unfall toleriert. Er habe durch mehrfach qualifizierte Verstöße gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften eine Gefahrenlage geschaffen bzw aufrechterhalten, die nicht nur eine abstrakte Unfallwahrscheinlichkeit nach sich gezogen, sondern den Unfall geradezu heraufbeschworen habe, sodass insgesamt grobe Fahrlässigkeit vorliege, wofür der Beklagte gemäß § 334 Abs 1 ASVG selbst dann einstehen müsste, wenn ihm das Haftungsprivileg gemäß § 333 Abs 4 ASVG zukäme. Auf dieses könne sich der Beklagte aber ohnedies nicht stützen, weil er gegenüber Mitarbeitern des Unternehmens nicht weisungsbefugt gewesen sei. Aufgrund der schwersten Verletzungen des Verletzten bestehe auch das geltend gemachte Feststellungsinteresse.
Der Beklagte trat den Klagebegehren dem Grunde nach - der Höhe nach stellte er die Klagsforderungen außer Streit - mit der Einwendung entgegen, er habe mit dem Unternehmen lediglich einen Vertrag über die sicherheitstechnische Betreuung nach §§ 73 ff ASchG abgeschlossen und sei daher nur allgemein beratend tätig geworden. Er sei nicht für die Arbeitsplatzevaluierung zuständig gewesen, sodass er für die Ermittlung und Beurteilung der Gefahren am Arbeitsplatz nicht verantwortlich sei. Eine Tätigkeit nach § 4 Abs 6 ASchG hätte eines gesonderten Vertrags bedurft. Eine Haftungsgrundlage gegenüber dem Verletzten bestehe weder vertraglich noch deliktisch. Der Beklagte sei im Rahmen seiner Tätigkeit lediglich zwei Tage im Monat vor Ort und könne nicht ständig Überwachungstätigkeiten vornehmen. Das Unternehmen habe auf Hinweis des Beklagten Gestelle für die Lagerung der Betonplatten entworfen, die tatsächlich auch zu diesem Zweck verwendet worden seien. Dass diese Vorgabe nicht eingehalten worden sei, habe er niemals festgestellt. Der Verletzte sei auch in die Verwendung der Gestelle eingeschult worden. Am Unfalltag seien genügend Gestelle zur Verfügung gestanden und hätten vom Verletzten verwendet werden können. Sollte den Beklagten eine Haftung treffen, gelte für ihn das Haftungsprivileg nach § 333 Abs 4 ASVG. Grobe Fahrlässigkeit könne ihm nicht vorgeworfen werden. Sein Vertrag mit dem Arbeitgeber des Verletzten entfalte für diesen keine Schutzwirkungen, weil die §§ 73 ff ASchG keine Schutzgesetze seien. Der Unfall sei auf das Alleinverschulden des Verletzten zurückzuführen. Zur Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften sei der Arbeitgeber verpflichtet. Nach § 83 ASchG enthebe die Bestellung von Präventivfachkräften (also von Sicherheitsfachkräften) den Arbeitgeber nicht von seiner Verantwortlichkeit für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften. Den Präventivfachkräften könne auch die Verantwortlichkeit für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht rechtswirksam übertragen werden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte den schon wiedergegebenen Sachverhalt fest und vertrat die Rechtsansicht, der Beklagte habe als externe Sicherheitsfachkraft die Aufgaben und Pflichten des Arbeitgebers zu erfüllen. Ihm komme daher das Haftungsprivileg des § 334 Abs 1 ASVG zugute, wonach nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit gehaftet werde. Das Verhalten des Beklagten sei nicht grob fahrlässig.
Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil und führte rechtlich Folgendes aus:
Die öffentlich-rechtlichen Arbeitnehmerschutz vorschriften richteten sich grundsätzlich an den Arbeitgeber (2 Ob 92/08f ua). Sie gäben die Rahmenbedingungen und die Mindestanforderungen für die Schutzmaßnahmen vor und dienten in erster Linie dem Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sittlichkeit im Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung (RIS-Justiz RS0084412). Umfasst werde davon vor allem der technische Arbeitnehmerschutz (Gefahren- oder Betriebsschutz; RIS Justiz RS0050631), dessen Vorschriften sich unter anderem auf die Arbeitsvorgänge und die in der Arbeitsstätte verwendeten technischen Geräte und sonstigen Arbeitsmittel bezögen (2 Ob 174/05k mwN; 2 Ob 92/08f). Die Arbeitnehmerschutzbestimmungen seien Schutzvorschriften iSd § 1311 ABGB zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer bei ihrer beruflichen Tätigkeit (RIS-Justiz RS0029542).
Nach § 4 Abs 6 ASchG seien (vom Arbeitgeber) bei der Ermittlung und Beurteilung der Gefahren und der Festlegung der Mindestmaßnahmen erforderlichenfalls geeignete Fachleute heranzuziehen. Mit der Ermittlung und Beurteilung der Gefahren könnten auch Sicherheitsfachkräfte beauftragt werden. Die Bestellung und die Aufgaben von Sicherheitsfachkräften regelten die §§ 73 ff ASchG. Sie hätten die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer, die Sicherheitsvertrauenspersonen und die Belegschaftsorgane auf dem Gebiet der Arbeitssicherheit und der menschengerechten Arbeitsgestaltung zu beraten und die Arbeitgeber bei der Erfüllung ihrer Pflichten auf diesen Gebieten zu unterstützen (§ 76 Abs 1 ASchG).
Zur Frage, ob (externen) Sicherheitsfachkräften im Hinblick auf ihre besondere Aufgabenstellung ebenso wie den (gesetzlichen oder bevollmächtigten) Vertretern des Unternehmers oder dem Aufseher im Betrieb (§ 333 Abs 4 ASVG) das Haftungsprivileg des Dienstgebers (§ 333 Abs 1, § 334 Abs 1 ASVG) zuzubilligen sei, habe der Oberste Gerichtshof bislang noch nicht Stellung genommen:
In 2 Ob 272/03v habe der Oberste Gerichtshof die Qualifizierung des Baustellenkoordinators offen gelassen.
In 1 Ob 233/03a sei die Haftung des Baustellenkoordinators gegenüber einem auf der Baustelle tätigen Arbeiter eines Bauunternehmers bejaht, die Frage des Haftungsprivilegs aber nicht thematisiert worden.
In 9 ObA 141/08p (RIS-Justiz RS0124791) sei offen gelassen worden, ob eine Sicherheitsvertrauensperson nach § 10 ASchG als Aufseher im Betrieb iSd § 333 Abs 4 ASVG anzusehen sei.
In der Lehre werde eine Anwendung des Haftungsprivilegs überwiegend bejaht:
Nach Ansicht Neumayrs in Schwimann ABGB 3 § 333 ASVG Rz 73 und 78, spreche das Erfordernis der Eingliederung in den Betrieb in der konkreten Funktion dagegen, die Sicherheitsfachkraft nach § 73 ASchG (vor allem die externe) als Aufseher im Betrieb anzusehen. Zu denken sei eher an die Eigenschaft eines bevollmächtigten oder gesetzlichen Vertreters des Unternehmers, sofern man es für ausreichend erachte, wenn diese Person nur einen eingeschränkten Aufgabenkreis übertragen erhalte. Sehe man den Grundansatz für das Haftungsprivileg der in § 333 Abs 4 ASVG genannten Personen darin, dass solche Personen „Träger der Fürsorgepflicht des Dienstgebers“ seien und in dieser Form Dienstgeberpflichten ausübten, sei die Einordnung in § 333 Abs 4 ASVG zu bejahen. Neumayr bevorzuge hingegen einen eher hierarchischen, auf Weisungs- und Aufsichtsbefugnissen beruhenden Ansatz, aus dem folge, dass solche Personen mangels direkter Einwirkungsbefugnis auf die Arbeitnehmer im Betrieb nicht als haftungsprivilegiert anzusehen seien, weil ihre Funktion beratender Natur sei (aaO Rz 78).
Dagegen habe Karollus , Gedanken zur Stellung und zur Verantwortlichkeit des Sicherheitstechnikers (§ 21 ANSchG), ZAS 1989, 158 (169), für den Sicherheitstechniker nach § 21 ANSchG die Ansicht vertreten, es dürfe bei der Qualifikation als „Aufseher im Betrieb“ (§ 333 Abs 4 ASVG) nicht auf die Frage einer Weisungsbefugnis über die betroffenen Arbeitnehmer abgestellt werden. Vielmehr stünden im Vordergrund des „Aufseher“-Begriffs nicht die delegierten Unternehmerbefugnisse, sondern delegierte Unternehmerpflichten; ein Arbeitnehmer, der typische Arbeitgeberpflichten zu erfüllen habe - in concreto die Wahrnehmung unternehmerischer Fürsorgepflichten - und letztlich gerade deshalb haften würde, solle auch haftungsrechtlich nicht schlechter gestellt werden als dieser. Eine solche besondere Verantwortung für die körperliche Sicherheit von Dienstnehmern könne für den Sicherheitstechniker kaum geleugnet werden. Dieser sei auch ohne Weisungsbefugnis besonders für den Arbeitnehmerschutz verantwortlich und somit im Ergebnis mit der Wahrnehmung der den Arbeitgeber treffenden Fürsorgepflichten betraut. Diese Nähe zur Arbeitgebersphäre spreche für eine haftungsrechtliche Gleichbehandlung mit dem Arbeitgeber. Sehe man dies als entscheidendes Kriterium für die Aufsehereigenschaft an, so sei auch der Sicherheitstechniker problemlos unter den in § 333 Abs 4 ASVG genannten Personenkreis zu subsumieren und in seiner zivilrechtlichen Haftung gegenüber dem Verletzten und dem leistungspflichtigen Sozialversicherungsträger in gleicher Weise wie der Dienstgeber zu behandeln.
Glawischnig , Die Sicherheitsvertrauensperson im „neuen“ ASchG,ZAS 1997, 12 und 33 (39), erkenne der „Sicherheitsvertrauensperson“ nach § 11 ASchG ebenfalls die Aufsehereigenschaft nach § 333 Abs 4 ASVG zu.
Lukas/Resch , Haftung für Arbeitsunfälle am Bau, 24, sprächen davon, dass der Sicherheitsfachkraft ebenso wie der Sicherheitsvertrauensperson das Haftungsprivileg gemäß § 333 ASVG zu Gute kommen „kann“.
Auch Langer , Das Ende des Haftungsprivilegs der Beauftragten für Arbeitssicherheit? RdA 2005, 244 ff, trete für eine Anwendung des Haftungsprivilegs auch auf Sicherheitsfachkräfte ein.
Ferner vertrete Egglmeier-Schmolke , Haftung für Unfälle auf Baustellen, bbl 2007, 37 (45), die Ansicht, Sicherheitsfachkräften komme das Haftungsprivileg zugute, und zwar je nachdem, ob es sich um eine betriebsangehörige oder externe Fachkraft handle, als Aufseher im Betrieb oder als bevollmächtigter Vertreter des Unternehmers.
Das Berufungsgericht führte weiter aus, der Beklagte sei als bevollmächtigter Vertreter des Unternehmers anzusehen und es sei ihm das Haftungsprivileg der § 333 Abs 4 und § 334 Abs 1 ASVG zuzubilligen. Der Beklagte sei als externe Sicherheitsfachkraft im Bereich der Wahrnehmung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers tätig gewesen, sodass es sachgerecht erscheine, ihn nicht in weiterem Umfang haften zu lassen als den Arbeitgeber selbst.
Dem Beklagten sei auch nicht grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen: Grobe Fahrlässigkeit iSd § 334 Abs 1 ASVG sei nur anzunehmen, wenn eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht vorliege, die den Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich vorhersehbar erscheinen lasse. Das Zuwiderhandeln gegen Unfallverhütungsvorschriften reiche für sich allein nicht zur Annahme grober Fahrlässigkeit aus (RIS-Justiz RS0030644; 9 ObA 41/05b; RS0052197). Der Beklagte habe die mit dem Verladen der Betonplatten verbundenen Gefahren erkannt und gemeinsam mit dem Unternehmen eigene Gitterboxen entwickelt, in die die Platten unmittelbar von der Entladestelle der Produktionsstraße aus geschoben und dergestalt gesichert auf die Baustelle transportiert werden sollten. Davon, dass gelegentlich zu wenig Gitterboxen vorhanden waren, um fertige Platten sofort darin zu sichern, habe er trotz seiner regelmäßigen Besuche im Unternehmen nichts gewusst. Einer gesonderten Anweisung, die Sicherung der neuen, größeren Betonplatten mit Schraubzwingen zu unterlassen, habe es daher nicht bedurft. Allein daraus, dass er bis zu dem Vorfall kein Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokument erstellt gehabt habe, könne grobe Fahrlässigkeit keinesfalls abgeleitet werden. Bis zu dem hier zugrunde liegenden Unfall sei es zu keinen derartigen Vorfällen gekommen. Davon, dass der Beklagte keine Gefahrenevaluierung durchgeführt hätte, könne keine Rede sein. Denn der Beklagte habe Überlegungen betreffend die Lagerung der Betonplatten ab der Übernahme an der Entladestation als Reaktion darauf angestellt, dass die neue Fertigungsanlage größere (und damit schwerere) Platten in höherer Stückzahl produziert habe.
Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil zur Frage der Anwendbarkeit des Haftungsprivilegs des § 333 Abs 4 ASVG auf eine externe Sicherheitsfachkraft nach §§ 73 ff ASchG keine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vorliege.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der klagenden Parteien wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne der Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof erachtet die wiedergegebene Begründung des Berufungsgerichts für zutreffend, die Revisionswerberinnen werden darauf verwiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Die Revisionswerberinnen bringen vor, eine weitere erhebliche Rechtsfrage liege darin, bei der Verneinung einer groben Fahrlässigkeit des Beklagten durch das Berufungsgericht liege eine krasse Fehlbeurteilung vor. Sie argumentieren in der Sache, gegen die Anwendbarkeit des Haftungsprivilegs des § 333 Abs 4 ASVG auf eine Sicherheitsfachkraft spreche, dass diese keine Arbeitgeberfunktionen ausübe und keine Weisungsbefugnis gegenüber den Arbeitnehmern habe.
Folgendes wird erwidert:
Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass sich die öffentlich-rechtlichen Arbeitnehmerschutzvorschriften grundsätzlich an den Arbeitgeber richten. Gerade der von den Revisionswerberinnen ins Treffen geführte § 83 Abs 9 ASchG belegt dies eindrücklich. Danach enthebt weder die Bestellung von Präventivfachkräften (wozu gemäß § 83 Abs 1 ASchG auch die Sicherheitsfachkräfte gehören) noch die Inanspruchnahme eines Präventionszentrums noch die Anwendung des Unternehmermodells gemäß § 78b die Arbeitgeber von ihrer Verantwortlichkeit für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften. Sicherheitsfachkräfte haben gemäß § 76 Abs 1 ASchG die Arbeitgeber bei der Erfüllung ihrer Pflichten zu unterstützen.
Sicherheitsfachkräfte üben damit sehr wohl Tätigkeiten aus, die der Erfüllung von Arbeitgeberpflichten dienen, und üben so Arbeitgeberfunktionen aus; sie sind gewissermaßen Gehilfen der Arbeitgeber bei Erfüllung von deren Pflichten gegenüber den Arbeitnehmern im Bereich der Arbeitssicherheit.
Mag das Gesetz zwar nicht formell von einer Weisungsbefugnis der Sicherheitsfachkräfte gegenüber den Arbeitnehmern sprechen, so haben doch nach § 76 Abs 1 ASchG die Sicherheitsfachkräfte die Aufgabe, ua die Arbeitnehmer auf dem Gebiet der Arbeitssicherheit zu beraten . Gemäß § 76 Abs 4 Z 2 ASchG haben die Arbeitgeber dafür zu sorgen, dass die Sicherheitsfachkräfte die Arbeitnehmer und die Sicherheitsvertrauenspersonen beraten . Diese Beratung hätte keinen Sinn, wenn sie für die Arbeitnehmer völlig unverbindlich wäre, weil dann ihr Zweck, nämlich die Gewährleistung der Arbeitssicherheit, nicht erreicht werden könnte. Ein Arbeitnehmer, der sich um eine diesbezügliche Beratung im Sinn eines Hinweises auf eine einzuhaltende Sicherheitsmaßnahme nicht kümmert, müsste zumindest mit einer Mitteilung an den Arbeitgeber rechnen. Insofern kommt der „Beratung“ durch die Sicherheitsfachkraft de facto der Charakter einer Weisung zu (vgl Glawischnig aaO: „'faktische Kraft' einer Weisung“).
Das Haftungsprivileg ist somit anzuwenden.
Trotz der Zitierung einiger Arbeitnehmerschutzvorschriften, die der Beklagte nach Ansicht der Revisionswerberinnen verletzt haben soll, gelingt es ihnen nicht, Bedenken gegen die im vorliegenden Einzelfall getroffene Beurteilung der Vorinstanzen, dem Beklagten falle keine grobe Fahrlässigkeit zur Last, zu wecken. Zum angeblichen Verstoß des Beklagten gegen § 14 ASchG (Unterweisung der Arbeitnehmer) ist anzumerken, dass nach den vorinstanzlichen Feststellungen die Pflicht zur Unterweisung beim Assistenten bzw Werkmeister lag und sich weder aus dem Vertrag zwischen dem Beklagten und dem Unternehmen noch aus der Aufgabenumschreibung für Sicherheitsfachkräfte gemäß § 76 ASchG zwingend ableiten lässt, der Beklagte wäre als Sicherheitsfachkraft zur Unterweisung iSd § 14 ASchG verpflichtet gewesen.
Zusammenfassend wird festgehalten, dass dem Beklagten als (externer) Sicherheitsfachkraft das Haftungsprivileg gemäß § 333 Abs 1 und 4 ASVG zugute kommt. Mangels grober Fahrlässigkeit haftet er den klagenden Sozialversicherungsträgern auch originär gemäß § 334 Abs 1 ASVG nicht.
Da bereits aufgrund dieser Erwägungen die Klage unberechtigt ist, erübrigen sich weitere vom Beklagten in der Revisionsbeantwortung angestellte Überlegungen dahingehend, ob ein Fehlverhalten des Beklagten überhaupt kausal für den Arbeitsunfall war.