OGH vom 31.01.2013, 6Ob154/12h

OGH vom 31.01.2013, 6Ob154/12h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Handelsgerichts Wien zu FN ***** eingetragenen E***** GmbH mit dem Sitz in W*****, über den Revisionsrekurs der Gesellschaft und der Geschäftsführerin M***** D*****, beide *****, vertreten durch Mag. Nikolaus Vasak, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 4 R 16/12w 15, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom , GZ 72 Fr 21469/11w 5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Mit Zwangsstrafverfügung vom verhängte das Erstgericht über die Gesellschaft (ON 1) und die Geschäftsführerin (ON 2) jeweils die gemäß § 283 Abs 2 UGB vorgesehene Zwangsstrafe von 700 EUR wegen nicht rechtzeitiger Vorlage des Jahresabschlusses zum .

Dagegen erhoben die Gesellschaft und die Geschäftsführerin Einsprüche, in welchen sie vorbrachten, die Gesellschaft sei noch nicht operativ tätig und verfüge daher noch über keine Steuernummer. Bei der Datenübermittlung an ihr Buchhaltungsbüro dürfte nun irrtümlich die Steuernummer des Finanzamts für Gebühren und Verkehrssteuern für die eigentliche Steuernummer gehalten worden sein. Da die elektronische Übermittlung nur mit einer Steuernummer möglich sei, diese jedoch unrichtig gewesen sei, sei es offensichtlich nicht aufgefallen, dass es zu keiner erfolgreichen Übermittlung gekommen sei.

Das Erstgericht wies die Einsprüche als verspätet zurück. Die Zwangsstrafverfügungen seien der Gesellschaft und der Geschäftsführerin am zugestellt worden. Die erst am zur Post gegebenen Einsprüche vom seien daher verspätet.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Nach den durchgeführten Erhebungen sei die Geschäftsführerin M***** D***** vom 4. 11. bis im Ausland gewesen. Die hinterlegte Zwangsstrafverfügung gelte jedoch gemäß § 17 Abs 3 ZustG bereits mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird, als zugestellt. Ein nachträgliches Verlassen der Abgabestelle könne die eintretende gesetzliche Zustellwirkung des § 17 Abs 3 Satz 3 ZustG nicht mehr beeinflussen.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil im Hinblick auf die Judikatur zu § 21 Abs 2 ZustG idF vor dem Verwaltungsverfahrens und Zustellrechtsänderungs-gesetz 2007, BGBl I 2008/5, auch für den hier zu beurteilenden Fall einer erst nach Kenntnis vom Zustellvorgang eintretenden Abwesenheit des Empfängers die Wirksamkeit der Zustellung von der Bedeutung der Hinderungsgründe abhängig sei.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

1.1. Der Revisionsrekurs wurde zunächst nur von der Geschäftsführerin unterfertigt. Nach Rückstellung des Akts durch den Obersten Gerichtshof leitete das Erstgericht ein Verbesserungsverfahren ein und trug den Revisionsrekurswerbern die Verbesserung des Revisionsrekurses durch Unterfertigung durch einen Rechtsanwalt oder Notar auf.

1.2. Dieser Beschluss wurde am abgefertigt; ein Rückschein erliegt nicht im Akt. Am 30 .11. 2012 wurde der anwaltlich gefertigte verbesserte Revisionsrekurs zur Post gegeben.

1.3. Nach ständiger Rechtsprechung hat ein Rechtsmittel im Zweifel die Vermutung der Rechtzeitigkeit für sich (EvBl 1974/30; vgl RIS Justiz RS0006965; vgl auch RS0006957). Daher schadet es den Revisionsrekurswerbern nicht, dass mangels Rückschein das Datum der Zustellung des Verbesserungsauftrags nicht mehr eruierbar ist.

1.4. Dass das Erstgericht die Verbesserungsfrist mit drei Wochen und damit länger als die ursprüngliche Frist festsetzte, steht zwar mit Sinn und Zweck des Verbesserungsverfahrens nicht im Einklang, kann aber vom Obersten Gerichtshof nicht aufgegriffen werden.

2.1. Gemäß § 89c Abs 5 Z 1 GOG idF BGBl I 2012/26 sind Rechtsanwälte nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr verpflichtet. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung ist wie ein Formmangel zu behandeln, der zu verbessern ist (§ 89c Abs 6 GOG idF BGBl I 2012/26). Für Eingaben eines Rechtsanwalts ab dem maßgeblichen Stichtag (§ 98 Abs 15 Z 1 GOG), die auf dem Postweg und nicht im elektronischen Rechtsverkehr eingebracht werden, ist demnach ein Verbesserungsverfahren durchzuführen.

2.2. Die bisherige Rechtsprechung (RIS Justiz RS0124215, RS0124335, RS0124555), die in der nicht auf elektronischem Weg eingebrachten Eingabe keinen die geschäftsordnungsgemäße Behandlung hindernden Formmangel erkannte und von einem folgenlosen Verstoß gegen eine reine Ordnungsvorschrift ausging, kann infolge Änderung der Rechtslage für solche Eingaben seit nicht mehr aufrecht erhalten werden. Vielmehr müssen die im neu gefassten § 89c Abs 5 GOG idF BGBl I 2012/26 genannten ERV Teilnehmer in Hinkunft den elektronischen Rechtsverkehr zwingend verwenden. Das gesetzwidrige Absehen von der Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs durch zur Nutzung Verpflichtete führt als Verletzung einer zwingend einzuhaltenden Formvorschrift (§ 89c Abs 6 GOG idF BGBl I 2012/26) zu einem Verbesserungsverfahren und bei einem Ausbleiben der Verbesserung zur Zurückweisung der Eingabe (1 Ob 156/12s).

2.3. Ein derartiges Verbesserungsverfahren ist aber nicht erforderlich, wenn die Eingabe vom Rechtsanwalt deshalb im Postweg eingebracht wird, weil er dabei den vom Erstgericht erteilten Verbesserungsauftrag zur Unterfertigung des Revisionsrekurses durch einen Rechtsanwalt erfüllte. Dazu kommt, dass es sich im vorliegenden Fall um ein einseitiges Rekursverfahren handelt und der Revisionsrekurs wie zu zeigen sein wird jedenfalls inhaltlich nicht berechtigt ist. In diesem Fall würde die Durchführung eines förmlichen Verbesserungsverfahrens keinerlei Erleichterungen, sondern eine bloße Verfahrensverzögerung bewirken. In diesem Sinne hat der 1. Senat bereits ausgesprochen, dass sich bei einem unzulässigen Rechtsmittel die Durchführung eines Verbesserungsverfahrens erübrigt (1 Ob 141/12k).

3. Der Revisionsrekurs ist daher zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

4.1. Nach § 17 Abs 1 ZustG ist, wenn das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden kann und der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter iSd § 13 Abs 3 ZustG regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen. Nach § 17 Abs 2 ZustG ist der Empfänger von der Hinterlegung schriftlich zu verständigen. Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt (§ 17 Abs 3 ZustG). Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger oder dessen Vertreter iSd § 13 Abs 3 ZustG wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.

4.2. Konnte der Empfänger von der Hinterlegung allerdings rechtzeitig Kenntnis erlangen, kann er durch nachträgliches Verlassen der Abgabestelle die eintretende gesetzliche Zustellwirkung des § 17 Abs 3 Satz 3 ZustG nicht mehr beeinflussen ( Rechberger in Rechberger, ZPO³ § 17 ZustG Rz 8 mwN; LGZ Wien EFSlg 109.569), zumal das Gesetz lediglich auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme, nicht aber auf die tatsächliche Kenntnisnahme abstellt (; , 2008/02/0150). Die Zustellfiktion des § 17 Abs 3 Satz 3 ZustG bewirkt, dass der erste Tag der Abholfrist so betrachtet wird, als wenn an diesem die Übergabe der Sendung an den Empfänger erfolgt wäre ( Stumvoll in Fasching/Konecny ² § 17 ZustG Rz 15). Auf die isolierte Betrachtung der Anwesenheit des Empfängers am Tag des Beginns der Abholfrist kommt es nicht an. Daher ist nicht entscheidend, ob und wann die Sendung tatsächlich behoben wurde, selbst wenn dem Empfänger eine persönliche Behebung krankheitshalber (), berufsbedingt () oder aufgrund einer Haftstrafe (UVS Linz , FSRV/0079 L/09), vorübergehend nicht möglich ist. Solche Umstände können höchstens einen Wiedereinsetzungsgrund bilden ( Wessely in Frauenberger/Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely , Öster-reichisches Zustellrecht², 170 ff mwN). Für dieses Ergebnis spricht auch, dass dadurch Manipulationen unredlicher Empfänger vermieden werden ( Stumvoll aaO).

4.3. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 21 Abs 2 ZustG idF vor dem Verwaltungsverfahrens und Zustellrechtsänderungs-gesetz 2007, BGBl I 2008/5, bietet keinen Anlass, von dieser Rechtsansicht abzugehen. Zu § 21 Abs 2 ZustG aF hat der Oberste Gerichtshof die Auffassung vertreten, dass im Falle eines zwischen dem ersten und dem zweiten Zustellversuch erfolgten Antritts einer Urlaubsreise der Empfänger die Wirksamkeit der Hinterlegung nach § 17 Abs 3 ZustG nur dann gegen sich gelten lassen müsse, wenn er es ohne triftige Gründe unterlassen hat, das Ersuchen um Anwesenheit beim zweiten Zustellversuch zu befolgen (9 Ob 346/97s). Dabei wurde allerdings die Frage, ob mit einer am Tag nach dem ersten Zustellversuch angetretenen Amerikareise ein triftiger Grund vorliege, der infolge Abwesenheit des Adressaten beim zweiten Zustellversuch die Unwirksamkeit der Hinterlegung zur Folge habe, als Frage des Einzelfalls angesehen (9 ObA 5/03f).

4.4. Die Zustellung nach § 17 ZustG ist nämlich anders als nach der früheren Rechtslage jedenfalls „einstufig“. Der klare Gesetzeswortlaut stellt lediglich auf die Ortsanwesenheit beim (einzigen) Zustellversuch ab. Die durch die Abwesenheit des Empfängers von seiner Wohnung bewirkte Unmöglichkeit, die Sendung selbst abzuholen, ist für die Rechtswirksamkeit der Zustellung ohne Bedeutung, stellt doch § 17 ZustG außer in seinem hier nicht zur Anwendung kommenden Satz 4 nicht darauf ab, ob einem Empfänger die Abholung einer hinterlegten Sendung möglich ist oder nicht (VwGH 2010/05/0115).

5. Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf zu verweisen, dass die Revisionsrekurswerber nicht einmal vorgebracht haben, dass die Geschäftsführerin bereits so zeitig in das Ausland aufgebrochen ist, dass ihr eine vorherige Behebung der Entscheidung des Rekursgerichts nicht möglich war.

6. Die weiteren im Revisionsrekurs angezogenen Umstände sind nicht geeignet, eine Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Beschlusses aufzuzeigen. Das Vorbringen, dass die Geschäftsführerin bereits vor dem Zustellversuch nicht mehr an der Zustelladresse aufhältig war, stellt eine unzulässige und damit unbeachtliche Neuerung dar. Zufolge zutreffender Zurückweisung der Einsprüche durch das Erstgericht bleibt für eine inhaltliche Überprüfung der Strafverfügungen kein Raum. Ob das Unternehmen operativ tätig war oder nicht, spielt zudem für die Rechnungslegungspflicht keine Rolle.

7. Der angefochtene Beschluss erweist sich daher als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen war.