OGH vom 10.06.2008, 1Ob251/07d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Wilhelm Z*****, und 2. Erich Z*****, beide vertreten durch Dr. Gerhard Renner und Dr. Gerd Höllerl, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen Anerkennung und Zustimmung (Streitwert 4.000 EUR) sA, infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Krems/Donau als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 57/07y-33, womit das Urteil des Bezirksgerichts Horn vom , GZ 2 C 594/05w-29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen deren mit 366,43 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die beiden Kläger sind gemeinsam Eigentümer von an einem Fluss (öffentliches Wassergut) liegenden Grundstücken. Sie brachten vor, dass ihre Liegenschaften ursprünglich unmittelbar an den Fluss angegrenzt hätten. In den letzten Jahrzehnten sei durch den Fluss sukzessive Erdreich angespült worden, sodass ihre Gebäude nun nicht mehr unmittelbar an den Fluss angrenzten und sich ein Uferstreifen im Ausmaß von rund 161 m2 gebildet habe. Die Kläger hätten daran gemäß § 411 ABGB originär Eigentum erworben. Sie begehrten, die Beklagte schuldig zu erkennen, ihr Eigentumsrecht an der genannten Grundfläche anzuerkennen sowie sämtliche Erklärungen abzugeben und Unterschriften zu leisten, die im Hinblick auf die grundbücherliche Durchführung ihres originären Eigentumserwerbs erforderlich seien. Die Beklagte wendete ein, dass die verfahrensgegenständliche Fläche nicht durch unmerkliches Anspülen von Erdreich an das Ufer entstanden sei, sondern durch mehrfach erfolgte Anschüttungen. Im Übrigen werde die strittige Landfläche bei einem 30-jährigen Hochwasser überspült, sodass sie gemäß §§ 4 und 38 WRG öffentliches Wassergut sei. Das Erstgericht wies die Klage ab. Es stellte fest, dass die strittige Grundfläche aus Materialien der Anschwemmung und der Anschüttung bestehe, aber in der jetzt vorliegenden Form durch Anschüttung gebildet sei. Die nahezu gebäudeparallele, steile, derzeitige Uferlinie entspreche nicht einer natürlichen Uferbildung. Die ebene, flach zum Fluss geneigte Oberfläche des Grundstücks entspreche ebenfalls nicht einer natürlichen Geländebildung durch Anschwemmung. Die streitgegenständliche Grundfläche befinde sich zur Gänze im Bereich eines 30-jährigen Hochwassers. Rechtlich erörterte das Erstgericht, dass § 410 ABGB durch § 4 Abs 1 WRG derogiert sei. Bei der strittigen Fläche handle es sich keinesfalls nur um angeschwemmtes Erdreich, sondern sei die Grundfläche durch Anschüttungen gebildet worden, sodass § 411 ABGB nicht anzuwenden sei. Im Übrigen seien gemäß § 4 Abs 1 WRG wasserführende und verlassene Bette öffentlicher Gewässer sowie deren Hochwasserabflussgebiet (§ 38) öffentliches Wassergut, wenn der Bund als Eigentümer in den öffentlichen Büchern eingetragen sei. Gemäß § 38 Abs 3 WRG gelte als Hochwasserabflussgebiet im Sinne des Abs 1 das bei 30-jährigem Hochwasser überflutete Gebiet. Da die strittige Fläche eine im Sinn des § 38 Abs 3 WRG sei, könne auch kein originärer Eigentumserwerb durch die Kläger erfolgen. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, sprach aus, dass der Streitwert 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteige, und erklärte die Revision für zulässig. Aus den Bestimmungen der §§ 4 Abs 4 bzw 38 Abs 3 WRG sei zu schließen, dass eine Anwendung des § 411 ABGB dann ausscheide, wenn dieser natürliche Zuwachs einer Liegenschaft infolge des Umstands, dass er - wie hier - unter § 38 Abs 3 WRG falle, öffentliches Wassergut darstelle. Die Revision sei zuzulassen, weil zur Rechtsfrage der Derogation des § 411 ABGB durch § 4 Abs 4 WRG iVm § 38 Abs 3 WRG keine Judikatur des Obersten Gerichtshofs vorliege.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Kläger ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Gemäß § 411 ABGB gehört das Erdreich, welches ein Gewässer unmerklich an ein Ufer anspült, dem Eigentümer des Ufers. Diese nach hM nur für fließende Gewässer geltende Bestimmung enthält einen Fall des natürlichen Zuwachses zu einer Liegenschaft. Setzt das Gewässer am Ufer allmählich Erdreich ab, so verändert sich die Grenze des Ufergrundstücks (siehe Spielbüchler in Rummel, ABGB3 § 411 Rz 1). Im vorliegenden Fall ist festgestellt, dass die strittige Grundfläche durch Anschüttung gebildet wurde, sodass eine Anwendung des § 411 ABGB schon aus diesem Grund nicht in Frage kommt.
2. Unstrittig ist, dass die streitgegenständliche Grundfläche im Bereich eines 30-jährigen Hochwassers liegt, somit als Hochwasserabflussgebiet im Sinne des § 38 Abs 3 WRG gilt. Derartige Flächen sind öffentliches Wassergut, sofern der Bund - wie hier - Eigentümer ist (§ 4 Abs 1 WRG), oder sobald er an solchen Flächen Eigentum erwirbt (§ 4 Abs 4 WRG) [siehe 1 Ob 38/92 = SZ 66/11]. Die zitierten Bestimmungen des WRG ergeben somit eindeutig die sachenrechtliche Zuordnung der betreffenden Grundflächen zum Bund. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs 1 oder Abs 4 WRG - hier iVm § 38 Abs 3 WRG - hindert den originären Eigentumserwerb an Grundflächen durch Anspülung im Sinne des § 411 ABGB. Der Umstand, dass § 4 Abs 6 WRG (nur) die Ersitzung des Eigentums am öffentlichen Wassergut ausschließt, führt nicht zum zwingenden Umkehrschluss, dass jede andere Erwerbsart unbeschränkt Platz zu greifen hätte. Wenn das Gesetz bestimmte Grundflächen zu öffentlichem Wassergut erklärt (siehe: „… sind öffentliches Wasssergut …", § 4 Abs 1 WRG; „… werden öffentliches Wassergut …", § 4 Abs 4 WRG), ist insoweit von einer - jedenfalls teilweisen - Derogation des § 411 ABGB durch die genannten Bestimmungen des WRG auszugehen, wobei dahingestellt bleiben kann, ob im Fall von öffentlichen Gewässern überhaupt noch ein Anwendungsbereich des § 411 ABGB verbliebe.
Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.