OGH vom 09.11.1999, 5Ob200/99v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Klinger als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann, Dr. Baumann, Dr. Hradil und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch als weitere Richter in der Mietrechtssache der Antragstellerin Martha C*****, vertreten durch Dr. Karl Schirl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, gegen den Antragsgegner Richard D*****, vertreten durch Dr. Martin Prokopp und Mag. Andrea Willmitzer, Rechtsanwälte in 2500 Baden, wegen S 476.000,-- s. A. (§ 27 Abs 1 Z 1 iVm § 37 Abs 1 Z 14 MRG), infolge Revisionsrekurses der Antragstellerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Rekursgericht vom , GZ 16 R 262/98p-45, womit der Sachbeschluss des Bezirksgerichtes Ebreichsdorf vom , GZ 3 N 46/95z-38, bestätigt wurde, folgenden
Sachbeschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Sachbeschlüsse der Vorinstanzen werden in der Weise abgeändert, dass dem Sachantrag der Antragstellerin wie folgt stattgegeben wird:
"Der Antragsgegner ist schuldig, der Antragstellerin binnen 14 Tagen S 476.000,-- zuzüglich 4 % Zinsen aus S 15.000,-- vom bis , 4 % Zinsen aus S 100.000,-- vom bis und 4 % Zinsen aus S 476.000,-- seit zu zahlen."
Text
Begründung:
Die Antragstellerin ist Hauptmieterin der Wohnung top 7 im sogenannten "T*****haus" in E*****, das im Eigentum des Antragsgegners steht. Dieses Haus wurde unter Zuhilfenahme öffentlicher Mittel gemäß den Bestimmungen des nö Wohnungsförderungsgesetzes und der nö Wohnungsförderungsverordnung 1990 saniert. Dabei mussten Auflagen des Bundesdenkmalamts erfüllt werden.
Der zwischen den Streitteilen am abgeschlossene Mietvertrag lautet in seinen hier wesentlichen Teilen:
"§ 3 Mietzins
(1) Der monatliche Hauptmietzins beträgt S 50,20 pro m2 zuzüglich USt in der jeweiligen gesetzlichen Höhe. Er erhöht sich in dem Ausmaß, in dem sich die Rückzahlungsverplichtung des Vermieters im Sinne des § 3 NÖ Wohnungsförderungsverordnung LGBl 8304/1-0 erhöht. Ab dem ersten Monat, in dem für das im Jahre 1992/1993 aufgenommene Förderungsdarlehen des Landes Niederösterreich keine Rückzahlungen mehr zu leisten sind, gilt der zu diesem Zeitpunkt für den Mietgegenstand nach Lage, Ausstattungs- und Erhaltungszustand angemessene Mietzins als vereinbart ................
§ 4 Finanzierungsbeitrag
(1) Der Mieter leistet einen einmaligen Finanzierungsbeitrag in der Höhe von S 476.000,--. Dieser ist vom Vermieter zweckgebunden zur Finanzierung des gegenständlichen Bauvorhabens zu verwenden.
(2) Dieser Finanzierungsbeitrag bezieht sich auf einen Zeitraum von 50 Jahren, berechnet ab Beginn des Mietverhältnisses. Bei Vertragsauflösung innerhalb von 50 Jahren steht dem Mieter ein Anspruch auf Rückzahlung des zum jeweiligen Räumungstag ermittelten Restnominales zu. Dieses Restnominale ergibt sich aus dem geleisteten Finanzierungsbeitrag, vermindert um 2 % pro Jahr, gerechnet vom Beginn des Mietverhältnisses bis zur Räumung der Wohnung. Das Restnominale ist zum Zeitpunkt des Abschlusses eines neuen Mietvertrages über die vermietete Wohnung, spätestens jedoch ein Jahr nach Auflösung des Mietvertrages und tatsächlich erfolgter Räumung unverzinst fällig. Eine Rückzahlung von Finanzierungsbeiträgen erfolgt nicht, wenn der Mietvertrag aus den Gründen des § 1118 ABGB (erheblich nachteiliger Gebrauch, qualifizierter Zinsrückstand) vorzeitig aufgelöst wird oder der Vertrag gemäß § 5 (2) dieses Vertrages aufgelöst wird .....
§ 5 Nebenpflichten
(2) Der Mieter nimmt zur Kenntnis, dass das gegenständliche Haus unter Zuhilfenahme von öffentlichen Mitteln saniert wird und dass Voraussetzung für die Förderung ist, dass die Mieter im Objekt einen ordentlichen Wohnsitz begründen. Eine Verletzung dieser Pflicht des Mieters berechtigt den Vermieter zur vorzeitigen Auflösung aus wichtigem Grund. Darüber hinaus hat der Mieter den Vermieter im Falle einer Verletzung dieser Vertragsbestimmung für daraus entstehende Schäden schad- und klaglos zu halten ...."
Die Antragstellerin hat den Finanzierungsbeitrag zur Gänze entrichtet, und zwar durch die Zahlung von S 15.000,-- am , S 100.000,-- am und S 361.000,-- am .
Mit der Behauptung, es handle sich beim Finanzierungsbeitrag um eine nach § 27 Abs 1 Z 1 MRG verbotene Ablöse, begehrt die Antragstellerin vom Antragsgegner gemäß § 27 Abs 3 MRG die Rückzahlung von S 476.000,-- s. A.. Der Antragsgegner bestreitet diese Rückzahlungsverpflichtung mit der Behauptung, beim fraglichen Finanzierungsbeitrag habe es sich - so wie in der dasselbe Haus betreffenden Entscheidung 5 Ob 128/98d - um eine echte, also erlaubte Mietzinsvorauszahlung gehandelt. Dem wiederum hält die Antragstellerin entgegen, die im letzten Satz des § 4 Abs 2 des Mietvertrages enthaltene Vereinbarung schließe das Vorliegen einer echten Mietzinsvorauszahlung aus. Alle übrigen zur Stützung bzw Widerlegung des geltend gemachten Rückzahlungsbegehrens vorgebrachten Argumente sind in dritter Instanz nicht mehr von Belang.
Das Erstgericht wies das Rückzahlungsbegehren der Antragstellerin ab. Es ging im Wesentlichen davon aus, dass gemäß § 1102 ABGB die Vereinbarung einer Mietzinsvorauszahlung zulässig sei. Die von der Antragstellerin geleistete Einmalzahlung sei von Anfang an einem bestimmten Zeitraum zugeordnet gewesen. Da der Mieter im Falle der vorzeitigen Räumung der Wohnung das aliquote Restnominale zurückerhalte, liege - wie in dem vom Obersten Gerichtshof zu 5 Ob 128/98d entschiedenen Fall - insgesamt betrachtet eine Mietzinsvorauszahlung vor. Durch diese Mietzinsvorauszahlung habe sich (wie noch ausgeführt wurde, in zulässiger Höhe) der Gesamtmietzins erhöht.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Auch die zu 5 Ob 128/98d ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofes habe (was von vornherein viele Argumente der Antragstellerin hinfällig mache) ein Mietverhältnis im T*****haus in E***** betroffen. Wesentlichen Bestimmungen im damals beurteilten Mietvertrag hätten gleich gelautet wie im hier vorliegenden. Der einzige wesentliche Unterschied bestehe darin, dass im gegenständlichen Mietvertrag zusätzlich noch vereinbart wurde, dass bei Eintreten bestimmter Fälle der Auflösung des Mietverhältnisses, der geleistete Betrag nicht zurückgezahlt werde.
Das schließe die Annahme einer zulässigen Mietzinsvorauszahlung nicht aus. Lediglich für bestimmte Fälle der Auflösung des Mietvertrages sei eine Rückzahlung der "Finanzierungsbeiträge" ausgeschlossen worden. Ob deswegen eine unzulässige Ablöse im Sinne des § 27 Abs 1 Z 1 MRG vorliegt, brauche zum heutigen Zeitpunkt noch nicht beurteilt zu werden, weil der Eintritt eines der im Vertrag vorgesehenen Fälle gar nicht behauptet worden sei.
Diese Entscheidung enthält den Ausspruch, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei; eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO sei nämlich nicht zu beantworten gewesen.
Im jetzt vorliegenden außerordentlichen Revisionsrekurs beharrt die Antragstellerin auf ihrem Rechtsstandpunkt, dass die im letzten Satz des § 4 Abs 2 des Mietvertrages getroffene Vereinbarung eine echte Mietzinsvorauszahlung ausschließe. Um von einer solchen Mietzinsvorauszahlung sprechen zu können, dürfe nämlich die aliquote Rückzahlungsverpflichtung des Vermieters bei vorzeitiger Beendigung des Mietverhältnisses an keinerlei Bedingungen geknüpft sein. Durch die dem Antragsgegner vertraglich zugestandene Möglichkeit, bei vorzeitiger Vertragsauflösung die unverbrauchten Finanzierungsbeiträge einzubehalten, unterscheide sich der gegenständliche von dem zu 5 Ob 128/98d entschiedenen Fall. Mit dem Hinweis auf diese Entscheidung lasse sich daher die Abweisung des Rückzahlungsbegehrens nicht begründen. Die Rechtsfrage, ob eine echte Mietzinsvorauszahlung auch dann vorliegen kann, wenn die aliquote Rückzahlungsverpflichtung des Vermieters unter bestimmten Voraussetzungen - etwa dann, wenn der Mieter einen Grund für die vorzeitige Vertragsauflösung nach § 1118 ABGB bietet - entfällt, habe der Oberste Gerichtshof noch nicht beantwortet. Damit erweise sich der Revisionsrekurs als zulässig; in der Sache selbst werde primär die Abänderung des zweitinstanzlichen Sachbeschlusses iS einer Stattgebung des Rückzahlungsbegehrens beantragt, hilfsweise ein Aufhebungsantrag gestellt.
Dem Antragsgegner wurde die Beantwortung des Revisionsrekurses freigestellt. Er hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil höchstgerichtliche Judikatur zur hier entscheidungsrelevanten Rechtsfrage fehlt, ob zu den Wesensmerkmalen einer echten Mietzinsvorauszahlung die unbedingte aliquote Rückzahlungsverpflichtung des Vermieters bei vorzeitiger Beendigung des Mietverhältnisses gehört; er erweist sich im Sinn seines Abänderungsbegehrens auch als berechtigt.
Vor Behandlung der aufgeworfenen Rechtsfrage ist nochmals darauf
hinzuweisen, dass in der zu 5 Ob 128/98d ergangenen Entscheidung des
erkennenden Senates (WoBl 1999, 95/45 mit zust Anm von Hausmann =
immolex 1999, 42/33 = EWr I/27/155), in welcher der von einem Mieter
im selben Haus wie dem gegenständlichen geleistete
Finanzierungsbeitrag als echte Mietzinsvorauszahlung gewertet wurde,
ein anderer Sachverhalt zu beurteilen war. Der Antragsgegner erkennt
dies selbst, indem er die in § 4 Abs 2 des gegenständlichen
Mietvertrages enthaltene Vereinbarung, wonach die Rückzahlung von
Finanzierungsbeiträgen dann ausgeschlossen ist, wenn der Mietvertrag
aus den Gründen des § 1118 ABGB oder gemäß § 5 Abs 2 des
Mietvertrages aufgelöst wird, als "einzigen Unterschied" zu dem in
der Entscheidung 5 Ob 128/98d behandelten Fall zu verniedlichen sucht
(Seite 2 der Revisionsbeantwortung). Die Abweichung ist aber doch von
erheblicher Bedeutung.
Eine echte, nicht dem Ablöseverbot des § 27 Abs 1 Z 1 MRG unterliegende Mietzinsvorauszahlung setzt voraus, dass sie von vornherein einem bestimmten Zeitraum zugeordnet wird und bei vorzeitiger Beendigung des Mietverhältnisses aliquot zurückzuzahlen ist (MietSlg 44/22; MietSlg 45/5 ua). Eine Vereinbarung wie die gegenständliche, wonach keine Rückzahlung erfolgt, wenn der Mietvertrag aus den Gründen des § 1118 ABGB oder deshalb vorzeitig aufgelöst wird, weil der Mieter im Bestandobjekt nicht seinen ordentlichen Wohnsitz begründet, schließt demnach die Annahme einer echten Mietzinsvorauszahlung aus. Die Verpflichtung des Vermieters, bei Auflösung des Bestandverhältnisses die "nicht verbrauchte" Mietzinsvorauszahlung aliquot zurückzuzahlen, darf nicht an Bedingungen geknüpft sein. Durch eine Vereinbarung, wie sie hier getroffen wurde, wird der Effekt einer Vertragsstrafe für schwerwiegende Verletzungen von Verpflichtungen aus dem Mietvertrag oder - anders betrachtet - eines Entgelts für den Verzicht des Vermieters auf eine vorzeitige Vertragsauflösung aus anderen als den in § 1118 ABGB angeführten Gründen bzw auf die Kündigung wegen Verletzung der Vertragspflicht, im Bestandobjekt den ordentlichen Wohnsitz zu begründen, erzielt. Ein solches Entgelt erlaubt § 27 Abs 2 lit b MRG jedoch nur für den Verzicht des Vermieters auf den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 und Z 6 MRG (Weitergabe, Nichtverwendung des Bestandobjekts zur Befriedigung des Wohnbedürfnisses). Ob bereits ein Auflösungsgrund gesetzt wurde, hat - entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichtes - mit der Abgrenzung einer verbotenen Ablöse von einer erlaubten Mietzinsvorauszahlung nichts zu tun.
Die daraus abzuleitende Rechtsfolge, den Finanzierungsbeitrag gemäß § 27 Abs 2 MRG zurückzahlen zu müssen, stellt der Antragsgegner in seiner Revisionsrekursbeantwortung noch mit dem Argument in Frage, dass mit der strittigen Vereinbarung nur der Wegfall der Geschäftsgrundlage geregelt werden sollte, der wiederum Rückforderungsansprüche nach Maßgabe des § 1435 ABGB auslöse. Derartige Rückforderungsansprüche bestünden jedoch nach der Judikatur dann nicht, wenn der Leistende den Eintritt des Geschäftszwecks gegen Treu und Glauben verhinderte, also die weitere Erfüllung seiner Erwartungen durch eigenes Verschulden vereitelte. Damit sei der Fall einer Vertragsauflösung nach § 1118 ABGB oder wegen Verletzung der Vertragspflicht, im angemieteten Objekt den ordentlichen Wohnsitz zu begründen, vergleichbar.
Diese Argumentation ist schon deshalb nicht zielführend, weil der Rückforderungsanspruch nach § 27 Abs 3 MRG ein Bereicherungsanspruch eigener Art ist. Er schließt andere Leistungskonditionen - auch die nach § 1435 ABGB - aus (WoBl 1996, 148/47 mwN). Die Besonderheiten des Schutzzweckes und der typischen wirtschaftlichen Lebensverhältnisse, in die die Regelungen gegen den Ablösewucher eingreifen, rechtfertigen besondere Rechtsfolgeregelungen (vgl WoBl 1989, 141/80 mit Anm von Würth), die im Fall eines Verstoßes gegen das Ablöseverbot keinerlei Relativierung der Rückzahlungsverpflichtung vorsehen (vgl SZ 69/192 zum Aufrechnungsverbot des § 1440 Satz 2 ABGB).
Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.