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OGH vom 22.12.2015, 1Ob249/15x

OGH vom 22.12.2015, 1Ob249/15x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer Zeni Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** S.p.A. in liquidazione, *****, Italien, vertreten durch die Tischler Tischler Rechtsanwälte GmbH, Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Dr. A***** M*****, Fürstentum Liechtenstein, vertreten durch die K B K Kleibel Kreibich Bukovc Hirsch Rechtsanwälte GmbH, Salzburg, wegen 1.355.990,90 EUR sA, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 2 R 142/15p 37, mit dem der Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom , GZ 9 Cg 97/13k 33, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs der beklagten Partei unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit ihrer am eingebrachten Klage nimmt die Klägerin die Beklagte auf Schadenersatz in Anspruch. Die vorbereitende Tagsatzung fand am statt.

Danach brachte die Beklagte vor, sie habe in Erfahrung gebracht, dass über das Vermögen der Klägerin in Italien ein Insolvenzverfahren eröffnet worden sei und diese offensichtlich liquidiert werde. Aus diesem Grund sei der gegenständliche Prozess gemäß § 7 IO zu unterbrechen bzw seine Fortsetzung oder bereits die Einbringung der Klage nach italienischem Recht unzulässig; zumindest sei die Parteibezeichnung der Klägerin um den Zusatz „in liquidazione“ zu ergänzen.

Die Klägerin entgegnete, ein im Frühjahr 2012 über ihr Vermögen eröffnetes Ausgleichs bzw Sanierungsverfahren sei bereits im März 2013 vor Klagseinbringung rechtskräftig abgeschlossen worden; damit bestehe kein Prozessführungshindernis. Richtig sei allerdings, dass sie sich seither im Liquidationsstadium befinde und deshalb ihre Parteibezeichnung entsprechend zu korrigieren sei.

In der Tagsatzung vom trugen die Parteien sowohl zur Hauptsache als auch zur vorstehend dargelegten Thematik vor. Die Beklagte bestritt die von der Klägerin behauptete Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Das Erstgericht erörterte daraufhin mit den Parteien, dass „vorweg die prozessualen Fragen abzuklären“ seien; aus den vorgelegten Urkunden ergebe sich nicht eindeutig, dass das italienische Insolvenzverfahren bereits aufgehoben sei; nach dem Ergebnis einer Internet Recherche könnte die Klägerin durch das Insolvenzverfahren die Klagebefugnis verwirkt haben; es sei noch eine Bestimmung der italienischen Konkursordnung einzusehen. Danach forderte das Erstgericht die Parteien zur Legung von Kostenverzeichnissen auf, verkündete den „Schluss der Verhandlung zu den prozessualen Themen“ und hielt fest, dass die „Entscheidung über die prozessualen Fragen“ schriftlich ergehen werde.

Mit Beschluss vom verwarf das Erstgericht die Prozesseinrede der Beklagten „betreffend die mangelnde Prozessfähigkeit der klagenden Partei im Sinne eines Mangels der gesetzlichen Vertretung“ (Punkt 1.), berichtigte die Parteienbezeichnung der Klägerin (Punkt 2.) und verpflichtete die Beklagte zum Ersatz der Kosten des Zwischenstreits an die Klägerin (Punkt 3.). Eine Verfahrensunterbrechung nach § 7 Abs 1 IO scheide schon deshalb aus, weil der Prozess zum Zeitpunkt der Einleitung des italienischen Ausgleichsverfahrens () noch nicht anhängig gewesen sei. Der Einwand der Beklagten betreffend die mangelnde gesetzliche Vertretung der Klägerin im Sinne einer fehlenden Prozessführungsbefugnis treffe nicht zu, weil die Klägerin nach italienischem Insolvenzrecht bereits seit März 2013 keinen Einschränkungen (mehr) unterliege und daher weder die Klagseinbringung noch die nachfolgende Prozessführung mit dem Mangel der Prozessunfähigkeit belastet sei. Über die unter § 239 Abs 3 Z 1 ZPO fallende Prozesseinrede der Beklagten könne gemäß § 261 ZPO idF BGBl I 2015/94 auch in bereits anhängigen Verfahren mit gesondertem, selbständig anfechtbaren Beschluss entschieden werden, selbst wenn bereits in der Sache selbst verhandelt worden sei.

Den von der Beklagten dagegen erhobenen Rekurs, der sich inhaltlich nur mit der Verwerfung der Prozesseinrede und der Kostenentscheidung befasst, wies das Rekursgericht zurück. Rechtlich führte es aus, das Erstgericht habe am über die Prozesseinrede gemeinsam mit der Hauptsache und ohne beschlussmäßige Absonderung verhandelt. Nach § 261 ZPO aF (vor der Änderung durch BGBl I 2015/94) sei eine gesonderte Beschlussfassung über die Verwerfung der Prozesseinrede unzulässig gewesen, was bedeute, dass der dennoch darüber ausgefertigte Beschluss nicht selbständig anfechtbar sei. Dass die Änderung des § 261 ZPO durch BGBl I 2015/94 hier unberücksichtigt zu bleiben habe, habe einiges für sich, zumal sowohl die Verhandlung über die Prozesseinrede als auch alle bezughabenden Parteihandlungen vor Kundmachung und Inkrafttreten dieses Gesetzes stattgefunden hätten und die Parteien damals noch nicht mit dem Inhalt und den Auswirkungen der Gesetzesänderung rechnen und ihr Prozessverhalten darauf einstellen hätten können. Erachte man die frühere Rechtslage für maßgeblich, dann sei der Rekurs der Beklagten als unzulässig zurückzuweisen. Dies müsse auch insoweit gelten, als er sich gegen die Kostenentscheidung richte, weil diese einen bloßen Annex zur Entscheidung über die Prozesseinrede darstelle und von deren Ergebnis abhängig sei.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil die Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit des neuen § 261 ZPO auf noch vor dessen Inkrafttreten verwirklichte und erst danach entschiedene Prozesssachverhalte von allgemeiner, über den konkreten Einzelfall hinausgehender Bedeutung sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten mit einem Aufhebungsantrag.

Die Klägerin hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und auch berechtigt.

1. Mit der Wiederholung einer bereits im Rekurs behaupteten Nichtigkeit zeigt die Beklagte keine Nichtigkeit des Beschlusses des Rekursgerichts auf. Für eine mündliche Verhandlung, die die Beklagte offenbar anstrebt, gibt es keine gesetzliche Grundlage, ist doch über den Rekurs nach § 526 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu entscheiden.

2. Mit dem gemäß Art 49 Abs 1 B VG, § 3 ABGB am in Kraft getretenen Bundesgesetz BGBl I 2015/94 soll die verfahrensrechtliche Behandlung von Prozesseinreden nunmehr umfassend in § 261 ZPO geregelt werden.

Die Frage einer (selbständigen) Rekursmöglichkeit gegen die Entscheidung über eine Prozesseinrede erfuhr dadurch eine Neuregelung. Nach § 261 Abs 1 ZPO hat das Gericht über eine solche Einrede mit Beschluss zu entscheiden und kann diese Entscheidung in die über die Hauptsache ergehende Entscheidung aufnehmen. Nach Abs 3 leg cit kann in diesem Fall der Ausspruch über die Einrede nur mittels des gegen die Entscheidung in der Hauptsache offen stehenden Rechtsmittels angefochten werden. Demnach steht es dem Richter nunmehr weitgehend frei, die Entscheidung über eine Prozesseinrede in einem gesonderten Beschluss auszufertigen und somit eine unmittelbare, selbständige Anfechtung des Beschlusses zu ermöglichen. Dies gilt unabhängig davon, ob über die Prozesseinrede abgesondert, gemeinsam mit der Hauptsache oder gar nicht verhandelt wurde (JAB 721 BlgNR XXV. GP 3; Auernig , ZPO Neuerungen zur Behandlung von Prozesseinreden, ecolex 2015, 661 [663]).

3. Schon bisher wurde die Einrede des Mangels der Prozessvoraussetzung der Prozessfähigkeit der Klägerin (wegen des behaupteten, in Italien gegen die Klägerin vor Klagseinbringung eröffneten Insolvenzverfahrens) einer Einrede im Sinn des § 261 Abs 1 ZPO aF gleichgehalten (8 Ob 69/84 = RIS Justiz RS0040236 = RS0039711; 9 ObA 39/97v = SZ 70/105). Dies gilt auch weiterhin, verweist doch § 261 Abs 1 auf § 239 Abs 3 Z 1 ZPO, der auch von „sonstigen Prozesseinreden“ spricht (vgl dazu JAB aaO 2).

4. Verfahrensgesetze sind grundsätzlich immer nach dem letzten Stand anzuwenden. Ein laufendes Verfahren ist daher, soweit nicht Übergangsbestimmungen etwas anderes anordnen, vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Vorschrift an nach den neuen Verfahrensgesetzen fortzusetzen und zu beenden (RIS Justiz RS0008733 [T1, T 3, T 9]; Zechner in Fasching/Konecny 2 § 503 ZPO Rz 203; vgl Fasching , Lehrbuch 2 Rz 130). Wird während des Verfahrens durch Gesetz gegen eine bisher unanfechtbare Entscheidung ein Rechtsmittel zugelassen, dann ist sie, sofern die Rechtsmittelfrist noch offen ist, nunmehr anfechtbar ( Fasching aaO). Eine „Rückwirkung“ von Verfahrensgesetzen auf Verfahrensschritte, die zu einem Zeitpunkt vor Inkrafttreten einer neuen Verfahrensregelung gesetzt wurden, kommt ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung nicht in Betracht (RIS Justiz RS0008733 [T10]).

Der neue § 261 ZPO trat, weil nichts anderes angeordnet ist, am dem Tag nach seiner Kundmachung im Bundesgesetzblatt in Kraft. Die Materialien (JAB aaO 3) halten dazu fest, dass die Änderungen sofort in Kraft treten und angewendet werden sollten, sodass sich Inkrafttretens- und Übergangsbestimmungen erübrigen. Ab Inkrafttreten des Gesetzes könnten somit auch abgesonderte Entscheidungen über alle Prozesseinreden ergehen, soweit sie noch nicht gefällt wurden, unabhängig davon, ob darüber abgesondert mündlich verhandelt wurde. Soweit bereits ohne vorangegangene abgesonderte mündliche Verhandlung über eine Prozesseinrede eine abgesonderte Entscheidung gefällt wurde, sei diese nunmehr nicht mehr bloß deswegen mangelhaft. Dies solle auch dann gelten, wenn die Entscheidung aus diesem Grund bereits angefochten ist, aber noch nicht über das Rechtsmittel entschieden wurde (JAB aaO 4).

5. Das Erstgericht hat die Entscheidung über die Prozesseinrede der Beklagten nach Inkrafttreten von § 261 ZPO idF BGBl I 2015/94 getroffen. Der von ihm gesondert ausgefertigte Beschluss ist gemäß § 514 Abs 1 ZPO iVm § 261 Abs 1 erster Satz ZPO idF BGBl I 2015/94 auch wenn vorher über die Prozesseinrede gemeinsam mit der Hauptsache verhandelt wurde selbständig mit Rekurs anfechtbar. Für die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass für die Anfechtung die frühere Rechtslage maßgeblich sein soll, fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage.

6. Der Rekurs der Beklagten gegen den erstinstanzlichen Beschluss, mit dem es über die Prozesseinrede der Prozessfähigkeit absprach, ist damit zulässig. Die die Zulässigkeit des Rekurses verneinende Entscheidung ist daher aufzuheben und dem Rekursgericht die Sachentscheidung aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:0010OB00249.15X.1222.000