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OGH vom 29.11.1962, 1Ob248/62

OGH vom 29.11.1962, 1Ob248/62

Norm

ABGB § 970c;

ZPO § 405;

Kopf

SZ 35/126

Spruch

Das Zurückbehaltungsrecht des § 970c ABGB. besteht auch an eingebrachten Sachen, die nicht im Eigentum des Gastes stehen. Voraussetzung einer Verurteilung zu einer Zug-um-Zug-Leistung ist das Anbieten der Gegenleistung durch den Kläger.

Entscheidung vom , 1 Ob 248/62.

I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

Gestützt auf die Klagebehauptung, die beklagte Partei mache zu Unrecht ihr Zurückbehaltungsrecht an zwei einem Vertreter der klagenden Partei namens H. W. von der klagenden Partei zu Vorführungszwecken übergebenen Fildis-Aerosol-Geräten und einer Hico-Maske im Hinblick auf von H. W. bei der beklagten Parteiveranlaßte Quartierschulden geltend, begehrt die klagende Partei von der beklagten Partei die Herausgabe dieser Geräte, wobei sie den Standpunkt einnimmt, daß der beklagten Partei ein Zurückbehaltungsrecht an diesen Gegenständen, weil sie im Eigentum der klagenden Partei stehen und weil die beklagte Partei hinsichtlich des Eigentums an diesen Geräten nicht im guten Glauben sei, daß sie im Eigentum des H. W. standen, nicht zusteht.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren abgewiesen. Es ging davon aus, daß der beklagten Partei gemäß § 970c ABGB. das Zurückbehaltungsrecht, da die Quartierschuld noch mit einem Betrag von 907 S aushaftet, unabhängig davon, ob die Sachen im Eigentum des H. W. standen oder stehen, zusteht, woraus folge, daß das Begehren der klagenden Partei nicht begrundet sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß die beklagte Partei schuldig erkannt wurde, der klagenden Partei zwei Fildis-Aerosol-Geräte und eine Hico-Maske Zug um Zug gegen Bezahlung von 907 S herauszugeben. Das Berufungsgericht billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß die beklagte Partei ihr Zurückbehaltungsrecht an den Geräten im Sinne des § 970c ABGB. geltend machen könne, vermeinte jedoch, daß die beklagte Partei zur Herausgabe der Geräte Zug um Zug gegen Erhalt der noch offenen Restforderung von 907 S zu verpflichten sei; die klagende Partei habe zwar die Gegenleistung nicht angeboten, die Verfällung in die Herausgabe der Sachen Zug um Zug gegen Erhalt der noch offenen Forderung für Beherbergungsschulden stelle dem Klagebegehren gegenüber ein Minus dar, so daß die Vorschrift des § 405 ZPO. nicht verletzt erscheine.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge, gab aber der Revision der beklagten Partei Folge und stellte das Ersturteil wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

I. Zur Revision der klagenden Partei:

In Ausführung des Revisionsgrundes des § 503 Z. 4 ZPO. bekämpft die klagende Partei den von den Untergerichten eingenommenen Standpunkt, daß der beklagten Partei in ihrer Eigenschaft als Gastwirt im Sinne des § 970c ABGB. ein Rückbehaltungsrecht an den Apparaten zusteht, als rechtsirrig; sie führt ferner aus, daß vorliegend ein Zurückbehaltungsrecht mit den daran geknüpften Wirkungen schon deshalb nicht angenommen werden könne, weil zwischen dem Vertreter der klagenden Partei H. W. und der Hotelleitung eine vertragliche Einigung über die Verpfändung der Geräte zustande gekommen ist. Was das letzterwähnte Vorbringen anlangt, so muß dem erwidert werden, daß diese Ausführungen nicht mit den Tatsachenfeststellungen der Untergerichte übereinstimmen, denen zufolge die Apparate von der Hotelleitung wegen der Nichtzahlung der Quartierschuld zurückbehalten wurden. Wird nicht diese Feststellung mit dem darauf anzuwendenden Gesetz verglichen, sondern die urteilsfremde Behauptung, es sei ein Pfandvertrag zustande gekommen - welche Annahme die Untergerichte ausdrücklich abgelehnt haben - dann erweist sich die Rechtsrüge mit diesem Teil des Vorbringens, weil sie von anderen Tatsachen ausgeht, als nicht gesetzmäßig ausgeführt, so daß sich ein weiteres Eingehen darauf erübrigt.

Unzutreffend ist die von der klagenden Partei in ihrer Revision erneut vertretene Rechtsansicht, daß die Begründung eines Zurückbehaltungsrechtes im Sinne des § 970c ABGB. nur möglich sei, wenn die eingebrachten und in der Folge zurückbehaltenen Sachen im Eigentum des Gastes stehen, daß hingegen die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechtes unzulässig sei, wenn die vom Gast eingebrachten Sachen im Eigentum einer dritten Person stehen. Der Oberste Gerichtshof hält an der wiederholt ausgesprochenen Rechtsansicht fest, daß es für die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechtes im Sinne des § 970c ABGB. gleichgültig ist, ob die eingebrachten Sachen im Eigentum dessen, der den Beherbergungsvertrag geschlossen hat, stehen oder nicht, daß es vielmehr nur darauf ankommt, daß es sich um vom Gast eingebrachte Sachen handelt (EvBl. 1962 Nr. 61, SZ. XX 173, SZ. XIX 6, GZ. 1921 S. 110 u. a., ebenso Ehrenzweig[2], II/1, S. 388). Der von Gschnitzer in Klang[2], IV, S. 675, vertretenen gegenteiligen Meinung, derzufolge zum Beispiel vom Gast entlehnte, verwahrte, gemietete oder unter Eigentumsvorbehalt erworbene Sachen vom Zurückbehaltungsrecht nicht erfaßt werden, vermag sich der Oberste Gerichtshof nicht anzuschließen, er tritt in diesem Belange dem Hinweis des Berufungsgerichtes, daß diese Lehrmeinung, die mit der bisherigen Rechtsprechung im Widerspruch steht, einer Begründung entbehrt, bei. Wurde aber das Bestehen eines Zurückbehaltungsrechtes von den Untergerichten der Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes entsprechend mit Recht bejaht, dann bedurfte es Erörterungen darüber, ob die beklagte Partei im guten Glauben war, der Vertreter H. W. sei berechtigt, über die Apparate zu verfügen, nicht, denn das Zurückbehaltungsrecht wird durch Einbringung der Sachen durch den Gast in den Beherbergungsbetrieb objektiv begrundet und besteht unabhängig von einem guten Glauben. Die Rechtsrüge der klagenden Partei erweist sich demnach, weil die Untergerichte das Bestehen eines Zurückbehaltungsrechtes mit Recht bejahen konnten, als nicht begrundet.

II. Zur Revision der beklagten Partei:

Hingegen kann der Revision der beklagten Partei, insoweit sie gestützt auf den Revisionsgrund des § 503 Z. 4 ZPO. die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsansicht, daß die Verurteilung der beklagten Partei zur Herausgabe der Apparate Zug um Zug gegen Bezahlung der restlichen Quartierschuld durch die klagende Partei, ungeachtet der Tatsache, daß die klagende Partei ihrerseits die Erbringung der Gegenleistung, nämlich der Zahlung der ausständigen Quartierschuld, nicht angeboten hat, erfolgen könne, bekämpft, Berechtigung nicht abgesprochen werden. Auszugehen ist von der vom Berufungsgericht ausdrücklich festgestellten, sich aus dem Akteninhalt ergebenden Tatsache, daß die klagende Partei die Erbringung ihrer Gegenleistung, nämlich Zahlung der Quartierschuld an die beklagte Partei, nicht angeboten hat, ferner davon, daß auch das Klagebegehren - ohne spätere Modifikation oder Änderung - nur auf Herausgabe der Apparate gelautet hat. Davon ausgehend, ist zu untersuchen, ob die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß ohne Verstoß gegen die Vorschriften des § 405 ZPO. das auf Herausgabe lautende Klagebegehren ungeachtet dessen, daß das Erbringen einer Gegenleistung von der klagenden Partei nicht angeboten wurde, dazu führen kann, die beklagte Partei im Sinne des Klagebegehrens zur Herausgabe der Apparate zu verurteilen, und zwar Zug um Zug gegen Erhalt der von der klagenden Partei zu leistenden Quartierschuld, zutreffend ist oder nicht. Für den Standpunkt des Berufungsgerichtes spricht eine in dessen Urteil zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (JBl. 1953 S. 47/48), der zufolge die Zug-um-Zug-Verurteilung gegenüber dem Begehren auf unbedingte Verurteilung ein Minus darstellt, so daß das Gericht ungeachtet der Nichtanbietung der Gegenleistung durch die klagende Partei nicht gehindert sei, den in der Klage begehrten Zuspruch gegen Zug-um-Zug-Leistung vorzunehmen. Dieser vereinzelt gebliebenen Entscheidung steht die in ständiger Rechtsprechung ausgesprochene Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes gegenüber, die die Verurteilung des Beklagten zur Herausgabe zurückbehaltener Sachen Zug um Zug gegen Erhalt der noch offenen Quartierschuld davon abhängig macht, daß der die Herausgabe begehrende Kläger die Erbringung der ihn treffenden Verpflichtung zur Erfüllung der Quartierschuld angeboten hat. Wenn sich aus dem Parteivorbringen der klagenden Partei die Bereitwilligkeit zur Erbringung ihrer Gegenleistung nicht ergibt, so schließt die Bestimmung des § 405 ZPO. eine Verurteilung zur Herausgabe Zug um Zug gegen Erhalt der Schuld des Klägers aus (ZBl. 1916 Nr. 124); ebenso die Entscheidung GlUNF. 4872, derzufolge eine Änderung des Klagsantrages seitens des Gerichtes durch Einführung einer Zug-um-Zug-Leistungsverpflichtung auf Seite des Klägers zur Voraussetzung hat, daß der Kläger sich in der Klage zur Erbringung der Zug-um-Zug-Leistung erboten hat, wobei verneinendenfalls die Klage "derzeit" abzuweisen ist; im gleichen Sinne die Entscheidungen EvBl. 1940 Nr. 281 und ZBl. 1935 Nr. 124, die es ebenfalls darauf abstellen, daß der Vorschrift des § 405 ZPO. entsprechend eine Zug-um-Zug-Verurteilung nur erfolgen kann, wenn der Kläger die Erbringung seiner Leistung in seinem Prozeßvorbringen angeboten hat; in gleicher Weise hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung EvBl. 1955 Nr. 129 unter Zitierung der Lehre (Ehrenzweig, Obligationenrecht, S. 215, Klang[1], II/2 S. 960) ausgesprochen, daß dann, wenn der Kläger seinerseits die Erbringung seiner Leistung verweigert (dieser Fall stellt ein Plus gegenüber dem Fall dar, daß der Kläger die Leistung nicht anbietet), die Klage auf Herausgabe abzuweisen ist, weil ein seine Leistung verweigernder Kläger die Gegenleistung nicht fordern kann. Im gleichen Sinne hat der Oberste Gerichtshof auch in letzter Zeit dahin entschieden, daß für die Verurteilung zu einer Zug-um-Zug-Leistung das Anbieten der Gegenleistung seitens des Klägers die Voraussetzung bildet (6 Ob 232/61, 1 Ob 707/53).

Geht man von den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Erwägungen aus, dann erweist sich der vom Berufungsgericht eingenommene Standpunkt, die beklagte Partei zur Herausgabe der Apparate Zug um Zug gegen Erhalt der - von der klagenden Partei nicht angebotenen - Gegenleistung, bestehend in der Bezahlung der offenen Quartierschuld, zu verurteilen, als verfehlt. Denn das Berufungsgericht hat der klagenden Partei unter Verletzung der Bestimmungen des § 405 ZPO. eine Leistung auferlegt, die sie nicht angeboten, zu der sie sich nicht bereit gefunden hat. Daraus folgt, daß die Klage, wie es der Oberste Gerichtshof schon früher ausgesprochen hat (GlUNF. 4872), ("derzeit") abzuweisen ist; im gleichen Sinne auch Ehrenzweig[2], II/1 S. 215, der gestützt auf die Entscheidungen GlUNF. 5488 und 4872 zu dem Ergebnis kommt, daß dann, wenn mangels der nötigen Erklärung des Klägers dessen Gegenleistung nicht in einer für den Zweck der Zwangsvollstreckung ausreichenden Weise festgestellt werden kann, die Klage "derzeit" - also nicht für immer - abzuweisen ist, während in dem Fall, als der Kläger die Gegenleistung ausdrücklich verweigert, im Hinblick auf die Bestimmungen der §§ 1052 und 1062 ABGB. mit der "endgültigen" Klagsabweisung vorzugehen ist (GlUNF. 4752). Angesichts der Tatsache, daß im gegenständlichen Fall eine Handhabe für die Annahme einer ausdrücklichen Verweigerung der Gegenleistung fehlt, hat die klagende Partei die Möglichkeit, neuerlich unter Anbietung der von ihr zu erbringenden Gegenleistung ihren Herausgabeanspruch gegen die beklagte Partei geltend zu machen. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß im vorliegenden Fall die Klage auf Herausgabe abzuweisen ist, so daß in Stattgebung der Revision der beklagten Partei das Ersturteil wiederherzustellen war.