OGH vom 23.02.2017, 2Ob167/16x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L***** S*****, vertreten durch MMag. Dr. Verena Rastner, Rechtsanwältin in Lienz, gegen die beklagten Parteien 1. A***** K*****, 2. S***** O*****, 3. I***** P*****, 4. K***** S 5. mj H***** S*****, vertreten durch A***** S 6. A***** S 7. D***** S 8. G***** P*****, 9. M***** P*****, 10. V***** S 11. S***** S*****, die erst- bis viertbeklagten sowie die acht- bis elftbeklagten Parteien vertreten durch Dr. Johannes Hibler, Rechtsanwalt in Lienz, die fünft- bis siebtbeklagten Parteien vertreten durch die Dr. Reinhard Kraler Rechtsanwalt GmbH in Lienz, wegen Feststellung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 49/16x33, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom , GZ 5 Cg 22/15m29, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und es wird das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt.
Die klagende Partei ist schuldig, den erst- bis viertbeklagten Parteien sowie den acht bis elftbeklagten Parteien die mit 7.977,90 EUR (darin enthalten 1.329,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Fünft-, Sechst- und Siebtbeklagten haben das Klagebegehren anerkannt, weshalb am ein Teilanerkenntnisurteil gefällt wurde (ON 14). Ab diesem Zeitpunkt waren nur mehr die Erst- bis Viertbeklagten und die Acht- bis Elftbeklagten am Verfahren auf Beklagtenseite beteiligt, die im Folgenden als Beklagte bezeichnet werden.
Die am geborene Klägerin ist das einzige Kind und die Erst- bis Viertbeklagten sind die Geschwister des Erblassers. Die Acht- bis Elftbeklagten sind Nachkommen der Geschwister des Erblassers.
Der Erblasser starb am unter Hinterlassung des Testaments vom . Darin setzte er die Klägerin zur Erbin des gesamten Nachlasses, insbesondere des in seinem Eigentum stehenden Mehrfamilienwohnhauses in L***** (in der Folge als „Liegenschaft“ oder „Haus“ bezeichnet) ein. Gleichzeitig bestimmte er, dass seine am geborene Enkeltochter im Vermächtnisweg beginnend mit ihrem 21. Lebensjahr das lebenslängliche höchstpersönliche unentgeltliche Wohnungsgebrauchsrecht an der im 1. Stock des Hauses gelegenen Wohnung, bestehend aus 5 Zimmern, WC, Gang und Balkon einschließlich der Mitbenützung des Kellergeschosses, Hausgartens sowie der ausschließlichen Benützung eines der vorhandenen überdachten PKW-Stellplätze bekommen solle.
Punkt 4 dieses Testaments lautet wie folgt:
„Ausdrücklich wird festgehalten, dass der geschiedene Ehegatte meiner Tochter [Klägerin] und Vater meiner Enkeltochter [Name], Herr [Name] und dessen Nachkommen, aus meinem Nachlassvermögen weder durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden noch durch letztwillige Verfügung oder gesetzliches Erbrecht begünstigt werden dürfen und verfüge ich in diesem Fall eine Nacherbenschaft gleichteilig zu Gunsten meiner Geschwister und deren Nachkommen.“
Der Verkehrswert der Liegenschaft beträgt 333.000 EUR. Zum Verlassenschaftsvermögen nach dem Erblasser zählten neben dieser Liegenschaft ein Barvermögen von 52.227,25 EUR sowie ein PKW Audi Q5 im Wert von 30.000 EUR. Demgegenüber standen Schulden und Todfallskosten von insgesamt 97.120,77 EUR, sodass der reine Nachlass 316.106,51 EUR und der rechnerische Pflichtteil der Klägerin (=1/3) 105.368,84 EUR beträgt.
Vor Errichtung des Testaments durch einen Notar gab es zwischen diesem und dem Erblasser mehrere Besprechungen. Das Hauptanliegen des Erblassers war, unter allen Umständen zu verhindern, dass der geschiedene Ehemann der Klägerin sowie dessen Nachkommen irgendetwas von seinem Vermögen erhalten könnten, weshalb Punkt 4.) in das Testament aufgenommen wurde. Dabei klärte der Notar den Erblasser über die Rechtsfolgen des Punkts 4 des Testaments auf. Der Erblasser wusste also, dass die Anordnung der Nacherbschaft in Punkt 4 des Testaments dazu führen würde, dass die Klägerin die Liegenschaft ohne Zustimmung der Nacherben weder verkaufen noch belasten werde können, und er wollte dies auch so. Er wählte auch bewusst und gewollt die Formulierung „und dessen Nachkommen“. Der Erblasser wusste und wollte, dass er durch die Anordnung der Nacherbschaft in Punkt 4 des Testaments zu Gunsten seiner Geschwister seine Enkelin vom Erbe ausschließen würde. Er wollte nämlich, dass der geschiedene Ehegatte der Klägerin unter keinen Umständen, also nicht nur durch letztwillige Verfügung oder gesetzliches Erbrecht, sondern auch nicht durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden, etwas von seinem Vermögen bekommt. Er war der Überzeugung, dass die Klägerin und ihre Tochter durch das Testament alles bekämen, was ihnen zustünde. Über eine Verbücherung der Nacherbschaft sprach der Notar mit dem Erblasser nicht, der Erblasser hatte sich darüber keine Gedanken gemacht. Es kann nicht festgestellt werden, ob nach dem Willen des Erblassers die Nacherbeneinsetzung seiner Geschwister (sowie deren Nachkommen) oder die Vorerbeneinsetzung der Klägerin Vorrang haben sollte.
Nach der gesetzlichen Erbfolge wären die Witwe nach dem Erblasser zu 1/3 und die Klägerin als dessen Tochter zu 2/3 zu Erben berufen. Der Pflichtteilanspruch der Witwe betrug 1/6. Diese verzichtete bereits vorab auf die Geltendmachung von Pflichtteilansprüchen. Die Klägerin gab am als Alleinerbin zum gesamten Nachlass die bedingte Erbantrittserklärung ab.
Mit Notariatsakt vom gab der geschiedene Ehegatte der Klägerin vor einem Notar eine Erb- und Pflichtteilsverzichtserklärung nach seiner Tochter ab. Diesen Erb- und Pflichtteilsverzicht nahm die Klägerin als gesetzliche Vertreterin ihrer minderjährigen Tochter vor dem Notar am an.
Die Klägerin erhält seit dem Jahr 2013 aus der Vermietung der Liegenschaft jährliche Nettomietzins-
zahlungen von 20.676 EUR, davon monatlich 376 EUR für die Wohnung im Dachgeschoss und 1.347 EUR für die Wohnung im 1. Obergeschoss.
Der Ertragswert der Wohnung im Erdgeschoss (Top 1), die derzeit von der Klägerin bewohnt wird, beträgt unter Berücksichtigung einer Restnutzungsdauer von 29 Jahren rund 95.139 EUR ohne Bodenwertanteil. Der Ertragswert der Wohnung im 1. Obergeschoss, die als Büro mit einem bis 2020 befristeten Mietvertrag vermietet ist und in dem die Tochter der Klägerin ab dem Jahr 2023 bei Erreichen des 21. Lebensjahres ein unentgeltliches Wohnungsgebrauchsrecht erhält, beträgt rund 83.658 EUR ohne Bodenwertanteil. Der Ertragswert der Wohnung im Dachgeschoss des Hauses (Top 3), die bis vermietet ist, beträgt unter Berücksichtigung eines angemessenen Mietzinses ab dem Jahr 2012 und einer Restnutzungsdauer von 42 Jahren rund 102.012 EUR ohne Bodenwertanteil. Insgesamt beträgt daher der Ertragswert der Liegenschaft ohne Bodenwertanteil 280.809 EUR und mit Bodenwertanteil 459.348 EUR.
Die Klägerin begehrt
1. die Feststellung, dass die im Testament angeordnete fideikommissarische Substitution zugunsten der erst- bis viertbeklagten Parteien sowie der acht- bis elftbeklagten Parteien gegenüber der klagenden Partei unzulässig und rechtsunwirksam sei, und in eventu
2. die Verurteilung der erst- bis viertbeklagten Parteien sowie der acht- bis elftbeklagten Parteien zur Einwilligung in die Einverleibung des Eigentumsrechts der klagenden Partei ob der Liegenschaft ohne Beschränkung durch eine fideikommissarische Substitution zugunsten der erst- bis viertbeklagten Parteien sowie die acht- bis elftbeklagten Parteien.
Sie brachte vor, der Erblasser habe im Testament unter Punkt 4 ausdrücklich durch die Worte „in diesem Falle“ verfügt, dass die Nacherbschaft nur für einen ganz bestimmten Fall eintreten solle. Es entspreche daher nicht dem Willen des Erblassers, auch dann eine Nacherbschaft zu Gunsten der Beklagten einzuräumen, wenn sichergestellt sei, dass der geschiedene Ehegatte der Klägerin oder dessen Nachkommen zum Nachlassvermögen des Erblassers durch Rechtsgeschäft unter Lebenden, letztwillige Verfügung oder gesetzliches Erbrecht nicht begünstigt werden könnten. Die fideikommissarische Substitution zu Gunsten der Beklagten verstoße aber auch gegen § 774 ABGB und sei unwirksam, weil dadurch der Pflichtteil der Klägerin beschränkt werde. Weiters sei die Nacherbschaft auch deshalb unwirksam, weil der Erblasser der Erbin eine Widerrufsmöglichkeit der Nacherbschaft eingeräumt habe. Schließlich sei die Nacherbschaft deshalb ungültig, weil der Erblasser unzulässigerweise die Testierfreiheit der Klägerin beschränkt habe. Eine testamentarische Verfügung über die Liegenschaft sei bei Interpretation des Testaments als generelle Nacherbschaft nicht möglich. Dies komme einem Testiergebot für die Klägerin gleich, was unzulässig sei und wodurch die angeordnete Nacherbschaft ungültig und rechtsunwirksam sei.
Die Beklagten wendeten ein, Punkt 4 des Testaments könne im Hinblick auf die umfassenden Erläuterungen, die der Erblasser im Vorfeld erhalten habe, nur als ausdrückliche Einsetzung einer Nacherbschaft und nicht als Auflage oder Bedingung angesehen werden. Der Wortlaut lasse keinen Spielraum für die Interpretation dieses Punkts als Bedingung, zumal es der Klägerin nicht freistehe, rechtsgeschäftlich unter Lebenden oder gar testamentarisch selbst über das Vermögen des Erblassers zu verfügen. Die Natur einer fideikommissarischen Substitution bestehe darin, dass der Vorerbe nicht frei über das erhaltene Nachlassvermögen testieren könne, sodass dadurch auch nicht unzulässigerweise in die Testierfreiheit der Klägerin eingegriffen werde. Auch eine Substitution auf den Überrest entspreche nicht dem letzten Willen des Erblassers, zumal er auch wortwörtlich Rechtsgeschäfte unter Lebenden ausgeschlossen habe. Der der Klägerin zustehende Pflichtteilanspruch werde durch die im Testament angeordnete fideikommissarische Substitution weder berührt noch entwertet, da es nicht auf die sofortige Verfügbarkeit des Pflichtteils ankomme, sondern vielmehr auf den hinterlassenen Wert. Alles, was der Noterbe durch Verfügungen des Erblassers erhalte, sei bei der Bestimmung des Pflichtteils einzurechnen. Neben der Liegenschaft samt dem darauf errichteten Wohnhaus, dem PKW sowie dem Barvermögen, seien daher auch die aus der Liegenschaft erzielbaren Mieteinnahmen zu berücksichtigen, sodass die Klägerin insgesamt einen Vermögenswert erhalten habe, der auch unter Berücksichtigung der Belastung durch die fideikommissarische Substitution ihren Pflichtteilanspruch um ein Mehrfaches übersteige.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf die wiedergegebenen Feststellungen und folgerte daraus rechtlich, aus dem Testament ergebe sich keine unzulässige Beschränkung der Klägerin in ihrer Testierfreiheit. Der Pflichtteil des Noterben müsse gemäß § 774 ABGB ganz frei bleiben. Der Pflichtteilsanspruch der Klägerin (105.368,84 EUR) dürfe daher nicht mit einer fideikommissarischen Substitution belastet sein. Das ihr als Vorerbin zukommende eingeschränkte Eigentumsrecht an der Liegenschaft sei mit den Rechten und Verbindlichkeiten eines Fruchtnießers nach versicherungsrechtlichen Grundsätzen zu bewerten, wobei vom Alter der Klägerin und von ihrer versicherungsmathematischen Lebenserwartung zum Todestag des Erblassers auszugehen sei. Der Ertragswert der Liegenschaft belaufe sich ohne Bodenwertanteil auf ca 280.000 EUR, der der Klägerin zustehende Pflichtteil werde daher durch die angeordnete fideikommissarische Substitution nicht eingeschränkt. Der vom geschiedenen Ehemann der Klägerin abgegebene Pflichtteilsverzicht mache die Nacherbschaft nicht obsolet, weshalb diese im Grundbuch einzutragen sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge. Es hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung zurück. Es führte rechtlich aus, im Licht der §§ 564 und 610 ABGB liege in der verfügten Nacherbschaft kein unzulässiger Eingriff in die Testierfreiheit der Klägerin. Eine angeordnete Nacherbschaft sei eine den Pflichtteil einschränkende Belastung. Der Pflichtteil dürfe daher gemäß § 774 ABGB nicht mit einer fideikommissarischen Substitution belastet werden. Aufgrund einer unwirksamen Anordnung der Substitution könne es auch nicht zur Einrechnung der zu erzielenden Erträge nach versicherungsmathematischen Grundsätzen ankommen. Auf die bisher der Klägerin zugeflossenen Mietzinszahlungen komme es daher nicht an. Wende der Testator dem Noterben mehr als den Pflichtteil, allerdings unter Belastung zu, so sei bei teilbarer Zuwendung die Belastung auf den überschießenden Teil zu beziehen, zB die zu Lasten des Noterben angeordnete Nacherbschaft auf den die Pflichtteilsdeckung übersteigenden Teil zu reduzieren. Bei unteilbarer Zuwendung sei eine teilbare Belastung, etwa ein Geldlegat, derart zu reduzieren, dass die Zuwendung in Höhe des Pflichtteils unbelastet bleibe. Lasse sich die Belastung nicht auf die Mehrzuwendung beschränken, so könne sie (unter Berücksichtigung des hypothetischen Erblasserwillens) eine teilweise Bedeckung des Pflichtteils darstellen, sodass dem Noterben neben der belasteten Zuwendung ein Pflichtteils-(ergänzungs-)anspruch in Geld zustehe. Der rechnerische Pflichtteilsanspruch der Klägerin betrage 105.368,84 EUR. Die Klägerin habe das Barvermögen von 52.227,25 EUR sowie den PKW im Wert von 30.000 EUR unbelastet erhalten, die Liegenschaft mit dem Verkehrswert von 333.000 EUR hingegen zur Gänze mit der fideikommissarischen Substitution belastet. Das der Klägerin ohne Belastungen zugekommene Vermögen reiche daher zur Deckung ihres Pflichtteilanspruchs nicht aus; der Wert der Liegenschaft übersteige aber bei Weitem jenen Betrag, der zur Abdeckung des Pflichtteilsanspruchs zusätzlich zur Verfügung stehen müsste. Grundbuchsrechtliche Bedenken stünden einer Einschränkung der fideikommissarischen Substitution auf einen ideellen Anteil nicht entgegen. Nach § 774 ABGB gelte eine fideikommissarische Substitution ohnedies nur für das den Pflichtteil übersteigende Vermögen, somit für jenen Anteil an der vererbten Liegenschaft, der zur unbelasteten Pflichtteilsdeckung nicht erforderlich sei. Die Belastung durch die fideikommissarische Substitution sei auf jenen Anteil der Liegenschaft zu beschränken, der zur Abdeckung des Pflichtteilsanspruchs der Klägerin nicht erforderlich sei. § 128 Abs 2 Z 1 AußStrG sei eine ausreichende Rechtsgrundlage für die bücherliche Anmerkung des Substitutionsbandes im Grundbuch und sei daher – wie bisher – zwingend vorzunehmen.Ein Ausspruch, dass die fideikommissarische Substitution nicht zur Gänze unzulässig und rechtsunwirksam sei, sondern nur betreffend einen der Höhe nach zu bestimmenden ideellen Miteigentumsanteil, sei ein (zulässiges) Minus gegenüber dem Feststellungsbegehren. Zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung nach § 182a ZPO müsse den Parteien die Gelegenheit gegeben werden, zu den Erwägungen des Berufungsgerichts ein Vorbringen zu erstatten.
Das Berufungsgericht ließ den Rekurs gegen seinen Aufhebungsbeschluss zu, weil keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob die Zuwendung einer durch eine fideikommissarische Substitution belasteten Liegenschaft an die pflichtteilsberechtigte und in ihrem Pflichtteil verkürzte Noterbin teilbar sei und die Belastung lediglich auf den die Pflichtteilsdeckung übersteigenden ideellen Miteigentumsanteil reduziert werden könne.
Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richtet sich der mit dem Antrag auf Abänderung des Beschlusses in ein klagestattgebendes Urteil; hilfsweise werden verschiedene Aufhebungsanträge gestellt.
Die Beklagten beantragen in der Rekursbeantwortung, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen; hilfsweise werden verschiedene Aufhebungsanträge gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist (aus noch auszuführenden Gründen) zulässig und im Sinn der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils berechtigt.
Die Rekurswerberin releviert folgende Rechtsfragen als erheblich:
1. Der Oberste Gerichtshof habe sich noch nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine zulässige rechtswirksame fideikommissarische Substitution dann vorliege, wenn diese als aufschiebende Willkürbedingung formuliert sei, wonach der Erblasser der Erbin als Vorerbin die Entscheidung überlasse, ob sie die Bedingung eintreten lasse oder nicht, und damit die fideikommissarische Substitution in Kraft trete oder nicht, was quasi einem Widerrufsrecht der Vorerbin betreffend die verfügte fideikommissarische Substitution entspreche.
2. Es existiere keine höchstgerichtliche Rechtsprechung, ob die bücherliche Anmerkung der fideikommissarischen Substitution im Grundbuch auch ohne ausdrückliche Anordnung des Erblassers auch nach dem neuen Außerstreitgesetz zwingend vorzunehmen sei.
In der Ausführung des Rekurses meint die Rekurswerberin, kraft der Bedingung (dass der geschiedene Ehegatte der Klägerin oder dessen Nachkommen etwas aus dem Nachlass erhalten) liege keine rechtswirksame fideikommissarische Substitution vor. Der Erblasser habe die Klägerin mit einem Testierverbot zu Gunsten ihrer einzigen Tochter belegt. Der Erblasser habe damit in unzulässiger Weise in die Testierfreiheit der Klägerin eingegriffen („Verstoß gegen das Prinzip der materiellen Höchstpersönlichkeit im Sinne des § 564 ABGB“). Nach dem neuen AußStrG habe die Verbücherung einer fideikommissarischen Substitution zu unterbleiben, wenn die Verbücherung vom Willen des Erblassers nicht umfasst gewesen sei.
Folgendes wurde erwogen:
1. Bedenken aus dem Gesichtspunkt der notwendigen Regelung der erbrechtlichen Verhältnisse nach dem Tode des Erblassers oder aus anderen Gründen bestehen weder bei letztwilligen Verfügungen, wonach es von nach dem Tode des Erblassers eintretenden Bedingungen abhängen soll, welche zu einem bestimmten Personenkreis gehörige Person tatsächlich erben soll, noch in solchen Fällen, in denen eine Person bereits in der letztwilligen Verfügung namentlich bezeichnet oder nach dem Inhalt der letztwilligen Verfügung unter Berücksichtigung der in dieser genannten und bis zum Tode des Erblassers eintretenden Umstände bestimmbar ist, deren Erbeneigenschaft aber von einer nach dem Tode des Erblasser zu erfüllenden Bedingung abhängig gemacht wurde (RIS-Justiz RS0012379).
Ob es sich dabei um eine Zufallsbedingung oder Wollensbedingung handelt, ist gleichgültig, da der Oberste Gerichtshof diesbezüglich nicht unterscheidet.
Die erste von der Rekurswerberin gestellte Frage ist somit bereits beantwortet.
Der von der Rekurswerberin (nur mit der Fundstelle) zitierte Aufsatz von Kletečka, Die materielle Höchstpersönlichkeit letztwilliger Verfügungen, JBl 1999, 277, ist nicht einschlägig: Er beschäftigt sich mit Verfügungen, mit denen der Erblasser die Auswahl des Erben Dritten überlässt. Das ist vorliegend nicht der Fall, sowohl die potenziellen Nacherben sind konkret bestimmt als auch jene Personen, deren Bedenkung mit Nachlassvermögen den Nacherbfall auslöst. Auch eine „kaptatorische Verfügung“, wie im Artikel referiert, liegt hier nicht vor, weil die Verfügungsbeschränkung die Klägerin nur hinsichtlich des geerbten Vermögens, nicht aber im Hinblick ihres sonstigen Vermögens bindet.
2. Zur zweiten von der Rekurswerberin formulierten Frage gibt es tatsächlich noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung, sie ist daher erheblich.
Nach dem klaren Wortlaut des § 158 Abs 1 Satz 1 AußStrG 1854 mussten Substitutionen auf die ihnen unterworfenen Güter in den öffentlichen Büchern eingetragen werden (vgl auch GlUNF 7349 ua; RIS-Justiz RS0008149).
Das neue AußStrG sieht eine derartige Eintragungsverpflichtung nicht ausdrücklich vor. Gemäß § 178 Abs 2 Z 1 AußStrG idF des ErbRÄG 2015 (BGBl I 2015/87; gemäß § 207k Abs 1 AußStrG in Kraft mit , vgl auch RIS-Justiz RS0031419) muss aber der Einantwortungsbeschluss jede Beschränkung der Rechte der Erben durch Nacherbschaften oder gleichgestellte Anordnungen (§§ 707 bis 709 ABGB) anführen. (Das ErbRÄG 2015 hat hier an der bisherigen Rechtslage inhaltlich nichts geändert, weil – entsprechend der neuen Terminologie – lediglich die Worte „fideikommissarische Substitutionen“ durch „Nacherbschaften“ ersetzt wurden [vgl ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 1]). Der Einantwortungsbeschluss ist Grundlage für die Einverleibung des Eigentumsrechts der Erben.
Der Oberste Gerichtshof sprach in der Entscheidung 6 Ob 196/09f (= RIS-Justiz RS0008386 [T1]) aus, dass auch nach der neuen Rechtslage eine Amtsbestätigung nach § 182 Abs 3 AußStrG die Beschränkung durch ein fideikommissarisches Substitutionslegat anführen muss.
Es ist einhellige Lehre, dass auch nach der aktuellen Rechtslage Substitutionen weiterhin im Grundbuch anzumerken sind (Eccher in Schwimann/Kodek, ABGB4§ 613 Rz 14; Welser in Rummel/Lukas, ABGB4§ 613 Rz 17; Kletečka/Holzinger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02§ 613 ABGB Rz 34; Kodek in Kodek, Grundbuchsrecht2§ 20 GBG Rz 32, der ausführt, die Anmerkung der fideikommissarischen Substitution [ab : Nacherbschaft] sei zwar im AußStrG nicht ausdrücklich vorgesehen [anders noch § 158 AußStrG 1854]; dies beruhe aber ersichtlich auf einem Versehen des Gesetzgebers, der insoweit die materielle Rechtslage nicht habe ändern wollen).
Schließlich sind nach § 4 Z 3 FBG bei Einzelunternehmern und eingetragenen Personen-
gesellschaften Substitutionen und Anordnungen, die ihnen nach den §§ 707 bis 709 ABGB gleichzuhalten sind, in das Firmenbuch einzutragen.
In diesem Sinn ist auch für das AußStrG 2005 von einer Pflicht, fideikommissarische Substitutionen (bzw Nacherbschaften) in das Grundbuch einzutragen, auszugehen.
3. Was schließlich die Behauptung der Klägerin, der Erblasser habe die Klägerin mit einem Testierverbot zu Gunsten ihrer einzigen Tochter belegt, betrifft, ist sie nur auf § 610 ABGB (idF vor dem ErbRÄG 2015 [BGBl I 2015/87]; § 610 ABGB idF des ErbRÄG 2015 ist gemäß § 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB idF des ErbRÄG 2015 auf den – hier nicht vorliegenden – Fall anwendbar, wenn der Verstorbene nach dem verstorben ist) zu verweisen, wonach ein solches Testierverbot eine – erlaubte und wirksame – fideikommissarische Substitution darstellt.
4. Im Rekursverfahren gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts gilt der Grundsatz der Unzulässigkeit der reformatio in peius nicht (RIS-Justiz RS0043939).
5. Es sind daher auch die Argumente der Rekursbeantwortung zu prüfen (vgl 1 Ob 116/55 SZ 28/69). Die Rekursgegner bringen vor, ein Vermögensvorteil, den sich der Noterbe auf den Pflichtteil anrechnen lassen müsse, könne auch in Mieteinkünften aufgrund eines Fruchtgenussrechts oder in der Ersparnis des Mietzinses durch ein eingeräumtes Wohnrecht liegen. Die Klägerin erziele seit dem Jahr 2013 aus der Vermietung der Liegenschaft jährliche Nettomietzahlungen von 20.676 EUR. Bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung (am ) habe sie an Mieteinnahmen allein für 2014 und 2015 41.352 EUR bezogen, also ungefähr das Doppelte des ihr (angeblich) fehlenden Pflichtteilsbetrags.
6. Diese Ausführungen sind im Ergebnis berechtigt:
6.1. Eine angeordnete Nacherbschaft ist eine den Pflichtteil einschränkende Belastung im Sinne des § 774 ABGB. Nach dieser Bestimmung muss aber der Pflichtteil dem Noterben „ganz frei bleiben“. Daraus folgert die herrschende Auffassung, der Pflichtteil dürfe nicht mit einer fideikommissarischen Substitution belastet werden (Apathy in KBB4§ 774 Rz 2; § 608 Rz 5 mwN; Welser in Rummel/Lukas ABGB4§ 774 Rz 7; Bittner/Hawel in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02§ 774 Rz 3; vgl auch OGH EFSlg 40.995). Eine fideikommissarische Substitution gilt daher nur für das den Pflichtteil übersteigende Vermögen (SZ 46/28; 7 Ob 71/00t).
6.2. In langjähriger Rechtsprechung judiziert allerdings der Oberste Gerichtshof auch, es widerspreche dem Grundsatz, der Pflichtteil müsse dem Noterben ganz frei bleiben, nicht, wenn das dem Noterben zugewendete Vermögen nicht sofort verwertbar sei.
In der Entscheidung SZ 37/32 (vgl RIS-Justiz RS0011827) wurde ausgesprochen, dass das Vermächtnis eines Fruchtgenussrechts zur Abdeckung des Pflichtteilanspruchs geeignet und nach versicherungsrechtlichen Grundsätzen zu bewerten ist.
In 1 Ob 2364/96w SZ 70/47 wurde ausgesprochen, der – durch Kapitalisierung zu ermittelnde –Wert des zum gesetzlichen Vorausvermächtnis gehörigen Wohnrechts sei einfach vom Pflichtteil des überlebenden Ehegatten abzuziehen; insoweit finde dadurch eine teilweise oder gänzliche Pflichtteilsdeckung statt.
In der Entscheidung 3 Ob 47/97a wurde ausgeführt, eine Anrechnung des Werts eines vermachten lebenslänglichen Nutzungsrechts an einem Café komme zur Pflichtteilsdeckung in Frage. Der Wert des Nutzungsrechts sei nach versicherungstechnischen Grundsätzen zu ermitteln.
In 6 Ob 189/98g SZ 71/166 (zust Schauer, Ist das Pflichtteilsrecht noch zeitgemäß II, NZ 2001, 77 [80]; Zankl, Pflichtteilsdeckung und Pflichtteilsverjährung, NZ 2000, 36 [38])wurde ausgeführt, die vom Erblasser vorgesehene „Unterbeteiligung“ am Gesellschaftsrecht des OHG-Gesellschafters habe Vermögenswert, was schon aus den Rechten der Untergesellschafter auf Gewinnbeteiligung und Liquidationserlös klar hervorgehe. Eine ungehinderte („freie“) Verwertungsmöglichkeit habe der Gesetzgeber im § 774 ABGB nicht im Auge. Der Noterbe müsse vermögenswerte Zuwendungen auch dann akzeptieren, wenn diese nicht sofort verwertbar, also in Geld ausgetauscht werden könnten. Eine Unterbeteiligung an einem OHG-Anteil sei zur Pflichtteilsdeckung geeignet.
Nach 5 Ob 14/02y ist ein vermachtes Wohnungsrecht grundsätzlich zur Pflichtteilsdeckung geeignet.
6.3. Umlauft, Zwei wichtige Themen für die anstehende Erbrechtsreform, NZ 2012/2, 7 (9), leitet aus diesen Entscheidungen 1 Ob 2364/96w, 3 Ob 47/97a, 6 Ob 189/98g SZ 71/166 und 5 Ob 14/02y – dem Obersten Gerichtshof grundsätzlich zustimmend – zutreffend ab, eine sofortige Verwertbarkeit der Zuwendung durch den Noterben sei nicht erforderlich. Es reiche ein sukzessive zufließender Vermögensvorteil (Mieteinkünfte aufgrund eines Fruchtgenussrechts; Gewinnansprüche aus einer Unterbeteiligung). Dieser Vermögensvorteil könne auch darin liegen, dass sich der Noterbe durch ein eingeräumtes Wohnungsrecht die Miete für eine Wohnung erspare.
6.4. Die Ansicht von Kletečka, Ersatz- und Nacherbschaft (1999), 193 f, ist im Hinblick auf die in den Punkten 6.2. und 6.3. zitierten Entscheidungen und Lehrmeinungen überholt.
6.5. Im Sinn der in Punkt 6.2. zitierten Judikatur und der in Punkt 6.3. zitierten Lehrmeinung ist auch im vorliegenden Fall das der Klägerin zustehende und von ihr auch wahrgenommene Nutzungsrecht, einerseits eine Wohnung ohne Mietzins selbst zu bewohnen und andererseits aus der Vermietung von Wohnungen auf der ererbten Liegenschaft Mietzinse zu lukrieren (vgl § 613 ABGB), zur Pflichtteilsdeckung geeignet. Dieses Nutzungsrecht ist von der fideikommissarischen Substitution nicht betroffen und insofern „ganz frei“ im Sinn des § 774 ABGB und der unter 6.2. zitierten Judikatur. Es kann jetzt schon bewertet werden. Zur Wertermittlung des auf den künftigen Ertrag abstellenden Nutzungsrechts ist der Ertragswert der Wohnungen (ohne Bodenwertanteil) heranzuziehen. Dieser beträgt nach den Feststellungen 280.809 EUR. Der Pflichtteil der Klägerin (105.368,84 EUR) ist daher voll abgedeckt und die Rechtssache somit spruchreif im Sinne der erstgerichtlichen gänzlichen Klageabweisung.
7. Ob die Grundsätze der unter 6.2. zitierten Judikatur auch unter dem Regime des – hier noch nicht anzuwendenden (vgl Punkt 3.) – ErbRÄG 2015 gelten, muss hier nicht geprüft werden.
8. Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41, 50 ZPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00167.16X.0223.000 |
Schlagworte: | Erb- und Verlassenschaftssachen |
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