OGH vom 14.11.2013, 2Ob165/13y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, 1041 Wien, Prinz Eugen Straße 20 22, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei G***** AG, *****, vertreten durch Mag. Marina Breitenecker ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen 2.107,19 EUR sA (Revisionsstreitwert: 1.757,62 EUR sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 39 R 345/12t 11, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 42 C 388/11p 7, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 447,98 EUR (darin enthalten 74,66 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Mieter (ein Ehepaar) eines Reihenhauses ließen auf eigene Kosten um 2.889,25 EUR (inkl. USt) den im Lauf der Zeit immer weniger Warmwasser abgebenden Warmwasserboiler erneuern. Da der Mietvertrag über das Reihenhaus insoweit dem MRG bzw dem WGG unterliegt, bestand unstrittig keine Pflicht der Beklagten als Vermieterin, den Boiler zu erneuern oder dafür die Kosten zu tragen.
Mit der vorliegenden Klage verlangt die Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, der die Mieter ihre allfälligen Rückforderungsansprüche abgetreten haben, für vergangene Zeiträume einen Teil des bezahlten Mietzinses zurück, weil den Mietern wegen der (teilweisen) Funktionsuntüchtigkeit des Warmwasserboilers ein Anspruch auf Mietzinsminderung zustehe.
Die Vorinstanzen beurteilten den Anspruch auf Mietzinsminderung für die Zeit vor der Erneuerung des Boilers als grundsätzlich bestehend (das Berufungsgericht in höherem Ausmaß als das Erstgericht), für die Zeit danach verneinten sie jedoch einen solchen Anspruch und wiesen das sich darauf beziehende Klagebegehren ab.
Das Erstgericht führte aus, wenn den Mieter keine Pflicht zur Erneuerung einer schadhaft gewordenen Heiztherme treffe, so stehe ihm für die Dauer und in dem Maß der durch den Heizungsausfall eingetretenen Unbrauchbarkeit des Mietobjekts der Mietzinsminderungsanspruch nach § 1096 Abs 1 Satz 2 ABGB zu. Gleiches müsse für einen Warmwasserboiler und die eingeschränkte Versorgung mit Warmwasser aufgrund eines Defekts des Boilers gelten. Der Anspruch auf Zinsbefreiung bzw Zinsminderung gemäß § 1096 ABGB bestehe nach ständiger Rechtsprechung ab Beginn der Unbrauchbarkeit bzw Gebrauchsbeeinträchtigung des Bestandobjekts (bzw der Anzeige gegenüber dem Vermieter) nur bis zu deren Behebung. Eine Behebung durch den Bestandnehmer ändere an dieser Rechtsfolge nichts.
Das Berufungsgericht billigte diese rechtliche Beurteilung des Erstgerichts und führte ergänzend aus, die von der Klägerin präferierte Rechtsansicht, wonach in derartigen Fällen ein Anspruch auf Mietzinsminderung auch nach der Behebung des Mangels durch den Mieter auf eigene Kosten bestehe, werde von maßgeblichen Teilen der Lehre vertreten ( Vonkilch in Hausmann/Vonkilch , Österreichisches Wohnrecht [2007], § 8 MRG Rz 19; derselbe , Mietverträge im Fokus des Verbraucherrechts, wobl 2007, 185 [198 FN 87]; Riss , Die Erhaltungspflicht des Vermieters [2005], 216; Iro in KBB³, § 1096 ABGB Rz 9; H. Böhm , Topaktuell: Die zweite „Klauselentscheidung“ des OGH liegt vor, immolex 2007, 198 [202]; derselbe , OGH 5 Ob 17/09z: Ein Pyrrhussieg für die Vermieter! immolex 2009, 198 [205]).
Selbst wenn H. Böhm (immolex 2007, 202) die gegenteilige hier auch vom Berufungsgericht vertretene - Rechtsansicht als „katastrophal falsch“ bezeichne, biete der Wortlaut des § 1096 ABGB („für die Dauer der Unbrauchbarkeit“) für die von der zitierten Lehre aufgezeigte Rechtsmeinung keine ausreichende Grundlage. Mit den Mitteln der Auslegung sei dieses rechtliche Ergebnis nicht zu erzielen, weshalb es daher der Bejahung einer Rechtslücke und einer darauf fußenden Analogie bedürfte. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sei bei der Annahme einer solchen Lücke im Bestandrecht allerdings ganz grundsätzlich große Zurückhaltung geboten (jüngst: 5 Ob 191/12t). Ohne Vorliegen einer Gesetzeslücke gleichsam an die Stelle des Gesetzgebers zu treten und einen Regelungsinhalt (rechtsfortbildend) zu schaffen, dessen Herbeiführung ausschließlich diesem obläge, stehe den Gerichten nicht zu (RIS Justiz RS0008866 [T16]; zuletzt: 5 Ob 66/12k).
Nach oberstgerichtlicher Rechtsprechung bestehe im Vollanwendungsbereich des MRG auch hinsichtlich defekter Boiler mangels ausdrücklicher vertraglicher Regelung keine Erhaltungspflicht des Vermieters und damit auch kein sofort fälliger Ersatzanspruch des Mieters, der den Boiler ausgetauscht habe (1 Ob 183/12m, immolex 2013/21 [ Prader ]). Zusätzlich habe der Oberste Gerichtshof in diesem Zusammenhang ausdrücklich einen Mietzins-minderungsanspruch des dort beklagten Mieters für den Zeitraum nach Austausch des Boilers und der damit einhergehenden Beendigung der eingeschränkten Brauchbarkeit verneint. Zutreffend habe Prader aaO allerdings angemerkt, dass diese Entscheidung keine Auseinandersetzung „mit den zahlreichen kritischen Lehrmeinungen in diesem Zusammenhang“ enthalte.
Nach dieser Rechtsprechung stehe den Mietern ab der Erneuerung des Boilers kein Mietzinsminderungsanspruch zu.
Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil sich der Oberste Gerichtshof mit den Argumenten der überwiegenden Lehre zur Problematik des Mietzinsminderungsanspruchs nach Mängelbehebung durch den Mieter nicht inhaltlich auseinandergesetzt habe. Derartiges wäre aber schon angesichts der teilweise vehementen Kritik in der Lehre an der Rechtsprechung aus Gründen der Rechtssicherheit wünschenswert.
Die Revision ist unzulässig.
Rechtliche Beurteilung
1. Das Berufungsgericht ist zum Teil unter Verweisung auf das erstgerichtliche Urteil gemäß § 500a ZPO der ständigen, einschlägigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gefolgt (1 Ob 183/12m, welche Entscheidung sich ausdrücklich auf die Rechtssatzketten RIS Justiz RS0124630; RS0107866 stützt). Dass zu einer ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung abweichende Lehrmeinungen existieren, ist nach den in § 502 Abs 1 ZPO genannten Kriterien für das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage irrelevant (vgl RIS Justiz RS0042985; RS0110247).
2. Der erkennende Senat hält die wiedergegebenen Erwägungen des Berufungsgerichts auch nicht für korrekturbedürftig und ergänzt sie folgendermaßen:
3.1. Über die vom Berufungsgericht bereits genannten sind noch folgende, die Rechtsprechung kritisierenden Stellungnahmen zu nennen: H. Böhm , Erhaltung des Mietgegenstandes: alles neu? Mietgegenstände außerhalb des WGG und des Vollanwendungsbereichs des MRG,immolex 2007, 262 (264); Worthing Smith , Unzulässige Klauseln in Mietverträgen (2009), 83 f; Riss in Kletečka/Schauer , ABGB ON , § 1096 Rz 28; kritisch wohl auch Rosifka , OGH 5 Ob 17/09z: Konsequenzen und Kritik, immolex 2009, 206 (209).
3.2. Würth in Rummel , ABGB 3 (2000), § 1096 Rz 10, und Würth/Zingher/Kovanyi , Miet und Wohnrecht I 22 (2009), § 1096 ABGB Rz 11, geben die Rechtsprechung ohne Kritik wieder.
3.3. Dagegen stimmt Prader , OGH: Klarstellung der Erhaltungspflichten im Vollanwendungsbereich des MRG, RdW 2009, 391 (393); derselbe , MRG 3.15 (2013), § 1096 ABGB Anm 4; derselbe , immolex 2013, 78 (Anm zu 1 Ob 183/12m), der oberstgerichtlichen Rechtsprechung ausdrücklich zu.
4. Den Kritikern der Rechtsprechung ist zuzugestehen, dass die von den Vorinstanzen zutreffend dargestellte Rechtslage wie überhaupt der so genannte „Graubereich“ unbefriedigend erscheint, weil der Mieter, der mangels Verbesserungspflicht des Vermieters die Verbesserung des Bestandobjekts auf eigene Kosten selbst vornimmt, dafür noch mit dem Wegfall der Möglichkeit zur Zinsminderung gemäß § 1096 ABGB „bestraft“ wird.
5.1. Dies kann aber nicht dazu führen, das Gesetz zu ignorieren: § 1096 ABGB gibt das Zinsminderungsrecht völlig klar und unmissverständlich nur „für die Dauer ... der Unbrauchbarkeit“ .
5.2. Ein Zinsminderungsrecht über die Dauer der Unbrauchbarkeit hinaus ist mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar. Die Ansicht der Kritiker der Rechtsprechung könnte daher nur dann zutreffen, wenn § 1096 ABGB über seinen Wortlaut hinaus analog auch auf Fälle wie den vorliegenden anzuwenden wäre (§ 7 ABGB). Die analoge Anwendung einer Norm setzt eine planwidrige Gesetzeslücke voraus (vgl RIS Justiz RS0008866), die jedoch aus den folgenden Erwägungen nicht vorliegt:
5.3.1. Der Gesetzgeber hat mit der Wohnrechtsnovelle 2006 (WRN 2006; BGBl I 2006/124) in § 10 Abs 3 Z 1 MRG die Kosten für vom Mieter erneuerte Heizthermen oder Warmwasserboiler neu als bei Beendigung des Bestandverhältnisses ersatzfähige Aufwendungen in das Gesetz aufgenommen.
5.3.2. In den Materialien zur WRN 2006 wird betont, dass das Mietrecht „einer grundlegenden Neuordnung noch entgegensieht“ und im Mietrecht „durch punktuelle Änderungen aufgetretene Unklarheiten bereinigt, mögliche Unbilligkeiten abgebaut und einige Fallstricke sowohl für Mieter als auch für Vermieter beseitigt werden [sollen]. Größere Änderungen einzelner Rechtsinstitute oder gar die Struktur des Mietrechts verändernde Maßnahmen sieht der Gesetzesvorschlag nicht vor.“ (ErläutRV 1183 BlgNR 22. GP 1).
5.3.3. Speziell zur dargestellten Novellierung des § 10 MRG wird in den Materialien nach dem Referat von Rechtsprechung und Lehre zur (auf den Mieter überwälzbaren) Erhaltungspflicht für eine Heiztherme oder einen Warmwasserboiler ausgeführt:
„Zur Vermeidung von Missverständnissen sei klargestellt, dass der neu geschaffene Investitionsersatzanspruch des Mieters für die Erneuerung einer Therme oder eines Boilers keine Auswirkungen auf die dem Mieter wegen eines Ausfalls der im Mietgegenstand vorhandenen Heiztherme bzw. des Warmwasserboilers zustehenden Ansprüche gemäß § 1096 ABGB hat; diese Ansprüche stehen dem Mieter also unbeschadet der hier vorgesehenen Neuregelung weiterhin zu.“ (ErläutRV 1183 BlgNR 22. GP 38).
5.3.4. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber der WRN 2006 einerseits sich durchaus der grundsätzlichen Reformbedürftigkeit des Mietrechts bewusst war und andererseits im Rahmen seiner „punktuellen Änderungen“ sowohl das Problem von von Mietern erneuerten Warmwasserboilern als auch damit im Zusammenhang stehend den Aspekt der Mietzinsminderung nach § 1096 ABGB gesehen hat. Es kann daher dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, es wäre ihm entgangen, dass dem Mieter auch nach selbst finanzierter Erneuerung eines mangelhaften Boilers das Zinsminderungsrecht nach § 1096 ABGB nicht mehr zusteht. Wenn der Gesetzgeber ungeachtet dessen § 1096 ABGB nicht im Sinne des von den Kritikern der Rechtsprechung angestrebten Ergebnisses geändert hat, schließt dies eine planwidrige Lücke in § 1096 ABGB, die mit Analogie zu füllen wäre, aus.
5.4.
Unbefriedigende Gesetzesbestimmungen zu ändern, ist nicht Sache der Rechtsprechung, sondern der Gesetzgebung; die Gerichte haben nur die bestehenden Gesetze anzuwenden; es ist hingegen keineswegs ihre Aufgabe, im Wege der Rechtsfortbildung oder einer allzu
weitherzigen Interpretation möglicher Intentionen des Gesetzgebers Gedanken in ein Gesetz zu tragen, die darin nicht enthalten sind. Als maßgebend kann vielmehr nur der objektive Sinn eines gehörig kundgemachten Gesetzeswortlauts angesehen werden. Ein Rechtssatz, der im Gesetz nicht einmal angedeutet ist, kann auch nicht im Wege der Auslegung Geltung erlangen (RIS Justiz RS0008880; RS0009099).
6. Soweit die Revisionswerberin meint, aus den Entscheidungen 5 Ob 17/09z und 9 Ob 57/08k wäre etwas für ihren Rechtsstandpunkt zu gewinnen, ist ihr zu entgegnen: In diesen Entscheidungen wird nur gesagt, die Brauchbarkeit des Bestandobjekts sei dem Mieter, soweit ihn selbst keine Erhaltungspflicht treffe, für die
gesamte Dauer der Bestandzeit mit dem Druckmittel der Mietzinsminderung zu gewährleisten.
Damit soll ausgedrückt werden, dass das Mietzinsminderungsrecht für die
gesamte Dauer der Bestandzeit besteht, sofern die Brauchbarkeit des Bestandobjekts bis zum Ende der Bestandzeit beeinträchtigt ist. Die Aussage, das Zinsminderungsrecht solle auch dann bestehen, wenn der Mangel des Bestandobjekts beseitigt ist von welcher Seite auch immer , kann dem zitierten Satz dieser Entscheidungen angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts des § 1096 ABGB nicht unterstellt werden.
7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2013:0020OB00165.13Y.1114.000