OGH vom 13.07.2007, 6Ob148/07v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1. Dkfm. Dr. Helmut M*****, 2. Dr. Thomas M*****, beide vertreten durch Dr. Michael Metzler, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei B***** AG, ***** vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 21,057.298,52 sA und EUR 914.784,28 sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 148/06x-97, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom , GZ 5 Cg 206/03v-76, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Erstkläger ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 39.889,23 (darin EUR 6.648,20 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Der Zweitkläger ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 2.099,43 (darin EUR 349,90 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Kläger als Aktionäre eines Brauereikonzerns mit sehr komplizierter innerer Struktur konnten sich mit ihren Vorstellungen über eine Strukturveränderung des Konzerns und die Hereinnahme eines ausländischen Partners nicht durchsetzen, weil sie nicht über die erforderliche Aktienmehrheit verfügten. Im Zuge einer Umstrukturierung des Konzerns äußerten die federführenden Aktionäre gegenüber den übrigen Aktionärsgruppen und auch öffentlich, dass die Hereinnahme eines starken ausländischen Partners in den Konzern nicht in Frage komme. Da sich die Kläger unter diesen Umständen und nach Auseinandersetzungen weder einen ausreichenden Einfluss auf die Konzernführung noch die von ihnen durch die vorgeschlagene Internationalisierung angestrebte Wertsteigerung ihrer Aktien erwarteten, verkauften sie ihr Aktienpaket mit Kaufverträgen samt Zusatzvereinbarungen vom an die Rechtsvorgängerin der beklagten Partei. Etwa eineinhalb Jahre später begann die Konzernleitung entgegen der Erwartung der Kläger, den Verkauf einer Aktienmehrheit an einen ausländischen Brauereikonzern einzuleiten. Dieser Verkauf am erbrachte sodann einen wesentlich höheren Preis, als die Kläger für ihre Aktien erhalten hatten. Wenn die Kläger das geahnt hätten, hätten sie ihre Aktien im April 2001 nicht verkauft.
Die Kläger (und zwar der Erstkläger zu 5 Cg 206/03v und der Zweitkläger zu 5 Cg 205/03x) fechten den Aktienverkauf aus den Gründen der listigen Irreführung, des wesentlichen Geschäftsirrtums, der culpa in contrahendo, der laesio enormis und wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage an und verlangen ihre Beteiligung am Mehrerlös. Das Erstgericht wies beide Klagen ab. Nach den Feststellungen des Erstgerichts gingen beide Kläger beim Aktienverkauf davon aus, dass eine Änderung der Konzernstrategie für längere Zeit nicht möglich sein werde. Eine vertragliche Zusicherung dahingehend, dass der Konzern in Hinkunft ausschließlich in österreichischer Mehrheit verbleiben werde, erfolgte nicht. Die Vertragsparteien haben keine „Besserungsvereinbarung" erörtert. Bis Herbst 2002 gab es im Konzern keine Überlegungen dahingehend, die Eigentümerstruktur im Holdingbereich zu ändern. Gespräche über einen Mehrheitsverkauf gab es im Bereich der Kernaktionäre ab November 2002. Die Vertreter der Kernaktionäre fassten erstmals in der Syndikatsausschusssitzung vom den Beschluss, Möglichkeiten der Mehrheitsabgabe prüfen zu lassen.
Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, dass die Vertragsanfechtung wegen List und Irrtums daran scheitere, dass es im April 2001 noch keine Absichten und Pläne zum Verkauf der Mehrheit an einen internationalen Braukonzern gegeben habe. Der Irrtum der Kläger über die zukünftigen Entwicklungen sei ein unbeachtlicher Motivirrtum. Mit ihrer Einschätzung, innerhalb der Konzernstruktur nichts mehr bewegen zu können, hätten sich die Kläger ohnedies nicht geirrt. Die Anfechtung wegen laesio enormis scheitere zufolge § 1386 ABGB daran, dass der Aktienverkauf eine untrennbare Einheit mit dem außergerichtlichen Generalvergleich bilde. Auch Wegfall der Geschäftsgrundlage sei kein tauglicher Anfechtungsgrund, weil die Kontinuität der Aktionärsstruktur kein geschäftstypischer Umstand sei, dessen Fortbestand jedermann bei Aktienverkäufen annehme. Änderungen in der Unternehmensstruktur gehörten vielmehr zum spekulativen Charakter von Aktienverkäufen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Eine Anfechtung oder Anpassung des Kaufvertrages wegen List oder Geschäftsirrtums käme nur in Betracht, wenn die künftige Konzernstruktur oder Konzernstrategie von den Vertragsparteien derart zum Vertragsinhalt gemacht worden wäre, dass man von einer verbindlichen Zusage der Käuferseite im Sinn einer Leistungs- oder Unterlassungspflicht oder einer vereinbarten Bedingung sprechen könnte. Diese Voraussetzungen hätten die Kläger jedoch nicht beweisen können.
Auch für eine ergänzende Vertragsauslegung bestünde kein Raum. Eine Pflicht des Aktienkäufers, die Kläger darüber zu belehren, dass der Wert der Aktien möglicherweise höher sei als der in Aussicht genommene Kaufpreis, habe nicht bestanden, weil bei Umsatzgeschäften jeder Partner die Vorteilhaftigkeit des Geschäftes selbst zu prüfen habe (Bollenberger in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB § 870 Rz 1); die Vertragspartner beurteilten den Wert der Kaufsache prinzipiell auf eigenes Risiko (1 Ob 552/91). Ein Irrtum über den Wert einer Sache sei grundsätzlich unbeachtlich (Rummel in Rummel, ABGB³ § 871 Rz 11). Dies gelte umso mehr für sachverständige Vertragsparteien wie die Kläger.
Auch Wegfall der Geschäftsgrundlage rechtfertige die Vertragsanfechtung nicht, weil es für den Verkäufer eines Aktienpaketes keine geschäftstypische Voraussetzung sei, dass die Aktiengesellschaft, an der er künftig nicht mehr beteiligt ist, ihre Konzernstruktur und Geschäftspolitik nicht ändere. Ein allgemeiner Rechtssatz, dass jeder Vertrag unter der clausula rebus sic stantibus geschlossen wäre, bestehe nicht (EvBl 1970/203; SZ 60/42). Es bestehe kein Bedürfnis, missglückte Chancen auf Erzielung eines höheren Gewinnes durch das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu sanieren und damit das Prinzip der Vertragstreue unnötig zu untergraben.
Die Anfechtung wegen laesio enormis scheitere sowohl an § 935 ABGB als auch an § 1386 ABGB, ohne dass es auf eine objektive Bewertung der von den Klägern verkauften Aktien ankomme. Nach § 935 ABGB scheide die Anfechtung wegen laesio enormis aus, wenn der verkürzte Vertragspartner, obgleich ihm der wahre Wert bekannt war, sich dennoch zu dem unverhältnismäßigen Wert verstanden hat. Die Anfechtung wegen laesio enormis verlange neben dem objektiven Wertmissverhältnis auch ein Element mangelhafter Willensbildung (P. Bydlinski in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB § 934 Rz 2). Möglichkeiten, eine Willensbildung noch besser abzusichern als durch professionelle und hochqualitative Studien, wie sie im gegenständlichen Fall vorlagen, seien kaum vorstellbar. Außerdem sei der Aktienverkauf Teil eines Generalvergleichs gewesen. Die ordentliche Revision sei zulässig. Zwar sei das Berufungsgericht von keiner höchstgerichtlichen Judikatur abgewichen, doch habe insbesondere die zum Wegfall der Geschäftsgrundlage aufgefundene oberstgerichtliche Judikatur keinen hinreichend ähnlichen Sachverhalt betroffen. Auch habe keine höchstgerichtliche Judikatur zu der Rechtsfrage aufgefunden werden können, ob es für die Anwendbarkeit des § 1386 ABGB auf die wirtschaftliche Bedeutung eines in einen Generalvergleich einbezogenen, zunächst unstrittigen Aktienverkaufs ankomme.
Die Revision ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht zulässig:
Rechtliche Beurteilung
1. Dass kein „hinreichend ähnlicher Sachverhalt" in der Vergangenheit Entscheidungsgegenstand war, reicht für das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht aus (RIS-Justiz RS0110702; RS0102181). Andernfalls wäre die ordentliche Revision im Zulassungsbereich nahezu stets zulässig (2 Ob 114/06p). Auch die Höhe des Streitwerts ist für sich genommen für das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO ohne Bedeutung.
2.1. Auf die Anfechtung wegen List kommen die Revisionswerber in der Revision nicht mehr zurück. Eine Anfechtung wegen Irrtums nach § 871 ABGB scheitert schon daran, dass nach den Feststellungen der Vorinstanzen zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses von einem Einstieg ausländischer Investoren keine Rede war, sondern sich eine derartige Möglichkeit erst rund eineinhalb Jahre später eröffnete. Damit ist aber auch nicht ansatzweise erkennbar, auf welche - verkehrswidrige (vgl Rummel in Rummel, ABGB³ § 871 Rz 15) - Weise die beklagten Parteien eine diesbezügliche Fehlvorstellung der Kläger veranlassten.
2.2. Ein „Irrtum über Zukünftiges" ist in aller Regel nicht als Geschäftsirrtum im engeren Sinn, sondern als unbeachtlicher Motivirrtum einzustufen (SZ 59/17); Gleiches gilt - sofern keine listige Irreführung vorliegt (RIS-Justiz RS0014920) - für den Irrtum über den Wert der Sache (7 Ob 111/06h). Ein derartiger Irrtum ist grundsätzlich unbeachtlich (Rummel in Rummel, ABGB³ § 871 Rz 11); die Vertragspartner beurteilen den Wert der Kaufsache prinzipiell auf eigenes Risiko (1 Ob 552/91; vgl auch Bollenberger in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB² § 870 Rz 1).
Der Umstand, dass der Wert der verkauften Sachen in der Folge steigt, ist zudem im Regelfall vorhersehbar (vgl RIS-Justiz RS0017593 [T3] und [21]). In diesem Sinne hat der Oberste Gerichtshof in dem Umstand, dass - abweichend von den subjektiven Vorstellungen der Verkäufer - ein größerer Teil der verkauften Liegenschaft in Bauland umgewidmet oder mit mehr Gewinn als erwartet weiterverkauft wurde, keine unvorhersehbare Änderung erblickt (1 Ob 47/05a). In anderem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass mit einer Änderung der Warenpreise jedermann grundsätzlich rechnen muss (5 Ob 64/74). Im Übrigen wäre es den selbst sachkundigen und sachkundig beratenen Klägern freigestanden, in den Kaufvertrag eine Besserungsvereinbarung aufzunehmen.
2.3. Dies kann - entgegen der Auffassung des Privatgutachters F. Bydlinski - auch nicht durch die Konstruktion umgangen werden, es liege ein Irrtum in der Person des Vertragspartners vor, weil die Kläger von der Vorstellung ausgegangen wären, bei den Käufern des Aktienpakets handle es sich um „Menschen von konsequenten, verlässlichen Entschlüssen". Diese Formulierung bezieht sich offensichtlich auf die - von den Klägern angeblich erwartete - (immerwährende?) Beibehaltung der Konzernstrategie, keine Aktien in das Ausland zu verkaufen. Damit hat ein diesbezüglicher Irrtum aber wieder nur Einfluss auf den (zukünftig realisierbaren) Wert der Aktien und stellt somit einen bloßen Motivirrtum dar.
2.4. Im Übrigen handelt es sich bei der Abgrenzung zwischen Geschäftsirrtum im engeren Sinne und bloßem Motivirrtum gleichfalls in der Regel um keine erhebliche Rechtsfrage, kann die Abgrenzung doch nur im Einzelfall nach dessen konkreten Umständen vorgenommen werden (3 Ob 116/04m). Eine erhebliche Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht, die vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifen wäre, vermögen die Revisionswerber nicht aufzuzeigen.
3.1. Auch für eine Anfechtung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage besteht kein Raum. Die Annahme, es werde kein (gewinnbringender) Verkauf der Aktien ins Ausland erfolgen, ist jedenfalls keine Voraussetzung geschäftstypischen Inhalts, hat doch typischerweise der Verkäufer gerade kein Interesse an dem weiteren Schicksal der Kaufsache; auch entspricht es üblicherweise gerade nicht den Absichten eines Käufers, sich diesbezüglich Beschränkungen zu unterwerfen.
3.2. Eine individuelle Voraussetzung (Geschäftsgrundlage), von der beide Parteien bei Vertragsschluss ausgegangen sind, ist aber nur dann von Bedeutung, wenn die Parteien durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung die Wirkungen des Geschäftes von dem Vorhandensein der vorausgesetzten Sachlage abhängig gemacht haben (RIS-Justiz RS0017394). Ob etwas Vertragsinhalt geworden ist, kann indes jeweils nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden; dies verhindert in der Regel das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (1 Ob 47/05a; 3 Ob 116/04m).
3.3. Im Übrigen ist anerkannt, dass das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gegenüber anderen Möglichkeiten, rechtsgeschäftliche Bindungen zu beseitigen, nur als letztes Mittel heranzuziehen ist (RIS-Justiz RS0017454). Ein Rückgriff auf die Lehre von der Geschäftsgrundlage hat zu unterbleiben, wenn ein Vertrag nach seinem von den Parteien festgelegten immanenten Zweck nicht lückenhaft ist (vgl RIS-Justiz RS0017453).
4. Die Anfechtung des Vertrages wegen laesio enormis geht ins Leere. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wussten die im Konzern - auch als Organe - involvierten Kläger beim Vertragsabschluss umfassend über den gesamten Konzern, dessen Wert und den Wert der Aktien des Konzerns Bescheid (vgl RIS-Justiz RS0087574). Dabei lagen den Klägern auch mehrere Studien über durch eine Restrukturierung des Konzerns erzielbare Wertsteigerungen vor. Dass die konkrete Höhe des seinerzeitigen Werts der Aktien von den Vorinstanzen nicht festgestellt wurde, schadet dabei entgegen der Rechtsansicht der Kläger nicht; rechtlich ausschlaggebend ist ausschließlich, dass dieser Wert den Klägern bekannt war. Dies haben aber die Vorinstanzen übereinstimmend bejaht.
5. Ausgehend von dieser Rechtslage kommt es aber auf die von den klagenden Parteien als klärungsbedürftig erachtete Frage, ob es sich bei dem gegenständlichen Vergleich um einen „Generalvergleich" handelte und daher die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte (§ 934 ABGB) auch aus diesem Grund ausgeschlossen ist (§ 1386 ABGB), oder nicht, ebenso wenig an wie auf die Frage, ob auf diesen „Generalvergleich" wegen der darin enthaltenen Elemente mehrerer Vertragstypen die Kumulations- oder Absorptionstheorie anzuwenden ist.
6. In der zusammengefassten Wiedergabe der Feststellungen des Erstgerichts durch das Berufungsgericht auf S 11 des Berufungsurteils liegt weder eine Abweichung von den Feststellungen des Erstgerichts noch ein (sonstiger) relevanter Verfahrensmangel im Sinne des § 503 Z 2 ZPO.
7. Damit vermögen die Kläger aber keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität aufzuzeigen, sodass die Revision spruchgemäß zurückzuweisen war.
8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Dabei waren die Kosten des Revisionsverfahrens den Klägern im (ungefähren) Verhältnis der Streitwerte, sohin im Verhältnis 95 : 5, aufzuerlegen. In Hinblick auf die besondere Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage erweist sich auch der verzeichnete Zuschlag gem § 21 Abs 1 RATG in Höhe von 20 % als berechtigt. Die beklagte Partei konnte sich nämlich nicht auf die Darlegung der - vom Obersten Gerichtshof bejahten - Unzulässigkeit der Revision (§ 502 Abs 1 ZPO) beschränken; sie musste sich vielmehr darüber hinaus in der Sache mit den umfangreichen Argumenten der Revision auseinandersetzen.