OGH vom 20.02.2020, 5Ob195/19s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in den verbundenen wohnrechtlichen Außerstreitsachen der Antragstellerin G***** AG, *****, vertreten durch die Dr. Wilhelm Schlein Rechtsanwalt GmbH in Wien, gegen die Antragsgegnerinnen 1. K***** Gesellschaft m.b.H.(AZ 30 Msch 7/18g), 2. R***** Gesellschaft m.b.H. (AZ 30 Msch 8/18d), *****, beide vertreten durch die Probst Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen § 37 Abs 1 Z 8 MRG iVm § 12a MRG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 39 R 92/19x-19, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG und § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Antragsgegnerinnen sind Mieterinnen jeweils eines Geschäftslokals in Wien, die Antragstellerin ist die Vermieterin. Die Erstantragsgegnerin ist alleinige Gesellschafterin der Zweitantragsgegnerin.
Gegenstand der beiden verbundenen Verfahren sind die auf § 12a Abs 3 MRG gestützten Anträge der Antragstellerin, die angemessenen monatlichen Hauptmietzinse ab den Stichtagen und festzusetzen.
Das Erstgericht wies diese Anträge, soweit die Antragstellerin die Mietzinsanhebung auf einen angeblichen Machtwechsel im Jahr 1997 stützte, zurück. Die gesellschaftsrechtlichen Änderungen im Jahr 1997 seien nicht Gegenstand des Schlichtungsverfahrens gewesen und könnten nicht erstmals vor Gericht geltend gemacht werden. Die auf einen angeblichen Machtwechsel im Jahr 2013 gestützten Anträge wies das Erstgericht mangels Erfüllung des Tatbestands des § 12a Abs 3 MRG ab.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin nicht Folge und bestätigte diese Entscheidungen.
Gegen den Sachbeschluss des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin. Dieser Revisionsrekurs ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG unzulässig und zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
1.1. In den in § 37 Abs 1 MRG genannten außerstreitigen Verfahren ist die Vorschaltung der Schlichtungsstelle eine zwingende Verfahrensvoraussetzung für die Befassung der Gerichte (§ 39 Abs 1 MRG). Wurde die Schlichtungsstelle mit der „Sache“ nicht befasst, liegt eine Unzulässigkeit des (außerstreitigen) Rechtswegs vor (RIS-Justiz RS0070782; RS0006307 [T8]; RS0116912 [T1]).
1.2. Für die Identität der „Sache“ kommt es entscheidend darauf an, dass vor Gericht derselbe Anspruch wie vor der Schlichtungsstelle geltend gemacht wird. Zu beurteilen ist dies nach dem herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff (RS0006307 [T11]; RS0070055 [T5]; RS0109931 [T1]; RS0070068 [T4]). Identität liegt dann vor, wenn sowohl der Sachantrag als auch der rechtserzeugende Sachverhalt ident sind (RS0039347; RS0124048). Der bei der Schlichtungsstelle gestellte Antrag kann daher bei Gericht nicht mehr geändert oder erweitert werden (RS0006307 [T2, T 3]). Dabei ist nicht nur die Änderung oder Erweiterung des Begehrens selbst, sondern auch eine Änderung oder Erweiterung des vor der Schlichtungsstelle vorgebrachten anspruchsbegründenden Sachverhalts vor Gericht unzulässig (RS0006307 [T14]; RS0109931 [T3]; RS0070055 [T6]).
1.3. Die Auslegung des Vorbringens und der Sachanträge ist nach den Umständen des Einzelfalls vorzunehmen, sodass sich insoweit eine iSd § 62 Abs 1 AußStrG erhebliche Rechtsfrage in der Regel nicht stellt (RS0042828). Das gilt insbesondere auch für die Beurteilung, ob die im gerichtlichen Verfahren vorgebrachten anspruchsbegründenden Tatsachen von jenen im Antrag vor der Schlichtungsstelle soweit abweichen, dass nicht mehr von derselben „Sache“ gesprochen werden kann.
1.4. Dem Rekursgericht ist hier auch keine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung (vgl RS0042828 [T7, T 11, T 31]) unterlaufen. Dessen Auffassung, die Antragstellerin habe in ihren Anträgen zwar einleitend ganz allgemein von verschiedenen gesellschaftsrechtlichen Änderungen seit Inkrafttreten der Bestimmung des § 12a Abs 3 MRG gesprochen, in der Folge aber ausschließlich die Vorgänge im Jahr 2013 konkretisiert und den Machtwechsel nur auf diesen Sachverhalt gestützt, hält sich jedenfalls im Rahmen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Der Fachsenat nahm zwar in einzelnen Fällen – im Einklang mit der zur Bestimmtheit des Begehrens ergangenen Rechtsprechung – trotz nachträglicher Modifizierungen im gerichtlichen Verfahren einen identen Verfahrensgegenstand an (vgl RS0070562; RS0070068). Ein mit diesen Fällen vergleichbarer Fall der Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe zur Klarstellung von Anspruchs- und Entscheidungsgrundlagen (5 Ob 187/10a; 5 Ob 146/00g) liegt hier aber nicht vor. Die Antragstellerin stützte die geltend gemachten Anhebungsbegehren auf die vorgebrachten Vorgänge im Jahr 2013. Auf andere, einer gesonderten Prüfung zugängliche gesellschaftsrechtliche Änderungen nahm sie in ihren Anträgen an die Schlichtungsstelle nicht oder zumindest nicht ausreichend konkret Bezug. Dies wäre aber Grundvoraussetzung dafür, die spätere Erweiterung des Tatsachenvorbringens vor Gericht als eine (mangels Einblicks in die gesellschaftsrechtlichen Vorgänge der Antragsgegnerinnen) erst aufgrund der Verfahrensergebnisse mögliche und daher zulässige bloße Präzisierung des Antrags werten zu können.
2.1. Zur Anwendung des § 12a Abs 3 MRG folgt der Oberste Gerichtshof in nunmehr ständiger Rechtsprechung der sogenannten Machtwechseltheorie. Voraussetzung für eine Anhebung des Hauptmietzinses ist demnach eine Änderung der Einflussmöglichkeit innerhalb der betroffenen Mietergesellschaft, die kumulativ sowohl für den rechtlichen als auch für den wirtschaftlichen Bereich gegeben sein muss. Eine bloße rechtliche Änderung, mit der eine wirtschaftliche nicht einhergeht, berechtigt demgegenüber nicht zur Mietzinsanhebung. Ein derartiger Machtwechsel in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht wird grundsätzlich dann bejaht, wenn es zum „Kippen der Mehrheitsverhältnisse“ gekommen ist (RS0069560 [T26]; RS0111167). Jede andere Änderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Einflussmöglichkeiten in der Gesellschaft (juristischen Person) bedarf der Darlegung besonderer Umstände, um sie als „entscheidend“ im Sinn des § 12a Abs 3 MRG qualifizieren zu können (RS0108983). Auch das Kippen der Mehrheitsverhältnisse indiziert einen Machtwechsel lediglich, die konkreten Auswirkungen sind jeweils im Einzelfall zu prüfen (RS0125715; RS0108983 [T12]; RS0118809 [T1]).
2.2. Die Möglichkeit eines entscheidenden Einflusses auf die Mietergesellschaft ist auch dann tatbestandsgemäß im Sinn des § 12a Abs 3 Satz 1 MRG, wenn sie bloß mittelbar – etwa über zwischengeschaltete weitere Gesellschaften – besteht. Es reicht die Änderung auf Ebene jener (Konzern-)Gesellschaft aus, die aufgrund von Beteiligungen einen beherrschenden Einfluss auf die Mietergesellschaft ausübt (RS0111296 [T10]; RS0069558 [T19]).
2.3. Die Frage, ob der Tatbestand des § 12a Abs 3 erster Satz MRG verwirklicht wurde, kann immer nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls entschieden werden und begründet daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (5 Ob 173/18d; 5 Ob 127/17p; RS0111167 [T11]). Der Revisionsrekurs zeigt keine aus Gründen der Rechtssicherheit ausnahmsweise auch im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung auf. Es entspricht vielmehr der Rechtsprechung des Fachsenats, dass im Fall einer fremdnützigen Treuhand bei der Übertragung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft vom Treugeber auf den Treuhänder und umgekehrt keine Änderung der wirtschaftlichen Einflussmöglichkeit eintritt (RS0116611). Auch die gleichzeitige Umstellung von Inhaber- auf Namensaktien jener AG, die Mehrheitsgesellschafterin der Erstantragsgegnerin ist, indiziert hier keinen Machtwechsel, weil nach dem festgestellten Sachverhalt die gleiche Person der Eigentümer der Aktien blieb. Die Feststellung, dass einzelne Inhaberaktien in Verstoß geraten waren, schließt es nach Auffassung des Rekursgerichts aus, dass andere Personen Eigentum an der Mehrheit der Inhaberaktien erlangt hatten. Dieses Verständnis des Rekursgerichts ist ebensowenig korrekturbedürftig wie dessen Beurteilung, es gebe keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Umgehungsgeschäfts zur Vereitelung des Anhebungsrechts iSd § 12a Abs 3 letzter Satz MRG, zumal die Entscheidung für die Ausgabe von Inhaberaktien und eine verdeckte Treuhandschaft Jahre vor Schaffung des § 12a Abs 3 MRG durch das 3. WÄG völlig unverdächtig sei.
3. Die behaupteten Revisionsrekursgründe der Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens und der Aktenwidrigkeit wurden geprüft; sie liegen nicht vor (§ 71 Abs 3 Satz 3 AußStrG).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00195.19S.0220.000 |
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