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OGH vom 24.09.2008, 2Ob163/08x

OGH vom 24.09.2008, 2Ob163/08x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt Wien, Landesstelle Graz, Göstinger Straße 26, 8021 Graz, vertreten durch Dr. Peter Schaden und Mag. Werner Thurner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei W***** AG, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Heufler, Rechtsanwalt in Wien, wegen 11.440 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 32/08p-14, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 15 Cg 157/07x-10, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 766,08 EUR (darin enthalten 127,68 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der bei der Klägerin pflichtversicherte Christian P***** erlitt am bei einem Verkehrsunfall schwere Verletzungen. Die Beklagte ist Haftpflichtversicherer jenes PKWs, dessen Lenker den Unfall verschuldete.

Christian P***** war nach dem Unfall zur Rehabilitation in T*****. Im Rahmen einer Teambesprechung, bei der neben dem verletzten Versicherten und den behandelnden Ärzten auch Rehabilitationsberater, Bedienstete der PVA und des AMS, anwesend waren, wurde besprochen, ob der Verletzte seinen bisherigen Beruf als Rauchfangkehrergeselle im aufrechten Dienstverhältnis bei einem Rauchfangkehrerunternehmen aufgrund der schweren Beinverletzungen weiter ausüben könnte. Über Wunsch des Verletzten wurde Kontakt mit seinem Dienstgeber aufgenommen; ein Arbeitsversuch nach Beendigung des Krankenstands wurde vereinbart. Nach einem Monat fand eine Besprechung bei dem Dienstgeber statt, an der dieser, der Dienstnehmer und der Sachbearbeiter der Klägerin teilnahmen. Da sowohl der Dienstgeber als auch der Dienstnehmer Defizite bei der Arbeitsleistung bzw Arbeitserbringung wegen der unfallkausalen Verletzungen sahen (vor allem bei Arbeiten in exponierten Lagen), wurde die Möglichkeit eines Dienstgeberzuschusses besprochen, um die Weiterbeschäftigung des Dienstnehmers zu sichern. Dienstgeber und Dienstnehmer hatten vereinbart, dass der verletzte Dienstnehmer bei Bedarf einen Lehrling beigestellt erhält. Der verletzte Dienstnehmer stellte daraufhin bei der Klägerin zur Sicherung seines Arbeitplatzes einen Antrag auf Gewährung von Dienstgeberzuschüssen gemäß § 198 Abs 3 Z 3 ASVG.

Mit Beschlüssen des Rehabilitationsausschusses vom Dezember 2004 und Oktober 2005 gewährte die Klägerin zur Abgeltung der unfallsbedingten Minderleistung Dienstgeberzuschüsse von 6.840 EUR (rund 50 % der Lohnkosten inklusive 50 % Lohnnebenkosten für 6 Monate) sowie von 4.600 EUR (rund 1/3 der Lohnkosten inklusive 50 % Lohnnebenkosten für weitere 6 Monate). Diese Zuschüsse zahlte die Klägerin dem Dienstgeber vom bis aus. In der Begründung führte der Rehabilitationsausschuss jeweils aus, dass der Dienstnehmer von seinem Dienstgeber wieder eingestellt worden sei, obwohl er aufgrund der Unfallfolgen bei der Ausübung seines erlernten Berufs als Rauchfangkehrer erheblich eingeschränkt sei, die Notwendigkeit der Maßnahme chefärztlich bestätigt worden sei und die Rücksichtnahme auf die Unfallfolgen für den Kleinbetrieb des Dienstgebers eine wesentliche finanzielle Belastung darstelle.

Die Klägerin begehrt als Legalzessionarin (§ 332 Abs 1 ASVG) die an den Dienstgeber ausbezahlten Zuschüsse. Der Dienstnehmer habe Anspruch auf diese Maßnahme der Rehabilitation, um trotz der verbliebenen Verletzungsfolgen seinen bisherigen Beruf weiter ausüben zu können. Der Dienstgeberzuschuss sei Rettungsaufwand zum Erhalt des Arbeitsplatzes, den ansonsten der verletzte Dienstnehmer selbst hätte tätigen müssen.

Die Beklagte bestreitet - soweit für das Revisionsverfahren noch relevant - eine Leistungspflicht des klagenden Sozialversicherungsträgers und die persönliche sowie sachliche Kongruenz.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es wertete die Dienstgeberzuschüsse nicht als freiwillige Leistungen, sondern als Pflichtleistungen, die im Umfang der sachlich und zeitlich kongruenten Ersatzansprüche des Verletzten auf den Sozialversicherungsträger übergegangen seien.

Das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht teilte diese Auffassung. Die gewährten Dienstgeberzuschüsse ließen sich eindeutig als Maßnahme nach § 198 Abs 2 Z 3 und Abs 3 Z 3 ASVG qualifizieren. Über derartige berufliche Maßnahmen der Rehabilitation sei zwar nach § 367 Abs 1 ASVG nicht mit Bescheid zu entscheiden; dennoch handle es sich nicht um freiwillige Leistungen, sondern um Pflichtleistungen des Sozialversicherungsträgers, der bei Vorliegen der im Gesetz erwähnten Ermessenskriterien verpflichtet sei, die erforderlichen Rehabilitationsmaßnahmen zu setzen. Mit tatsächlicher Leistungserbringung seien diese „typisierten freiwilligen Leistungen" auf die Klägerin übergegangen. Die persönliche Kongruenz liege vor, weil der Sozialversicherungsträger die Leistung über Antrag des Versicherten gewährt habe. Diese Maßnahme der beruflichen Rehabilitation sei sachlich kongruent im Verhältnis zum Anspruch des Verletzten auf Ersatz des Verdienstentgangs. Die Zuschüsse hätten das Ziel erreicht, die Arbeitskraft des Verletzten wiederherzustellen bzw einen Verdienstausfall zu vermeiden, indem der Verletzte seinen Arbeitsplatz trotz seiner Leistungsdefizite behalten habe. Die Klägerin spreche daher durchaus zu Recht von einem Rettungsaufwand.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil sich der Oberste Gerichtshof im Zusammenhang mit der Legalzession mit Dienstgeberzuschüssen nach § 198 Abs 2 Z 3 und Abs 3 Z 3 ASVG noch nicht befasst habe.

In ihrer Revision beantragt die Beklagte die Abweisung des Klagebegehrens; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, das gegnerische Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof mit derartigen Zuschüssen im Zusammenhang mit der Legalzession noch nicht befasst hat; sie ist aber nicht berechtigt.

I. Pflichtleistung - freiwillige Leistung:

1. Die Legalzession nach § 332 ASVG setzt voraus, dass der Sozialversicherungsträger leistungspflichtig ist (2 Ob 256/06w; RIS-Justiz RS0087557; Neumayr in Schwimann3 VII § 332 ASVG Rz 19; Krejci/Böhler in Tomandl, Sozialversicherungssystem, 3.2.1). Entscheidend ist somit die gesetzliche Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers; die Anerkennung eines Anspruchs durch den Sozialversicherungsträger oder die tatsächliche Leistung sind hingegen nach § 332 ASVG keine Voraussetzung für den Forderungsübergang (Neumayr aaO).

2. Je nach der angestrebten Zielrichtung und den eingesetzten Mitteln werden drei Bereiche der Rehabilitation unterschieden: Die medizinische Rehabilitation soll den Gesundheitszustand, die berufliche Rehabilitation soll die Erwerbsfähigkeit und die soziale Rehabilitation soll die Gemeinschaftsfähigkeit wiederherstellen (10 ObS 347/89 = RIS-Justiz RS0084278; Tomandl in Tomandl aaO, 2.3.3.1; vgl Tomandl, Grundriss des Österreichischen Sozialrechts5 Rz 220).

3. Nach § 172 Abs 1 ASVG ist die Rehabilitation eine Aufgabe der gesetzlichen Unfallversicherung. In § 173 Z 1 lit c ASVG hebt der Gesetzgeber die berufliche und soziale Rehabilitation als Leistung der Unfallversicherung gesondert hervor. Die medizinische Rehabilitation ist ein Teilaspekt des nur demonstrativ umschriebenen Leistungsspektrums der Unfallheilbehandlung, weshalb auf sie jedenfalls ein individueller Leistungsanspruch besteht, (Jabornegg/Resch, Rehabilitation vor Rente, ZAS 1999, 65 [67]).

4. Der mit „berufliche Maßnahmen der Rehabilitation" übertitelte § 198 ASVG sieht in seinem Absatz 1 das Ziel dieser Maßnahmen darin, den Versehrten in die Lage zu versetzen, seinen früheren oder, wenn dies nicht möglich ist, einen neuen Beruf auszuüben.

Absatz 2 und Absatz 3 leg cit lauten - soweit relevant - wie folgt:

(2) Die berufliche Rehabilitation umfasst insbesondere:

...

2. Die Gewährung von Zuschüssen, Darlehen und/oder sonstigen Hilfsmaßnahmen zur Ermöglichung der Fortsetzung der Erwerbstätigkeit;

3. die Hilfe zur Erlangung einer Arbeitsstelle oder einer anderen Erwerbsmöglichkeit.

(3) Als Maßnahmen im Sinn des Abs 2 Z 3 kann der Unfallversicherungsträger

1. einem Versehrten, der eine Arbeitsstelle angenommen hat, in der das volle Entgelt erst nach Erlangung der erforderlichen Fertigkeit erreichen kann, für die Übergangszeit, längstens aber für vier Jahre, einen Zuschuss bis zum vollen Entgelt gewähren;

2. einem Versehrten Zuschüsse und/oder Darlehen zur Beschaffung von Arbeitskleidung oder einer Arbeitsausrüstung gewähren;

3. dem Dienstgeber eines Versehrten, der eine Arbeitsstelle angenommen hat, in der er seine volle Leistungsfähigkeit erst nach Erlangung der erforderlichen Fertigkeit erreichen kann, für die Übergangszeit, längstens aber für vier Jahre, wenn er dem Versehrten das betriebsübliche Entgelt zahlt, einen Zuschuss gewähren.

5. Lehre und Judikatur werten berufliche Rehabilitationsmaßnahmen nicht als (rein) freiwillige Leistungen, sondern aufgrund des „pflichtgemäßen Ermessens" des Sozialversicherungsträgers bei Beurteilung der erforderlichen Rehabilitationsmaßnahmen als Pflichtleistungen, die nach § 332 Abs 1 ASVG den Übergang kongruenter Ersatzansprüche des Verletzten auf den Sozialversicherungsträger bewirken (8 Ob 171/82 = SZ 56/44 = RIS-Justiz RS0084899; 2 Ob 11/88 = RIS-Justiz RS0084899 [T2]). Bei diesen „typisierten freiwilligen" Leistungen, die im pflichtgemäßen Ermessen der Sozialversicherungsträger liegen (Krejci/Böhler aaO 3.2.3.3.1), tritt die Legalzession erst mit tatsächlicher Leistungserbringung ein (Neumayr aaO Rz 14).

6. Die Beklagte bekämpft die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zu einer nach pflichtgemäßem Ermessen zu gewährenden, typisierten freiwilligen Leistung ausschließlich mit dem Hinweis auf die Textierung des § 198 Abs 2 Z 3 und Abs 3 Z 3 ASVG, die nur Umschulungsmaßnahmen zum Erlangen der berufsnotwendigen Fertigkeit erfasse.

7. Dieses Argument übersieht zunächst den in § 198 Abs 1 ASVG ausdrücklich verankerten Zweck der beruflichen Maßnahmen: Primär soll der Versehrte seinen früheren Beruf nach der Rehabilitation wieder ausüben können; nur wenn dies nicht möglich ist, dient die Rehabilitation der Ausübung eines neuen Berufs. In § 198 Abs 2 ASVG werden die beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation nur demonstrativ („insbesondere") aufgezählt (Tomandl in Tomandl aaO, 2.3.3.1). Jede Rehabilitation ist grundsätzlich individuell auf die Bedürfnisse des Einzelfalls abzustellen (Tomandl in Tomandl aaO 2.3.3.1).

§ 198 Abs 2 Z 2 ASVG sieht außerdem Rehabilitationsmaßnahmen in Form der Gewährung von ua Zuschüssen zur Ermöglichung der Fortsetzung der Erwerbstätigkeit vor, was im konkreten Fall auch Ziel der gewährten Zuschüsse war: Dem verletzten Dienstnehmer sollte sein bisheriger Arbeitsplatz erhalten bleiben. § 303 ASVG nimmt zwar Zuschüsse nach § 198 Abs 2 Z 2 leg cit ausdrücklich von Rehabilitationsmaßnahmen aus, dies gilt aber nur für solche, die im Rahmen der Pensionsversicherung gewährt werden. Hier geht es aber um Ansprüche des Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung, weshalb die zitierte Ausnahmebestimmung ohnehin nicht relevant ist.

II. Persönliche und sachliche Kongruenz:

1. Persönliche Kongruenz bedeutet die Identität des Schadenersatzgläubigers mit dem Anspruchsberechtigten nach Sozialversicherungsrecht (Neumayr aaO Rz 37). Auf den Sozialversicherungsträger gehen daher nur diejenigen Schadenersatzansprüche über, die dem Versicherten (Anspruchsberechtigten aus der Sozialversicherung) aus eigenem Recht gegen den Haftpflichtigen zustehen (Neumayr aaO Rz 40; Krejci/Böhler aaO 3.2.3.3.4).

2. Sachliche Kongruenz liegt vor, wenn der Ausgleichszweck des Sozialversicherungsanspruchs mit jenem des Schadenersatzanspruchs ident ist und beide Ansprüche daher darauf abzielen, den selben Schaden zu decken (RIS-Justiz RS0084987; RS0085343; Neumayr aaO Rz 41).

3. Die Revisionswerberin sieht das entscheidende Hindernis für die von den Vorinstanzen bejahte Kongruenz darin, dass der Geschädigte niemals einen Direktschadenersatzanspruch auf „Beistellung eines Lehrlings bei Bedarf" hätte und deshalb auch der Ausgleichszweck nicht ident sei. Dieser Auffassung ist aus folgenden Erwägungen nicht zu folgen:

4. § 1325 ABGB gewährt einem Verletzten einen Anspruch auf Ersatz des Verdienstentgangs. Dieser Schadenersatzanspruch bildet den Deckungsfonds, der selbständig nach den Grundsätzen des Haftpflichtrechts zu berechnen ist (2 Ob 226/07k; RIS-Justiz RS0030708 [T2]; RS0085365 [T1]; Neumayr aaO Rz 8, 32 und 39; Harrer in Schwimann, ABGB³ VI § 1325 Rz 95). Die Legalzession soll eine Vorteilsanrechnung verhindern (Neumayr aaO Rz 6; 2 Ob 190/07s). Der Schädiger soll durch Leistungen der öffentlichen Hand nicht entlastet werden (Reischauer in Rummel3 § 1312 ABGB Rz 13; 2 Ob 190/07s; 6 Ob 260/03h; Krejci/Böhler aaO 3.2.3.3.3; vgl Plagemann in Geigel, Haftpflichtprozess25 Kap 30 Rz 1). „Vorteile" bzw „schadensmindernde Leistungen" aus Sozialversicherungsansprüchen haben außer Betracht zu bleiben (2 Ob 226/07k; Neumayr aaO Rz 32).

5. Im konkreten Fall ist davon auszugehen, dass das Dienstverhältnis aufgrund der geleisteten Zuschüsse aufrecht bleiben konnte. Die geleistete Maßnahme der beruflichen Rehabilitation hat letztlich das Ziel erreicht, den Arbeitsplatz des Dienstnehmers trotz der Einschränkung seiner physischen Leistungsfähigkeit zu erhalten und dadurch einen Verdienstentgang zu verhindern. Diese Rehabilitationsmaßnahme ist damit sachlich kongruent zum Anspruch auf Verdienstentgang (Neumayr aaO Rz 47; Krejci/Böhler aaO 3.2.3.3.5).

6. Der sozialversicherte Dienstnehmer hatte zumindest einen Anspruch auf gesetzmäßige Ermessensübung (Jabornegg/Resch aaO 67; vgl Krejci/Böhler aaO 3.2.3.3.1). Damit ist die Identität zwischen dem nach Sozialversicherungsrecht Anspruchsberechtigten und dem Schadenersatzgläubiger (Verdienstentgang) gegeben; auch die persönliche Kongruenz ist zu bejahen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.