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OGH vom 29.04.2013, 1Ob238/12z

OGH vom 29.04.2013, 1Ob238/12z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** S*****, vertreten durch Dr. Gerd Mössler, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Gustav Etzl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 7.057,55 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom , GZ 18 R 239/12v 15, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Neunkirchen vom , GZ 3 C 2217/11d 11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger erwarb in den Jahren 2003 und 2005 von einer AG ausgegebene Genussscheine, die seit im Freiverkehr an der Frankfurter Börse notiert hatten, um den Klagebetrag. Die Beklagte war seit 2000 bzw 2001 Abschluss und Konzernprüferin und erteilte den Jahres und Konzernabschlüssen des Konzerns sowie der diesem angehörenden AG bis zum Jahr 2007 einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk. Im Mai 2010 wurden über die AG sowie eine weitere Konzerngesellschaft Konkursverfahren eröffnet.

Mit seiner am bei Gericht eingelangten Klage begehrte der Kläger primär die Zahlung von 7.057,55 EUR samt Zinsen, hilfsweise die Feststellung der Haftung der Beklagten für jenen Schaden, den er aus der Veranlagung in die Genussscheine erleidet. Die Beklagte habe sowohl bei der Prüfung der Jahres und Konzernabschlüsse als auch als Prospektkontrollorin des Verkaufsprospekts zu den im Juni 2001 ausgegebenen Genussscheinen pflichtwidrig gehandelt, indem sie mehrere (näher dargestellte) Unrichtigkeiten trotz positiver Kenntnis nicht aufgedeckt und uneingeschränkte Bestätigungsvermerke erteilt habe. Die Beklagte habe damit dazu beigetragen, dass sich das kriminelle System des Konzerns bis Oktober 2008 habe halten können. Insbesondere hätte die Beklagte auch Einwendungen gegen Unrichtigkeiten im Kapitalmarktprospekt erheben müssen. Der Kläger hätte die Investitionen nicht getätigt und damit keinen Schaden erlitten, wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass die ausgegebenen Genussscheine von vornherein nicht (ausreichend) werthaltig gewesen seien, die Kursberechnung manipuliert worden sei und weitere Bedenklichkeiten vorgekommen seien, die bei gesetzmäßiger Sorgfalt der Beklagten zu Tage gekommen wären. Hätte die Beklagte nicht durch die gesetzwidrige Erteilung von Bestätigungsvermerken zum Aufrechterhalten des Systems beigetragen, hätte es gar nicht (mehr) zum Verkauf der Genussscheine an den Kläger kommen können. Die Beklagte hafte als Abschlussprüferin und Prospektkontrollorin auch ihm als einem von den einschlägigen Vorschriften geschützten Dritten. Verjährung seiner Schadenersatzansprüche sei nicht eingetreten, weil § 275 Abs 5 UGB für die Dritthaftung nicht gelte. Er habe erst im Herbst 2011 von der Beklagten als Schädigerin erfahren. Die Präklusivfrist nach § 11 Abs 7 KMG laufe erst ab Beendigung des prospektpflichtigen Angebots.

Die Beklagte wandte im Wesentlichen Verjährung und Präklusion allfälliger Schadenersatzansprüche des Klägers ein. Die fünfjährigen Fristen nach § 275 Abs 5 UGB und § 11 Abs 7 KMG seien auch gegenüber Drittgeschädigten anzuwenden. Der Primärschaden sei beim Kläger als realer Schaden bereits mit dem Erwerb der Genussscheine eingetreten. Allfällige Mängel der Bilanzen seien trotz ordnungsgemäßer Prüfung für die Beklagte nicht erkennbar gewesen. Der letztlich veröffentlichte Prospekt sei nicht von ihr kontrolliert worden. Eine Prospektpflicht in Österreich habe angesichts des in Deutschland gebilligten Prospekts und der Zulassung zum amtlichen Handel an einer Wertpapierbörse nicht bestanden. Mit Einführung der Genussscheine im Freiverkehr der Frankfurter Börse sei ein allfälliges prospektpflichtiges Angebot beendet gewesen.

Das Berufungsgericht bestätigte die Klageabweisung des Erstgerichts und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Ein Abschlussprüfer hafte auch Dritten, die im Vertrauen auf die Richtigkeit eines Jahresabschlusses einen Schaden erlitten hätten. § 275 Abs 5 UGB stelle eine lex specialis zur allgemeinen Verjährungsvorschrift des § 1489 ABGB dar und sei nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs auch im Fall der Dritthaftung analog anzuwenden. Die Verjährungsfrist beginne damit bereits mit der Entstehung des Schadens und nicht erst mit Kenntnis von Schaden und Schädiger. Ein (Primär )Schaden sei dem Kläger bereits mit dem Kauf der Genussscheine entstanden, habe er doch nach seinem eigenen Vorbringen eine nicht werthaltige Gegenleistung bekommen. Ob für § 275 Abs 5 UGB die Verjährungsregel des § 1489 Satz 2 ABGB auch in ihrer zweiten Variante (vorsätzliche gerichtlich strafbare Handlung, die mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist) gelte, sei nicht zu prüfen, habe doch der Kläger weder im Verfahren erster Instanz noch in der Berufung ausreichendes Tatsachensubstrat dargelegt. Im Übrigen beginne aber auch bei vorsätzlichem Handeln des Abschlussprüfers die Verjährungsfrist mit dem Eintritt des Primärschadens zu laufen. Das Argument, der Kläger hätte bei pflichtgemäßem Vorgehen der Beklagten nach dem Erwerb der Genussscheine die Papiere sofort schadensfrei verkaufen können, sei nicht nachvollziehbar, bringe er doch selbst vor, bei ordnungsgemäßer Prüfung durch die Beklagte wäre das System zusammengebrochen. Durch das (frühere) Aufdecken der Malversationen wären die bereits erworbenen Genussscheine nur bereits früher unverkäuflich geworden. Der Kläger habe auch nicht einmal vorgebracht, dass es ihm gelungen wäre, einen derartigen Verkauf auch tatsächlich durchzuführen. Er habe nicht einmal ansatzweise vorgebracht, wieso ihm durch den Umstand, dass das System nicht bereits früher aber nach dem Erwerb der Papiere zusammengebrochen war, überhaupt ein Schaden entstanden sein sollte. Zur Prospekthaftung habe der Kläger trotz Erörterung durch das Erstgericht kein ausreichendes Vorbringen erstattet. Nach ständiger Judikatur sei die für eine Haftung erforderliche Ursächlichkeit nur gegeben, wenn sich der Anleger im Vertrauen auf den ihm bekannten Prospekt zum Kauf entschlossen, wenn er also die unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospektangaben tatsächlich zur Grundlage seiner schadensauslösenden Disposition gemacht habe. Schließlich wären auch allfällige Ansprüche aus Prospekthaftung bereits präkludiert. Hier sei die (noch) fünfjährige Frist des § 11 Abs 7 KMG idF BGBl 210/1994 heranzuziehen. Für die offenbar vom Kläger vertretene Ansicht, es könne das öffentliche Angebot noch nicht beendet gewesen sein bzw der Lauf der Verjährungsfrist erst nach seinem letztem Erwerb begonnen haben, mangle es an hinreichendem Vorbringen. Aus dem Umstand, dass eine Konzerngesellschaft bis Oktober 2008 Genussscheine verkauft hat, sei keineswegs abzuleiten, dass dies noch immer aufgrund des öffentlichen Angebots und des von der Beklagten nach den Behauptungen des Klägers geprüften Prospekts aus dem Jahr 2001 erfolgt wäre.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den erheblichen Rechtsfragen fehle, ob § 275 Abs 5 UGB auch bei vorsätzlichem Handeln gilt, wann der (Primär )Schaden in derartigen Fällen eintritt und wann das öffentliche Angebot nach § 11 Abs 7 KMG als beendet gilt.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist zulässig und im Sinne ihres Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Dass der Abschlussprüfer (auch) Dritten, die wegen eines erkennbar unrichtigen Jahresabschlusses Vermögensschäden erlitten haben, haftet, ist im Revisionsverfahren nicht strittig. Ob diese Haftung aus einem Vertrag zwischen der geprüften Gesellschaft und dem Abschlussprüfer mit Schutzwirkung zugunsten Dritter oder daraus abzuleiten ist, dass die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften objektiv rechtliche Sorgfaltspflichten des Abschlussprüfers gegenüber Dritten begründen (s dazu nur die Darstellung des Meinungsstands in 1 Ob 35/12x), ist (auch) im vorliegenden Fall nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Auch wenn man in diesem Zusammenhang wie der Revisionswerber § 1300 ABGB oder § 255 AktG als Haftungsgrundlage mit heranziehen wollte, könnte dies nichts daran ändern, dass für im Rahmen der Tätigkeit als Abschlussprüfer begründete Schadenersatzverbindlichkeiten die verjährungsrechtliche Spezialnorm des § 275 Abs 5 UGB anzuwenden ist, die nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (1 Ob 35/12x: 10 Ob 88/11f; RIS Justiz RS0128186) auch gegenüber geschädigten Dritten gilt. Die Revisionsausführungen bieten keinen Anlass, die Richtigkeit dieser Vorjudikatur in Zweifel zu ziehen.

Zu einem gleichgelagerten Sachverhalt hat der Oberste Gerichtshof jüngst zu 3 Ob 230/12p ausführlich Stellung genommen (vgl auch 2 Ob 248/12b; 2 Ob 250/12x; 4 Ob 165/12m). Da diese Entscheidung nicht nur der Beklagten, sondern auch dem Prozessvertreter des Klägers bekannt ist, kann im Übrigen auf deren Begründung verwiesen werden, der sich der erkennende Senat im Wesentlichen anschließt.

Auch im hier zu beurteilenden Fall hat der Kläger den Organen der Beklagten unter anderem vorgeworfen, insoweit pflichtwidrig gehandelt zu haben, als sie mehrere (näher dargestellte) Unrichtigkeiten trotz positiver Kenntnis nicht aufgedeckt und uneingeschränkte Bestätigungsvermerke erteilt habe; die Beklagte habe damit dazu beitragen, dass sich das kriminelle System des Konzerns bis Oktober 2008 habe halten können. Darin und in weiteren detaillierten Vorwürfen gegen die Beklagte im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Abschlussprüferin kann auch hier der Vorwurf vorsätzlichen Fehlverhaltens erblickt werden.

Wie der dritte Senat in der zitierten Entscheidung bereits ausführlich begründet dargelegt hat, beginnt bei vorsätzlicher Pflichtverletzung des Abschlussprüfers die fünfjährige Verjährungsfrist des § 275 Abs 5 UGB nicht bereits mit Entstehen des Schadens, sondern erst mit Kenntnis des Geschädigten von Schaden und Schädiger. Diese Frist war bei Einbringung der Klage am zweifellos noch nicht abgelaufen, kann doch Kenntnis des Klägers von der Wertlosigkeit der Genussscheine frühestens mit der Erteilung von nur eingeschränkten Bestätigungsvermerken bei den Jahresabschlüssen für 2008 angenommen werden. Damit erweist sich die Annahme der Vorinstanzen, auch der auf vorsätzliche Pflichtverletzung gestützte Schadenersatz-anspruch des Klägers gegen die Beklagte als Abschlussprüferin sei bereits verjährt, als unzutreffend. Es bedarf daher der Prüfung der Berechtigung der erhobenen Vorwürfe in Richtung vorsätzlichen Verhaltens der Organe der Beklagten, weshalb eine Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und die Zurückverweisung der Rechtssache an die erste Instanz zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung unumgänglich ist.

Da der Kläger die Genussscheine in den Jahren 2003 und 2005 erworben hat, hat sich die im Zuge der Verfahrensergänzung erforderliche Prüfung durch das Erstgericht auf die von ihm behaupteten vorsätzlichen Pflichtverletzungen vor diesen Erwerbszeitpunkten zu beschränken, da später erteilte Bestätigungsvermerke für seinen Kaufentschluss nicht mehr ursächlich gewesen sein können (2 Ob 248/12b, 2 Ob 250/12x). Soweit der Kläger in seiner Revision ausführt, er hätte das Investment nicht behalten, wenn die Beklagte als Abschlussprüferin korrekt gehandelt und die Erteilung des Bestätigungsvermerks verweigert hätte, vermag er damit die allfällige Kausalität späterer Pflichtverletzungen nicht darzulegen. Zutreffend hat in diesem Zusammenhang schon das Berufungsgericht auf sein eigenes Vorbringen verwiesen, wonach das gesamte System bei ordnungsgemäßer Prüfung durch die Beklagte zusammengebrochen wäre, was impliziere, dass durch das frühere Aufdecken der Malversationen die erworbenen Genussscheine nur bereits früher unverkäuflich geworden wären. Gerade angesichts des eigenen Vorbringens des Klägers kann es dem Berufungsgericht somit keineswegs als unzulässige Spekulation angelastet werden, wenn es vom Kläger besondere Behauptungen dazu verlangte, warum gerade er bei einem früheren Aufdecken des wahren Sachverhalts noch in der Lage gewesen sein sollte, durch den Verkauf der Papiere (an wen?) einen Erlös zu erzielen. Auch in seiner Revision führt er dazu nicht einmal andeutungsweise etwas Konkretes aus.

Die erstmalige Berufung in der Revision auf § 80 Abs 1 Z 2 BörseG (idF BGBl 555/1989) ist als unzulässige Neuerung unbeachtlich, hat der Kläger doch die entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen im Verfahren erster Instanz gar nicht behauptet.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.