OGH vom 06.11.2018, 5Ob193/18w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. C***** und 2. S*****, beide vertreten durch Mag. Norbert Tanzer, Rechtsanwalt in Telfs, gegen die beklagte Partei DI Dr. E*****, vertreten durch Dr. Michael E. Sallinger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Ausschließung eines Wohnungseigentümers (§ 36 WEG 2002), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 60/18m-21, mit dem das Teilurteil des Bezirksgerichts Telfs vom , GZ 2 C 738/17m-17, aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien binnen 14 Tagen die mit 551,86 EUR (darin enthalten 91,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Erstklägerin ist zu 272/1150 sowie 26/1150 Anteilen, der Zweitkläger zu 340/1150 sowie 58/1150 Anteilen Miteigentümer einer Liegenschaft. Mit ihrem Anteil ist jeweils Wohnungseigentum an einer Wohnung sowie an Abstellplätzen verbunden. Die restlichen Anteile entfallen auf den Beklagten, der Wohnungseigentümer der Wohnung Nr 3 und zweier Abstellplätze ist.
Die Kläger begehren den Ausschluss des Beklagten aus der Eigentümergemeinschaft, in eventu den Rückbau bestimmter Baumaßnahmen und die Verpflichtung, es zu unterlassen, genehmigungsbedürftige Änderungen ohne Zustimmung durchzuführen.
Das Erstgericht beschränkte das Verfahren auf die Frage der Aktivlegitimation in Ansehung des Hauptbegehrens, verneinte diese und wies das Hauptbegehren ab. Seiner Beurteilung zufolge bedarf die Bildung der zur Einbringung einer Ausschlussklage (§ 36 WEG) aktivlegitimierten Mehrheit zwar keiner Beschlussfassung der Eigentümergemeinschaft, jedoch der Anhörung sämtlicher Wohnungseigentümer, somit auch des Beklagten, die nach den Feststellungen nicht ausreichend erfolgt sei. Dem Beklagten sei nur bei diversen Gelegenheiten mitgeteilt worden, sein Verbleib in der Eigentümergemeinschaft sei nicht möglich bzw unerwünscht. Es sei jedoch weder über den Entschluss zur Einbringung der Ausschlussklage informiert noch zur Äußerung zu konkreten Ausschließungsgründen aufgefordert worden.
Das Berufungsgericht teilte diese Auffassung nicht und hob das Urteil des Erstgerichts zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es lehnte die in der Lehre teils geforderte analoge Heranziehung der Bestimmungen über die Willensbildung der Eigentümergemeinschaft ab. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich nicht der Gemeinschaft, sondern der Mehrheit der übrigen Eigentümer die Klagelegitimation zugebilligt. Dieser Weg sei gewählt worden, um dem – speziell bei größeren Wohnungseigentumsanlagen auftretenden – Umstand Rechnung zu tragen, dass ein gemeinsames Vorgehen nicht immer leicht herbeizuführen ist und die Mehrheit genügen solle, die notwendigen verfahrensrechtlichen Schritte zu setzen, ohne nicht zustimmende oder nicht teilnehmende Miteigentümer auf Zustimmung zur Klage verhalten zu müssen. Ein Anhörungsrecht der den Ausschluss nicht wünschenden Minderheit oder gar des Gegners würde das offensichtlich beabsichtigte Ziel des Gesetzgebers unterlaufen, einen Ausschluss eines Wohnungseigentümers nicht durch die Formalvorgaben des § 24 WEG 2002 zu erschweren. Eine Anhörung vor Einbringung werde auch bei Teilungsklagen nach § 830 ABGB oder Ausschlussklagen nach § 1210 ABGB oder § 140 UGB nicht verlangt. Die Rechtsprechung fordere lediglich eine Abmahnung für Kündigungen nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG, wenn dem Bestandnehmer die Schädlichkeit des Gebrauchs nicht ohne weiters erkennbar sei, was mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar sei. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil noch keine höchstgerichtliche Judikatur vorliege und die Lehrmeinungen unterschiedlich seien.
Rechtliche Beurteilung
Der – beantwortete – Rekurs des Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Ein Wohnungseigentümer ist nach § 36 Abs 1 WEG 2002 auf Klage der Mehrheit der übrigen Wohnungseigentümer aus der Gemeinschaft auszuschließen, wenn einer, der in Z 1 bis 3 dieser Bestimmung aufgezählten Ausschlussgründe vorliegt. Nach Lehre und Rechtsprechung ist nicht die Eigentümergemeinschaft, sondern die – nach Anteilen zu berechnende – Mehrheit der übrigen Wohnungseigentümer zur Einbringung der Ausschlussklage aktivlegitimiert (5 Ob 8/18i; RISJustiz RS0113761; T. Hausmann in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht4§ 36 WEG Rz 19 mwN), wobei der (gesamte) Anteil des Beklagten nicht zu berücksichtigen ist (vgl RISJustiz RS0113758; T. Hausmann in Hausmann/Vonkilch, § 36 WEG Rz 19; Illedits in Illedits/Reich-Rohrwig, Wohnrecht3§ 36 WEG Rz 2).
2. Ob diese Mehrheitsbildung (analog) den Bestimmungen des WEG über die Beschlussfassung durch die Eigentümergemeinschaft im Rahmen der Verwaltung unterliegt oder formlos ohne Anhörungsrecht der überstimmten oder allenfalls gar nicht kontaktierten Minderheit (einschließlich des betroffenen Wohnungseigentümers) erfolgen kann, wird im – bereits vom Berufungsgericht dargestellten – Schrifttum unterschiedlich gesehen:
2.1 So lehnt T. Hausmann (in Hausmann/Vonkilch, § 36 Rz 23) die Meinung Oberhofers (in immolex 1998, 187 sowie in Schwimann, ABGB IV2§ 22 WEG 1975 Rz 50) zur formlos möglichen Mehrheitsbildung ab. Seiner Ansicht nach ergibt sich diese Konsequenz trotz des Fehlens einer ausdrücklichen Anordnung in § 36 WEG 2002 aus dem ansonsten zu den Grundgedanken der Willensbildung im Rahmen der Verwaltung der Liegenschaft nach § 24 WEG 2002 entstehenden Wertungswiderspruch. Es müssten zumindest die Anhörungsrechte sämtlicher Wohnungseigentümer infolge eines Größenschlusses aus § 24 Abs 1 Satz 2 WEG 2002 gewahrt werden.
2.3 Dieser Auffassung halten Würth/Zingher/ (Miet und Wohnrecht23§ 36 WEG Rz 9) entgegen, dass sich für ein Anhörungsrecht in der gesetzlichen Regelung des § 36 WEG 2002, der die Klage der Mehrheit, aber keinen Beschluss fordert, kein Anhaltspunkt findet.
3. Die Rechtsprechung sieht die in ihrer Grundkonzeption einander entsprechenden Bestimmungen über den Ausschluss von Wohnungseigentümern in § 10 WEG 1948, § 22 WEG 1975 und § 36 WEG 2002 als qualitativen Ausgleich dafür, dass solange Wohnungseigentum besteht, der Anspruch auf Aufhebung der Eigentumsgemeinschaft ausgeschlossen ist (5 Ob 63/10s mwN = RISJustiz RS0082929 [T1]).
4. § 35 Abs 2 WEG 2002 verbietet bei aufrechtem Wohnungseigentum die gänzliche Aufhebung der Eigentumsgemeinschaft durch Zivilteilung, lässt aber die Realteilung durch zusätzliche Begründung von Wohnungseigentum im Mischhaus zu. In diesem Fall wird die Gemeinschaft nur in anderer Form fortgesetzt (5 Ob 12/09i; 5 Ob 94/10z je mwN). Außerhalb dieses Teilungsverbots kann jeder (schlichte) Miteigentümer nach § 830 ABGB eine Teilungsklage gegen sämtliche Teilhaber als notwendige Streitgenossenschaft (RISJustiz RS0013245) einbringen. Eine zwingende vorangegangene Anhörung des/der Teilungsgegner wird weder in Judikatur noch Lehre gefordert. Eine fehlende Gelegenheit zur Stellungnahme vor Klageeinbringung kann allenfalls Kostenfolgen nach § 45 ZPO nach sich ziehen, beseitigt aber nicht das Klagerecht.
5. Sowohl Teilungs- als auch Ausschlussklage sind auf eine Rechtsgestaltung gerichtet: Die Gemeinschaft wird aufgehoben oder durch das Ausscheiden eines Wohnungseigentümers bzw im Fall der Realteilung durch (zusätzliche) Begründung von Wohnungseigentum geändert. Die Ausübung des Gestaltungsrechts durch den oder die (bei der Ausschlussklage mehrheitlich) klagenden Teilhaber ist keine Verwaltungsmaßnahme. Für ein Anhörungsrecht des (künftig) beklagten Teilhabers analog § 24 Abs 1 Satz 2 WEG über die Beschlussfassung durch die Eigentümergemeinschaft, deren Gegenstand ausschließlich Maßnahmen der Verwaltung sein dürfen (RIS-Justiz RS0130070 [T1]), besteht kein Grund.
6. So sah das offensichtlich auch der Gesetzgeber, der in § 36 Abs 1 WEG 2002 das Klagerecht ausdrücklich der Mehrheit der Wohnungseigentümer und nicht der Eigentümergemeinschaft einräumte. Das in der Lehre teils geforderte Äußerungsrecht des beklagten Wohnungseigentümers analog § 24 Abs 1 Satz 2 WEG 2002 würde eine planwidrige Gesetzeslücke voraussetzen (RISJustiz RS0008931). Eine derartige Einschränkung des Klagerechts der Mehrheit kann dem Gesetzgeber, der die Eigentümergemeinschaft grundsätzlich nur in Angelegenheiten der Verwaltung mit Rechtsfähigkeit ausstattete (§ 18 Abs 1 WEG 2002) und sich der Unterscheidung zwischen Verwaltung und Verfügung bewusst war, nicht unterstellt werden.
7. Im vorliegenden Fall vereinen die Kläger die Mehrheit der Anteile auf sich. Die restlichen Anteile hält der Beklagte. Das Berufungsgericht hat die Aktivlegitimation der Kläger zutreffend nicht durch ein Anhörungsrecht des nach § 36 WEG 2002 auf Ausschluss beklagten Wohnungseigentümers eingeschränkt angesehen (§ 510 Abs 3 ZPO).
8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41, 50 ZPO.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0050OB00193.18W.1106.000 |
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