OGH vom 22.10.2001, 1Ob236/01i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** Handelsgesellschaft m. b. H., ***** vertreten durch Dr. Werner J. Loibl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei S***** Gesellschaft m. b. H. *****, Volksrepublik China, wegen Aufhebung eines Schiedsspruchs (Streitwert 2,360.822,90 S) infolge ordentlichen Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 5 R 122/01z-5, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom , GZ 15 Cg 114/01h-2, bestätigt wurde, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Der klagenden Partei fallen die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zur Last.
Text
Begründung:
Die klagende Partei begehrte die Aufhebung eines sie belastenden Schiedsspruchs der Chinesischen Schiedskommission für Außenwirtschaft und -handel in Peking vom . Sie brachte vor, sie habe mit der beklagten Partei - einer Gesellschaft mit Sitz in der Volksrepublik China - am einen "Contract" mit Schiedsklausel geschlossen. In diesem Vertrag sei "Budapest, Ungarn" als Erfüllungsort vereinbart gewesen. Die beklagte Partei habe "mit wesentlichen und unbehebbaren Mängeln" behaftete Ware nach Budapest geliefert. Deshalb habe die von der klagenden Partei beauftragte Drittgesellschaft die Ware am Erfüllungsort nicht angenommen. Ein Vertreter dieser Gesellschaft sei daraufhin nach China gereist, um "die Angelegenheit mit der beklagten Partei auf neuer Basis direkt zu regeln". In der Folge sei zwischen der beklagten Partei und der Drittgesellschaft "ein neuer selbständiger Vertrag über Ware und Preis" - ein sogenanntes "Claim Agreement" - zustande gekommen. Dieses enthalte keine Schiedsvereinbarung. Dennoch sei die klagende Partei vom chinesischen Schiedsgericht - ausschließlich aufgrund des "Claim Agreement" - zur Leistung verurteilt worden, obgleich deren Vertragspflichten aus dem "Contract" nach dem Inhalt des "Claim Agreement" erloschen seien. Diese Pflichten seien zur Gänze von der Drittgesellschaft übernommen worden. Infolge der Aufhebung des "Contract" sei dessen Schiedsklausel als "Nebenabrede" schon vor Fällung des Schiedsspruchs weggefallen. Dem Schiedsspruch liege daher kein Schiedsvertrag zugrunde. Die klagende Partei sei im Schiedsverfahren nicht gehört worden. Eine ordnungsgemäße Ladung zum Schiedsverfahren sei unterblieben. Deshalb seien im Schiedsverfahren tragende Grundsatz des österreichischen Bundesverfassungs- und Verfahrensrechts verletzt worden. Die Konsequenz des Schiedsspruchs sei ein Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht der klagenden Partei auf Eigentum.
Die beim Handelsgericht Wien eingebrachte Klage enthält weder Ausführungen zur internationalen Zuständigkeit der österreichischen Gerichtsbarkeit noch solche zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts.
Das Erstgericht wies die Klage mangels "inländischer Gerichtsbarkeit" a limine zurück. Nach dessen Ansicht ist die Prüfung der "Zuständigkeit" nach den Klageangaben vorzunehmen. Die Klage auf Aufhebung eines Schiedsspruchs sei nach § 596 Abs 1 ZPO bei dem in § 582 ZPO bezeichneten Gericht anzubringen. Die klagende Partei habe nicht behauptet, dass das Handelsgericht Wien im Schiedsvertrag als für den Rechtsstreit zuständig bezeichnet sei. Dem vorgelegten Schiedsspruch sei zu entnehmen, dass der Sitz des Schiedsgerichts nach dem Schiedsvertrag in Peking, China, liege.
Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es erwog in rechtlicher Hinsicht, Österreich und China seien Vertragsstaaten des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche. Art V des Übereinkommens befasse sich mit Gründen für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen. Dessen Abs 1 lit e werde als Regelung eines ausschließlichen Gerichtsstands für die begehrte Aufhebung und Suspendierung von Schiedssprüchen verstanden. Deshalb sei jeder Vertragsstaat verpflichtet, "sein Anfechtungssystem den Parteien zugänglich zu machen, wenn der Schiedsspruch in seinem Hoheitsgebiet oder nach seinem nationalen Recht ergangen" sei. Für ein Begehren auf Aufhebung eines in Österreich erlassenen Schiedsspruchs sei daher die inländische Gerichtsbarkeit zu bejahen. Der Schiedsspruch, dessen Aufhebung die klagende Partei anstrebe, sei jedoch von einer chinesischen Schiedskommission in Peking - dem in der Schiedsklausel des "Contract" genannten Ort - gefällt worden. Gemäß § 596 iVm § 582 ZPO sei jedenfalls nicht auf die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte zu schließen. Entgegen der Ansicht der klagenden Partei sei daher die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichtsbarkeit und ein Gerichtsstand beim angerufenen Gericht auch nicht aus § 582 Abs 1 Satz 2 erster Halbsatz ZPO herzuleiten. Diese Regelung stelle darauf ab, welches Gericht ohne Schiedsvertrag sachlich und örtlich zuständig wäre. Sie setze nach ihrem eindeutigen Wortlaut das Vorliegen eines Schiedsvertrags voraus. Es mangle an Anhaltspunkten für die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichtsbarkeit aus anderen Gründen. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil "ein grundsätzlicher Bedarf an höchstgerichtlicher Judikatur in internationalen Schiedssachen" bestehe und zur Auslegung des § 582 Abs 1 Satz 2 erster Halbsatz ZPO keine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vorliege.
Der Revisionsrekurs ist wegen der unter 2. erörterten Frage zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.
1. Verweisung auf ein anderes Rechtsmittel:
Rechtliche Beurteilung
1. 1. Der Oberste Gerichtshof judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass die bloße Verweisung in einem Rechtsmittel auf den Inhalt eines anderen Rechtsmittels oder eines sonstigen Schriftsatzes unbeachtlich ist (1 Ob 170/00g; 1 Ob 117/00p; 9 ObA 184/98v; SZ 69/209; 1 Ob 527/85 uva), ist doch ein Rechtsmittel eine in sich geschlossene selbständige Prozesshandlung, die - jedenfalls im streitigen Verfahren - durch eine Bezugnahme auf den Inhalt anderer Schriftsätze nicht ergänzt werden kann (1 Ob 527/85). Der in einer Verweisung liegende Inhaltsmangel eines Rechtsmittels ist überdies nicht verbesserungsfähig (1 Ob 170/00g; 9 ObA 184/98v; SZ 69/209; 1 Ob 527/85).
1. 2. Die klagende Partei macht Mangelhaftigkeit des zweitinstanzlichen Verfahrens geltend, weil das Rekursgericht die Rüge des erstgerichtlichen Verfahrens angeblich nicht behandelt habe. Das Gericht zweiter Instanz hätte jedoch nach Ansicht der klagenden Partei "aus den im Rekurs aufgezeigten Gründen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird", eine "Verletzung der Anleitungspflicht" durch das Erstgericht annehmen müssen. Diese Mängelrüge ist im Lichte der eingangs erläuterten Rechtslage aus formalen Gründen unbeachtlich.
2. Wahrnehmung der prorogablen internationalen Unzuständigkeit:
2. 1. Für die Prüfung der internationalen Zuständigkeit sind gemäß § 41 Abs 2 JN zunächst die Klageangaben maßgebend (7 Ob 76/01d). Die vor dem Hintergrund der Unterscheidung zwischen der prorogablen und unprorogablen internationalen Unzuständigkeit aufgeworfene Frage nach dem für die Zuständigkeitsprüfung bedeutsamen Prüfungsmaßstab (siehe dazu Mayr in Rechberger, ZPO2 § 42 JN Rz 6) ist hier, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergeben wird, nicht zu beantworten.
2. 2. Im jüngeren Schrifttum wurde die Ansicht vertreten, sei der Mangel der internationalen Zuständigkeit durch Parteienvereinbarung oder rügelose Einlassung sanierbar (prorogable internationale Unzuständigkeit), so durch die Klage auch außerhalb des Anwendungsbereichs des EuGVÜ/LGVÜ nicht a limine litis zurückgewiesen werden (Ballon in Fasching2 § 43 JN Rz 1; Burgstaller, Probleme der Prorogation nach dem Lugano-Übereinkommen, JBl 1998, 691, 697 f), um dem Beklagten durch deren Zustellung die Streiteinlassung zu ermöglichen (Burgstaller, JBl 1998, 698) und den Kläger vor der Verjährung des geltend gemachten Anspruchs im Falle der dann gebotenen neuerlichen Klageeinbringung im Ausland zu bewahren, weil die bei einem inländischen Gericht anhängig gemachte Klage nicht an ein ausländisches Gericht überwiesen werden könne (Ballon aaO).
Burgstaller stützt seine Ansicht vor allem auf die Regelung des § 182 Abs 2 ZPO, nach der das Gericht den Parteien auch bei "Bedenken gegen das Vorliegen der inländischen Gerichtsbarkeit" die Gelegenheit zu einer Heilung nach § 104 JN geben muss. Nach einer a limine ausgesprochenen Zurückweisung der Klage wegen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ermögliche § 230a ZPO einen Überweisungsantrag, bei "fehlender inländischer Gerichtsbarkeit" bedürfe es dagegen einer Ergänzung durch Analogie mit dem Ergebnis, dass die Klage dem Beklagten auch bei Vorliegen prorogabler internationaler Unzuständigkeit zuzustellen sei.
2. 3. Den referierten Lehrmeinungen ist nicht beizutreten. § 182 Abs 2 ZPO bezieht sich auf die mündliche Verhandlung. In dieser können sich Bedenken gegen die internationale Zuständigkeit ergeben, wenn das Gericht dieser Frage vorher keine Beachtung schenkte oder sich derartige Zweifel erst aus den Einwendungen des Beklagten oder auch aus einem ergänzenden Vorbringen des Klägers ergaben. Diese denkbaren Anwendungsfälle des § 182 Abs 2 ZPO tragen die Annahme, § 42 Abs 1 JN sei auf Fälle der prorogablen internationalen Unzuständigkeit nicht mehr anwendbar, nicht. Burgstallers Ansicht, der die Ausführungen Ballons (aaO) gedanklich entsprechen, scheitert daher, wie Mayr (in Rechberger, ZPO2 § 42 Rz 4, 6) zutreffend einwendet, am entgegengesetzten Wortlaut des Gesetzes. Somit fehlt es aber an einer Gesetzeslücke als Voraussetzung jeder Analogie. Nach § 42 Abs 1 JN und § 182 Abs 2 ZPO ist vielmehr die prorogable internationale Unzuständigkeit in verschiedenen Verfahrensstadien unterschiedlich zu behandeln. Der erkennende Senat gelangt daher zusammenfassend zum Ergebnis, dass eine Klage auch bei Vorliegen eines sanierbaren Mangels internationaler Zuständigkeit a limine litis zurückgewiesen werden darf.
3. Zuständigkeit für die Klage auf Aufhebung eines Schiedsspruchs:
3. 1. Der Oberste Gerichtshof befasste sich bereits in der Entscheidung 7 Ob 545/92 (= SZ 65/95) mit der internationalen Zuständigkeit österreichischer Gerichte nach dem Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom BGBl 1961/200 (UN-Übereinkommen oder auch New Yorker Übereinkommen - abgedruckt bei Duchek/Schütz/Tarko, Zwischenstaatlicher Rechtsverkehr in Zivilrechtssachen2 170 ff). Er sprach dort aus, dem Übereinkommen liege in der Frage nach der Nationalität eines Schiedspruchs das Territorialitätsprinzip zugrunde. Ein Schiedsspruch sei daher für den Vollstreckungsstaat ein ausländischer Schiedsspruch, wenn er in einem anderen Staat ergangen sei. Nach Art V Abs 1 lit e des Übereinkommens durch die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs auf Antrag der Partei, gegen die er geltend gemacht werde, unter anderem nur dann versagt werden, wenn sie beweise, dass der Schiedsspruch von einer zuständigen Behörde des Landes, in dem oder nach dessen Recht er ergangen sei, aufgehoben oder in seinen Wirkungen einstweilen gehemmt worden sei. Als zuständige Behörden seien mangels Wahl eines anderen Verfahrensrechts durch die Parteien die Behörden des Sitzstaats zu verstehen. Dieser Versagungsgrund könne nur wirksam werden, wenn das Recht des Sitzstaats seine Rechtseinrichtungen zur Anfechtung des Schiedsspruchs zur Verfügung stelle. Deshalb sei aus der erörterten Bestimmung die Pflicht jedes Vertragsstaats abzuleiten, den Parteien sein Anfechtungssystem dafür zugänglich zu machen, dass sie die in seinem Hoheitsgebiet ergangenen Schiedssprüche in dessen Rahmen überprüfen lassen können. Somit sei aber Art V Abs 1 lit e des Übereinkommens auch als Regelung der ausschließlichen Zuständigkeit für die Aufhebung und Suspendierung von Schiedssprüchen zu verstehen.
3. 2. Schafft die Regelung des Art V Abs 1 lit e des UN-Übereinkommens einen ausschließlichen Gerichtsstand für die Aufhebung und Suspendierung von Schiedssprüchen eines Vertragsstaats - hier bei einem chinesischen Gericht -, so wären im Anlassfall die Bestimmungen des § 596 Abs 1 iVm § 582 ZPO verdrängt. Das von der klagenden Partei angerufene inländische Gericht könnte dann nur aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung zuständig sein. Eine solche wurde jedoch nicht behauptet. Offenkundig deshalb wendet sich die klagende Partei gegen die Entscheidung 7 Ob 545/92 (= SZ 65/95) und verficht den Standpunkt, aus den in Art V Abs 2 lit a und Art V Abs 1 lit a bis d des Übereinkommens geregelten Versagungsgründen sei herzuleiten, dass das angerufene Gericht doch gemäß § 596 Abs 1 iVm § 582 ZPO für die eingebrachte Aufhebungsklage international zuständig sei.
Die klagende Partei übersieht, dass zwischen der internationalen Zuständigkeit für eine Klage auf Aufhebung eines ausländischen Schiedsspruchs und der für die Geltendmachung von Gründen für die Versagung der Vollstreckbarerklärung für Österreich in Ansehung eines solchen Exekutionstitels zu unterscheiden ist. Allfällige Versagungsgründe können vor den österreichischen Gerichten ohnehin gemäß § 84 Abs 2 Z 2 und Abs 3 EO idF der EO-Novelle 2000 BGBl I 2000/59 im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung im Wege eines Rekurses oder einer Rekursbeantwortung in Durchbrechung des im Exekutionsverfahren sonst geltenden Neuerungsverbots ins Treffen geführt werden (Jakusch in Angst, EO § 84 Rz 25 ff). Demzufolge kann aus den von der klagenden Partei in Anspruch genommenen Versagungsgründen nicht auf eine Beseitigung der ausschließlichen Zuständigkeit für die Klage auf Aufhebung eines ausländischen Schiedsspruchs nach Art V Abs 1 lit e des UN-Übereinkommens geschlossen werden. An den bereits in der Entscheidung 7 Ob 545/92 (= SZ 65/95) erläuterten Grundsätzen ist daher festzuhalten. Danach ist aber die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichtsbarkeit für die Klage auf Aufhebung eines chinesischen Schiedsspruchs im Anlassfall zu verneinen. Die Entscheidung hängt somit nicht von der Lösung jener Rechtsfrage ab, derentwegen das Gericht zweiter Instanz den ordentlichen Revisionsrekurs zuließ, scheidet doch eine Anknüpfung an den Zuständigkeitstatbestand gemäß § 596 Abs 1 iVm § 582 Abs 1 Satz 2 erster Halbsatz ZPO nach allen bisherigen Erwägungen jedenfalls aus. Es muss daher nicht mehr erörtert werden, ob die klagende Partei das von ihr angestrebte Ziel mit Hilfe des von ihr herangezogenen Zuständigkeitstatbestands gemäß § 596 Abs 1 iVm § 582 Abs 1 Satz 2 erster Halbsatz ZPO erreichen könnte, wenn nicht an den ausschließlichen Gerichtsstand nach Art V Abs 1 lit e des UN-Übereinkommens anzuknüpfen wäre.
Dem Revisionsrekurs ist somit nicht Folge zu geben.
4. Kosten:
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekurses gründet sich auf § 40 und § 50 Abs 1 ZPO.