OGH vom 15.12.2015, 4Ob180/15x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. J***** Z 2. Dr. P***** Z*****, beide *****, vertreten durch Nemetz Nemetz Rechtsanwalts-KG in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Dr. V***** W*****, 2. T***** K*****, beide *****, vertreten durch Fellner Wratzfeld Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 39 R 65/15w 10, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom , GZ 9 C 429/14w-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, den beklagten Parteien die mit 625,43 EUR (darin 104,25 EUR USt) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung sowie die mit 664,01 EUR (darin 71,57 EUR USt und 234,60 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Kläger sind bücherliche Eigentümer von jeweils 121/1330 Anteilen der EZ ***** KG 01503 Heiligenstadt verbunden mit Wohnungseigentum an der Wohnung 1, die sie an die Beklagten ab auf fünf Jahre befristet vermieteten.
Im Mai 2011 kontaktierte der Erstkläger die Beklagten zwecks Verkaufs der Wohnung. Nach Verkaufsverhandlungen, dem Austausch zahlreicher E-Mails und einem persönlichen Treffen der Streitteile boten die Kläger am per E Mail den Beklagten den käuflichen Erwerb der Wohnung um den Preis von 775.000 EUR an. Mit E Mail vom nahmen die Beklagten dieses Anbot an. Die Kläger weigerten sich, den von den Beklagten in der Folge erstellten schriftlichen Vertragsentwurf zu unterfertigen. Der Rechtsvertreter der Kläger erklärte dies den Beklagten am mit dem Hinweis, dass der Sohn der Kläger Bedarf an der Wohnung habe und sie daher von einem Verkauf Abstand nehmen. Mit Schenkungsvertrag vom 26./ schenkten die Kläger die gegenständlichen Liegenschaftsanteile ihrem Sohn. Dessen Eigentumsrecht wurde aufgrund eines am beim zuständigen Grundbuchsgericht eingelangten Antrags vorgemerkt.
Mit rechtskräftigem Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom wurden die Kläger verpflichtet, gegen Zahlung von 775.000 EUR Zug um Zug in die lastenfreie Einverleibung des Eigentumsrechts der Beklagten einzuwilligen. Bislang wurde von den Beklagten der Kaufpreis weder bezahlt noch dessen Bezahlung angeboten.
Mit ihrer am eingebrachten Räumungsklage begehren die Kläger , die Beklagten zur Räumung der Wohnung zu verpflichten. Das Bestandverhältnis sei am erloschen, die Beklagten benützten die Liegenschaft seitdem titellos. Von den Beklagten sei der Kaufpreis weder erlegt noch angeboten worden, weshalb die Übergabe (nach Punkt 6 des nicht unterfertigten Vertragsentwurfs) nicht als vollzogen gelte.
Die Beklagten beriefen sich auf den im Juli 2011 zwischen den Streitteilen geschlossenen Kaufvertrag. Dieser sei mit Urteil des Oberlandesgerichts Wien rechtskräftig festgestellt worden. Sie benützten die Wohnung seit dem Kaufvertragsabschluss aus dem Titel des Kaufvertrags und daher nicht titellos.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Unter Bezugnahme auf das Urteil des Oberlandesgerichts Wien ging es von einem wirksamen Kaufvertrag zwischen den Streitteilen aus (was im Revisionsverfahren auch nicht mehr strittig ist). Eine Einigung bestehe jedoch nur über die essentialia negotii (Kaufpreis und Kaufgegenstand), zumal die Bestimmungen im nicht unterfertigten Vertragsentwurf nicht relevant seien. Ein Zeitpunkt der Übergabe könne aus dem Willen der Parteien nicht erschlossen werden, weshalb § 904 ABGB anzuwenden sei, wonach die Leistung im Zweifel sofort fällig sei. Die Kläger könnten sich nicht darauf berufen, dass die Beklagten den Kaufpreis weder gezahlt noch angeboten haben, weil es die Kläger gewesen seien, die die Erfüllung verweigerten.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil es der Rechtsprechung folge. Die Beklagten könnten einen Titel für die Benützung der Wohnung weder aus einem aufrechten Mietverhältnis noch aus dem abgeschlossenen Kaufvertrag ableiten. Der bloße Abschluss eines Kaufvertrags verschaffe noch keinen Benützungstitel, ebensowenig die Tatsache, dass die Kläger verpflichtet seien, in die Einverleibung des Eigentumsrechts der Beklagten Zug um Zug gegen Bezahlung des Kaufpreises einzuwilligen. Ein Käufer sei erst durch die tatsächliche Übergabe zur Benützung berechtigt, die hier jedoch nicht erfolgt sei. Die Fälligkeit der Leistung führe nicht dazu, dass den Beklagten aufgrund des Kaufvertrags ein Titel für die Benützung der Wohnung zukomme.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im abweisenden Sinn abzuändern. Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass ein bisheriger Mieter nach Abschluss eines Kaufvertrags erst mit der Übergabe der Liegenschaftsanteile zur Benützung berechtigt sei auch wenn der Verkäufer den Eigentumsübergang verhindert habe , gehe von höchstgerichtlicher Rechtsprechung ab.
Die Kläger beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung , das Rechtsmittel zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Weder der Umstand, dass nach Schluss der mündlichen Verhandlung auf der Liegenschaft das vorgemerkte Eigentum beider Beklagten verbüchert und die Vormerkung des Eigentums des Sohnes der Klägers gelöscht wurde, noch der Hinweis in der Rechtsmittelbeantwortung auf ein Schreiben der Kläger an die Beklagten, wonach sie vom Räumungsanspruch keinen Gebrauch machen werden, nimmt den Revisionswerbern ihre Beschwer, zumal die Kläger ihren Räumungsanspruch im Verfahren bis zuletzt formal aufrecht erhielten und auch beantragten, dem Rechtsmittel (inhaltlich) nicht Folge zu geben. Eine (im Revisionsverfahren noch mögliche, vgl 2 Ob 61/11a; RIS Justiz RS0039644 [T5, T 8]) Klagsrücknahme ist nicht erfolgt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Beklagten ist zulässig und berechtigt.
1.1 Bei einer Räumungsklage gegen einen titellosen Inhaber einer Wohnung macht der Eigentümer einen auf sein Eigentumsrecht gestützten Herausgabeanspruch nach § 366 ABGB geltend (RIS Justiz RS0062419). In solchen Fällen kann der beklagte Sachinhaber ein eigenes, dem Eigentümer gegenüber wirksames Recht zur Innehabung einwenden (zB 10 Ob 2166/96v; 10 Ob 199/99h; 4 Ob 320/00p; Eccher/Riss in KBB 4 § 366 Rz 4; Klicka/Reidinger in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 366 Rz 10), wobei sowohl dingliche als auch obligatorische Rechte in Frage kommen (7 Ob 37/08d; 2 Ob 85/09b; RIS Justiz RS0010849; RS0125784). Der Käufer ist obligatorisch zur Sachinhabung berechtigt, weshalb der innehabende Käufer der Vindikation des Veräußerers, der im Grundbuch noch als Eigentümer aufscheint, die Einrede aus dem Recht zum Besitz entgegenhalten kann (GlUNF 1218; 1 Ob 289/55 = JBl 1955, 577 [insoweit zustimmend Gschnitzer ]; 7 Ob 173/68 = SZ 41/112; 3 Ob 159/93; zuletzt 4 Ob 220/14b; Klang in Klang II 2 366; G. Kodek in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , Klang 3 § 366 ABGB Rz 91; Spielbüchler in Rummel , ABGB 3 § 366 ABGB Rz 4). Das Eigentumsrecht des Verkäufers ist in diesem Sinn durch obligatorische Verpflichtungen gegenüber seinem Kaufvertragspartner beschränkt (RIS Justiz RS0012242; RS0011767).
1.2 Da dem Räumungsanspruch auch das obligatorische Recht des innehabenden Käufers auf Übertragung des Eigentums entgegengehalten werden kann, kommt es bei der Einrede des Rechts zur Innehabung (bzw des Rechts zum Besitz) entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts somit nicht darauf an, ob bereits eine nach sachenrechtlichen Kriterien zu beurteilende Übergabe vorliegt.
1.3 Die entsprechende Einrede steht dem Käufer sogar auch dann zu, wenn er ohne Übergabe durch Eigenmacht in den Besitz der Kaufsache gelangt ist (GlUNF 1218; 3 Ob 22/88; 3 Ob 182/94; G. Kodek in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , Klang 3 § 366 ABGB Rz 91). Eine solche Eigenmacht wurde von den Klägern aber weder behauptet noch steht sie fest, sodass den Beklagten die Einrede als Käufer der Wohnung umso mehr zustehen muss.
2. Der Einwand der Kläger, die Beklagten hätten den Kaufpreis weder erlegt noch angeboten, kann die obligatorische Berechtigung der Beklagten zur Sachinhabung nicht aufheben.
2.1 Zum einen steht das Zug-um-Zug-Prinzip der Fälligkeit der wechselseitigen Ansprüche nicht entgegen ( Aicher in Rummel , ABGB 3 § 1052 ABGB Rz 10; Apathy in KBB 4 § 1052 Rz 2; 1 Ob 931/52 = SZ 25/310; vgl auch RIS Justiz RS0000268).
2.2 Zum anderen kann sich ein Vertragspartner nur dann auf das Recht zur Leistungsverweigerung berufen, wenn er selbst zur Erfüllung bereit ist (§ 1052 Abs 1 Satz 1 ABGB;1 Ob 20/63 = JBl 1963, 571; 8 Ob 168/09b; Verschraegen in Kletečka/Schauer , ABGB ON 1.03 § 1052 ABGB Rz 14). Will sich ein Vertragspartner aber vom Vertrag lösen, kann er sich nicht auf das Leistungsverweigerungsrecht berufen ( Aicher in Rummel , ABGB 3 § 1052 ABGB Rz 13).
2.2.1 Hier haben die rechtsanwaltlich vertretenen Kläger gegenüber den Beklagten erklärt, sich an den Vertrag nicht für gebunden zu erachten, weil sie die Wohnung für ihren Sohn benötigen. In einer solchen Situation kann den Beklagten ein (allfälliger) Verzug in der Vertragserfüllung (Kaufpreiszahlung) nicht zum Vorwurf gemacht werden; vielmehr sind sie bei einer solchen Haltung ihrer Vertragspartner berechtigt, die von ihnen zu erbringenden Leistungen (gestützt auf § 1052 ABGB) zurückzuhalten (RIS Justiz RS0016326).
2.2.2 Es kommt dabei nicht mehr darauf an, ob die Kläger wie von ihnen bestritten bzw vom Erstgericht bejaht dabei (auch) „geradezu rechtsmissbräuchlich“ gehandelt haben (vgl 1 Ob 936/27 = SZ 9/283 [„Arglistig handelt, wer fordert, was er zurückgeben muss“]; 3 Ob 182/94; 4 Ob 199/13p).
3. Im Ergebnis ist somit davon auszugehen, dass der Räumungsanspruch der Kläger schon deshalb scheitert, weil die innehabenden Beklagten obligatorisch zur Sachinhabung berechtigt sind. Das zutreffende Ersturteil ist daher wiederherzustellen. Es kann dabei dahinstehen, ob das Räumungsbegehren auch daran scheitern müsste, dass es den Beklagten aufgrund des Urteils des Oberlandesgerichts Wien ermöglicht wurde, ihr Eigentumsrecht an der Wohnung ohne weitere Mitwirkung der Kläger einverleiben zu lassen.
4. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO iVm § 10 Z 2 lit a RATG.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:0040OB00180.15X.1215.000
Fundstelle(n):
LAAAD-50862