zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 28.06.2000, 6Ob139/00k

OGH vom 28.06.2000, 6Ob139/00k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Baumann, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dkfm. Ernst F*****, vertreten durch Dr. Anton Gradischnig ua Rechtsanwälte in Villach, gegen die beklagte Partei Dkfm. Heribert F*****, vertreten durch Dr. Michael Schwingl, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 479.204,-- S, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 3/00m-48, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom , GZ 20 Cg 31/98f-42, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei hat der klagenden Partei die mit 34.340,40 S (darin 5.723,40 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 33.860 S (darin 3.435 S Umsatzsteuer und 13.250 S Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrte im Vorprozess vom Beklagten, seinem Bruder, gestützt auf sein Eigentumsrecht, die Herausgabe verschiedener Gegenstände. Mit Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom , wurde der Beklagte zur Herausgabe (unter anderem von verschiedenen Lustern und 12 Stichen mit der Darstellung Napoleons) verurteilt. Die Berufung des Beklagten blieb erfolglos. Der Herausgabetitel erwuchs in Rechtskraft. Eine zu 20 Cg 40/98d des Landesgerichtes Klagenfurt eingebrachte Wiederaufnahmsklage des Beklagten wurde rechtskräftig zurückgewiesen. Der Kläger führte auf Grund des rechtskräftigen Herausgabetitels keine Exekution. Er begehrte mit seiner am beim Erstgericht eingelangten Klage die Bezahlung des Wiederbeschaffungswertes der Gegenstände, zu deren Herausgabe der Beklagte verpflichtet ist. Die Leistungsfrist sei abgelaufen. Der Beklagte weigere sich, trotz Androhung einer Klageführung gemäß § 368 EO, die Gegenstände herauszugeben.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Er habe dem Kläger mitgeteilt, dass er nicht bereit sei, die Gegenstände ohne Exekution herauszugeben. Er habe den Kläger darauf hingewiesen, dass es Probleme hinsichtlich der Exequierbarkeit des Titels wegen nicht ausreichender Definierung der Gegenstände geben könnte. Dies beziehe sich vor allem auf die Napoleonstiche, von denen nur 7 vorhanden seien (laut Exekutionstitel ist der Beklagte zur Herausgabe von 12 Stichen verpflichtet). Von den herauszugebenden Spiegeln seien mehrere gleichartige beim Beklagten vorhanden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte zu dem schon wiedergegebenen Sachverhalt noch weiters fest, dass die Leistungsfrist für die Herausgabe der Gegenstände am abgelaufen sei. Die im Exekutionstitel zitierten Gegenstände hätten einen Zeitwert von 554.490 S. Sie befänden sich im Besitz des Beklagten.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, § 368 EO schaffe keinen neuen Anspruch des Gläubigers, sondern setze einen materiellrechtlichen Anspruch voraus. Der Gläubiger könne seinen Anspruch auf das Interesse an der Leistung schon dann geltend machen, wenn der Schuldner in Verzug geraten sei. Eine auf die Hauptleistung gerichtete Klage sei nicht erforderlich. Die Interessenklage habe den Ersatz des dem Gläubiger durch die Nichterfüllung des Schuldners entstandenen Schadens zum Gegenstand. Auf ein Verschulden des Beklagten komme es nicht an. Der Schuldner müsse nur im Besitz der herauszugebenden Gegenstände sein. Der Gläubiger habe Anspruch auf Ersatz des Schätzwertes der geschuldeten Leistung. Bei Nichterfüllung einer Rückstellungsverpflichtung müsse der Kläger nur die Hingabe der Sache und die unterbliebene Rückstellung beweisen. Der Beklagte sei den Beweis schuldig geblieben, warum er nicht erfüllen könne. Der festgestellte Zeitwert der herauszugebenden Fahrnisse übersteige den vom Kläger begehrten Betrag.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Es verneinte den gerügten Mangel des Verfahrens erster Instanz, erachtete die Beweiswürdigung des Erstgerichtes für unbedenklich und übernahm die erstinstanzlichen Feststellungen. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, dass nicht feststehe, ob die Herausgabe der Gegenstände unmöglich oder vom Beklagten vereitelt worden sei.

Entscheidungswesentlich sei es, ob der Kläger schon wegen des Verzugs des Beklagten das Interesse verlangen könne, ohne vorher Exekution geführt zu haben. Nach der jüngeren oberstgerichtlichen Rechtsprechung werde durch § 368 EO kein materiellrechtlicher Anspruch begründet. Die Anspruchsgrundlage müsse im materiellen Recht liegen. Nach der älteren Judikatur könne der Gläubiger seinen Anspruch auf das Interesse an der Leistung schon bei Verzug des Schuldners verlangen, ohne vorher versucht zu haben, die Erfüllung exekutiv zu erzwingen. Im vorliegenden Fall seien nicht Leistungsstörungen aus einem Vertrag zu beurteilen, sondern ein aus dem Eigentum resultierender Herausgabeanspruch. Der Kläger verlange den Wertersatz für die Nichtausfolgung der ihm gehörigen Gegenstände. Im materiellen Recht könne eine Anspruchsgrundlage nur darin bestehen, dass die Leistung unmöglich sei oder vereitelt worden wäre. Es komme eine deliktische Schadenersatzpflicht in Betracht. Der Standpunkt des Beklagten, dass er nur nach Exekutionsführung die Gegenstände herausgebe, komme noch nicht einer Vereitelung des Anspruchs gleich. Gemäß § 1294 ABGB käme als Schadensquelle auch eine widerrechtliche Handlung in Betracht, für die der Geschädigte vom Schädiger nach § 1295 Abs 1 ABGB Schadenersatz verlangen könne. Hier schulde der Schädiger aber primär die Naturalrestitution, Geldersatz nur dann, wenn die Wiederherstellung des vorigen Zustandes untunlich wäre. Dazu habe der Kläger nichts behauptet. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass wegen Untunlichkeit der Naturalrestitution der Ersatz des Interesses gebühre. Ein über den bloßen Leistungsverzug hinausgehendes deliktisches Verhalten sei nicht behauptet worden.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Die oberstgerichtliche Judikatur sei zu der entscheidungswesentlichen Frage nicht einheitlich.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Das Berufungsgericht zitiert richtig die in der jüngeren Rechtsprechung vertretene Auffassung, dass die Interessenklage nicht schon durch die verfahrensrechtliche Bestimmung des § 368 EO begründet ist. Der Anspruch auf Wertersatz muss vielmehr im materiellen Recht seine Grundlage haben (5 Ob 504/92; 7 Ob 507/96 ua). In der oberstgerichtlichen Rechtsprechung wurde zunächst die Ansicht vertreten, der Gläubiger müsse vor Geltendmachung des Interesses (Wertersatzes) die Erfüllung des Leistungsanspruchs exekutiv geltend machen (GlUNF 2011), später wurde diese Auffassung aber im Einklang mit der Lehre (Heller-Berger-Stix EO4 2623 f) abgelehnt (EvBl 1967/311; EvBl 1976/227 ua). Die Interessenklage wurde selbst vor Schaffung eines Leistungstitels zugelassen (vorweggenommene Interessenklage; dazu Roth, Voraussetzungen einer Interessenklage in JBl 1992, 302 ff mwN). Im Bereich des Schuldrechts hat die Interessenklage ihre materiellrechtliche Grundlage in den §§ 918 ff ABGB. Wenn der Schuldner säumig ist, kann der Gläubiger vom Anspruch auf Erfüllung (Naturalleistung) zurücktreten und das Interesse fordern, wobei der Anspruch auf das Interesse wegen Nichterfüllung nach neuerer Rechtsprechung und überwiegender Lehre Verschulden voraussetzt (Roth aaO).

Hier gründet sich der Herausgabeanspruch des Klägers auf sein Eigentumsrecht, sodass eine unmittelbare Berufung auf die Säumnisfolgen nach Rücktritt des Gläubigers gemäß § 918 ABGB (in der Interessenklage läge die Rücktrittserklärung) wohl ausscheidet. Roth scheint im Ergebnis aber auch bei der Störung eines nicht auf einem Rechtsgeschäft beruhenden Leistungsverhältnisses dieselben Regeln anwenden zu wollen (Roth aaO 309, Anm 63), was mit der vom Obersten Gerichtshof schon vertretenen Auffassung in Einklang zu bringen wäre, dass das Eigentumsrecht an einer Sache dadurch aufgeben wird, dass der Gläubiger anstelle der primär geschuldeten Herausgabe der Sache den Ersatz ihres Wertes fordert (SZ 57/58 mwH). Der Wegfall des Herausgabeanspruchs (des Eigentumsrechts) muss jedenfalls zwingende Voraussetzung für die Bejahung des Anspruchs auf Wertersatz sein, weil dem Gläubiger keinesfalls der Erfüllungsanspruch und das Nichterfüllungsinteresse nebeneinander zustehen. Die von der neueren Rechtsprechung geforderte materiellrechtliche Grundlage der Interessenklage ist hier - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes - im Schadenersatzrecht begründet. Die Weigerung des Beklagten, den Herausgabeanspruch des Klägers zu erfüllen, ist objektiv rechtswidrig und kausal dafür, dass der Kläger sein Eigentumsrecht, also das Vollrecht, über die Sache zu verfügen (§ 354 ABGB), nicht ausüben kann. Auf Grund der Stattgebung der Herausgabeklage im Vorprozess steht bindend fest, dass der Beklagte im Besitz der herauszugebenden Gegenstände war, sodass ihn an einem allfälligen Verlust der Gegenstände jedenfalls prima facie ein Verschulden trifft, er den Verlust aber jedenfalls als in seiner Sphäre eingetreten, zu vertreten hat. Die Nichterfüllung der Titelschuld in der Leistungsfrist ist die Verletzung einer im § 1295 Abs 1 ABGB angeführten, nicht auf einem Rechtsgeschäft beruhenden Pflicht, die Schadenersatz auslöst. In einem vergleichbaren Fall wurde die Interessenklage wegen der in den §§ 1295, 1323 ABGB liegenden Anspruchsgrundlage für zulässig erachtet (7 Ob 507/96), wenngleich dort mehrere vergebliche Exekutionsschritte gesetzt worden waren. Exekutionsversuche sind jedoch nach Auffassung des erkennenden Senates im Sinne der schon zitierten Judikatur nicht zu verlangen.

§ 1323 ABGB nennt zwar als primäre Art des Schadenersatzes die Zurückversetzung in den vorigen Stand, was hier identisch mit dem Erfüllungsanspruch auf Herausgabe der Sachen ist, in der Praxis und nach übereinstimmender Lehre und Rechtsprechung ist es aber dem Geschädigten überlassen, ob er Naturalrestitution oder Geldersatz verlangt. Normalerweise sorgt der Geschädigte selbst für die Beseitigung des Schadens und fordert Ersatz der notwendigen Kosten (Harrer in Schwimann ABGB2 Rz 1 und 11 zu § 1323). Der Schädiger hat Geldersatz nicht nur bei Unmöglichkeit sondern auch schon bei Untunlichkeit der Naturalherstellung zu leisten. Wie der Oberste Gerichtshof erst jüngst wieder ausgesprochen hat, liegt die Wiederherstellung des vorigen Standes allein im Interesse des Geschädigten, sodass ihm das Wahlrecht eingeräumt ist, zwischen Naturalherstellung und Geldersatz zu wählen, was sogar für den Fall gilt, dass die Naturalherstellung sowohl möglich als auch tunlich (im Sinne von wirtschaftlich) ist (4 Ob 343/99f = EvBl 2000/104). In dieser Entscheidung wurde auch ausgesprochen, dass der Gläubiger - wie bei einer Wahlschuld - an eine einmal getroffene Wahl gebunden ist, soweit nicht der Geschädigte, etwa wegen Verzuges des Schädigers mit der Naturalherstellung, die Wiederherstellung des vorigen Zustandes nachträglich als untunlich erachten und Geldersatz begehren kann.

Diese Grundsätze sind auch hier anzuwenden. Der Beklagte weigerte sich, seiner Herausgabepflicht fristgerecht nachzukommen. Er kündigte in der Klagebeantwortung Widerstand gegen eine Exekutionsführung an und behauptet sogar den fehlenden Besitz an einem Teil der herauszugebenden Gegenstände. Bei einem solchen Sachverhalt ist es nicht geboten, den Gläubiger an seine im Vorprozess über den Herausgabeanspruch getroffene Wahl weiter zu binden und von ihm eine Exekutionsführung zu verlangen, von der schon nach dem bisherigen Verhalten des Beklagten (fehlende Mitwirkung bei der Schätzung; Ankündigung von Einwendungen gegen die Exekution) nicht erwartet werden kann, dass sie rasch zum Erfolg führen wird.

Die Revision des Klägers ist aus den dargelegten Gründen berechtigt. Das Urteil des Erstgerichtes ist wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens und des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.