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OGH vom 23.09.2003, 4Ob175/03v

OGH vom 23.09.2003, 4Ob175/03v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bundesarbeitskammer, Wien 4, Prinz Eugen-Straße 20-22, vertreten durch Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KEG in Wien, gegen die beklagte Partei 3 ***** Handelsgesellschaft mit beschränkter Hafung, ***** vertreten durch Zumtobel Kronberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 3.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 1 R 103/03b-10, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom , GZ 9 Cg 88/03x-3, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss unter Einschluss des nicht angefochtenen Teils wie folgt zu lauten hat:

"Einstweilige Verfügung

Zur Sicherung des Unterlassungsanspruchs der Klägerin gegen die Beklagte wird der Beklagten für die Dauer dieses Rechtsstreites aufgetragen, es ab sofort im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen,

a) Geschenkverteilungen und/oder ähnliche Werbeaktionen anzukündigen und/oder durchzuführen, bei denen bei den Adressaten der unrichtige Eindruck erweckt wird, sie hätten ein oder mehrere bestimmte Geschenke von nicht unerheblichem Wert gewonnen, etwa eines oder zwei von vier in den Gewinn- und/oder Werbeunterlagen abgebildeten und näher beschriebenen Küchengeräten der Marke Tefal, das sie nur noch unter Beachtung der von der Beklagten gesetzten Bedingungen, etwa durch Einsenden bestimmter Unterlagen innerhalb einer vorgegebenen Frist, anzufordern brauchten, wenn in Wahrheit diese Geschenke jeweils nur einmal unter allen Adressaten vergeben werden und die anderen Adressaten bloß ein wesentlich geringerwertiges Geschenk, etwa eine Küchenschürze oder zwei Topflappen, erhalten, und darauf nicht in eindeutiger und unmissverständlicher Weise hingewiesen wird;

b) Verbrauchern Bestellunterlagen im Versandhandel zu senden, denen ihre ladungsfähige Anschrift nicht klar und verständlich zu entnehmen ist."

Die Klägerin hat die Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen vorläufig, die Beklagte hat die Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Beklagte vertreibt im Versandhandel Waren an Letztverbraucher. Mitte Jänner 2003 versandte sie mit dem Frühjahrskatalog 2003 einen persönlich adressierten Bestellbogen sowie einen Bestellschein samt Geschenkanforderung, beide mit der Absenderbezeichnung "3 ***** 5400 Hallein". Auf der letzten Seite des Bestellkatalogs befinden sich zwei "Reserve-Bestellkarten" im üblichen Format von Postkarten mit dem Vordruck der Zustelladresse "3 ***** Versand, Postfach 126, 5400 Hallein" sowie Hinweise auf Rechtsform, Sitz (Angabe der Gemeinde) und Firmenbuchnummer der Beklagten. Die den bestellten Waren beigelegten Rechnungen enthalten folgende Angaben über die Anschrift der Beklagten: "3 ***** Postfach 126, 5400 Hallein, Tel. *****".

Zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs begehrt die Klägerin - soweit im Revisionsrekursverfahren noch von Bedeutung -, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, es ab sofort im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen, Verbrauchern Bestellunterlagen im Versandhandel zu senden, denen ihre ladungsfähige Anschrift nicht klar und verständlich zu entnehmen ist. Die Beklagte verstoße gegen § 5c Abs 1 Z 1 KSchG, wenn sie im Fernabsatz ihren Kunden nicht rechtzeitig vor Abgabe deren Vertragserklärung ihre ladungsfähige Anschrift bekanntgebe. Die Klägerin sei gem § 28a KSchG iVm § 29 Abs 1 KSchG zur Klage berechtigt.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsantrags. Nur aus Vereinfachungsgründen fehle in den Versandunterlagen die Angabe der Straßenbezeichnung; sämtliche an die angegebene Postfach-Adresse adressierten Schriftstücke würden der Beklagten zugestellt. Die Beklagte verschaffe sich durch ihr Verhalten keinen Wettbewerbsvorteil; ein Nachteil für die Konsumenten sei nicht ersichtlich.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag im Umfang seines noch nicht rechtskräftig erledigten Teils ab. Ein Unternehmer komme seinen Informationspflichten über Name (Firma) und ladungsfähige Anschrift auch dann nach, wenn er diese Informationen ganz allgemein zur Verfügung stelle und sie vom Verbraucher ohne besonderen Aufwand selbst beschafft werden könnten. Maßgeblich sei nur, dass die Informationen dem Verbraucher rechtzeitig vor Vertragsabschluss ohne Schwierigkeiten tatsächlich zugänglich seien, er darüber also verfügen könne. Die Beklagte habe ihre Adresse mit "3 ***** Versand, Postfach 126, 5400 Hallein" angegeben und auf Name, Sitz (Gemeinde) sowie Firmenbuch- und Telefonnummer hingewiesen. Sie habe daher ihre Kunden keinesfalls in Unkenntnis über ihre Identität gelassen. Unter der von der Beklagten angegebenen Anschrift könnten jederzeit Beanstandungen an sie herangetragen werden. Die Verfolgung möglicher Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis sei für den Verbraucher uneingeschränkt möglich. Das Fehlen der Straßenbezeichnung begründe keinen Wettbewerbsverstoß gem § 1 UWG iVm § 5c KSchG.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig sei; es habe sich bei seiner Rechtsfindung auf eine gesicherte Rechtsprechung stützen können. Unter Hinweis auf die Entscheidung 4 Ob 92/03p führte es aus, der Auffassung der Klägerin könne nur dann nähergetreten werden, falls die Anschrift der Beklagten überhaupt nicht oder nicht leicht aufzufinden wäre. Dies sei dann der Fall, wenn lediglich ein Postfach oder eine Telefonnummer angegeben sei. Hier sei jedoch der Empfänger der Werbeaussendungen der Beklagten wesentlich umfassender informiert worden. Er kenne den Firmennamen, die Firmenbuchnummer, die Gemeinde, in der sich der Sitz des Unternehmens der Beklagten befinde, ein Postfach sowie eine Telefonnummer der Beklagten. Die allein fehlende Straßenbezeichnung der Anschrift der Beklagten sei einfach zu ermitteln, wie dies der Klägerin offenbar auch vor Überreichung der Klage gelungen sei. Der Sicherungsantrag sei daher insoweit nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffs "ladungsfähige Anschrift" in § 5c Abs 1 Z 1 KSchG fehlt; das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Vorauszuschicken ist, dass sich die vom Rekursgericht zitierte Entscheidung 4 Ob 92/03p des erkennenden Senats zwar auch mit den Pflichten im Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss im Fernabsatz (dort: Betrieb eines telefonischen Auskunftsdiensts) beschäftigt, zu der hier allein entscheidenden Frage, was unter einer ladungsfähigen Anschrift zu verstehen ist, jedoch nicht Stellung nimmt. Auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs Zl 2000/04/0147 betrifft einen anderen Sachverhalt, weil es die Auslegung des § 63 Abs 1 GewO zum Gegenstand hat, welche Bestimmung die Angabe einer Geschäftsanschrift nicht verlangt.

Die Klägerin steht auf dem Standpunkt, die Straßenangabe sei für eine ladungsfähige Anschrift unverzichtbar; der Verbraucher könne im Fernabsatz nicht dazu verhalten werden, durch telefonische Nachfrage oder durch Firmenbuchabfrage diese fehlende Angabe selbst zu ermitteln. Gerade Versandhandelsunternehmen erschwerten es Konsumenten häufig, sie auszuforschen, indem sie Postfach-Adressen benutzten. Schutzzweck des § 5c Abs 1 Z 1 KSchG sei es, den Verbraucher mit ausreichenden Informationen zu versorgen. Dazu ist zu erwägen:

Die §§ 5a bis 5j und § 31a KSchG setzen die Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments des Rates vom über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (Fernabsatz-RL) um, deren Ziel es ist, den besonderen Risken des Fernabsatzes zu begegnen: Der Verbraucher kann die Ware vor dem Kauf nicht in Augenschein nehmen; typischerweise fehlt eine persönliche Beratung insbesondere durch den Verkäufer. Der angestrebte Schutz der Verbraucher soll insbesondere durch Informationspflichten erreicht werden (Krejci in Rummel, ABGB³ §§ 5a-5j KSchG Rz 1; 4 Ob 92/03p).

Gem § 5c Abs 1 Z 1 KSchG muss der Verbraucher bei der (hier unstrittig vorliegenden) Anbahnung eines Vertragsabschlusses im Fernabsatz rechtzeitig vor Abgabe seiner Vertragserklärung über Name (Firma) und ladungsfähige Anschrift des Unternehmers verfügen. Diese Informationen müssen dem Verbraucher klar und verständlich in einer dem verwendeten Fernkommunikationsmittel angepassten Art und Weise erteilt werden (§ 5c Abs 2 KSchG).

Der Begriff "ladungsfähige Anschrift" ist der österreichischen Rechtsordnung - abgesehen von der soeben genannten Bestimmung - fremd. Er wird in der Rechtsprechung im Zusammenhang mit den Inhaltserfordernissen eines Beweisantrags zur Aufnahme von Personalbeweisen verwendet (vgl etwa 11 Os 104/00), weil der Beweisführer verpflichtet ist, Name sowie Anschrift einzuvernehmender Zeugen bekannt zu geben (§ 180 Abs 2 ZPO), damit diese allenfalls zur Beweisaufnahme geladen werden können.

Behördliche Ladungen dürfen dem Empfänger nur an Abgabestellen iSd § 4 ZustellG zugestellt werden (vgl SZ 68/113). Ein Postschließfach, das dem Empfänger nur zur Abholung von nicht bescheinigten Briefsendungen zur Verfügung gestellt werden kann, oder ein Postfach sind keine tauglichen Abgabestellen gem § 4 ZustellG (Gitschthaler in Rechberger, ZPO² § 87 Rz 6 mwN; ebenso SZ 68/113 zum Vermerk "postlagernd").

Auch in Deutschland wird bei vergleichbarer Rechtslage (vgl § 1 Z 2 BGB-Informationspflichten-Verordnung idF vom , der die Bekanntgabe einer ladungsfähigen Anschrift verlangt) die Auffassung vertreten, der im Fernabsatz auftretende Unternehmer müsse vor Vertragsabschluss neben Land, Ort und Postleitzahl auch die Straße der Haupt- oder einer Zweigniederlassung angeben (Heinrich in Palandt, BGB62, Anh zu § 312c Rz 2; Lütcke, Fernabsatzrecht, § 312c BGB Rz 13).

Dieses Ergebnis entspricht auch dem Erfordernis einer richtlinienkonformen Auslegung des § 5c Abs 1 Z 1 KSchG, mit welcher Regelung Art 4 Abs 1 lit a Fernabsatz-RL umgesetzt wird. Der österreichische Gesetzgeber ist - ebenso wie der deutsche - bei der Umsetzung in zulässiger Weise über Art 4 Abs 1 lit a Fernabsatz-RL hinausgegangen, welche nur bei einer Vorauszahlung des Verbrauchers die Angabe der Anschrift vorsieht. Wenn der Richtliniengeber gerade bei Vorauszahlungen die Angabe der Anschrift als zwingende Voraussetzung vorgesehen hat, so muss es sich hierbei erkennbar um eine solche (ladungsfähige) Anschrift handeln, unter der dem vorauszahlenden Verbraucher die Möglichkeit offensteht, gegebenenfalls die Vorauszahlung zurückzubekommen. Dies erfordert aber die Angabe einer für Behördenladungen tauglichen Zustelladresse (vgl Lütcke aaO).

Daraus folgt, dass die Beklagte § 5c Abs 1 Z 1 KSchG verletzt, wenn sie Verbrauchern Bestellunterlagen im Versandhandel zusendet, in denen sie ihre Adresse zwar mit einem Firmenschlagwort, einem Postfach und der Angabe der Gemeinde ihres Sitzes angibt, eine genaue geografische Bezeichnung (Straßenangabe) aber unterlässt. Dieser Gesetzesbruch läuft allgemeinen Verbraucherinteressen zuwider, weil er Kunden der Beklagten im Streitfall die Rechtsverfolgung dadurch erschwert, dass sie eine ladungsfähige Anschrift der Beklagten erst zeit- und kostenaufwendig (etwa durch Firmenbuchabfrage oder Anruf bei der Beklagten) ermitteln müssen. Ob die Beklagte durch das beanstandete Verhalten auch einen Wettbewerbsvorteil erlangt, ist im gegebenen Zusammenhang ohne Bedeutung, steht doch der Klägerin schon auf Grund der vorliegenden Gesetzesverletzung - entgegen der Ansicht der Vorinstanzen - ein Unterlassungsanspruch gem § 28a Abs 1 KSchG iVm § 29 Abs 1 KSchG zu.

Dem Revisionsrekurs ist Folge zu geben; die Beschlüsse der Vorinstanzen sind im Sinne einer gänzlichen Stattgebung des Sicherungsantrags abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten der Klägerin beruht auf § 393 Abs 1 EO, jene über die Kosten der Beklagten auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 40, 50 Abs 1 ZPO.