OGH vom 21.12.2017, 6Ob134/17z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Mag. G*****, vertreten durch GassauerFleissner Rechtsanwälte GmbH in Wien, und der Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei 1. Dr. T*****, 2. Dr. C*****, 3. Mag. K*****, beide *****, vertreten durch Dr. Gerhard Kornek, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei G*****, vertreten durch DDr. Wolfgang Doppelbauer, Rechtsanwalt in Wels, wegen Feststellung, über die außerordentlichen Revisionen der klagenden Partei und der Nebenintervenienten Dr. C***** und Mag. K*****, gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 38 R 280/16g22, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Josefstadt vom , GZ 7 C 476/15g15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Den Revisionen wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei deren mit 2.219,93 EUR (davon 256,49 EUR USt und 681 EUR Barauslagen), dem Erstnebenintervenienten dessen mit 912,41 EUR (davon 152,07 EUR USt) und den Zweit und Drittnebenintervenienten deren mit 2.441,41 EUR (davon 282,05 EUR USt und 749,10 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am schlossen die Beklagte und ihre Mutter als Miteigentümer eines Hauses in Wien IX. mit dem Erstnebenintervenienten einen Mietvertrag über den (Roh)Dachboden dieses Hauses mit einer Fläche von 297 m². Mit dem Mietrecht war auch das Nutzungsrecht an einem Flachdach im Ausmaß von 68 m² verbunden.
Die am Dachboden gelegene ehemalige Waschküche war zu diesem Zeitpunkt an einen Künstler vermietet, der den Raum als Atelier nutzte. Die Mutter der Beklagten, die die Vertragsverhandlungen führte, äußerte gegenüber dem Erstnebenintervenienten den Wunsch, dass der Dachboden, solange es gehe, nicht ausgebaut werde. Dem Erstnebenintervenienten kam dies sehr gelegen, weil er mangels finanzieller Mittel mit dem Ausbau nicht sofort beginnen wollte. Beiden war klar, dass jedenfalls solange, als der Künstler die ehemalige Waschküche am Dachboden nutzte, mit den Ausbauarbeiten nicht begonnen würde.
Im Mietvertrag heißt es:
„I.
…
3. … Dem Mieter wird das unwiderrufliche Recht eingeräumt, den oben näher dargestellten Dachboden unter Einbeziehung des Flachdaches im Rahmen der Bestimmungen der Bauordnung für Wien sowie der sonstigen gesetzlichen Bestimmungen nach eigenen Plänen auszubauen und zu nutzen sowie einen Aufzug zuzubauen. Alle damit im Zusammenhang stehenden Kosten trägt der Mieter.
II.
…
3. Es wird dem Mieter überlassen, wann mit den oben erwähnten Arbeiten begonnen wird.
III.
1. Das Mietverhältnis beginnt am und wird auf unbestimmte Zeit errichtet.
2. Die Vermieter sind berechtigt, das Vertragsverhältnis unter Einhaltung einer vierteljährigen Kündigungsfrist zum Ende des Kalendermonats aus den Kündigungsgründen des MRG gerichtlich aufzukündigen.
3. Die Vermieter sind jedoch berechtigt, ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist die Aufhebung dieses Vertrags zu verlangen, wenn der Mieter mit drei aufeinanderfolgenden Mietzahlungen im Rückstand ist und die rückständigen Mietzinszahlungen nach eingeschriebenen Mahnungen an die zuletzt bekannt gegebene Anschrift des Mieters nicht innerhalb einer Frist von 10 Tagen an die Vermieter bezahlt werden.
4. Im Hinblick auf die hohen vom Mieter zu tätigenden Investitionen verzichten die Vermieter, mit Ausnahme des zu III.3. genannten Kündigungsgrundes, auf ihr Recht auf Aufkündigung sowie Aufhebung dieses Mietvertrags aus welchem Rechtsgrund immer, bis zum .
5. Die Vertragsteile vereinbaren hiermit die Verdinglichung des Bestandrechts des Mieters iSd § 1095 ABGB für einen Zeitraum bis zum , …
IV.
1. Der vereinbarte Mietzins ist monatlich im Voraus zu entrichten und besteht aus dem Hauptmietzins, dem Anteil an den Betriebskosten und laufenden öffentlichen Abgaben sowie der Umsatzsteuer und ist wertgesichert.
Als Hauptmietzins wird ein Betrag von 7,40 ATS pro Quadratmeter Nutzfläche (§ 17 Abs 2 MRG) vereinbart.
…
3. Die Höhe des Hauptmietzinses wird nach Fertigstellung des Dachbodenausbaus neu zu ermitteln sein und errechnet sich nach der tatsächlichen Nutzfläche (iSd § 17 MRG) des fertiggestellten Dachgeschossausbaus unter Zugrundelegung eines Hauptmietzinses von 7,40 ATS pro Quadratmeter Nutzfläche zuzüglich der in IV.1. genannten Betriebskosten, laufenden Abgaben sowie der Umsatzsteuer.
...
5. Der monatliche Mietzins ist erstmalig ab dem der Erteilung der Benützungsbewilligung für den fertiggestellten Dachgeschossausbau folgenden Monatsersten zu bezahlen.
6. Als Sicherstellung für seine, ab dem in IV.5. genannten Zeitpunkt beginnende Mietzinszahlungsverpflichtung leistet der Mieter bei Vertragsunterfertigung eine Kaution in Höhe von 320.000 ATS, zahlbar auf das Konto bei der … zu Konto … aus dieser Kaution sind, außer dem Falle des Punktes V.2., ab dem in Punkt IV.5. genannten Zeitpunkt die monatlichen Mietzinse zugunsten des Mieters abzudecken, solange bis diese Kaution aufgebraucht ist.
V.
…
2. Sollte aufgrund des Bau und/oder Erhaltungszustands oder aus sonstigen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen der vom Mieter gewünschte Dachgeschossausbau nicht oder nur mit einem erheblichen Mehraufwand für den Mieter möglich sein oder wird die Baubewilligung für den vom Mieter beabsichtigten Ausbau bzw die Errichtung des Aufzugs rechtsbeständig versagt, so ist der Mieter zur sofortigen Auflösung dieses Vertrags berechtigt.
In diesem Fall haben die Vermieter die zu IV.6. genannte Sicherstellung in Höhe von 320.000 ATS zuzüglich hiermit vereinbarter Zinsen in Höhe von 9 % pA, ab an den Mieter zur Gänze zurückzubezahlen.
3. Zur Sicherstellung der Forderung des Mieters auf Rückzahlung der Kaution samt Zinsen gemäß V.2. dieses Vertrags räumen die Vermieter dem Mieter ein Pfandrecht für den Höchstbetrag von 460.000 ATS hinsichtlich der in ihrem Eigentum stehenden Liegenschaft … ein und der Mieter erklärt die Vertragsannahme.
…
VII.
1. Im Hinblick auf die zu tätigenden Investitionen räumen die Vermieter dem Mieter das Recht ein, sämtliche Rechte und Pflichten aufgrund dieses Vertrags hinsichtlich des Bestandobjekts, nach Wahl des Mieters im ausgebauten oder unausgebauten Zustand, gänzlich oder teilweise an Dritte weiter zu geben (Weitergaberecht), sowie das Bestandobjekt im ausgebauten oder unausgebauten Zustand gänzlich oder teilweise unterzuvermieten (Untervermietungsrecht).
Im Falle der Ausübung des Weitergaberechts tritt mit dem Zeitpunkt der schriftlichen Bekanntgabe des Neumieters an die Vermieter dieser mit allen Rechten und Pflichten an die Stelle des Altmieters in das Vertragsverhältnis ein, wozu die Vermieter bereits jetzt ihre Zustimmung erteilen (§ 1405 ABGB).
2. Die zu VII.1. genannten Rechte des Mieters kommen auch den vom Mieter namhaft gemachten Neumieters sowie auch deren Nachfolgern zu.
...
5. Das Mietverhältnis mit all seinen Rechten und Pflichten geht beiderseits auf die Rechtsnachfolger über. Die Vermieter verpflichten sich, soweit ein solcher Übergang nicht von gesetzeswegen stattfindet, die Bestimmungen dieses Mietvertrags auf ihre Rechtsnachfolger in der Verfügungsberechtigung über das Haus … in der Weise zu überbinden, dass diese zugleich verpflichtet sind, ihrer dieselben Bestimmungen auf ihre Rechtsnachfolger und deren etwaige Rechtsnachfolger zu überbinden.“
Der Betrag von 320.000 ATS, der vom Erstnebenintervenienten auf das Konto der Mutter der Beklagten überwiesen wurde, sollte nach dem Parteiwillen gleichsam eine Mietzinsvorauszahlung sein. Aus steuerlichen Gründen war über Wunsch der Mutter der Beklagten auf Anraten ihres Steuerberaters dieser Betrag als „Kaution“ betitelt.
Der Betrag von 320.000 ATS wurde von der Mutter der Beklagten für die von ihr bei Vertragsabschluss angedachten Zwecke verwendet.
Um zunächst einmal sicherzugehen, dass für einen Dachbodenausbau überhaupt eine Baubewilligung zu erlangen war, stellte der Erstnebenintervenient Ende der 1990er Jahre einen Antrag auf Erteilung einer Baubewilligung, die er auch erhielt.
Die Beklagte ist als eingeantwortete Erbin nach ihrer Mutter seit September 2000 Alleineigentümerin der Liegenschaft.
Am wurde der Erstnebenintervenient von einem Mitarbeiter der Hausverwaltung verständigt, dass der Künstler verstorben war und der Erstnebenintervenient daher den ganzen Dachboden zur Verfügung habe.
Mit Vereinbarung vom trat der Erstnebenintervenient sein Mietrecht samt allen im Mietvertrag näher geregelten Rechten und Pflichten mit Wirkung zum an den Kläger ab.
Der Kläger beauftragte einen Architekten mit der Entwurfs und der Einreichplanung. Im Juni 2007 kam es zum ersten persönlichen Treffen der Streitteile. Der Kläger sagte der Beklagten, er werde den Dachbodenausbau durchführen und wolle mit seinen beiden Kindern in das Haus einziehen.
Am kam es in der Kanzlei der Hausverwaltung zu einem Treffen, bei dem er der Beklagten ein vom Erstnebenintervenienten verfasstes Schreiben vom über die Abtretung des Mietrechts übergab.
Der Kläger beauftragte einen Einreichplan für den Dachbodenausbau und für den Aufzugsanbau. Beide Einreichpläne wurden von der Beklagten unterfertigt und bei der Baubehörde eingereicht. Die Baubewilligung für den Dachbodenausbau wurde mit Bescheid vom und die Bewilligung des Aufzugsanbaus wurde mit Bescheid vom erteilt.
Nachdem die Ehe des Klägers im Oktober 2010 geschieden worden war und ihm nun finanzielle Mittel für den Dachbodenausbau fehlten, sprach der Kläger mit der Beklagten über die Umwandlung des Mietvertrags in einen Baurechtsvertrag. Der Beklagten war jedenfalls ab diesem Zeitpunkt bekannt, dass dem Kläger aufgrund der Scheidung die finanziellen Mittel für das konkret geplante Bauvorhaben fehlten, weil der Kläger die Umstände offen gelegt hatte.
Der Baubewilligungsbescheid für den Dachbodenausbau lief 2012 ab.
Bei einem Treffen im Jahr 2013 erkundigte sich der Kläger bei der Beklagten, ob nicht sie selbst oder ein Mieter im Haus Interesse habe, mit ihm den Dachboden auszubauen und den Lift einzubauen. Im Juni 2014 sagte der Kläger der Beklagten, dass er jedenfalls den Dachboden ausbauen wolle, er sich aber leichter tun würde, wenn er den Dachboden in Eigentum bekommen würde. Dies habe für die Beklagte den Vorteil, dass sie einen entsprechenden Kaufpreis von ihm erhalten würde.
Im Juli 2014 lehnte die Beklagte einen Verkauf des Dachbodens ab.
Mit Vereinbarung vom trat der Kläger an den Zweitnebenintervenienten und die Drittnebenintervenientin die Mietrechte aus dem Mietvertrag vom samt allen darin näher geregelten Rechten und Pflichten unter der aufschiebenden Bedingung ab, dass die Beklagte in grundbuchsfähiger Form zustimmt, dass die beiden Nebenintervenienten anstatt des Erstnebenintervenienten als Berechtigte des einverleibten Bestandrechts und der Höchstbetragshypothek eingetragen werden.
Zu keinem Zeitpunkt drängte die Beklagte den Erstnebenintervenienten oder den Kläger, mit dem Dachbodenausbau zu beginnen. Die Beklagte war vielmehr froh, dass weder der Erstnebenintervenient noch der Kläger tatsächlich mit dem Dachbodenausbau begannen. Ab ca 2015 war es ihr Bestreben, vom Mietvertrag los zu kommen.
Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Feststellung, dass die Mietrechte hinsichtlich des Rohdachbodens gemäß den Bestimmungen des Mietvertrags vom aufgrund der Vereinbarung vom vom Erstnebenintervenienten wirksam an den Kläger übertragen wurden und dass daher zwischen dem Kläger als Mieter einerseits und der Beklagten als Vermieterin andererseits ein aufrechtes Mietverhältnis hinsichtlich des Rohdachbodens gemäß den Bestimmungen des Mietvertrags vom besteht.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Vereinbarung sei von Anfang an nichtig und binde daher nicht. Der Vertrag sei nämlich höchst unausgewogen und nachteilig für die Beklagte, weshalb er sittenwidrig im Sinn des § 879 Abs 1 und Abs 3 ABGB sei.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen. Rechtlich führte es aus, der vereinbarte Mietzins habe der im Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses zwingenden gesetzlichen Regelung entsprochen. Es sei zu berücksichtigen, dass die Kosten für den Dachbodenausbau und den Aufzugseinbau ausschließlich vom Mieter zu tragen seien und dieser auch die Verpflichtung zur „Instandhaltung des Dachgeschossausbaus nach dessen Fertigstellung, soweit es den Innenraum betrifft, sowie des Aufzugs und auch der Außenfenster im Bereich des Dachausbaus“ übernommen habe. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände könne keine Rede davon sein, dass Leistung und Gegenleistung in einem derart auffallenden Missverhältnis stünden, dass der Mietvertrag sittenwidrig und ungültig wäre. Der Erstnebenintervenient habe sein Mietrecht wirksam an den Kläger übertragen. Eine bestimmte Frist für den Dachbodenausbau sei nicht vereinbart worden. Im Gegenteil habe es dem Willen der Mehrheitseigentümerin im Vertragsabschlusszeitpunkt entsprochen, so lange wie möglich mit dem Dachbodenausbau zuzuwarten. Auch die Beklagte habe nicht auf einen Dachbodenausbau gedrängt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Urteil des Erstgerichts im klagsabweisenden Sinn ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die Sittenwidrigkeit des Mietvertrags ergebe sich schon aus dem Zusammenspiel der Bestimmungen des Mietvertrags vom , insbesondere der Punkte I.3., II.3., III.1. und 4., IV.5. und 6., V.2. und 3., und deren rechtlichen Konsequenzen für die wechselseitigen Rechte und Pflichten. Nach den Feststellungen sei im Ergebnis dem Rechtsvorgänger des Klägers der Rohdachboden 1993 mit der Abrede übergeben worden, dass ihm das unwiderrufliche Recht zukomme, zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt seiner Wahl einen Ausbau vorzunehmen, eine Mietzinszahlungspflicht aber erst durch die Erteilung der Benützungsbewilligung für den fertiggestellten Dachausbau in Kraft gesetzt werde. Gleichzeitig sei ein 100jähriger Kündigungsverzicht abgegeben worden. Dies habe zur Folge, dass das Bestandobjekt dem Mieter zwar sofort zur Verfügung stehe, aber unklar sei, ab wann und ob überhaupt jemals ein Entgelt für die Nutzungsrechte am Dachboden fällig werde. Die Rückzahlung der bei Vertragsabschluss übergebenen Mietzinsvorauszahlung (zuzüglich Zinsen) sei zwar nur für den Fall vereinbart worden, dass ein Dachausbau unmöglich sei, doch führe die Konstruktion der Vereinbarung durch Verknüpfung des Beginns der Mietzinszahlungspflicht mit der Erteilung einer Benützungsbewilligung für den nur vom Mieter zu veranlassenden Dachausbau zum Ergebnis, dass niemals Mietzins fällig werden könne, wenn der Mieter den Dachausbau nicht fertig stelle, keine Benützungsbewilligung erwirkt werden könne und der Vertrag beendet werde. Diese Rückzahlungsverpflichtung sei noch dazu mit einer Höchstbetragshypothek auf der Liegenschaft gesichert. Dass die als „Kaution“ betitelte Mietzinsvorauszahlung im Jahr 1993 dem Kaufpreisäquivalent für den Rohdachboden entsprochen habe, ändere an der Sittenwidrigkeit des Vertrags wegen der hinausgeschobenen Fälligkeit und der Rückzahlungsverpflichtung nichts. Gegenständlich sei der Schutz des Vertragspartners vor massiver Übervorteilung durch einen Knebelungsvertrag. Die Dispositionsbefugnis der Beklagten über den Bestandgegenstand werde ohne gesicherte Aussicht auf eine äquivalente Gegenleistung für die ungewöhnlich lange Zeit von 100 Jahren faktisch und rechtlich beseitigt. Damit liege eine derart massive Äquivalenzstörung vor, dass Sittenwidrigkeit angenommen werden müsse.
Gegen diese Entscheidung richten sich die außerordentlichen Revisionen des Klägers und des Zweitnebenintervenienten und der Drittnebenintervenientin.
Die Beklagte hat die Revisionen nach Freistellung beantwortet.
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionen sind aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig und auch berechtigt.
1.1. Entgegen der in der Revisionsbeantwortung wiederholten Ansicht der Beklagten ist der von ihr und ihrer Mutter mit dem Erstnebenintervenienten geschlossene Vertrag keine Option oder einer Option vergleichbar. Die Beklagte meint, es liege „bis heute“ kein Mietvertrag vor, weil zwar eine Gebrauchsüberlassung, aber kein Entgelt gegeben sei.
1.2. Die Option ist ein Vertrag, durch den eine Partei das Recht erhält, ein inhaltlich vorausbestimmtes Schuldverhältnis in Geltung zu setzen. Sie gewährt also ein Gestaltungsrecht (RIS-Justiz RS0115633).
1.3. Das Gestaltungsrecht besteht nach Meinung der Beklagten darin, durch Herbeiführung einer Benützungsberechtigung nach dem Dachgeschossausbau die Verpflichtung zur Zahlung von Mietzins in Gang zu setzen oder auszulösen. Erst dann läge ein „eigentlicher“ Mietvertrag vor.
Dem ist zu erwidern, dass der mit dem Erstnebenintervenienten abgeschlossene Vertrag bereits den notwendigen Inhalt eines Bestandvertrags hat, der nicht erst in Geltung gesetzt werden muss, und bloß die Fälligkeit des Mietzinses hinausgeschoben wurde. Im Übrigen konnten die Vermieter die bei Vertragsabschluss geleistete Mietzinsvorauszahlung fruchtbringend nutzen.
2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der Mietvertrag nicht wegen Sittenwidrigkeit (§ 879 Abs 1 ABGB) nichtig.
2.1. Sittenwidrig sind nach ständiger Rechtsprechung Verträge, wenn eine Interessenabwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen ergibt oder wenn bei Interessenkollisionen ein grobes Missverhältnis zwischen den verletzten und den geförderten Interessen vorliegt (8 Ob 112/13y SZ 2013/118 mwN; RIS-Justiz RS0113653; RS0045886). Ob ein Vertrag sittenwidrig ist, ist unter Berücksichtigung aller Umstände, unter denen das Rechtsgeschäft geschlossen wurde, anhand der von der Gesamtrechtsordnung geschützten Interessen zu beurteilen, wobei es auf Inhalt, Zweck und Beweggrund des Geschäfts, also auf den Gesamtcharakter der Vereinbarung ankommt (RIS-Jusitz RS0113653 [T3]).
2.2. Ein allgemeiner Kündigungsverzicht (auch nur von einer Seite) auf bestimmte oder bestimmbare Zeit ist nach Lehre und Rechtsprechung nicht als unzulässiger Knebelungsvertrag sittenwidrig, sondern wirksam (5 Ob 102/09z; 10 Ob 34/05f; 9 Ob 4/03h; 4 Ob 324/00a – 40jähriger Kündigungsverzicht; 1 Ob 514/92 – 50-jähriger Kündigungsverzicht; Lovrek in Rummel/Lukas4 § 1116 ABGB Rz 43). Auch ein über den Tod des Bestandgebers hinaus wirksamer Kündigungsverzicht bedeutet keine sittenwidrige Knebelung, wenn ohnehin eine Auflösung nach § 1118 ABGB möglich ist, zumal auch sonst unkündbare Bestandverträge ja selbst im Anwendungsbereich der Kündigungsschutzbestimmungen des MRG aus in der Person des Bestandnehmers liegenden Gründen, die eine Fortsetzung des Bestandverhältnisses unzumutbar erscheinen lassen (3 Ob 66/06m; 4 Ob 145/04h; 4 Ob 324/00a mwN), vorzeitig aufgelöst werden können. Dies gilt bei nicht unter die Anwendbarkeit des MRG fallenden Bestandverhältnissen auch aus anderen Gründen, die für den Bestandgeber die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung bewirken (3 Ob 274/02v; Lovrek in Rummel/Lukas4 § 1116 ABGB Rz 49 mwN).
2.3. Nur die völlige Ausschaltung einer vorzeitigen Vertragsaufhebung aus wichtigem Grund wird als sittenwidrig beurteilt (RIS-Justiz RS0016630). Davon ist bei dem hier zu beurteilenden Kündigungsverzicht im Zweifel nicht auszugehen, weil er eine außerordentliche Kündigung nicht ausdrücklich ausschließt (vgl 5 Ob 102/09z) und die Vereinbarung eines Grundes für die sofortige Aufhebung des Vertrags in Punkt III.3. des Mietvertrags darauf hindeutet, dass die Vertragsparteien eine Kündigung aus in der Sphäre des Mieters liegenden Gründen, die für die Vermieter die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses begründen, nicht ausschließen wollten.
2.4. Nach den Umständen des Falls ist auch die Dauer des Kündigungsverzichts nicht bedenklich, hat doch der Mieter auf seine Kosten den Dachboden auszubauen und einen Aufzug zu errichten, also massiv zu investieren. Diese Situation ist der eines Baurechtsberechtigten ähnlich. Ein Baurecht kann aber auf höchstens 100 Jahre bestellt werden (§ 3 Abs 1 BaurechtsG). Hinzu kommt, dass es Wille der Vertragsparteien war, den Beginn des Dachbodenausbaus solange wie möglich hinauszuschieben und mit dem Ausbau keinesfalls vor dem Ende des Bestandverhältnisses über die ehemalige Waschküche am Dachboden zu beginnen.
2.5. Demnach sind die Kündigungsmöglichkeiten zwar erheblich eingeschränkt, aber die Dispositionsbefugnis der Beklagten über den Bestandgegenstand durch den Kündigungsverzicht nicht beseitigt.
Die Beklagte hat nicht vorgebracht, dass sie eine außerordentliche Kündigung aus in der Sphäre des Mieters gelegenen Gründen ausgesprochen hat, die für sie die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses begründen.
2.6. Die vom Berufungsgericht angenommene massive Äquivalenzstörung besteht nicht. Punkt V.2. des Mietvertrags nennt als Gründe der Verpflichtung der Vermieter zur Rückzahlung der Mietzinsvorauszahlung nur solche, die nicht im Einflussbereich des Mieters liegen. Ein davon abweichender Parteiwille wurde weder behauptet noch festgestellt. Die Auslegung des Vertrags durch das Berufungsgericht dahin, dass die Rückzahlungsverpflichtung schon dann besteht, wenn der Mieter schlicht den Dachausbau nicht beginnt oder nicht fertigstellt, ist daher nicht zu teilen. Nach den Feststellungen des Erstgerichts war den Vertragsparteien bei Abschluss des Vertrags bekannt, dass zur gleichen Zeit ein Dachboden in einem Haus guten Zustands in Wien IV. mit bereits vorhandener Baubewilligung und schon errichtetem Lift um 500.000 ATS verkauft wurde. Selbst wenn die Beklagte während des vom Kündigungsverzicht umfassten Zeitraums nie Mietzinszahlungen lukrieren würde, hätte sie einen einem damaligen Kaufpreis in etwa äquivalenten Betrag erhalten, den sie nicht zurückzahlen müsste, wenn der Mietzins aus im Einflussbereich des Mieters gelegenen Gründen nicht fällig werden sollte.
3. Das rechtliche Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung ist zu bejahen, weil die Beklagte den Bestand des Mietvertrags bestreitet (vgl RIS-Justiz RS0038974; RS0038962).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Dem Kläger gebührt kein Streitgenossenzuschlag nach § 15 RATG, weil sein Rechtsanwalt nur ihn vertritt und ihm nur ein Rechtsmittelgegner gegenüber steht. Die vom Kläger für das Revisionsverfahren zu entrichtende Pauschalgebühr nach TP 3 GGG ist nicht nach § 19a GGG zu erhöhen, liegt doch keiner der im ersten Satz dieser Norm aufgezählten das Rechtsmittelverfahren betreffenden Erhöhungstatbestände vor. Der Kläger und die beiden revisionswerbenden Nebenintervenienten haben nämlich ihre Rechtsmittel in gesonderten Schriftsätzen erhoben, und dem Kläger steht nur die Beklagte als Rechtsmittelgegnerin gegenüber.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00134.17Z.1221.000 |
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