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OGH vom 15.10.2003, 7Ob217/03t

OGH vom 15.10.2003, 7Ob217/03t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Philipp Thomas Harald R*****, geboren am , und der mj. Julia Katharina R*****, geboren am , über den Revisionsrekurs der Mutter Dr. Barbara R*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Tautschnig, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgericht vom , GZ 4 R 208/03k-118, womit infolge Rekurses der Mutter der Beschluss des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom , GZ 3 P 2177/95b-110, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird keine Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die Ehe der Kindeseltern wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom gemäß § 55a EheG geschieden; laut pflegschaftsgerichtlich genehmigter (ON 13) Vereinbarung der Eltern verblieb die Obsorge für beide Kinder bei der Mutter (ON 10).

Am beantragte der (gemeinsam mit seinem Vater zu Gericht gekommene, nunmehr bald 16-jährige) Sohn, der Mutter die Obsorge im Teilbereich der Pflege und Erziehung zu entziehen und auf den Vater zu übertragen, der sich hiemit auch ausdrücklich einverstanden erklärte (ON 64 und 65). Die Mutter hingegen sprach sich gegen eine (das Wohl des Sohnes beeinträchtigende) Veränderung der Obsorge aus, weil sich dieser in einer "wichtigen Entwicklungsphase der Verselbständigung" befinde (ON 66 und 67). Bereits im letztgenannten Schriftsatz vom beantragte sie überdies unter Hinweis auf §§ 182a Abs 1 und 182d Abs 2 AußStrG, den Inhalt desselben nicht dem Jugendlichen selbst zu eröffnen sowie dem Vater die Geheimhaltung des Schriftsatzes gegenüber dem Minderjährigen aufzutragen. Das Erstgericht trug daraufhin beschlussmäßig beiden Eltern auf, den Inhalt dieser Eingabe der Mutter, mit welcher diese eingehend Stellung zum Antrag ihres Sohnes auf Obsorgeübertragung genommen hatte, geheimzuhalten (ON 68).

Nachdem der Minderjährige beim Amtstag am gegenüber dem Erstgericht bekanntgegeben hatte, dass er nunmehr bei seinem Vater verbleiben und nicht mehr zur Mutter in deren Haushalt zurückkehren wolle (ON 80, wiederholt in ON 85), beantragte die Mutter zunächst die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, "mit Hilfe des Wohlfahrtsträgers das Kind wieder zur Mutter zurückzubringen", weil ein "Machtwort des Gerichtes unerlässlich" sei (ON 81). Der Vater seinerseits beantragte mit Schriftsatz vom ihm die "alleinige Obsorge und Pflege" zu übertragen (ON 82). Tatsächlich lebt der Sohn nunmehr seit ausschließlich beim Vater (ON 87). Seither ruht seine Unterhaltsverpflichtung (Beschlüsse ON 95, 102 und 117 [7 Ob 156/03x]); seinen Antrag, die Mutter rückwirkend ab zu Unterhaltsleistungen zu verpflichten (ON 106), hat der Vater zwischenzeitlich "bis zur Entscheidung über die Obsorge" zurückgezogen (ON 115). Eine solche Entscheidung liegt derzeit noch nicht vor.

Nachdem die vom Gericht bestellte Sachverständige in ihrem psychologischen Gutachten - zusammenfassend - zum Ergebnis gekommen war, aufgrund der erhobenen Befunde und geführten Gespräche "für eine Übernahme der Obsorge durch den Vater zu plädieren" (ON 103), erstattete die Mutter durch ihren Vertreter einen dreieinhalbseitigen Schriftsatz zur "Stellungnahme im Ermittlungsverfahren", beinhaltend ua auch einen Katalog von vier Fragen an die Sachverständige (im Rahmen einer zu erfolgenden Gutachtenserörterung) samt angeschlossenen fünfeinhalbseitig geschriebenen "Gedanken zum 'Bericht'" der Sachverständigen, sowie verbunden "mit Anträgen gemäß § 182d, § 182a Abs 1 letzter Satz und Abs 2 AußStrG", näherhin den Schriftsatz dem Sohn nicht, dem Vater jedoch mit dem Auftrag zuzustellen, dafür zu sorgen, dass der Inhalt desselben "dem Minderjährigen in Sorge um sein belastetes Wohl nicht eröffnet wird" (ON 109).

Das Erstgericht wies daraufhin diesen Antrag beschlussmäßig ab, weil nicht ersichtlich sei, wie weit das Wohl des Minderjährigen es verlangen würde, die Eingabe der Mutter ihm nicht und dem Vater nur unter der beantragten Auflage zuzustellen; die Eingabe befasse sich lediglich mit der Person der bestellten Sachverständigen, sodass eine besondere Vertraulichkeit, die eine Weisung gemäß § 182d AußStrG rechtfertigen würde, nicht von Nöten sei (ON 110). Im Rahmen seiner Zustellverfügung ordnete das Erstgericht allerdings an, diesen Beschluss (samt Gleichschrift der Eingabe der Mutter) deren Sohn erst nach Rechtskraft dieses Beschlusses zuzustellen.

Das von der Mutter angerufene Rekursgericht gab ihrem Rechtsmittel nicht Folge und sprach weiters aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Nach Auffassung des Rekurssenates ziele die durch das Kindschaftsrechts-Änderungsgesetz (KindRÄG) 2001 neu eingeführte Bestimmung des § 182d AußStrG sowohl vom Wortlaut als auch vom immanenten Schutzzweck her ausschließlich darauf ab, dass einem konkret verfahrensbetroffenen Minderjährigen keine sein Gesamtwohl zumindest erheblich beeinträchtigenden Nachteile dadurch erwachsen sollten, dass bestimmte im Pflegschaftsverfahren wie auch immer hervorgekommene Sachverhalte dritten, nicht unmittelbar verfahrensbeteiligten Personen im weitesten Sinne in Form der Weitergabe durch verfahrensbeteiligte Personen zugänglich gemacht werden. Im vorliegenden Fall zähle nun der Minderjährige zufolge seiner gemäß § 182a Abs 1 AußStrG zulässig erfolgten Antragstellung auf Obsorgeübertragung an den Vater gleichzeitig selbst zum Kreis der unmittelbaren Verfahrensbeteiligten, sodass § 182d AußStrG von vorneherein nicht anwendbar sei, da ansonsten ein Widerspruch zur Grundrechtsbestimmung des Art 6 MRK über ein "faires Verfahren" vorliegen könnte, demgegenüber der von der Mutter begehrte Geheimhaltungswunsch sohin zurückzutreten habe. Dem Sohn müsse durch den bezüglichen Schriftsatz vielmehr die Möglichkeit eröffnet werden, sich mit den hierin enthaltenen Aspekten eingehend selber auseinanderzusetzen, sich hiezu eine eigene Meinung zu bilden und dann seinerseits ihm geeignet erscheinende Verfahrensschritte (allenfalls unter Anleitung des Pflegschaftsgerichtes) zu wählen. Der Mutter stehe es daher bloß frei, ihre Stellungnahme samt Beilage, welche nach dem Akteninhalt bislang weder dem Vater noch dem Sohn zugestellt worden sei, "wieder zurückzunehmen und allenfalls in dann 'entschärfter' Form, sohin ohne die ihrer Ansicht nach das Wohl des Sohnes gefährdenden Passagen, neuerlich einzubringen."

Der Revisionsrekurs wurde für zulässig erklärt, weil - soweit überblickbar - der Oberste Gerichtshof bisher in seiner Judikatur und im Hinblick auf das erst seit in Geltung stehende KindRÄG 2001 mit einer Entscheidung über den konkreten Anwendungsbereich und -gehalt der mit der vorgenannten Novelle in das Außerstreitgesetz neu eingefügten Bestimmung des § 182d Abs 2 noch nicht befasst gewesen sei und demnach insbesondere auch noch nicht dazu Stellung genommen habe, inwieweit diese Neubestimmung in einem Spannungsverhältnis zu dem durch Art 6 MRK geschützten Grundrecht des "fair trial" stehe, wenn der schutzbefohlene und bereits über 14-jährige Minderjährige gleichzeitig infolge eigener Antragstellung (§ 182a AußStrG) selbst zum Kreis der unmittelbar Verfahrensbeteiligten zählt, sodass die gegenständliche Obsorgeangelegenheit nach Meinung des Rekurssenates eine grundsätzliche und richtungsweisende Bedeutung im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der auf den Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung im Sinne einer Stattgebung ihres Antrages an das Erstgericht abzuändern; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Soweit die Rechtsmittelwerberin ihre Ausführungen damit (näher) begründet, dass es ihr (ausschließlich) darum gehe, "dass das Wohl des Schutzbefohlenen nicht dadurch, dass er den 'Kampf' seiner Eltern um seine Obsorge (selbst wenn er selbst die Übertragung beantragt hat) in seiner vollen Härte und Verbissenheit miterlebt, gefährdet wird", ist ihr gleich vorweg entgegenzuhalten, dass ihm dies durch seine sich über Jahre erstreckenden eigenen mehrfachen Vorsprachen bei Gericht, niederschriftlichen Einvernahmen durch dieses (samt intensiv geführten Gesprächen auch mit der Sachverständigen hierüber) in Verbindung mit den aktenkundigen Spannungen schon lange vor dem nunmehrigen Obsorgestreit im Zusammenhang etwa mit den väterlichen Besuchsrechtsausübungen kaum verborgen geblieben sein kann; letztlich waren gerade diese Spannungen der Eltern ja Ausgangspunkt und Anlass für das eigeninitiativ gesetzte Antragsvorbringen des Sohnes und seinen Haushaltswechsel von der Mutter zum Vater. Darüber hinaus begnügt sich die Rechtsmittelwerberin (so wie schon in ihrem Rechtsmittel an die zweite Instanz) mit mehr oder weniger nur allgemein gehaltenen Befürchtungen zum Kindeswohl und zur "seelischen Entwicklung" ihres Sohnes, ohne dies jedoch fallbezogen zu präzisieren und anzuführen, welche konkrete Gefährdung durch welche konkrete Passage ihrer "Stellungnahme" zum Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen zu erwarten sei. Aus dem gesamten Schriftsatz (samt Beilage) geht nicht hervor, dass es hierin um "intime, nicht für die Weitergabe geeignete Details des Privat- und Familienlebens einschließlich gesundheitlicher oder beruflicher Fragen" (so ausdrücklich aber die Umschreibung in der RV 296 BlgNR 21. GP, 89 zur Bestimmung des § 182d AußStrG idF des KindRÄG 2001) ginge, sondern enthält vielmehr dieser Schriftsatz (beinahe ausschließlich) von der Mutter vermeinte inhaltliche wie auch sprachliche "Ungereimtheiten, die eine verständnisvolle Lesung des Gutachtens massiv erschweren". Schon daraus resultiert, dass für eine Anwendung der neuen Geheimhaltungspflichten gemäß § 182d AußStrG vorliegendenfalls keine (sachlich begründete) Veranlassung besteht, wobei zur Vermeidung von Wiederholungen auf die insoweit zutreffenden und in wohlausgewogener Interessenabwägung formulierten Gründe des Rekursgerichtes verwiesen und zurückgegriffen werden kann (§ 16 Abs 4 AußStrG iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Durch das (weitestgehend) am in Kraft getretene KindRÄG 2001 BGBl I 2000/135 wurde im neuen § 182a AußStrG eine selbständige familiengerichtliche Verfahrensfähigkeit mündiger Minderjähriger in Verfahren über Pflege und Erziehung oder über das Recht auf persönlichen Verkehr eingeführt; sie können nunmehr selbständig nicht nur verfahreneinleitende Anträge nach § 176 oder § 148 ABGB stellen, sondern auch selbst Rechtsmittel ergreifen, wobei ihnen das Gericht durch Ausübung seiner Anleitungspflicht hiefür unter Umständen auch Hilfestellung zu besorgen hat (RV aaO 85;Hopf/Weitzenböck, Schwerpunkte des KindRÄG 2001, ÖJZ 2001, 485 [534]). Die gleichzeitig neu eingeführte Bestimmung des § 182d AußStrG (übertitelt mit "Besondere Vertraulichkeit"), wonach "Mitteilungen über Umstände des Privat- und Familienlebens, an deren Geheimhaltung ein begründetes Interesse einer Partei oder eines Dritten besteht, soweit deren Kenntnis ausschließlich durch das Verfahren vermittelt wurde, nicht veröffentlicht werden dürfen (§ 301 Abs 1 StGB)", sowie weiters, dass das Gericht, "soweit es das Wohl eines Minderjährigen verlangt, den Beteiligten überdies die Geheimhaltung (§ 301 Abs 2 zweiter Fall StGB) bestimmter Tatsachen, von denen sie ausschließlich durch das Verfahren Kenntnis erlangt haben, zur Pflicht zu machen hat", soll nach dem Willen des Gesetzgebers (RV aaO 88 f) "verhindern, dass Informationen, die erst durch ein Gerichtsverfahren vermittelt werden, gegen den Willen der betroffenen Personen weitergegeben werden", wobei - wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen (samt angeführten Beispielen aus der Praxis) in den Materialien unzweifelhaft ergibt - ausschließlich an den Schutz vor der Kenntnisnahme durch dritte, verfahrensfremde Personen gedacht worden ist. Dies ergibt sich auch aus dem durch die Zitierung des § 301 Abs 1 StGB pönalisierten Tatbestand des Veröffentlichungsverbotes in § 182d Abs 1 und 2 AußStrG.

Abgesehen davon, dass - wie bereits ausgeführt - im vorliegenden Fall nach Auffassung des erkennenden Senates des Obersten Gerichtshofes weder im Stellungnahme-Schriftsatz der Mutter noch in dessen (offenbar von ihr selbst verfasster, da keine Unterschrift enthaltenden) Beilage solche "Umstände" des Privat- und Familienlebens der in Streit befindlichen Eltern enthalten sind, wie dies von der zitierten Gesetzesstelle vorausgesetzt wird, hat das Rekursgericht aber auch zutreffend auf das Spannungsverhältnis zu dem durch Art 6 MRK geschützten Grundrecht hingewiesen und auch diesbezüglich eine der Sach- und Rechtslage ausgewogene und daher zu billigende Entscheidung getroffen. Es wäre mit dieser im Verfassungsrang stehenden Bestimmung in der Tat nicht in Einklang zu bringen, einem unmittelbar Verfahrensbeteiligten selbst durch die von der Rechtsmittelwerberin angestrebte Geheimhaltung gerade jene Argumente und Ausführungen verborgen zu halten, die er jedoch im Rahmen eines "fair trial" kennen und wissen muss, um seinerseits nicht bloß dagegen sachgerecht erwidern zu können, sondern auch seinen eigenen gestellten Antrag effektiv durchsetzen und ihm rechtsstaatlich einwandfrei zum Durchbruch verhelfen zu können. Die Argumentation der Rechtsmittelwerberin liefe insoweit geradezu auf ein geheimes Aktenverfahren hinaus, welches es dem mündigen Minderjährigen als Antragsteller (und allfälligem potentiellen Rechtsmittelwerber im Falle einer abschlägigen Sachentscheidung) rechtsstaatlich bedenklich verschließen würde, schon im erstinstanzlichen Verfahren zu den maßgeblichen Tatfragen alle jene Punkte nicht nur zu kennen, sondern hiegegen auch zu replizieren, welche für die Entscheidung des Gerichtes sodann maßgeblich zu sein haben.

Die von der Revisionsrekurswerberin in diesem Zusammenhang gewünschte "großzügige Lösung" lässt sich somit weder mit der einfach gesetzlichen Regelung des § 182d AußStrG noch mit der auf Verfassungsebene stehenden Norm des Art 6 MRK in Einklang bringen. Von einer besonderen negativen Nachhaltigkeit die "seelische Entwicklung" des Sohnes betreffend kann weder nach dem Inhalt der Stellungnahme noch der angeschlossenen Beilage der Mutter ausgegangen werden, sodass die diesbezüglichen "Geheimhaltungs"-Anträge der Genannten von den Vorinstanzen zutreffend abgewiesen worden sind.

Dem dagegen ankämpfenden Revisionsrekurs war damit ebenfalls ein Erfolg zu versagen.