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OGH vom 26.02.2009, 1Ob217/08f

OGH vom 26.02.2009, 1Ob217/08f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Familienrechtssache des am ***** geborenen Martin R*****, infolge Revisionsrekurses des Vaters Harald R*****, vertreten durch Mag. Andreas Zach, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 371/08i-16, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom , GZ 8 Fam 5/08k-10, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der seit ***** volljährige Martin lebt im Haushalt seiner Mutter. Er absolviert eine Lehre und verfügt über eine Nettolehrlingsentschädigung in Höhe von 525,40 EUR inklusive der anteiligen Sonderzahlungen sowie des Fahrtkostenzuschusses. Der Vater ist zu 100 % Invalide. Er erhält eine Pension von monatlich 966,04 EUR inklusive der anteiligen Sonderzahlungen sowie ab Pflegegeld der Stufe 1 in Höhe von monatlich 148,30 EUR für seinen Pflegeaufwand im Ausmaß von 54 Stunden. Er hat einen Mehraufwand für Medikamente von monatlich 200 EUR. Weitere Sorgepflichten bestehen nicht. Der Vater ist derzeit zu einer monatlichen Unterhaltsleistung für Martin in Höhe von 50 EUR verpflichtet.

Mit Schreiben vom beantragte der Vater die Enthebung von seiner Unterhaltspflicht ab der Volljährigkeit seines Sohnes. Er sei aufgrund seiner 100%igen Invalidität nicht mehr in der Lage, Unterhalt für seinen Sohn zu leisten. Dieser sprach sich gegen eine Enthebung des Vaters aus, da er selbst noch nicht selbsterhaltungsfähig sei.

Das Erstgericht wies den Enthebungsantrag zur Gänze ab. Der Vater habe zwar nun - im Vergleich zur letzten Unterhaltsbemessung - einen erhöhten Pflegeaufwand von durchschnittlich 54 (statt 40) Stunden monatlich zu tragen, beziehe jedoch auch Pflegegeld zur Abdeckung dieses Aufwands sowie eine um monatlich rund 50 EUR höhere Pension. Es ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass er nicht mehr in der Lage sei, monatlich 50 EUR für den unterhaltsberechtigten Sohn zu leisten. Es lägen keine Änderungen vor, die eine Enthebung des Vaters rechtfertigten.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ den Revisionsrekurs nachträglich zu. Die Selbsterhaltungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners wäre nur dann gefährdet, wenn ihm nach Abzug des Unterhalts und des Mehraufwands für Medikamente und Pflege von seiner Pension unter Berücksichtigung des erhaltenen Pflegegelds weniger als das Existenzminimum - derzeit 653 EUR - verbliebe. Dies sei nicht der Fall. Da der Unterhaltsberechtigte noch nicht über Einkünfte verfüge, die ihn zur Gänze selbsterhaltungsfähig machten, bestehe die Unterhaltspflicht des Vaters nach wie vor. Die nachträgliche Zulassung des Revisionsrekurses begründete das Rekursgericht mit dem Fehlen von gesicherter Rechtsprechung zur Frage, wie Pflegeaufwand, der über das Pflegegeld hinausgehe, im Hinblick auf die Unterhaltsbemessungsgrundlage zu behandeln sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und berechtigt.

1. Gemäß § 1 Bundespflegegeldgesetz hat das Pflegegeld den Zweck, in Form eines Beitrags pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Personen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen.

Das Pflegegeld kann nur als Beitrag zu den pflegebedingten Mehraufwendungen verstanden werden (RIS-Justiz RS0013477), es ist reiner (pauschalierter) Aufwandersatz (Gitschthaler, Unterhaltsrecht2 Rz 127 mwN) und soll dazu dienen, Pflegeleistungen „einkaufen" zu können (vgl 2 Ob 514/94). Dem Pflegebedürftigen muss es grundsätzlich gestattet sein, die erforderlichen Pflegemaßnahmen im eigenen häuslichen Bereich vornehmen zu lassen, um möglichst in der gewohnten Umgebung verbleiben zu können, was aber zur Folge haben kann, dass das Pflegegeld nicht die gesamten pflegebedingten Mehraufwendungen deckt (1 Ob 135/01m). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs verringert krankheitsbedingter Mehraufwand des Unterhaltspflichtigen dessen Unterhaltsbemessungsgrundlage (6 Ob 49/08m mwN).

2. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass mit dem einem Anspruchswerber gewährten Pflegegeld dessen pflegebedingten Mehraufwendungen abgegolten sind. Es obliegt dem Pflegegeldbezieher, Gegenteiliges zu beweisen, nämlich dass der tatsächliche Betreuungsaufwand mit dem gewährten Pflegegeld nicht zu finanzieren sei, und weiters, dass trotz entsprechenden Vorbringens im hiefür vorgesehenen Verfahren das Pflegegeld zu niedrig bemessen worden sei. Dabei ist auch maßgeblich, dass ein Unterhaltspflichtiger sein Einkommen in der Regel nicht so weit verringern darf, dass seinem Kind nicht einmal mehr ein Unterhalt in der Höhe des sogenannten Regelbedarfs zukäme, vielmehr hat ein pflichtbewusster Familienvater im Allgemeinen - auch bei Inanspruchnahme einer Betreuungsperson - die billigste Möglichkeit zu wählen, wenn sie gleich erfolgversprechend und ihm zumutbar ist (1 Ob 357/99b).

3. Im vorliegenden Fall brachte der Vater bereits in erster Instanz vor, dass sein Pflegeaufwand nicht durch das Pflegegeld allein finanzierbar sei. Der Aufforderung des Erstgerichts, die geltend gemachten krankheitsbedingten Aufwendungen nachzuweisen, kam er insofern nach, als er behauptete, 54 Stunden Heimhilfe à 10 EUR übernehme ein - den Schriftsatz (unleserlich) fertigender, namentlich jedoch nicht genannter - Gemeindebediensteter.

Die Vorinstanzen sind auf dieses Vorbringen nicht eingegangen, zumal sie offensichtlich davon ausgingen, dass mit dem einem Anspruchswerber gewährten Pflegegeld die pflegebedingten Mehraufwendungen abgegolten seien und dem Vater daher mehr als das Existenzminimum verbliebe, sodass seine wirtschaftliche Existenz nicht bedroht wäre.

Dies muss aber nicht in jedem Fall zutreffen, zumal durchaus Zweifel angebracht sind, dass ein 54-stündiger Pflegeaufwand - insbesondere bei Fremdpflege - mit 148,30 EUR abgedeckt werden kann. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren die Sachverhaltsgrundlage dahingehend zu verbreitern haben, dass es - allenfalls nach Einvernahme des Vaters - Feststellungen über dessen tatsächlichen Pflegeaufwand und die von ihm hiefür erbrachten absolut notwendigen finanziellen Abgeltungen trifft. Erst danach wird zu beurteilen sein, ob dem unterhaltspflichtigen Vater bei Weiterleistung der bisherigen Unterhaltsbeiträge für seinen Sohn noch ein Betrag verbliebe, der zur Erhaltung seiner Körperkräfte und seiner geistigen Persönlichkeit notwendig ist (Unterhaltsexistenzminimum, vgl Gitschthaler aaO Rz 269 mwN) und ob ihm unter Berücksichtigung des Eigeneinkommens und der Lebenssituation des Unterhaltsberechtigten die Leistung von Unterhalt zumutbar ist.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 78 Abs 1 AußStrG.