OGH vom 26.08.2004, 6Ob130/04t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache der Antragstellerin Helga S*****, wegen Kraftloserklärung einer Urkunde, über den Revisionsrekurs des Einschreiters Prof. Mag. Georg N*****, vertreten durch Sattlegger Dorninger Steiner & Partner, Anwaltssocietät in Linz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom , GZ 12 R 20/04f-19, womit die Rekurse des Einschreiters gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom , GZ 8 T 657/96s-16, zurückgewiesen wurden, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Am beantragte die Antragstellerin die Einleitung des Verfahrens zur Kraftloserklärung einer Bankurkunde (EKG-Bon Nr ***** betreffend ein Wertpapierkonto und verbriefend 75 Stück Vorzugsaktien á 100 S mit Losungswort "E*****", mit einem damaligen Gesamtwert von ca 40.000 S). Die Antragstellerin habe das Effekten-Kassageschäft aus der Verlassenschaft nach der am verstorbenen Erblasserin geerbt. Der Originalbon sei unauffindbar. Die Antragstellerin legte ein Depotverzeichnis vor und erklärte, dass sie Alleininhaberin und alleinige Verfügungsberechtigte über das Wertpapier sei.
Nach Überweisung der Rechtssache an das zuständige Handelsgericht Wien leitete dieses das Kraftloserklärungsverfahren ein. Es ergingen eine erste Anfrage am , ein Aufgebotsedikt mit einer zweimonatigen Frist am , eine Veröffentlichung in der Wiener Zeitung und über Fortsetzungsantrag der Antragstellerin eine zweite Anfrage an die Bank.
Mit seinem Beschluss vom erklärte das Erstgericht das aufgebotene Wertpapier für kraftlos.
Am beantragte der Einschreiter die Zustellung des Kraftloserklärungsbeschlusses und erhob dagegen Rekurs. Nach erfolger Zustellung wiederholte er seinen Rekurs am . Er brachte im Wesentlichen vor, dass er Beteiligter des Verfahrens nach § 9 Abs 1 AußStrG sei, weil die Kraftloserklärung ihn als Inhaber der für kraftlos erklärten Urkunde beschwere. Die Urkunde sei ihm von seinem Vater geschenkt worden. Die Antragstellerin habe unter Vorlage des Kraftloserklärungsbeschlusses das verbriefte Recht (die Vorzugsaktien) bereits realisiert. Der Einschreiter sei erst vor kurzem wieder nach Österreich zurückgekehrt. Durch Nachforschungen habe er in Erfahrung gebracht, dass die in seinem Besitz befindliche Urkunde für kraftlos erklärt worden sei. Die Kraftloserklärung sei nur solchen Parteien zu gewähren, die Anspruch auf den Besitz der Urkunde hätten. Die Antragstellerin sei niemals im Besitz der Urkunde gewesen und habe niemals ein Recht auf die Urkunde gehabt. Der angefochtene Beschluss hätte nicht erlassen werden dürfen.
Das Rekursgericht wies die Rekurse als unzulässig zurück. Nach einem ausführlichen Referat über die Besonderheiten des Kraftloserklärungsverfahrens begründete das Rekursgericht seine Ansicht über das Fehlen der Rekurslegitimation des Einschreiters (gestützt auf Zedtwitz, Kraftloserklärung von Urkunden Anm 76 zu § 13 Kraftloserklärungsgesetz 1951) im Wesentlichen damit, dass sich der Rekurswerber nicht innerhalb der gesetzten Aufgebotsfrist gemeldet und damit sein (behauptetes) Eigentum an den Vorzugsaktien verloren habe. Da es sich bei dem für kraftlos erklärten EKG-Bon um keinen Lagerschein handle, sei die Aufgebotsfrist zu Unrecht gemäß § 7 Z 2 KEG mit nur zwei Monaten bemessen worden. Die unrichtige Bemessung der Aufgebotsfrist habe der Rekurswerber aber nicht als Verfahrensmangel geltend gemacht. Selbst wenn man von der Beachtlichkeit des Verfahrensmangels ausginge, wäre er hier nicht relevant. Die Einjahresfrist ab dem Tag der Kundmachung wäre hier am abgelaufen. Der Rekurswerber bringe selbst vor, dass er "erst kürzlich" nach Österreich zurückgekommen sei. Damit hätte er auch in der Einjahresfrist die Innehabung des EKG-Bons dem Gericht nicht melden können. Eine Zustellung an den Einschreiter im Kraftloserklärungsverfahren sei nicht vorgesehen, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen (§ 10 Abs 2 KEG).
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels oberstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage der Beachtlichkeit einer falsch bemessenen Aufgebotsfrist zulässig sei.
Mit seinem ordentlichen Revisionsrekurs beantragt der Einschreiter die ersatzlose Behebung der Kraftloserklärung, hilfsweise die Aufhebung zur neuerlichen Entscheidung durch das Rekursgericht.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Die angefochtene Kraftloserklärung betrifft einen in der Bankpraxis so genannten Effektakassa-Bon (EKG-Bon), mit dem der anonyme Kontoinhaber eines Wertpapierkontos seine Dispositionslegitimation nachweist. Zum Legitimationsakt gehört auch die Nennung des gewählten Losungswortes. Das qualifizierte Legitimationspapier nimmt eine Mittelstellung zwischen Inhaber- und Namenspapier ein (SZ 71/6). Es ist dem Rekursgericht zuzustimmen, dass die vom Erstgericht festgelegte Aufgebotsfrist von bloß zwei Monaten jedenfalls zu kurz bemessen war, weil diese Frist nur für durch Indossament übertragbare Lagerscheine gilt (§ 7 Z 2 KEG).
Die Existenz des Revisionsrekurswerbers und seine allfällige Inhaberschaft an der Urkunde war dem Gericht nicht bekannt. Er hat sich am Kraftloserklärungsverfahren nicht beteiligt. Unstrittig ist, dass er sich mangels Kenntnis vom Verfahren an diesem auch nicht beteiligt hätte, wenn die Aufgebotsfrist ein Jahr betragen hätte. Der Rekurswerber releviert 1. die Verletzung seines rechtlichen Gehörs unter Bezug auf Art 6 EMRK, 2. einen Verfahrensmangel wegen der gesetzwidrig zu kurz bemessenen Aufgebotsfrist und 3. den Umstand, dass die Antragstellerin das verbriefte Wertpapier bereits realisiert habe (Erlös 3.243,03 EUR). Der Rekurswerber könne seine Ansprüche vor Aufhebung der Kraftloserklärung nicht geltend machen. Zu diesem Rekursvorbringen ist auszuführen:
Das Verfahren ist ein außerstreitiges (§ 1 Abs 2 KEG). Parteien sind der Antragsteller und der aus der Urkunde Verpflichtete, an den die erste Anfrage zu richten ist. Nach Erfordernis hat das Gericht bei der Prüfung des Erwerbs, des Besitzes und des Verlustes der Urkunde auch andere Beteiligte zu befragen, um zu klären, ob und welche Hindernisse der Einleitung des Aufgebotsverfahrens entgegenstehen (§ 4 Abs 1 KEG). Die Einleitung des Aufgebotsverfahrens ist durch Edikt öffentlich kundzumachen (§ 5 KEG). Dieses ist den Beteiligten zuzustellen (§ 6 KEG). Anmeldungen Dritter sind zu prüfen, auch wenn sie nach Ablauf der Aufgebotsfrist, aber noch vor dem Beschluss über die Kraftloserklärung bei Gericht einlangen. Eine Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Anmeldefrist findet aber nicht statt (§ 10 Abs 2 KEG). Vor der Kraftloserklärung kann das Gericht noch weitere Erhebungen pflegen (§ 12 Abs 1 KEG). Der Beschluss, mit dem die Urkunde für kraftlos erklärt wird, ist den Beteiligten zuzustellen (Abs 3 leg cit).
Das Gesetz verwendet den Begriff "Beteiligter" mehrfach. Nach den zitierten Gesetzesstellen ist darunter zwangsläufig nur derjenige zu verstehen, dessen Existenz und sein rechtlicher Bezug zu der für kraftlos zu erklärenden Urkunde dem Gericht bekannt geworden ist.
Zur Rekurslegitimation des am Verfahren erster Instanz nicht beteiligten Dritten, der Ansprüche aus der Urkunde und deren Innehabung geltend macht:
Das Rekursrecht setzt eine Beschwer des Rechtsmittelwerbers, also einen Eingriff in seine subjektive Rechtsstellung durch die angefochtene Verfügung voraus. Die Beeinträchtigung bloß wirtschaftlicher Interessen reicht nicht aus (RIS-Justiz 0006497; RS0006641). Zweifellos wird mit einer materiell unrichtigen Kraftloserklärung einer Urkunde in die Rechtsstellung des wahren Eigentümers und Inhabers der Urkunde und die damit verbrieften Rechte eingegriffen. Wenn die Existenz des Urkundeninhabers im Verfahren erster Instanz unbekannt blieb, stellt sich die Frage, ob und bejahendenfalls wie lange ihm ein Rekursrecht zuzubilligen ist bzw mit anderen Worten, wann der Kraftloserklärungsbeschluss in materieller Rechtskraft erwächst. Dazu kann auf die Judikatur zu vergleichbaren Fällen zurückgegriffen werden:
Im außerstreitigen Firmenbuchverfahren wird dem Gläubiger einer Gesellschaft mbH nach Lehre und Rechtsprechung ein Rekursrecht gegen die Löschung der Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit eingeräumt. Bei Verletzung subjektiver Rechte hat ein dem Gericht gar nicht bekannter Gläubiger zwar kein Recht auf Zustellung des Löschungsbeschlusses oder auf Verständigung vom Verfahren (§ 18 FBG), wohl aber ein Rekursrecht ab der Kundmachung der Eintragung der bekämpften Verfügung im Firmenbuch (RS0006823; 6 Ob 183/01g; 6 Ob 131/00h). Im Verfahren über die Eintragung einer neu gegründeten Gesellschaft wird einem älteren, am Verfahren erster Instanz nicht beteiligten Firmenrechtsträger, der sich gegen die Eintragung der jüngeren Firma wegen Verletzung des Ausschließlichkeitsrechts des Inhabers der älteren Firma zur Wehr setzen will, ein Rekursrecht gegen den Eintragungsbeschluss eingeräumt. Der Beginn der Rekursfrist wird aber mit der Kundmachung der Eintragung festgelegt. Wenn in dieser Frist kein Beteiligter ein Rechtsmittel erhebt, erwächst der Eintragungsbeschluss in Rechtskraft (6 Ob 2274/96x).
Im Abhandlungsverfahren sind vermutliche Erben im Sinne des § 75 AußStrG vom Verlassenschaftsgericht zu verständigen. Wenn sie nicht verständigt werden, kann ihnen gegenüber die Einantwortung nicht in Rechtskraft erwachsen. Der nicht zugezogene Erbe hat ein Rekursrecht (RS0006449). Wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs ist die Einantwortungsurkunde als nichtig aufzuheben (8 Ob 699/89). Das Rekursrecht setzt also die Bekanntheit des Erben (des späteren Rekurswerbers) schon im Verfahren erster Instanz voraus. Zur Erforschung möglicher Erben ist ein Ediktsverfahren vorgesehen (§ 128 AußStrG). Das Rekursrecht eines unbekannten Erben, der nicht verständigt werden konnte, setzt aber geradezu zwangsläufig voraus, dass die Einantwortungsurkunde noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist (so schon 5 Ob 596/78), es muss also in der Zeit davor ausgeübt werden.
Den zitierten Fällen ist der allgemeine Rechtssatz zu entnehmen, dass mangels Kenntnis des Gerichts über die allfällige Existenz von antrags- und rekursberechtigten Beteiligten, diese die Verletzung ihrer subjektiven Rechte innerhalb der Rekursfrist geltend machen müssen (6 Ob 300/01p), die im Falle einer Kundmachung ab dieser zu laufen beginnt, ansonsten kommt es auf den Ablauf der Rekursfrist für die übrigen rekursberechtigten Personen und des damit verbundenen Eintritts der Rechtskraft an. Der Revisionsrekurswerber war zwar als Beteiligter im dargelegten Sinn rekursberechtigt, hätte seinen Rekurs an das Gericht zweiter Instanz aber vor Eintritt der Rechtskraft des Kraftloserklärungsbeschlusses erheben müssen. Die Gesetzesauslegung in diesem Sinne ist schon in Rechtsssicherheitserwägungen begründet, weil die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen über materielle Rechtsschutzansprüche nicht von den Zufälligkeiten abhängig gemacht werden darf, ob und wann andere, bislang unbekannt gebliebene Anspruchswerber auftreten. Deren Interessen werden durch besondere Kundmachungsvorschriften (Ediktalverfahren) und weiters dadurch gewahrt, dass sie trotz Nichtbeteiligung am außerstreitigen Verfahren ihre Ansprüche noch im Rechtsweg verfolgen können (vgl zur Klageführung des Dritten nach Abschluss des Kraftloserklärungsverfahrens: 9 Ob 153/02v; 10 Ob 2035/96d).
Dass in der Zwischenzeit die Wertpapiere bereits realisiert wurden, der Rekurswerber daher nur mehr einen Anspruch auf Ersatz des Realisats klageweise geltend machen kann und möglicherweise einen Schaden wegen Veräußerung zur Unzeit (zum Zeitpunkt eines ungünstig niedrigen Kurses der Wertpapiere) erleidet, kann die Rechtskraft der Kraftloserklärung ebensowenig beseitigen wie der festgestellte Verfahrensmangel infolge zu kurz bemessener Aufgebotsfrist. Auch materiell unrichtige oder aufgrund eines mangelhaften oder sogar nichtigen Verfahrens zustande gekommene Gerichtsentscheidungen erwachsen in Rechtskraft. Ob die Antragstellerin als Erbin (bzw ihre Rechtsvorgängerin) einen Anspruch auf Besitz der Urkunde und diese Voraussetzung für die Kraftloserklärung auch nachgewiesen hatte, kann im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren nicht mehr überprüft werden. Das Rekursgericht hat den Wegfall der Rekurslegitimation des Einschreiters infolge Rechtskraft zu Recht verneint. Beim zweiten (wiederholenden) Rekurs lag überdies der weitere Zurückweisungsgrund nach dem Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels vor.