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OGH vom 25.01.2017, 7Ob209/16k

OGH vom 25.01.2017, 7Ob209/16k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** S*****, vertreten durch Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei M***** AG, *****, vertreten durch Dr. Lukas Lorenz, Mag. Sebastian Strobl, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 2.016,01 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 113/16y-33, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 16 Abs 1 VersVG hat der Versicherungsnehmer bei Abschluss des Versicherungsvertrags alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen. Erheblich sind Gefahrenumstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zum vereinbarten Inhalt abzuschließen, Einfluss auszuüben. Ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, gilt im Zweifel als erheblich.

1.1 Nicht ausdrücklich nachgefragte Umstände sind nicht schon wegen ihrer objektiven Gefahrenerheblichkeit mitzuteilen, sondern nur dann, wenn sich die Frage konkludent auch auf sie bezieht, oder wenn ihre Mitteilung als selbstverständlich erscheint (RISJustiz RS0119955). In der Krankenversicherung kommt es nicht nur auf die Erheblichkeit der einzelnen Krankheit, sondern auch auf die Häufigkeit des durch die behandelten Krankheiten geprägten Gesamtbildes des Gesundheitszustands an. Beschwerden und Schmerzen sind bei entsprechender Frage auch dann anzeigepflichtig, wenn sie noch nicht eindeutig einer Krankheit zugeordnet werden. Ihre Einschätzung durch den Versicherungsnehmer als harmlos spielt für die Entstehung der Pflicht keine Rolle, sofern sie nicht offenkundig belanglos sind und alsbald vergehen. Anzeigepflichtig sind auch indizierende Umstände, also äußere Umstände, die auf das Bestehen eines gefahrenerheblichen Zustands schließen lassen. Auch ohne das Vorliegen einer ärztlichen Diagnose muss der Antragsteller Symptome, wegen der er sich in ärztliche Behandlung begeben hat, angeben; Bewertung und Beurteilung müssen dem Versicherer überlassen werden (RISJustiz RS0080641 [T6]).

1.2 Die Beurteilung des Berufungsgerichts, auch wenn der Urologe den Status am Tag der Untersuchung als unauffällig beurteilte, so habe es sich jedenfalls bei dem wiederholten Auftreten einer bläulichen Verfärbung und Schwellung des rechten Hodens des fast zweijährigen Sohnes des Klägers, verbunden mit der Äußerung der Verdachtsdiagnose „processus vaginalis testis“, der Empfehlung der weiteren Beobachtung und einer neuerlichen Kontrolle bei Nichtbesserung, um Beschwerden gehandelt, nach denen ausdrücklich gefragt wurde, ist nicht zu beanstanden. Der Kläger verneinte die Fragen nach bestehenden und bestandenen, behandelten oder nicht behandelten Beschwerden und beantwortete die Frage nach den in Anspruch genommenen Ärzten durch Unterlassung der Nennung des untersuchenden Urologen bloß unvollständig.

1.3 Da gemäß § 16 Abs 1 letzter Satz VersVG ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, jedenfalls als erheblich gilt, ist in einem solchen Fall der Versicherte dafür beweispflichtig, dass auch die richtige Beantwortung der betreffenden Frage nicht geeignet gewesen wäre, den Entschluss des Versicherers zum Vertragsabschluss in irgendeiner Weise zu beeinflussen (RISJustiz RS0080787). Zur Bejahung der Gefahrenerheblichkeit von Umständen ist es nicht erforderlich, dass der Versicherer bei Kenntnis des wahren Sachverhalts den Vertrag tatsächlich abgelehnt oder nicht zu den erwähnten Bedingungen geschlossen hätte. Es reicht aus, dass der vom Versicherer nachgewiesene Umstand bei objektiver Betrachtung geeignet ist, einen solchen Entschluss des Versicherers zu motivieren (RISJustiz RS0080637).

Dass das Berufungsgericht vom Zutreffen dieser Voraussetzungen ausging, ist gleichfalls nicht korrekturbedürftig. Der Kläger hält dem in seiner Revision auch nur entgegen, dass beim Sohn des Klägers ein Normalzustand vorgelegen sei, der in 80 bis 90 % der Fälle auftrete. Abgesehen davon, dass der sich bei der Geburt in 80 bis 90 % der Fälle offene processus vaginalis testis in aller Regel bis zum zweiten Lebensjahr des Kindes schließt und nur bei 20 % offen bleibt, ist eine Spontanheilung gerade ab diesem Zeitpunkt selten und wird eine operative Sanierung empfohlen. Auf eine solche Möglichkeit hat der Urologe für den Fall der Nichtbesserung und Bestätigung seiner Verdachtsprognose auch hingewiesen. Die Revisionsausführungen sind daher nicht geeignet, die vom Berufungsgericht angenommene objektive Gefahrenerheblichkeit zu widerlegen.

2. Die vom Revisionswerber als erheblich erachtete Rechtsfrage zum Verhältnis zwischen § 16 Abs 3 VersVG und § 18 VersVG stellt sich nicht: Da nach den bestehenden und bestandenen Beschwerden sowie den in Anspruch genommenen Ärzten ausdrücklich und ausreichend genau umschrieben gefragt wurde, tritt schon nicht die Rechtsfolge des § 18 VersVG ein. Vielmehr bleibt es bei der allgemeinen Rücktrittsregelung des § 16 VersVG.

2.1 Danach genügt für eine schuldhafte Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht leichte Fahrlässigkeit (RISJustiz RS0080572). Die Beweislast für das mangelnde Verschulden an der Verletzung einer vorvertraglichen Anzeigepflicht trifft grundsätzlich den Versicherungsnehmer (RISJustiz RS0080809).

Auch hier zeigt der Kläger keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts auf. Selbst wenn dem Kläger beim Ausfüllen des Fragenkatalogs der Besuch beim Urologen zur Gänze und der Inhalt des Arztgesprächs in Teilen entfallen sein sollte, wäre ihm dies vorwerfbar, da er sich diese Umstände durch zumutbare Bemühungen – wie zum Beispiel Nachfragen bei seiner Frau – leicht wieder ins Gedächtnis rufen hätte können, zumal ihm die Beschwerden seines Sohnes bekannt und Grund für das Aufsuchen von Ärzten waren.

3. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, es sei § 16 Abs 1 VersVG zuwider die Angabe eines erheblichen Umstands unterblieben, weshalb die Beklagte nach § 16 Abs 2 VersVG vom Vertrag zurücktreten könne, ist daher nicht zu beanstanden.

4. Der Versicherer bleibt nur dann zur Leistung iSd § 21 VersVG verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer jede mögliche Mitursache des falsch angezeigten oder verschwiegenen Umstands am Eintritt des Versicherungsfalls und dem Umfang der Leistungen des Versicherers ausschließen kann (RISJustiz RS0080025).

Ausgehend von der Feststellung, dass nach Vollendung des zweiten Lebensjahres des Sohnes des Klägers wiederum Beschwerden am Hoden auftraten, weshalb letztlich im August 2014 eine operative Sanierung vorgenommen wurde, erweist sich die Beurteilung des Berufungsgerichts, nicht jede mögliche Mitursache des nicht angezeigten Umstands sei am Eintritt des Versicherungsfalls oder am Umfang der Leistungen der Beklagten ausgeschlossen, als nicht korrekturbedürftig.

5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00209.16K.0125.000
Schlagworte:
1 Generalabonnement,9 Vertragsversicherungsrecht

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