OGH vom 12.02.2013, 4Ob168/12b

OGH vom 12.02.2013, 4Ob168/12b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N***** S*****, vertreten durch Dr. Christian Riesemann, Rechtsanwalt in Graz, als Verfahrenshelfer, gegen die beklagte Partei Ing. M***** W*****, vertreten durch Kaan Cronenberg Partner, Rechtsanwälte in Graz, wegen 23 Millionen EUR sA und Feststellung (Streitwert des Feststellungsbegehrens 100.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom , GZ 5 R 38/12s 16, mit welchem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 39 Cg 30/11b 12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der Kläger war seit 1997 einziger Gesellschafter und Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die ein Unternehmen zur Wartung von Aufzügen betrieb. Die Gesellschaft wurde am wegen Vermögenslosigkeit gelöscht (§ 40 Abs 1 FBG).

Der Beklagte war bei einem Unternehmen beschäftigt, das am sogenannten „Aufzugskartell“ beteiligt war. Ab 1991 nahm er an Besprechungen des Kartells teil, ab 1996 hatte er die Gesamtverantwortung für den Vertrieb in Österreich, von 2001 bis Anfang 2004 war er Geschäftsführer. Hingegen gehörte die Gesellschaft des Klägers dem Kartell nicht an. Dies führte nach dem Vorbringen des Klägers zu Wettbewerbsnachteilen und letztlich zur Einstellung der Geschäftstätigkeit und zur Löschung nach § 40 Abs 1 FBG. Im Oktober 2011 fasste der Kläger als einziger Gesellschafter einen Fortsetzungsbeschluss und erklärte, dass die Gesellschaft alle Ansprüche gegen den Beklagten an ihn abtrete.

Im vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger 23 Mio EUR Schadenersatz und die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle Schäden, die er aufgrund der von diesem zu vertretenden Wettbewerbsverstöße in Zukunft erleiden werde. Zur Begründung stützt er sich einerseits auf Schadenersatzansprüche der Gesellschaft, die er aufgrund einer Abtretung und auch deswegen geltend machen könne, weil die Gesellschaft daran wegen der Beschränkung der Verfahrenshilfe auf natürliche Personen gehindert (gewesen) sei. Andererseits habe er wegen des Niedergangs der Gesellschaft auch eigene Schäden erlitten; aufgrund schlagend gewordener Haftungen seien ihm gehörende Immobilien versteigert worden.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Eine vor Löschung der Gesellschaft erfolgte Zession von Ansprüchen der Gesellschaft gegen den Beklagten sei nicht erwiesen, nach dieser Löschung hätte sie nur durch einen hier nicht bestellten Nachtragsliquidator erfolgen können. Damit könne der Kläger die Schäden der Gesellschaft nicht geltend machen. Seine eigenen Schäden seien als mittelbare Schäden (Reflexschäden) nicht vom Schutzzweck des Kartellverbots und der weiteren von ihm genannten Schutzgesetze (§§ 146, 168a StGB) erfasst.

In seiner außerordentlichen Revision macht der Kläger als erhebliche Rechtsfrage geltend, dass der für Schadenersatzansprüche aufgrund von Kartellrechtsverstößen geltende Effektivitätsgrundsatz des Unionsrechts sowohl eine Berücksichtigung seiner eigenen Schäden als auch eine Möglichkeit zur Geltendmachung von Schäden der Gesellschaft erfordere. In Bezug auf seine eigenen Schäden liege eine bloße Schadensverlagerung vor; sie seien auch nach österreichischem Recht vom Schutzzweck der Norm erfasst.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist ungeachtet dieser Ausführungen nicht zulässig :

1. Das Zahlungsbegehren ist unschlüssig, ohne dass es auf die in der Zulassungsbeschwerde dargestellten Rechtsfragen ankäme.

1.1. Der Kläger nannte in der Klage verschiedene, jeweils bezifferte Schadenspositionen im Gesamtbetrag von über 700 Mio EUR, erklärte, dass „selbstverständlich“ noch nicht der „gesamte Schadensbetrag“ fällig sei, und „bewertete“ seinen „Schaden“ daher „vorerst“ aber ohne nähere Zuordnung zu den von ihm zuvor genannten Einzelpositionen mit 23 Mio EUR. Trotz eines Auftrags des Erstgerichts, sein Begehren aufzuschlüsseln (ON 4), und eines Einwands des Beklagten, dass der Schaden nicht schlüssig dargestellt sei (ON 2, 11), nahm er keine weitere Konkretisierung vor, sondern führte lediglich aus, dass er sich einer „Schadensschätzung nach § 273 ZPO“ unterwerfe.

1.2. Macht ein Kläger nur einen Teil des Gesamtschadens geltend und können dabei einzelne Schadenspositionen unterschieden werden, die ein unterschiedliches rechtliches Schicksal haben können, so hat der Kläger klarzustellen, welche Teile von seinem pauschal formulierten Begehren erfasst sein sollen (8 Ob 672/89 = ÖBA 1991, 671; 3 Ob 241/97f = SZ 70/136; 1 Ob 26/01g; 4 Ob 241/05b; 9 Ob 114/04m = ÖBA 2005, 489; RIS Justiz RS0031014 [T22]; vgl allgemein zum Problem des Einklagens eines Pauschalbetrags 1 Ob 537/90 = AnwBl 1990, 656 mwN). D ie Aufteilung des pauschal begehrten Betrags auf die jeweiligen Einzelforderungen kann nicht dem Gericht überlassen werden. Ohne Aufschlüsselung ist es nicht möglich, den Umfang der Rechtskraft einer Teilabweisung zu bestimmen und die Frage zu beantworten, über welche der eingeklagten Forderungen endgültig abgesprochen wurde. Nur bei Aufschlüsselung der Pauschalforderung kann in einem Folgeprozess die der Zulässigkeit einer weiteren Sachentscheidung allenfalls entgegenstehende materielle Rechtskraft der früheren Entscheidung beurteilt werden (RIS Justiz RS0031014 [T19, T 22, T 23]; 8 ObA 22/02x; 1 Ob 291/00a; zuletzt etwa 8 Ob 55/12i).

1.3. Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Kläger hat auf den Auftrag zur Aufschlüsselung und den Einwand der Unschlüssigkeit nur mit dem Hinweis auf § 273 ZPO reagiert. Diese Bestimmung könnte zwar allenfalls auf einzelne der von ihm genannten Schadenspositionen angewendet werden. Sie ersetzt aber nicht die nach der oben dargestellten Rechtsprechung erforderliche Klarstellung, welche der einzelnen Schadenspositionen der geltend gemachte Pauschalbetrag in welchem Umfang erfasst. Schon das muss zur Abweisung des Zahlungsbegehrens führen. Auf die Frage, ob die (eigenen) Schäden des Klägers vom Schutzzweck der angeblich übertretenen Normen erfasst waren und ob er auch Ansprüche der Gesellschaft geltend machen könnte, kommt es unter diesen Umständen nicht an.

2. Beim Festellungsbegehren fehlt ein schlüssiges Vorbringen zum rechtlichen Interesse an der begehrten Feststellung.

2.1. Der Kläger führt zur Begründung des Feststellungsbegehrens aus, dass die Gesellschaft, deren Alleingesellschafter er sei, aufgrund kartellbedingt unterbliebener Wartungsaufträge weiterhin einen Gewinnentgang erleide. Darin liegt jedoch ausschließlich ein Schaden dieser Gesellschaft, den trotz deren Löschung nur sie selbst und zwar im Weg einer Nachtragsabwicklung (§ 40 Abs 4 FBG) geltend machen könnte. Eine Zession von Schadenersatzansprüchen vor der Löschung konnten die Vorinstanzen nicht feststellen; auf eine Zession nach dieser Löschung durch den nicht zum Abwickler bestellten Kläger kommt die Revision zu Recht nicht mehr zurück.

2.2. Die Argumentation des Klägers, er müsse aufgrund des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes Ansprüche der Gesellschaft geltend machen können, weil diese aufgrund des bei Klageeinbringung am noch geltenden § 63 ZPO idF Art 15 Z 3 Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl I 52/2009, keine Verfahrenshilfe erlangen konnte, trägt nicht: Zum einen hätte die Gesellschaft vor dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs, mit dem diese Bestimmung unter Setzung einer Frist aufgehoben wurde (G 26/10 vom ), in einem Verfahrenshilfeantrag mit Aussicht auf Erfolg die Anfechtung von Art 15 Z 3 Budgetbegleitgesetz 2009 anregen können. Zum anderen hätte der (auch) bei der Verfolgung von Ansprüchen wegen Kartellrechtsverstößen geltende Effektivitätsgrundsatz (EuGH C 453/99, Courage Ltd; C 295/04 bis C 298/04, Manfredi) nur dazu führen können, dass die Beschränkung der Verfahrenshilfe im konkreten Fall nicht anzuwenden gewesen wäre. Das hätte gegebenenfalls die Anspruchsdurchsetzung durch die Gesellschaft ermöglicht, ein (von einer rechtsgeschäftlichen Zession unabhängiger) Anspruchsübergang auf den Kläger wäre dafür weder erforderlich noch in vertretbarer Weise begründbar gewesen.

2.3. Die unter Fristsetzung erfolgte Aufhebung von Art 15 Z 3 Budgetbegleitgesetz 2009 wäre dem nicht entgegengestanden. Zwar ist ein unter Fristsetzung aufgehobenes Gesetz während dieses Zeitraums einem verfassungsrechtlich einwandfreien Bestandteil der Rechtsordnung gleichgestellt (VfSlg 2583/1953, 4718/1964, 5243/1966), eine als verfassungswidrig erkannte Gesetzesstelle kann daher nicht neuerlich Gegenstand eines Gesetzesprüfungsverfahrens sein (VfSlg 5185/1965, 6442/1971, 12.633/1991; RIS Justiz RS0054001 [insb T 2]). Diese Rechtsprechung beruht aber ausschließlich auf der vom Verfassungsgesetzgeber vorgenommen Ausgestaltung der Normenkontrolle durch den Verfassungsgerichtshof. Es ist kein Grund erkennbar, weshalb sie Auswirkungen auf den Vorrang des Unionsrechts und die darauf beruhende Verpflichtung der Gerichte haben könnte, entgegenstehendes nationales Recht nicht anzuwenden. Denn nach dem Grundsatz der doppelten Bedingtheit unterliegt der Gesetzgeber bei der Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben einer zweifachen Bindung, nämlich einerseits an das Unionsrecht und andererseits an den durch das nationale Verfassungsrecht gezogenen Rahmen (VfSlg 15.106/1998, 15.683/1999, 16.260/2001, 16.320/2001 und 17.001/2003 ua; Korinek , Die doppelte Bedingtheit von gemeinschaftsrechtsausführenden innerstaatlichen Rechts-vorschriften, FS Öhlinger [2004] 131 ff). Die (faktische) Sanierung einer Verfassungswidrigkeit durch Setzung einer Frist nach Art 140 Abs 5 B-VG betrifft nur den Verstoß gegen das nationale Verfassungsrecht; am Anwendungsvorrang des Unionsrechts kann sie nichts ändern.

2.4. Trifft daher die Auffassung des Klägers zu, dass im gegebenen Zusammenhang (auch) der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz einer Beschränkung der Verfahrenshilfe entgegenstand, hätte sich die Gesellschaft in einem Verfahrenshilfeantrag (auch) darauf berufen können; dies hätte aber ausschließlich Folgen für ihre eigene Anspruchsverfolgung gehabt. Hingegen wäre daraus keinesfalls ein Anspruchsübergang auf den Kläger abzuleiten gewesen. Denn ein solcher Übergang hätte zu einem Anspruchsverlust der Gesellschaft geführt und damit diese und ihre Gläubiger geschädigt. Der Effektivitätsgrundsatz stünde einem solchen Ergebnis geradezu entgegen.

2.4. Weshalb der Kläger eigene Schäden noch nicht geltend machen könnte oder in Zukunft zu erwarten hätte, führt er nicht aus. Damit ist auch sein Vorbringen zum Feststellungsbegehren unschlüssig. Auf die weiteren in der Zulassungsbeschwerde dargestellten Rechtsfragen kommt es daher in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht an.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2013:0040OB00168.12B.0212.000