OGH vom 24.04.2020, 7Ob206/19y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****R*****, vertreten durch Dr. Sebastian Schumacher, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A*****-Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 140 EUR und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 171/19x21, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom , GZ 7 C 432/18g17, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin und ihr Ehemann sind Verbraucher. Zwischen dem Mann der Klägerin und der Beklagten bestand von bis ein Rechtsschutz-Versicherungsvertrag, bei dem die Klägerin Mitversicherte war. Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung der Beklagten (ARB 2003) zugrunde, die auszugsweise lauten:
„Artikel 2
Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?
…
3. In den übrigen Fällen gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften. Der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem einer der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. ...
Artikel 3
Für welchen Zeitraum gilt die Versicherung?
(Zeitlicher Geltungsbereich)
1. Die Versicherung erstreckt sich grundsätzlich auf Versicherungsfälle, die während der Laufzeit des Versicherungsvertrages eintreten.
...
3. Wird der Deckungsanspruch vom Versicherungsnehmer später als zwei Jahre nach Beendigung des Versicherungsvertrages für das betreffende Risiko geltend gemacht, besteht, unabhängig davon, wann der Versicherungsnehmer Kenntnis vom Eintritt eines Versicherungsfalles erlangt, kein Versicherungsschutz.
…
Artikel 8
Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten?
(Obliegenheiten)
1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,
1.1. den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen;
…
1.4. alles zu vermeiden, was die Kosten unnötig erhöht oder die Kostenerstattung durch Dritte ganz oder teilweise verhindert;
…
2. Verletzt der Versicherungsnehmer eine der vorstehend genannten Obliegenheiten, ist der Versicherer gemäß § 6 Versicherungsvertragsgesetz (VersVG) von der Verpflichtung zur Leistung frei.
…
Artikel 9
Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen?
...
1. Der Versicherer hat binnen zwei Wochen nach Geltendmachung des Deckungsanspruches durch den Versicherungsnehmer und Erhalt der zur Prüfung dieses Anspruches notwendigen Unterlagen und Informationen dem Versicherungsnehmer gegenüber schriftlich den Versicherungsschutz grundsätzlich zu bestätigen oder begründet abzulehnen.
Der Versicherer ist innerhalb der in Absatz 1 genannten Frist berechtigt, diese durch einseitige Erklärung um weitere zwei Wochen zu verlängern.
2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen.
...‟
Die Klägerin kaufte am bei einem österreichischen Händler einen in Deutschland gefertigten PKW mit Dieselmotor, der mit einer Abgasmanipulationssoftware ausgestattet ist; das Fahrzeug wurde am auf sie zugelassen.
Von Herbst 2015 bis Ende 2017 führte der Verein für Konsumenteninformation (VKI) eine kostenlose Sammelaktion durch, im Zuge dessen er Käufer von Fahrzeugen mit Abgasmanipulationssoftware in Bezug auf technische und auch allfällige rechtliche Fragen informierte; die Klägerin beteiligte sich ab Februar 2016 an dieser Aktion. Im Mai oder Juni 2016 informierte der VKI (auch) die Klägerin, dass gegen den Fahrzeughersteller Strafanzeige erstattet worden sei, und bot den Geschädigten die Organisation von Privatbeteiligtenanschlüssen an.
Im November 2017 wandte sich der Mann der Klägerin in deren Auftrag an einen Anwalt, der am die Beklagte um Zusage der Rechtsschutzdeckung für die Klägerin ersuchte:
„… Das Update wurde bereits eingespielt. Da sich generell die Anzeichen mehren, dass das Update Folgeprobleme verursacht und durch [hersteller]interne Unterlagen klar ist, dass das Update wieder eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, ist die ‘Verbesserung‘ als erfolglos zu betrachten.
...
Außergerichtliche Bereinigungsversuche sind bereits über 2 Jahre aussichtslos. Um für Ihre Versicherungsnehmerin gerichtlich gegen den Händler und [den Hersteller] einschreiten zu können, ersuchen wir um Zusage der Rechtsschutzdeckung für das Verfahren 1. Instanz.“
Tatsächlich war kein Update eingespielt worden; dieses wurde der Klägerin vom Importeur ihres Fahrzeugs erst im Jänner 2018 angeboten, jedoch auch in der Folge nicht durchgeführt.
Die Beklagte lehnte die Rechtsschutzdeckung am wie folgt ab:
„… Obiger Versicherungsvertrag wurde bereits per beendet.
Wird der Deckungsanspruch vom Versicherungsnehmer später als 2 Jahre nach Beendigung des Versicherungsvertrages für das betreffende Risiko geltend gemacht, besteht unabhängig davon, wann der Versicherungsnehmer Kenntnis vom Eintritt eines Versicherungsfall erlangt, kein Versicherungsschutz (ARB 2003, Art. 3, Punkt 3.).
Auch wenn man hier von der neuen Judikatur zur Nachhaftung ausgeht, besteht kein Versicherungsschutz, da die notwendige unverzügliche Meldung des Versicherungsfalls nicht erfolgt ist.
Wir lehnen daher die Übernahme der Kostendeckung ab ...“
Da die Klägerin nicht im Stande und auch nicht gewillt war, das finanzielle Risiko einer Prozessführung gegen den Fahrzeughersteller selbst zu tragen, schloss sie sich im Juli 2018 einer vom VKI unter Beteiligung eines Prozesskostenfinanzierers organisierten Sammelklage an, über die noch nicht entschieden wurde. Sie entrichtete am einen auch im Fall des Obsiegens mit der Sammelklage nicht zu ersetzenden Organisationskostenbeitrag von 140 EUR. Die Erfolgsbeteiligung des Prozessfinanzierers kann nach den Teilnahmebedingungen der Sammelklage zwischen 10 % und 37,50 % jenes Betrages liegen, der nach Abzug der Kosten der Rechtsverfolgung zur Verteilung gelangt. Wird die Sammelklage abgewiesen, erhält die Klägerin zwar keine Zahlung, muss aber auch nicht für die Prozesskosten aufkommen, die zu 100 % vom Prozessfinanzierer getragen werden.
Die Klägerin begehrte am Schadenersatz von 140 EUR und die Feststellung der Haftung der Beklagten für jene Kosten, welche aufgrund der Teilnahme an der vom VKI geführten Sammelklage gegen die Fahrzeugherstellerin künftig entstehen. Die Beklagte habe die vertragsgemäß geschuldete Deckung rechtswidrig abgelehnt, wodurch ihr ein Schaden in Höhe des Organisationskostenbeitrags entstanden und ein weiterer Schaden in Höhe eines Abzugs des Prozesskostenfinanzierers vom erstrittenen Betrag drohe. Sie habe die Deckungsanfrage rechtzeitig gestellt, nämlich kurz nach Bekanntwerden des Umstands im Herbst 2017, wonach ein Softwareupdate die Probleme nicht löse. Die Erwähnung von außergerichtlichen Einigungsversuchen beziehe sich nicht individuell auf die Klägerin, sondern allgemein auf die gegenständlichen Schadensfälle. Mit der Sammelklage habe die Klägerin – auch im Sinn einer Schadensminderungspflicht – jenen Weg gewählt, der aus einer ex ante-Betrachtung das geringste Kostenrisiko mit sich bringe.
Die Beklagte bestritt, dass die Deckungsablehnung schuldhaft zu Unrecht erfolgt oder kausal für einen Schaden der Klägerin sei. Die Klägerin habe den Deckungsanspruch mehr als sechs Jahre nach Beendigung des Vertrags angemeldet, womit nach Art 3.3 ARB 2003 kein Versicherungsschutz mehr bestehe. Zudem sei die Klägerin ihrer Obliegenheit nach § 33 VersVG nicht nachgekommen, den Versicherungsfall unverzüglich zu melden. Die Ablehnung sei aufgrund einer zumindest vertretbaren Rechtsmeinung erfolgt, sodass kein Verschulden vorliege. Der Klägerin wäre es offengestanden, die Klage gegen den Hersteller auf eigene Kosten einzubringen oder Verfahrenshilfe hiefür zu beantragen. Der behauptete Schaden hätte im Sinne der Schadensminderungspflicht verhindert werden können, wenn die Klägerin allfällige vorfinanzierte Prozesskosten im Nachhinein im Wege einer auf Zahlung gerichteten Deckungsklage geltend gemacht hätte.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Da sich eine Klage gegen den Hersteller und damit eine kostenauslösende Maßnahme erst im Herbst 2017 abgezeichnet habe, sei die Anzeige der Klägerin zwar nicht verspätet erfolgt. Ihre Ablehnung habe die Beklagte aber mit der Berufung auf die Obliegenheitsverletzung durch nicht unverzügliche Geltendmachung angesichts der Ausführungen im Deckungsanspruchsschreiben hinreichend begründet; eine solche Begründung müsse nicht richtig sein. Wenn – wie hier – nicht grundlos verweigert werde, sei der Versicherer mangels Verschulden nicht schadenersatzpflichtig.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Die Klägerin habe ihre Schadensminderungspflicht verletzt, weil ihr das angesichts des niedrigen Streitwerts geringfügige Kostenrisiko einer Einklagung ohne Prozesskostenfinanzierung, etwa durch direkte Beauftragung eines Anwalts im konkreten Fall zumutbar gewesen wäre. Damit wären keinerlei Schäden aus der Deckungsablehnung entstanden und die Klägerin hätte über eine Klage auf Rechtsschutzdeckung gegen die Beklagte die aufgelaufenen Anwalts- und Gerichtsgebühren einfordern können. Die Überlegungen der Berufung zur schuldhaften Deckungsablehnung durch die Beklagte sowie die Verfahrens- und Beweisrüge seien rechtlich irrelevant, sodass darauf nicht eingegangen werden müsse.
Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand als 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision zu, weil seine Rechtsansicht zum gänzlichen Entfall eines Schadenersatzanspruchs bei Verletzung der Schadensminderungspflicht strittig sei und diese Frage angesichts der Vielzahl von Klagen gegen den Fahrzeughersteller über den Einzelfall hinausgehe.
Die Revision der Klägerin begehrt die Abänderung im klagsstattgebenden Sinn; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Klägerin hat ihr Feststellungsbegehren mit 6.000 EUR bewertet und dies damit begründet, dass die Höhe des ihr entstehenden Schadens nicht absehbar sei. Dem ist das Berufungsgericht bei seiner Bewertung des Entscheidungsgegenstands gefolgt. Soweit die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung – unter Berufung auf nunmehr in der Revision angestellte Überlegungen der Klägerin zum höchstmöglichen Schaden – darin eine offenkundige Fehlbewertung des Berufungsgerichts erblickt, ist ihr zu entgegnen, dass die Bewertung des Entscheidungsgegenstands durch das Rechtsmittelgericht grundsätzlich unanfechtbar (RS0042410) und für den Obersten Gerichtshof bindend (RS0042385; RS0042515) ist. Von der zweiten Regel wird nur dann eine Ausnahme gemacht, wenn das Berufungsgericht – hier nicht bestehende – zwingende Bewertungsvorschriften verletzt, eine offenkundige Fehlbewertung vornimmt oder eine Bewertung überhaupt zu unterbleiben gehabt hätte (RS0042450 [T8]; RS0109332 [insb T 3]; RS0042410 [T18, T 23, T 26, T 27]; 2 Ob 248/09y mwN; Lovrek in Fasching/Konecny³ § 502 ZPO Rz 150 mwN).
Nach den vom Erstgericht festgestellten Allgemeinen Bedingungen für die Sammelklagen des VKI sind die Klagebegehren „vorbehaltlich allfälliger Anpassungen“ nicht nur auf 20 % des Kaufpreises gerichtet, sondern für Verbraucher, die – wie die Klägerin – ihr Fahrzeug noch besitzen, auch auf Feststellung der Haftung der Fahrzeugherstellerin für allfällige künftige Schäden. Ausgehend vom zum Zeitpunkt der Bewertung des Entscheidungsgegenstands dem Berufungsgericht vorliegenden Sachstand liegt daher weder ein nur in Geld bestehender Anspruch noch eine offenkundige Überbewertung des Streitwerts (vgl RS0118748) vor.
Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
1.1. Der Fachsenat hat bereits zur Deckungspflicht in der Rechtsschutzversicherung für Klagen gegen Autohersteller wegen Abgasmanipulationssoftware in Dieselfahrzeugen Stellung genommen (7 Ob 32/18h):
Es handelt sich dabei um Deckung für die Geltendmachung reiner Vermögensschäden, bei denen nach Art 2.3 ARB 2003 der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften als Versicherungsfall gilt. Nach dieser Bestimmung liegt der Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung vor, wenn einer der Beteiligten begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen.
Der Zeitpunkt, in dem die Produzentin begonnen hat, in ihre Motoren Abgaswerte verfälschende Software einzubauen, hat keine Auswirkungen auf die Rechtsposition des Autokäufers. Ein zeitlich lange vorangehender Gesetzes- oder Pflichtenverstoß, mag er auch die spätere Rechtsverfolgung des Versicherungsnehmers adäquat-kausal begründet haben, kann den Versicherungsfall erst auslösen und damit den Zeitpunkt des Verstoßes in Bezug auf den konkreten Versicherungsnehmer in der Rechtsschutzversicherung festlegen, wenn dieser erstmals davon betroffen, dh in seinen Rechten beeinträchtigt wird oder werden sein soll. Dies ist im Falle des serienmäßigen Einbaus eines nicht rechtskonformen Bauteils in eine Sache der Zeitpunkt des Kaufs der mangelhaften Sache durch den Versicherungsnehmer. Erst damit beginnt sich auch die vom Rechtsschutzversicherer in Bezug auf den Versicherungsnehmer konkret übernommene Gefahr zu verwirklichen.
1.2. Kauf- und Zulassungszeitpunkt liegen hier während des versicherten Zeitraums. Es liegt damit ein Versicherungsfall iSd Art 2 ARB 2003 vor.
2.1. Der Senat hat zu einer Bestimmung wie Art 3.3 ARB 2003 ebenfalls bereits Stellung genommen (7 Ob 201/12b):
Zwar ist eine Ausschlussfrist grundsätzlich nicht objektiv ungewöhnlich und zur Risikoabgrenzung üblich. Eine Bedingung aber, die – wie hier – eine Ausschlussfrist regelt und allein auf einen objektiven fristauslösenden Zeitpunkt abstellt, ist im Zusammenhang mit § 33 Abs 1 VersVG, wonach der Versicherungsnehmer den Eintritt des Versicherungsfalls, nachdem er von ihm Kenntnis erlangt hat, unverzüglich dem Versicherer anzuzeigen hat, ungewöhnlich, weil dadurch der Anspruch erlischt, auch wenn unverzüglich nach Kenntnis vom Versicherungsfall eine Schadensanzeige erstattet wurde. Hat der Versicherungsnehmer vor Ablauf der Ausschlussfrist keine wie immer gearteten Hinweise darauf, dass sich ein Versicherungsfall während der Vertragszeit ereignet haben könnte, so ist der Anspruchsverlust auch im Fall der unverzüglichen Meldung nach § 33 Abs 1 VersVG als objektiv und subjektiv ungewöhnlich nach § 864a ABGB zu beurteilen. Die Vertragsbestimmung ist insoweit nichtig und daher unbeachtlich.
2.2. Soweit sich die Beklagte bei ihrer Deckungsablehnung auf Art 3.3 ARB 2003 berief, ist dies wegen Nichtigkeit der Bestimmung nicht berechtigt, zumal der Versicherungsnehmer Verbraucher ist und eine geltungserhaltende Reduktion der Klausel nicht in Frage kommt (RS0128735).
3. Die Beklagte hat sich zur Begründung der Deckungsablehnung auch auf § 33 Abs 1 VersVG berufen, wonach die Klägerin nicht unverzüglich nach Kenntnis vom Versicherungsfall eine Schadensanzeige erstattet habe.
3.1. Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen. Die Drohung mit dem Anspruchsverlust soll den Versicherungsnehmer motivieren, die Verhaltensregeln ordnungsgemäß zu erfüllen; ihr kommt eine generalpräventive Funktion zu (RS0116978). Den Versicherer trifft die Beweislast für das Vorliegen des objektiven Tatbestands einer Obliegenheitsverletzung. Im Fall eines solchen Nachweises ist es dann Sache des Versicherungsnehmers, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen hat (RS0081313). Eine leichte Fahrlässigkeit bleibt demnach ohne Sanktion (RS0043728 [insb T 4], RS0081313 [T21]). Gelingt dem Versicherungsnehmer der Beweis der leichten Fahrlässigkeit nicht, so steht ihm nach § 6 Abs 3 VersVG auch bei „schlicht“ vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis offen. Unter Kausalitätsgegenbeweis ist der Nachweis zu verstehen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat (RS0116979). Dass – bei grob fahrlässiger Begehung der Obliegenheitsverletzung – diese weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung und den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung einen Einfluss gehabt hat, ist vom Versicherungsnehmer im Verfahren erster Instanz zu behaupten und zu beweisen (RS0081313, RS0043728). Der Versicherungsnehmer hat den Beweis der fehlenden Kausalität seiner Obliegenheitsverletzung strikt zu führen; es ist nicht etwa nur die Unwahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs darzutun (RS0079993, RS0081313). Nur der Versicherungsnehmer, der eine Obliegenheit mit dem Vorsatz verletzt, die Beweislage nach dem Versicherungsfall zu Lasten des Versicherers zu manipulieren (sogenannter „dolus coloratus“), verwirkt den Anspruch, und es ist der Kausalitätsgegenbeweis ausgeschlossen (RS0081253, RS0109766).
3.2. Die in § 33 Abs 1 VersVG normierte Obliegenheit zur unverzüglichen Anzeige eines Versicherungsfalls gilt für die Rechtsschutzversicherung jedenfalls während aufrechten Versicherungsvertrags nur eingeschränkt, weil der Versicherungsnehmer den Versicherer nicht nach jedem Versicherungsfall, sondern nur dann zu unterrichten hat, wenn er aufgrund eines Versicherungsfalls Versicherungsschutz „begehrt“. Dies beruht auf der Überlegung, dass der Versicherer kein Interesse daran haben kann, von jedem möglichen Schadenereignis oder Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Rechtspflichten zu erfahren, ohne dass feststeht, dass dies zu einer kostenauslösenden Reaktion führen kann. Erst wenn sich kostenauslösende Maßnahmen abzeichnen, das heißt, wenn sich die rechtliche Auseinandersetzung so weit konkretisiert hat, dass der Versicherungsnehmer mit der Aufwendung von Rechtskosten rechnen muss und deshalb seinen Rechtsschutzversicherer in Anspruch nehmen will, entsteht für ihn die Obliegenheit, den Versicherer unverzüglich zu informieren und kostenauslösende Maßnahmen mit ihm abzustimmen. Dessen Unterrichtung hat spätestens in einem Stadium zu erfolgen, das dem Versicherer noch die Prüfung seiner Eintrittspflicht und die Abstimmung von Maßnahmen erlaubt. Insbesondere ist der Versicherer – abgesehen von eiligen Fällen – so zeitig zu unterrichten, dass er noch ausreichend Zeit hat, die Erfolgsaussichten der Prozessführung abzuklären (7 Ob 140/16p mwN).
3.3. Dies ist im Falle, dass der Vertrag – wie hier – bereits seit Jahren abgelaufen ist, aber anders zu beurteilen. Der Versicherer hat den Vertrag bereits mit Ablauf der zwar dem Versicherungsnehmer gegenüber nichtigen, aber im Vertrag vorgesehenen, Ausschlussfrist abgerechnet. Der Anfall weiterer Versicherungsfälle ist die Ausnahme. Auch dem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer ist einsichtig, dass der Versicherer in diesem Fall ein erhöhtes (uneingeschränktes) Interesse an einer unverzüglichen Anzeige aller Versicherungsfälle, von denen der Versicherungsnehmer unverschuldet erst nach Vertragsbeendigung und (zu Gunsten des Versicherungsnehmers) nach Ablauf einer allfälligen im Vertrag vorgesehenen Ausschlussfrist erfährt, im Sinn des § 33 VersVG hat, muss der Versicherer doch trotz Beendigung des Vertrags sein zu übernehmendes Risiko umgehend beurteilen und einschätzen können und für die Deckung (gesondert) vorsorgen. Der Versicherungsnehmer ist daher in diesem Fall gehalten, alle Versicherungsfälle dem Versicherer unverzüglich zur Kenntnis zu bringen und nicht mit der Anspruchsverfolgung zu zögern oder zuzuwarten, bis sich je nach seinem Engagement in der Rechtsverfolgung konkret kostenauslösende Maßnahmen abzeichnen. Es steht nicht im Belieben des Versicherungsnehmers, durch die Inanspruchnahme der Rechtsschutzversicherung die Informationsobliegenheit zeitlich hinauszuschieben und sie dadurch zeitlich außer Kraft zu setzen (vgl 7 Ob 140/16p).
3.4. Zusammengefasst gilt daher:
Anders als bei aufrechtem Rechtsschutz-Versicherungsvertrag gilt die in § 33 Abs 1 VersVG iVm Art 8.1.1 ARB 2003 normierte Obliegenheit zur unverzüglichen Anzeige von allen Versicherungsfällen, von denen der Versicherungsnehmer unverschuldet erst nach Ablauf des Vertrags und (zu Gunsten des Versicherungsnehmers) nach Ablauf einer allfälligen im Vertrag vorgesehenen Ausschlussfrist erfährt, uneingeschränkt. Der Versicherungsnehmer hat dann alle Versicherungsfälle, von denen er erfährt, dem Versicherer unverzüglich zur Kenntnis zu bringen und nicht mit der Anspruchsverfolgung zu zögern oder zuzuwarten, bis sich kostenauslösende Maßnahmen abzeichnen.
4.1. Hier hatte der Rechtsschutz-Versicherungsvertrag von bis bestanden und war daher bereits mehr als vier Jahre beendet, als sich die Klägerin im Februar 2016 einer Sammelaktion des VKI unter anderem zur Information über rechtliche Fragen anschloss und vom VKI bereits im Mai/Juni 2016 über die Möglichkeit informiert wurde, sich mit zivilrechtlichen Ansprüchen einem Strafverfahren als Privatbeteiligte anzuschließen. An die Beklagte wandte sie sich jedoch erstmals erst im November 2017.
4.2. Der Klägerin ist daher (Umstände, aus denen sich leichte Fahrlässigkeit ableiten ließe, hat die Klägerin nicht vorgebracht) ein grob fahrlässiger Verstoß gegen die Obliegenheit nach § 33 Abs 1 VersVG vorzuwerfen, nicht unverzüglich nach Kenntnis vom Versicherungsfall eine Schadensanzeige an die Beklagte erstattet zu haben.
4.3. Dies führt zur Leistungsfreiheit der Beklagten, zumal die Klägerin den strikt zu führenden Kausalitätsgegenbeweis nicht angetreten hat. Sie hat vor dem Erstgericht nur darauf verwiesen, rechtzeitig Anzeige erstattet zu haben, weil ihr erst durch die Beratung des Klagevertreters im November 2017 klar geworden sei, dass zur Durchsetzung ihrer Ansprüche eine Klage erforderlich sei und ihr daher Kosten entstehen könnten.
Damit war die Beklagte infolge grob fahrlässiger Verletzung der dargelegten Aufklärungsobliegenheit durch die Klägerin leistungsfrei; dem Schadenersatzanspruch der Klägerin ist damit der Boden entzogen. Auf die anderen relevierten Fragen kommt es nicht mehr an.
5. Der Revision ist nicht Folge zu geben.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 50, 41 ZPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00206.19Y.0424.000 |
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