OGH vom 30.11.2006, 6Ob258/06v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der Betroffenen Charlotte E*****, über den Revisionsrekurs des Sachwalters Dr. Thomas H*****, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 42R 142/06b-51, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom , GZ 15 P 252/04m-48, mit Maßgabe bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung aufgetragen.
Text
Begründung:
Für die Betroffene wurde im Jänner 2004 gemäß § 273 Abs 3 Z 2 ABGB ein Sachwalter (unter anderem) zur Vertretung vor Gerichten und Sozialversicherungsträgern bestellt. Die Betroffene wohnt im Pflegeheim, dessen Kosten unmittelbar mit dem Sozialhilfeträger abgerechnet werden. Sie bezieht Pflegegeld der Stufe 2, verfügt über ein Sparguthaben von rund 7.700 EUR und erhält monatlich rund 120 EUR ausbezahlt; den Rest aus Pensionseinkommen und Pflegegeldbezug behält der Sozialhilfeträger ein.
Der Sachwalter beantragt die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung einer Klage der Betroffenen gegen den Magistrat der Stadt Wien wegen Erhöhung des Pflegegelds; ein entsprechender Antrag war zuvor mit Bescheid abgewiesen worden.
Das Erstgericht wies den Antrag ab. Die Einbringung dieser Klage gehöre zur ordentlichen Wirtschaftsverwaltung; einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung bedürfe es daher nicht. Das Rekursgericht wies den Antrag zurück und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist; zur Frage der Genehmigungsnotwendigkeit von Pflegegeldklagen gemäß § 154 Abs 3 ABGB liege „gegenteilige Rechtsprechung" vor. In der Sache selbst vertrat das Rekursgericht die Auffassung, in Anbetracht des Vermögens der Betroffenen könne zwar nicht ausgeschlossen werden, dass dem Sachwalter, einem Rechtsanwalt, gemäß § 267 ABGB ein Entgeltanspruch gegenüber der Betroffenen für die Prozessführung zusteht, weshalb „in der vorliegenden Konstellation die Klagsführung auch in Pflegegeldsachen als genehmigungspflichtig 'erscheint'". Es ziehe aber nicht jede kostenpflichtige Tätigkeit des Sachwalters automatisch eine Genehmigungspflicht nach sich. Bei der vorliegenden Klage handle es sich um eine durchaus übliche und mit verhältnismäßig geringem Risiko für die Betroffene verbundene Maßnahme; sie sei daher nicht genehmigungspflichtig.
Der Revisionsrekurs des Sachwalters ist zulässig; er ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Nach §§ 282, 154 Abs 3 ABGB bedarf die Erhebung einer Klage durch den Sachwalter eines Betroffenen grundsätzlich der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung. Davon machen Lehre (Gitschthaler, Prozess- und Verfahrensfähigkeit minderjähriger und besachwalteter Personen, RZ 2003, 175; Nademleinsky in Schwimann, ABGB³ [2005] § 154 Rz 25) und Rechtsprechung (7 Ob 508/85 = SZ 58/18 mwN) etwa in „Bagatellsachen" eine Ausnahme. Dies wird damit begründet, dass auch die Prozessführung unter dem Vorbehalt des § 154 Abs 3 ABGB stehe, wonach eine Genehmigungspflicht nur bei nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehörenden Angelegenheiten in Betracht kommt (Gitschthaler, aaO; vgl auch Stabentheiner in Rummel, ABGB³ [2000] §§ 154, 154a Rz 15; RIS-Justiz RS0048207). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bedürfen auch Pflegegeldklagen minderjähriger oder besachwalteter Personen einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung jedenfalls dann, wenn der Kläger durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (10 ObS 106/04t). Dies ergibt sich zwar im Gegensatz zu sonstigen Klagen weniger aus dem Risiko des Prozessverlusts und einer daraus resultierenden Kostenersatzpflicht des obsiegenden Sozialhilfeträgers, weil eine Sozialrechtssache im Hinblick auf die Kostentragungsvorschriften der §§ 77, 80 ASGG - vom Ausnahmefall des § 77 Abs 3 ASGG (Mutwilligkeit, Verschleppung oder Irreführung) abgesehen - den Kläger nicht belastet; zu berücksichtigen ist jedoch, dass den Kläger gegenüber seinem eigenen Rechtsanwalt eine Honorarverpflichtung trifft (vgl 10 ObS 2158/96t; 10 ObS 86/97p; Gitschthaler, aaO). Soweit der Oberste Gerichtshof in den zuletzt genannten Entscheidungen 10 ObS 2158/96t und 10 ObS 86/97p die Genehmigungspflicht daher jeweils verneinte, fand er die Begründung auch folgerichtig darin, dass die dort einschreitenden minderjährigen Kläger gegenüber den sie vertretenden Rechtsanwälten nicht honorarpflichtig werden konnten; diese waren jeweils von den Eltern beauftragt worden. Jenen Stimmen in der Lehre (Maurer/Tschugguel, Sachwalterrecht² [1997] 90; Nademleinsky, aaO), die ohne nähere Begründung eine Genehmigungspflicht für Klagen minderjähriger oder besachwalteter Personen in Sozialrechtssachen grundsätzlich verneinen, kann daher nicht gefolgt werden (vgl auch 10 ObS 214/02x).
Neben dem Obersten Gerichtshof und den erwähnten Lehrmeinungen gehen etwa auch das Oberlandesgericht Wien (7 Rs 3/00p; 9 Rs 143/04x) und mehrere familienrechtliche Senate des Rekursgerichts (45 R 722/04s; 48 R 120/06m) von einer Genehmigungspflicht von Pflegegeldklagen minderjähriger oder besachwalteter Personen aus; auch sie betonen die Gefahr einer Honorarverpflichtung des Klägers gegenüber dem für ihn einschreitenden Rechtsanwalt.
Nichts Anderes kann aber gelten, wenn der besachwaltete Kläger sich in einem Pflegegeldprozess nicht eines freigewählten Rechtsanwalts bedient, sondern sein Sachwalter selbst Rechtsanwalt ist und dieser ihn im Verfahren vertritt. Erbringt nämlich ein Sachwalter Leistungen, für die er seine besonderen beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten nützt, und würde ein anderer Sachwalter hiefür einen entsprechend beruflich Qualifizierten heranziehen, gebührt dem Sachwalter ein Anspruch auf angemessenes Entgelt; maßgebend für die Angemessenheit des Entgelts eines Rechtsanwalts sind dabei die Bestimmungen des Rechtsanwaltstarifgesetzes (Hopf in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB [2005] §§ 266, 267 Rz 4 mwN; RIS-Justiz RS0048995).
Nach §§ 282, 267 Abs 1 letzter Satz ABGB idF KindRÄG 2001 besteht zwar ein derartiger Anspruch auf Ersatz der Kosten rechtsfreundlicher Vertretung nicht, wenn im Verfahren die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe gegeben gewesen wären - auch wenn ein solcher Antrag tatsächlich nicht gestellt wird (Hopf, aaO; 6 Ob 237/03a = EFSlg 104.532). Verfügt der Betroffene aber über Einkommen oder Vermögen in einem Umfang, der die Bewilligung der Verfahrenshilfe im Pflegegeldprozess hindert, hat das Sachwalterschaftsgericht die Genehmigungsfähigkeit (auch) einer Pflegegeldklage zu prüfen, weil letztlich der Kläger im Wege der Festsetzung des Entgelts für den Sachwalter mit dessen Honoraransprüchen belastet werden kann.
Die vom Rekursgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage lässt sich damit dahin beantworten, dass die Einbringung einer Klage auf Gewährung oder Erhöhung von Pflegegeld durch einen besachwalteten Kläger, der durch seinen Sachwalter vertreten ist, der (auch) Rechtsanwalt ist, dann der vorangehenden pflegschaftsgerichtlichen Prüfung und allfälligen Genehmigung nach §§ 282, 154 Abs 3 ABGB bedarf, wenn der Kläger aufgrund seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe nicht erfüllt und daher ein Entgeltanspruch seines Sachwalters nach § 267 ABGB in Betracht kommt.
Das Rekursgericht hat nun selbst darauf hingewiesen, dass die Betroffene über Vermögen in Höhe von rund 8.000 EUR verfüge (s auch Beschluss auf Genehmigung der Pflegschaftsrechnung ON 46) und daher die Voraussetzungen für die Gewährung der Verfahrenshilfe im Pflegegeldprozess nicht vorliegen dürften. Die Antragszurückweisung erweist sich damit aber als verfehlt. Das Erstgericht wird zu prüfen haben, ob die vom Sachwalter für den Betroffenen verfasste Klage genehmigungsfähig ist oder nicht.